Im Gehege der Macht: Heiligendamm vor dem G-8-Gipfel

jetzt.de 4. April 2007

Zwölf Kilometer Eisen und Stacheldraht sollen im Juni die Politik vom Rest der Welt trennen, die Anwohner fühlen sich schon jetzt als Zaungäste

Heiligendamm, im April - Um eine Ahnung zu bekommen, muss man von Vorder Bollhagen über Hinter Bollhagen nach Klein Bollhagen fahren, die Straße zwischen den Äckern entlang, deren Schollen jetzt aufgeworfen im Regen liegen, blank und abgewetzt wie alte Möbelstücke. Von der Straße aus sieht man den Zaun, der vor Hinter Bollhagen ein Wäldchen verlässt und am Ortseingang eine schöne Schleife macht. Nun ist die Schleife noch nichts als ein reifenzerwühlter Platz, aber die Leute im Dorf nennen ihn schon Checkpoint Charlie, weil dort bald Autos kontrolliert werden, und Menschen auch. Mitte Mai wird der Zaun zwölf Kilometer lang sein, er wird in weitem Bogen die weißen Villen am Strand umschließen, in denen sich an drei Tagen im Juni die Regierungschefs der größten Industrienationen der Erde zum G-8-Gipfel zusammenfinden. Angela Merkel hat sie nach Mecklenburg-Vorpommern eingeladen, in das älteste Bad an der deutschen Ostseeküste, nach Heiligendamm.

Auch der Zaun soll dafür sorgen, dass es schöne Bilder sind, die von hier in die Welt gehen, sechstausend Journalisten werden kommen, heißt es. Dass Zäune gezogen werden, um Schönes von weniger Schönem, Arm von Reich oder Gipfelgegner von Gipfeltreffen fernzuhalten, ist nun gar nichts Neues. Man muss eine Weile durchs Land reisen, mit Menschen reden, um eine Ahnung zu bekommen, dass es aber ein Unterschied ist, in Seattle, Gleneagles oder Genua einen Zaun zu ziehen, oder eben hier, in Ostdeutschland.

Die Frau am Zaun. Renate G., zu deren Leidenschaften das Singen, weniger aber das Zeitunglesen zählt, hatte zunächst geglaubt, vor ihrer Veranda werde ein Zaun gezogen, der “irgendwas mit Wild” zu tun habe. Wenn man in der Veranda sitzt, die luftig geraffte Gardine ein wenig zur Seite hält und über den Liguster schaut, den sie gestutzt hat, um den Nachbarn zu mehr Sonne zu verhelfen, guckt man auf grüne Gitter und Stacheldraht. Renate G. ist Jahrgang 1939, eine Frau voll einnehmender Freundlichkeit. Ihr Bruder ist zu DDR-Zeiten über die Grenze gegangen, als die noch durchlässiger war, in den Westen, was den Eltern und ihr das Leben fortan nicht leicht gemacht hat. “Wissen Sie”, sagt Renate G. und schaut an der Gardine vorbei nach draußen, “man denkt an die Mauer, wenn man das da sieht.”

Die Eltern sind längst gestorben, sie hat sie gepflegt bis zum Tod und ist im Haus allein zurückgeblieben. Es ist nicht leicht, sich und das Haus durch die Jahre zu bringen, so hoch ist ihre Rente nicht. Sie legt Röllchen aus Decken vor die Türen, jetzt, da es noch kühl ist, denn sie heizt nicht alle Räume. Vor den Zähler im Flur hat sie eine Pappe gehängt und ein Bild darauf geklebt. So sieht sie nun zwei Hundewelpen, die zärtlich sich raufen, und nicht immer den Zähler. Renate G. war Krankenschwester, zwei Jahrzehnte lang hat sie in den weißen Villen in Heiligendamm gearbeitet, die jetzt das Kempinski Grand Hotel sind. Früher war das ein Sanatorium. Sie konnte mit dem Rad zur Arbeit fahren, eine Viertelstunde nur, so nah ist Hinter Bollhagen von Heiligendamm. Sie geht da jetzt nicht mehr hin. Aufs Meer schauen und in der Nelson-Bar fünf Euro für einen Kaffee ausgeben? So fern ist Heiligendamm von Hinter Bollhagen. Renate G. hat ohnehin genug zu tun. Sie hat ihren Garten, und sie hat ihren Chor. Sie sind mit Ivan Rebroff aufgetreten, und mit Dagmar Frederik, in Venedig. Das sind Erinnerungen. Der Gipfel soll 90 Millionen Euro kosten, hat sie gehört, der Zaun vor ihrem Haus schon zwölfeinhalb. Aber sie weiß gar nicht, was das für Leute sind, die der Zaun abhalten soll. Sie sagt: “Mensch, hoffentlich kommen hier nicht so viele und treten mir die Beete kaputt.”

