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Gipfel der Anti-PiratenDie G8 will Stärkung der Rechte am geistigen Eigentum Der internationale Handel mit gefälschten Produkten konzentriert sich vornehmlich in so genannten Entwicklungs- oder Schwellenländern und bereitet den Industriestaaten zwar schon längere Zeit, aber seit der Verbreitung des Internet zunehmend mehr Bauchschmerzen. Laut Angaben des Bundesjustizministeriums entfallen fünf bis neun Prozent des Welthandels auf gefälschte Produkte. Seit 1998 hat sich die Zahl der Plagiate, die an den Außengrenzen der EU abgefangen werden, verzehnfacht. Weltweit wird der Umsatz auf rund 350 Mrd. Euro geschätzt. Das Internet wird zunehmend auch als Vertriebskanal für stoffliche Produkte genutzt. Allein in der Textilbranche sind ca. 60 bis 70 Prozent der online gehandelten Waren Fälschungen. Rund ein Drittel der Waren, die heute vom Zoll beschlagnahmt werden, ist auf Bestellungen im Internet zurückzuführen. Adäquate Form der Eigentumssicherung So überraschte es wenig, als im Oktober Bundeskanzlerin Angela Merkel den Kampf gegen Produkt- und Markenpiraterie als Programmpunkt der deutschen G8-Präsidentschaft 2007 nannte. Merkel möchte in Heiligendamm einen Dialog über die "zentrale Bedeutung von Innovationen in wissensbasierten Gesellschaften und Verstärkung des Schutzes von Innovationen gegen Produkt- und Markenpiraterie" initiieren. Deutschland ist der größte europäische Investor in China, die Direktinvestitionen belaufen sich mittlerweile auf rund zehn Mrd. US-Dollar. Auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries kündigte im Sommer diesen Jahres in einer Rede vor dem Deutschen Patent- und Markenamtes an, dass der Kreis der acht großen Industriestaaten ein wichtiges Forum für den internationalen Kampf gegen die Piraterie sei. Eine Gruppe von "Experten der G8-Staaten" soll daher untersuchen, "ob wir die internationalen Rechtsregeln zum Schutz des geistigen Eigentums verbessern können", so Zypries. Nun sind internationale Übereinkünfte über "Immaterial-Güter" nichts Neues. Zu den ersten zwischenstaatlichen Verträgen gehört das "Pariser Abkommen für den Schutz von Industriellem Eigentum" von 1883 (für Erfindungen) und das "Berner Abkommen zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst" von 1886. Mit diesen Verträgen wurde den UrheberInnen in den Vertragsländern ein Schutz ihrer Werke gewährt. Diese beiden Verträge fusionierten einige Jahre später und gingen schließlich ein in die Gründung der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) im Jahre 1967. Die WIPO ist eine Unterorganisation der UNO und hat die Aufgabe, die internationalen Vereinbarungen zum internationalen Schutz geistigen Eigentums zu verwalten. "Geistiges Eigentum" ist ein (seit seiner Entstehung um 1790 umstrittener) Oberbegriff, seine Anwendungsbereiche sind ausgesprochen breit gefächert: Je nach dem ob es sich um Künste, Erfindungen oder Markennamen handelt, greift das Urheberrecht, das Patentrecht oder das Markenschutzrecht. Daneben gibt es u.a. noch das Halbleiterschutzgesetz zum Schutz der Topographie eines Chips, das Geschmacksmustergesetz zum Schutz ästhetischer Darstellungen und das Sortenschutzgesetz zum Schutz von Pflanzensorten. Warum braucht es überhaupt "geistiges Eigentum"? Grund dafür ist die Immaterialität der Arbeitsergebnisse. Geistige Schöpfung hat eine Eigenschaft, die sie von materiellen Dingen unterscheidet: Sie verbraucht sich nicht im Gebrauch. Sie ist nicht endlich und kann ohne Qualitätsverlust beliebig oft gebraucht werden. Sie könnte also von allen genutzt werden, ohne dass vor ihrer Nutzung nochmals Arbeit investiert werden müsste. Damit Wissen den MarktteilnehmerInnen durch eine vollständige Eigentumsübertragung nicht entzogen bleibt, aber dennoch der Verwertung dienen kann, gibt es daher lizenzrechtlich kodifizierte Zugangsschranken (Schaffung künstlicher Knappheit), die andererseits aber wiederum eingeschränkt werden müssen (etwa durch zeitliche Begrenzung von Nutzungsrechten). Verwertungsbedingung geistiges Eigentum In den letzten Jahrzehnten haben sich die Produktivkräfte erheblich gewandelt. Informations- und Kommunikationstechnologien sind neue Leittechnologie geworden. Diese wirken in der Produktionssphäre, indem neues Wissen generiert wird (Gen-, Bio-, Nanotechnologie usw.), indem altes und neues Wissen neue Darstellungsformen (digital) erhält und sie wirken in der Zirkulationssphäre, indem mit dem Internet ein neuer, effizienter Vertriebskanal entstanden ist. Diese Entwicklung ist die Grundlage für die populär gewordene Rede von der Informations- oder Wissensgesellschaft. International funktionierende Staatsräson War Sacheigentumsrecht die bestimmende Rechtsform in der Industriegesellschaft, gilt nun in vielen Diskursen geistiges Eigentum als in der "Wissensgesellschaft" oder "Informationsgesellschaft" zentrale Rechtsinstitution. Richtig daran ist, dass ohne eine Sicherung von Rechten geistigen Eigentums das für die Entwicklung der "Innovationen" vorgeschossene Kapital potenziell schwerer verwertet werden kann, da Nachahmer mit geringerem Aufwand billiger verkaufen können. Dies ist auch das Argument des Investitionsschutzes der bürgerlichen Ökonomie und der Bundesregierung, wenn sie behauptet, dass für Innovation die Eigentumsrechte international gesichert werden müssen. Nun ist aber die Sicherung der Rechte an geistigem Eigentum zum einen nicht schon eine Garantie für einen erfolgreichen Verkauf der Produkte, sondern lediglich notwendige Bedingung. Zum anderen ist nicht das geistige Eigentum die zentrale Rechtsinstitution einer so genannten Wissensgesellschaft, sondern nach wie vor handelt es sich dabei um das bürgerliche Privateigentum, wovon das geistige Eigentum nur eine besondere Variante darstellt. Eben als notwendige Bedingung, um auch Immateriellem eine Warenform geben zu können. Wenn die Bundesregierung in Heiligendamm ein Bekenntnis "zur Investitionsfreiheit in Industrie- und Schwellenländern" ablegen will, als Grundwerte u.a. Marktwirtschaft und Freihandel nennt und gleichzeitig einen Dialog über die Stärkung des Schutzes vor Produkt- und Markenpiraterie initiieren möchte, so steckt dahinter zweierlei: Zum einen soll grundsätzlich ein internationales Rechtsregime zur Etablierung von Privateigentum etabliert werden als Voraussetzung von Marktwirtschaft und Freihandel für so genannte wissensbasierte Produkte. Zum anderen soll damit zugleich der gegenüber den Schwellenländern in den Industrieländern diesbezüglich vorherrschende technologische Vorsprung abgesichert werden. Sabine Nuss |
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