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2008-09-17

Soziale Bewegungen gegen die „globale Sicherheitsarchitektur“!

Eine Kritik der Militarisierung sozialer Konflikte

  • Studie zu den Strategiepapieren der „Future Group“ (zur zukünftigen EU-Innenpolitik) und von Militär-Strategen (zur „strategischen Neuausrichtung“ der NATO)
  • Vorschlag einer Kampagne gegen die EU

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Weltweit nehmen gesellschaftliche Konflikte zu. Jüngste Unruhen wegen Nahrungsmittelpreisen, Proteste gegen steigende Energiepreise, die Klimakrise und eine zunehmende Sorge um Knappheit von Rohstoffen, aber auch immer weniger regulierbare und krisenhafte Finanzmärkte sorgen für ein Gefühl von Unsicherheit. Die G8-Staaten wollen diese Konflikte und die offenkundige Akkumulationskrise der globalen Weltwirtschaft durch marktorientierte Lösungen in den Griff bekommen, um das Wirtschaftswachstum wieder auf Kurs zu bringen. Unter Beschwörung der „Bekämpfung des Terrorismus“ wird eine fortschreitende Militarisierung vieler Lebensbereiche vollzogen. Mit neuen Kriegen öffnet sich der Kapitalismus Märkte, sichert Rohstoffe und ihre Transportwege. Kapitalismus und Krieg bedingen einander; wer oder was nicht eingebunden und profitabel gemacht werden kann, wird bekämpft.

Für 2009 kündigen sich sicherheitspolitische Veränderungen an, deren Folgen derzeit kaum abzuschätzen sind.

Mit „zivil-militärischer Zusammenarbeit“ verschmelzen innere und äußere Sicherheit zur „gesamtstaatlichen Sicherheitsarchitektur“. Sicherheitsbehörden forcieren dafür den Begriff der „Homeland Security“, der sich am gleichnamigen Ministerium in den USA, gegründet nach dem 11. September 2001, orientiert. „Homeland Security“ (im deutschen Diskurs zum „Nationalen Sicherheitsrat“ plädiert die CDU für „vernetzten Heimatschutz“) organisiert sich aus Staat, Wirtschaft und Wissenschaft. „Homeland Security“ leistet damit einen Beitrag zu einer „globalen Sicherheitsarchitektur“ der Industrieländer, in die supranationale Institutionen und multilaterale Bündnisse eingebunden sind.

Anfang April trifft sich die NATO zur Frühjahrstagung in Strasbourg und Kehl. Vom NATO-Gipfel in Bukarest 2008 wurden mehrere Diskussionen auf 2009 vertagt, um dort endgültige Entscheidungen über eine strategische Neuausrichtung der Allianz von gegenwärtig 26 Staaten zu treffen. Ehemalige Stabschefs der NATO 1 haben im April das Diskussionspapier „Towards a Grand Strategy for an Uncertain World“ verfaßt, in dem eine umfassende Transformation der NATO befürwortet wird:

„Die wichtigste Herausforderung der kommenden Jahre wird sein, auf das vorbereitet zu sein was sich nicht vorhersagen lässt […] Den westlichen Alliierten steht eine lange, andauernde und präventiv zu führende Verteidigung ihrer Gesellschaften und ihrer Lebensart („way of life“) bevor. Deshalb müssen sie Risiken auf Distanz halten, während sie ihre Heimatländer beschützen“.

Innere Sicherheit („Homeland Security“) und militärische Interventionen können nicht mehr als getrennt voneinander betrachtet werden und sollen „fusionieren“. Einer der strategisch wichtigen Partner hierbei ist neben den USA die EU, die ihre Integration in die globale Marktwirtschaft und ihre offenen Grenzen ohne eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur nicht aufrechterhalten kann. Das Strategiepapier behauptet eine grundlegende Veränderung von „Bedrohungen, Risiken und Gefahren“. Angestrebt wird ein „Umfassender Ansatz“ („Comprehensive Approach“), der eine Koordination von Militär, Außenpolitik, „Homeland Security“, Zivilschutz und Entwicklungshilfe vorsieht. Die NATO soll nicht mehr bloß auf Bedrohungen reagieren, sondern Risiken vorhersehen, präventiv militärisch begegnen oder in Eigeninitiative Erstschläge ausführen, um Gefährdungen erst gar nicht entstehen zu lassen.