Gipfelsoli Infogruppe, Berlin Kreuzberg, Mariannenplatz. Es ist ein schmales Büro, dessen Wände mit Plakaten und bedruckten T-Shirts tapeziert sind, zwei Schreibtische darin, zwei Regale, schon ist es voll. Im Internet kann man die “Meldungen über globalisierte Solidarität und die Proteste gegen unsolidarische Globalisierung” lesen, die die Gipfelsoli Infogruppe ins Netz stellt. Es ist so eine Art Pressespiegel für Gipfelgegner. Eines der Gesichter, die hinter diesen Meldungen stehen, gehört Matthias Monroy. Fein geschnitten ist es und hat Züge einer Vorsicht, die man als entschlossen bezeichnen könnte. Er hat eine kleine Tochter, die zwischen Vater und Mutter lebt, vier Nächte die Woche ist sie bei ihm. Matthias Monroy war in den vergangenen Jahren bei vielen Protesten dabei. Seit Anfang der neunziger Jahre ist er “politisch aktiv”. Das Büro in Kreuzberg gibt es seit einem Jahr. An jedem Tag der Woche arbeitet eine andere Gruppe hier, die Gipfelsoli Infogruppe ist mittwochs dran. Aber alle Gruppen sind mit dem Gipfel in Heiligendamm beschäftigt. Die G 8 als illegitimer Klub der Mächtigen stehe für eine ungerechte Politik und für den Krieg und müsse abgeschafft werden. Matthias Monroy sagt, es kämen Menschen hierher, die herausfinden wollen, wo sie “andocken” können mit ihrem Protest, und das Büro sei die Schnittstelle.

Er ist mit anderen durch ganz Europa gereist. Sie haben Rumänen, Bulgaren und Portugiesen die Geographie von Heiligendamms Umgebung erklärt. Die “europäische Mobilisierung” gegen den Gipfel sei abgeschlossen. Matthias Monroy sagt: “Die Bereitschaft der Leute ist groß, an die Grenzen zu gehen.” An die Grenzen zu gehen? An die Grenzen komme man in der Begegnung mit der Polizei. Natürlich hofft er, dass Protest direkt am Zaun möglich sein wird, dass viele kommen. Mit so einem Zaun könne man eine ganze Menge machen, sagt er, vorausgesetzt, man komme ran. Ob man will oder nicht, man muss jetzt an Renate G. und ihre Beete denken, 260 Kilometer nordwestlich von Kreuzberg, in Hinter Bollhagen.

Forstamtsleiter Harald Runze, Bad Doberan. Was den Zaun betrifft, so ist für Harald Runze einzig von Belang, dass die Ricke zum Kitz kommt und die Bache zum Frischling. Das Rehwild setzt Anfang Mai, das Schwarzwild Anfang März. Runze hat dafür gesorgt, dass im Zaun so lange wie möglich “Querungslücken” offen bleiben an den Stellen, an denen das Wild seine angestammten Wechsel hat. Die Tiere reagierten aber jetzt schon auf den “menschlichen Dauerstress durch Polizisten und Bauarbeiter”, sagt er. Das Wild bewege sich vom Zaun weg und werde vorsichtig. Wenn man es “vermenschlicht” sagen wollte, sagt Harald Runze, “denkt sich das Tier: Aha, hier will man uns nicht”.

