Große Lauschattacke vor Heiligendamm

Ostsee Zeitung 27. März 2007

Kriegsschiffe in der Ostsee, Aufklärer in der Luft, Videoüberwachung, Kontrolle der Telefone. Zum G8-Gipfel gilt totale Überwachung.

Rostock/Berlin (OZ) Big Brother in Heiligendamm, Kühlungsborn, Bad Doberan, Rostock. Für die Region steht zum G8-Gipfel, dem Treffen der Staatschef der acht größten Industrienationen, im Juni die totale Überwachung bevor. Militärexperten sagen: Dort verlasse keine Maus ihr Loch, ohne aufgeklärt zu werden. Landespolizei, Bundeskriminalamt, Bundesnachrichtendienste und Marinen der Teilnehmerstaaten bieten alles auf, was die Abteilung Horch und Guck zu bieten hat.

Vor der Küste kreuzen US-Kriegsschiffe. Ein Kreuzer der „Ticonderoga-Klasse“ und ein Zerstörer der „Arleigh Burke-Klasse“. An Bord: Superaugen. Die Schiffe sind zur Überwachung des Luft- und Seeraums gedacht und sollen Angriffe aus der Luft oder seeseitig abwehren. Die Reichweite: 500 Kilometer. Ein deutscher Korvettenkapitän sagt: „Wenn in Berlin-Schönefeld eine Boeing startet, wissen die das an Bord.“ Das gelte auch für Segelflieger. Dazu kommen dann aktuell die Informationen der Geheimdienstquellen.

Gestern wurde bekannt, dass neben US-Kreuzern und deutschen Schiffen auch ein Kriegsschiff der Royal Navy aus Großbritannien beteiligt sei, da das beim internationalen Manöver „Baltops“ (Baltic Operations) sowieso in der Ostsee kreuze. Besondere Stärke der US-Schiffe ist das Nahsehen. Die Wärmebildkameras können vier Seemeilen weit sehen. Menschen am Strand, im Ort und hinter dünnen Mauern können über ihr Wärmeprofil erfasst werden.
Willy Wimmer (CDU), bis 1992 Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, warnt: „Wenn ich in Heiligendamm wohnen würde, würde ich mich nur gesittet im Bett umdrehen und mich ordentlich auf der Straße verhalten.“ Alles, was sich am Boden bewege, könnten die Schiffe aufklären. Die Datenmengen seien so groß, dass Filter eingesetzt werden. Wimmer sieht eine Gefahr in der Menge der Überwachungssysteme. Schiffe orten per Radar in der Luft, Sonar im Wasser, Wärmebild und Megamikrophone an Land. Dazu komme die elektronische Überwachung der Telekommunikationssysteme und Satellitenkontrolle. USA, Russland und auch Frankreich richten ihre Spionagesatelliten auf den Großraum Rostock aus. Wimmer sagt: „Und die schauen Ihnen ins Wohnzimmerfenster.“ Zur Luftraumüberwachung werden wohl Tornados eingesetzt, die von Jagel in Schleswig-Holstein, starten. Ein Einsatz des Aufklärungsflugzeugs „Awacs“ (Airborne Warning and Control System) zum G8-Gipfel wurde bisher dementiert. Gestern sagte die FDP-Verteidigungsexpertin Birgit Homburger in Berlin, der Einsatz der US-Kriegsschiffe sowie des Awacs-Flugzeugs während des Gipfels sei „nicht zu beanstanden“. Das sei bereits 2002 in Genua üblich gewesen.

Ganz anders sieht das „Die Linke.PDS“. Der Bundestagsabgeordnete Dietmar Bartsch sagt: „Das ist der Übergang zur Kolonie. Totale Überwachung. Man sollte mal erwähnen, dass Deutschland unabhängig ist. Der Rechtsstaat wird hier außer Kraft gesetzt. Ein Stück Guantanamo ist das.“ Bartsch kritisiert, dass der Staat hoheitliche Aufgaben an die USA abtrete.

Zu der militärischen Technik kommt der Großeinsatz der Polizei mit bis zu 16 000 Mann. Dazu die Aufnahme der Umgebung mit Videotechnik und die Erfassung persönlicher Daten. 291 Einwohner von Heiligendamm wurden vom Bundeskriminalamt überprüft. Gleiches passiert mit tausenden Beteiligten, die sich akkreditieren müssen: Hotelangestellte, Journalisten, Zulieferer.

Den Datenschutz scheint das nur peripher zu interessieren. Beim Landesbeauftragten für den Datenschutz in Schwerin kennt man nicht einmal die Zahl der Menschen, deren Daten erfasst werden. Dort heißt es: Dafür sei der Bundesbeauftragte zuständig. Der Pressesprecher dort, Dietmar Müller, gibt sich verwundert: „Das ist Sache des Landesbeauftragten.“ Desinteresse bei Datenschützern. Und die Schlapphüte arbeiten auf Hochtouren.

MICHAEL MEYER