Knut Abramowski, Polizeiführer. Zwischen Hinter Bollhagen und Vorder Bollhagen nimmt Herr Hermann, der Fahrer, den Fuß vom Gas, und Knut Abramowski sagt: “Hier kann man sehen, dass es doch ein ganz schöner Eingriff ist.” Er deutet mit der Linken auf den Acker und meint den Zaun, aber er würde den Zaun nie Zaun nennen. Nach einer Weile wünscht man sich, dass ihm das Wort mal rausrutscht. Nach noch einer Weile sagt man: “Ja, Himmel, jetzt nennen Sie den Zaun doch endlich mal Zaun!” Weil Knut Abramowski nun mit befreiendem Lachen das Auto füllt, ist es leichter, sich in diese andere Sprache hineinzuhören. Wenn er vom Zaun spricht, sagt er: unsere technische Sperre. Oder er sagt: das kräfteökonomische Ausgleichselement mit psychologischer Wirkung. Was so viel heißt wie: Der Zaun spart Polizisten, und er gibt ein Gefühl von Sicherheit. In den Tagen im Juni werden hier 16 000 Beamte im Einsatz sein. Bewacht wird der Zaun schon jetzt.

Knut Abramowskis Aufgabe ist die Sicherheit des Gipfels, er hat 350 Menschen unter sich, die in Rostock-Waldeck arbeiten. Das Gelände ist geschützt wie Hochsicherheitstrakte in Gefängnissen.

Abramowski sagt, er sei ganz froh, wenn er auch mal rauskomme, an die Luft. Die Luft an der Jemnitzer Schleuse, von Börgerende so nah wie von Heiligendamm, ist kalt und klebrig vom Salz des Meeres. Der Zaun wird hier bald ein Stückchen ins Meer gehen. Abramowski und sein Fahrer lehnen am Gitter und rauchen Lucky Strike. Die Fachsprache schütze ihn, sagt Knut Abramowski, alles sei da “hinreichend definiert, man macht sich mit dieser Sprache ein wenig sicherer”. Jedes seiner Worte, jedes, werde doch auf die Goldwaage gelegt.

Er kommt aus Schleswig-Holstein, seine Familie lebt dort, und an den Wochenenden pendelt er. Natürlich mache er sich Gedanken auch über die Kritiker des Gipfels. Er sagt: “Ich bin ja hier nicht als Roboter beschäftigt.” Das sei aber wie bei einem Chirurgen. Der könne auch nicht sagen, er operiere nicht gerne, nehmen wir zum Beispiel, kleine Finger. Er könne es ja denken, aber sagen würde er es nie. Vor langer Zeit habe er einmal Theologe werden wollen. Knut Abramowski sagt: “Da ist man doch hautnah dran an den Menschen, nicht wahr?”

Bürgerversammlung, Morada Resort Hotel Kühlungsborn. Im Speisesaal “Anker” stehen Kerzen auf den Tischen und kleine Schilder, die einen geordneten Ablauf des Frühstücks garantieren sollen: “Wir wünschen Ihnen, lieber Gast, ein Frühstück ohne Hast und extra großen Appetit, doch bitte nehmen Sie nichts mit!” Es ist kurz vor fünf, Menschen strömen in den Saal. Sie warten auf Knut Abramowski, der ihnen sagen wird, was auf sie zukommt, jetzt und in den Tagen im Juni. Kellnerinnen mit flachen, knöchelumschnürenden Sandaletten huschen zwischen den Tischen umher und nehmen Bestellungen auf, die meisten wollen Bier.

Aber zuerst spricht der Bürgermeister. Er freue sich, dass infolge des Gipfels bald noch mehr Touristen nach Kühlungsborn kämen. Kühlungsborn wird vom Gipfel das Pressezentrum abbekommen. Dann erklärt Knut Abramowski, was die G 8 ist, und warum es während des Gipfels Einschränkungen geben wird. Man rechne mit 100 000 friedlichen Demonstranten, sagt er, und dass es zu Stauerscheinungen kommen könne. Die technische Sperre sei dafür da, “hoch gefährliche Einzeltäter” abzuhalten. Der Polizei gehe es, erstens, um Verhinderungen anlassbezogener Straftaten und, zweitens, um die Minimierung anlassbezogener Beeinträchtigungen unbeteiligter Dritter. Während der Zeit des Bade- und Angelverbots in der Sicherheitszone sei aber die Chance, restriktiv gegen Verbotsbader vorzugehen, sehr gering. Ein Polizist beamt Bilder mit den Sperrzonen auf See an die Wand.

Und Fragen bitte?

Ob er denn während des Gipfels angeln darf auf der Seebrücke in Kühlungsborn, fragt ein älterer Herr, der sich auf den Hornhecht freut, weil der, schon wenn der Raps im Mai zu blühen beginnt, ins Flachwasser geht. Angeln auf der Seebrücke sei kein Problem, Boote dürften aber nicht ins Wasser. Eine Frau will wissen, wer denn für Schäden an ihrem Privateigentum aufkommt. Dafür muss der Schädiger aufkommen, sofern man des Schädigers habhaft wird, sagt Abramowski. Fragt die Frau: “Und wenn der gar nichts hat?”

Pension Birgit Koch, Heiligendamm. Angst um ihren Vorgarten und ihr Eigentum muss Birgit Koch nicht haben. Sie wohnt in der Sicherheitszone, also innerhalb des Zaunes, bald wird sie einen Passierschein bekommen. Sie hat in der Ostsee-Zeitung einen Leserbrief geschrieben, worin es um den Findling geht. Der Findling ist 220 Tonnen schwer und liegt unter einer klug beschnittenen Buche vor einer der Villen des Kempinski-Hotels. Er liegt seit 1843 an eben diesem Platz und erinnert an die Gründung Heiligendamms durch Friedrich Franz I. im Jahre 1793. Nun hieß es, der Stein solle verrückt werden, weil er die Sichtachse für die Fotografen störe. Daraufhin schrieb Frau Koch: “Die ureigenste Tradition Heiligendamms beinhaltet den Findling an seiner Stelle. Allein der Gedanke, ihn verrücken/entfernen zu wollen, ist unanständig. Wenn der Findling stört, muss eine andere Blickachse gewählt werden. Heiligendamm muss sich weltoffen zeigen. Dazu gehören Tagesgäste und natürlich der Findling.”

Birgit Koch ist in Heiligendamm geboren. Drei Kinder hat sie hier zur Welt gebracht. Man habe zugucken können, wie der Ort nach der Wende langsam gestorben sei, sagt sie. Ein Luxushotel, eine Kurklinik und 280 Einwohner gebe es hier noch. Und sonst? Nichts. Man habe das Meer vor der Tür, den Strand, aber inzwischen könne man im Ort nicht einmal mehr eine Sonnencreme kaufen.

Rostock, Industrie- und Handelskammer. Aber den Männern und Frauen aus Brüssel hat Heiligendamm sehr gut gefallen. Sie haben sich alles angesehen: die Villen am Wasser, Bad Doberan, den Flughafen Laage, den Zaun. Jürgen Seidel ist der Wirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, gerade gibt er ein Abendessen für eine der sogenannten Vorabdelegationen. Jedes Teilnehmerland - dazu die Europäische Union, die seit 1981 bei allen G-8-Gesprächen dabei ist - schickt vor dem Gipfel Inspektoren, die zu prüfen haben, ob die Vorbereitungen auf gutem Wege sind. Die Abendessen mit den Inspektoren seien sehr unterschiedlich gewesen, sagt einer, der bei allen Essen dabei war. Die Italiener zum Beispiel. Haben bis ultimo gesessen und erzählt. Die Japaner hingegen seien früh verschwunden, was aber an dem Kamin gelegen haben mag, der so schlecht zog, dass einem, des Qualmes wegen, die Augen tränten und man alsbald in Nebenräume habe ausweichen müssen.

Der Kamin verhält sich heute sehr anständig. Jürgen Seidel begrüßt die Gäste. Aus Solidarität mit der Kanzlerin, die sich neulich beim Braten einer Gans die Hand verbrannt habe, gebe es heute Huhn. Nach der Pommerschen Geflügelsuppe mit Einlage dann eine kleine Präsentation, die Michael Gahrau von der Gesellschaft für Wirtschaftsförderung des Landes hält. “Wir haben hier viele Sonnenstunden”, sagt er. Ein Beamer wirft eine Karte an die Wand, auf der mittels dunkelgelber Tupfer gezeigt wird, dass auf der Linie Usedom-Rügen-Hiddensee die Sonne am meisten scheint. Er sagt: “Wir haben hier die besten Bedingungen für Investoren.” Gedser, Malmö, Hamburg, Klaipeda, alles ganz nah. “Wir sind die Mitte Europas.”

Für Jürgen Seidel, den Wirtschaftsminister, kommt der G-8-Gipfel wie gerufen. Dass sich die Linkspartei.PDS im Landtag so gegen den Gipfel stemme, sei schlimm. Dass immer nur von den Kosten geredet werde, auch schlimm. “Drei bis vier Wochen stehen wir im Mittelpunkt des Weltinteresses”, sagt er, und dass es doch darum gehe, das Land “positiv zu kommunizieren”. Er hat so viele Ideen. “G 8 wird die Bugwelle, in der wir Fische fangen”, sagt Jürgen Seidel. Man denkt, dass man jetzt jemanden fragen sollte, ob man in Bugwellen Fische fangen kann, aber da ist der Saal schon leer.

Michael Kruse, Triathlet, Ironman und Klimabotschafter, Schwerin. Eine Idee war, Michael Kruse auf den Gipfel des Kilimandscharo zu schicken. Es ging darum, “die Völker Afrikas” für erneuerbare Energien aus Mecklenburg zu werben. Afrika wird ein Thema sein in Heiligendamm, deshalb hat Kruse auf dem Uhuru Peak, 5895 Meter hoch, bei Windstärke zehn und minus 20 Grad eine Fahne mit dem Aufdruck “Mecklenburg Vorpommern MV tut gut” entrollt, die er im Rucksack auf den Gipfel transportiert hatte. Eine Kamera hat alles gefilmt. Dann lud er, symbolisch natürlich, Afrika nach Wietow ein. Wietow liegt nahe Wismar und hat ein Solarzentrum. Nach dem G-8-Gipfel wird es in Wietow eine Klimakonferenz geben. Fischefangen in der Bugwelle.

Michael Kruse hat sehr blaue Augen und eine tiefbraune Haut. Trotzdem haben die Kinder in Moshi, am Fuße des Berggipfels, ihn Weißnase genannt. “Guckt mal, da kommt die Weißnase”, riefen sie und lachten. “Bist du der Bruder von Schwarzenegger?”, fragten andere, weil Kruses Stirn ein bisschen kantig ist. Michael Kruse hat auf Hawaii gekämpft, in Costa Rica, in Sibirien und Oman. Er hat von der Welt schon einiges gesehen. Die Armut in Afrika aber sei bestürzend, sagt er. “Die Leute da brauchen erst mal was auf dem Tisch, ich meine: einfach was zu essen.”

Frank Neumann, Zaunbauer in Bargeshagen. Es ist nicht leicht, unpolitisch zu bleiben, wenn man einen Zaun baut wie diesen. “Muss denn das sein?”, hat ihn jemand gefragt, und die Frage allein fand Frank Neumann ganz unpassend. Der Zaun ist doch der Auftrag seines Lebens. Es wäre ja schlimm, “hätte mir das jemand vor der Nase weggeschnappt”, sagt er. 4800 Betonquader, 500 Tonnen Stahl, das ist alles. “Wir bauen hier nur einen Zaun. Zaunbau ist mein Job.”

Frank Neumann baut seit 16 Jahren Zäune. Die Firma ist nur zehn Autominuten von Heiligendamm entfernt. Sie wird jetzt bewacht, und draußen, auf den Äckern, hat jeder Arbeiter eine Notfallnummer. Zum ersten Mal musste Frank Neumann im Winter niemanden nach Hause schicken. Zwanzig Männer hat er noch eingestellt, zwanzig, die Arbeit haben. Auch das muss man wissen, um eine Ahnung zu bekommen.

Hinter der Jemnitzer Schleuse geht ein Wind durchs Schilf, kämmt es und salzt es und wiegt es. Frank Neumann folgt mit dem Blick seinem Zaun bis dahin, wo der Wald ihn aufnimmt. “So hat man sich früher die Grenze vorgestellt”, sagt er mit lächelnder Beiläufigkeit. “Aber das hier ist ja nur für drei Tage, das ist der Unterschied.”

Überm Schilf der Himmel wirkt leer, aber nicht lange, dann kommen die Hubschrauber.

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