In die gleiche Stoßrichtung zielen einige europäische InnenministerInnen mit ihren Vorschlägen zur Neugestaltung der EU-Innenpolitik. Die vom deutschen Innenminister Schäuble 2007 initiierte „Future Group“ 2 fordert in dem Papier „Freedom, Security, Privacy – European Home Affairs in an Open World“ einen gravierenden Kurswechsel europäischer Innenpolitik hin zu „Homeland Security“ (obgleich der Begriff ausgespart bleibt). Europa soll „Vorreiter“ in der Reaktion auf „Sicherheit, Migration und technologische Herausforderungen“ werden. Das Papier setzt die Prioritäten:

„Polizeikooperation, Kampf gegen den Terrorismus, Management von Missionen in Drittstaaten, Migration und Asyl sowie Border Management, Zivilschutz, neue Technologien und Informationsnetzwerke“.

Alle fünf Jahre beschließt die EU neue Leitlinien für die „Innere Sicherheit“ der Mitgliedsstaaten. Nach dem „Tampere-Programm“ (1999 – 2004) und dem „Haager Programm“ (2004 – 2009) sollen in der zweiten Jahreshälfte 2009 unter schwedischer Präsidentschaft mehrere Paradigmenwechsel vollzogen werden. Charakteristisch ist die „Strategische Früherkennung“ bzw. „Vorverlagerungsstrategie“ als Vorbereitung auf „Bedrohungen“, die zwar gegenwärtig nicht real, sondern „vorstellbar“ sind. Mittels „Risikoanalysen“ werden Gefahren projiziert, die eine Aufrüstung innerer Sicherheit und ihre Verzahnung mit Militär, Forschung und Zivilschutz als einzigen Ausweg erscheinen lassen.
Wie auch im NATO-Papier gefordert sollen Außen-, Innen-, Verteidigungs- und Entwicklungshilfeministerien zusammenarbeiten, um „Rechtsstaatlichkeit“ in „Drittländern“ zu sichern und Bedrohungen für Europa zu verhindern:

„Das macht Außenbeziehungen zur Priorität für die zukünftige Ausgestaltung europäischer Innenpolitik“.

Im Folgenden analysieren wir die Papiere der NATO und „Future Group“, um einerseits den radikalen Kurswechsel gegenwärtiger „Sicherheitspolitik“ zu erfassen, und andererseits dringende gemeinsame Interventionsräume für soziale Bewegungen aufzuzeigen.

„Den Daten-Tsunami in Information verwandeln“

Das EU-Strategiepapier „Freedom, Security, Privacy – European Home Affairs in an open world“ 3

Die im letzten „Haager Programm“ festgeschriebenen innenpolitischen Veränderungen sind bereits von vielen EU-Mitgliedsstaaten umgesetzt: Vereinheitlichung der Terrorismus-Gesetzgebung, Vorratsdatenspeicherung, Ausbau bestehender Datenbanken und gemeinsamer Zugriff darauf, grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit, z.B. bei Sportereignissen oder politischen Massenprotesten, „Border Management“, Fingerabdrücke bei Antrag auf EU-Visum, ab 2009 biometrische Identifikatoren in neuen Ausweispapieren, Ausbau der Sicherheitsforschung, Zusammenarbeit in Strafsachen, Polizei im Ausland etc. Auf EU-Ebene sind neue Institutionen gegründet bzw. bestehende mit erweiterter Verantwortung versehen worden.

Viele der beschriebenen Regelungen wurden nach dem 11. September 2001 als vorübergehende Maßnahmen im „Kampf gegen den Terrorismus“ angekündigt. Heute ist dieser Ausnahmezustand zur Norm geworden und wird weiter verschärft. Als weitere Hauptbedrohung der Grundsätze des „Europäischen Modells“ gilt in EU-Papieren Migration und „organisierte Kriminalität“. In ihrem Papier „Freedom, Security, Privacy – European Home Affairs in an Open World“ macht die „Future Group“ drei „horizontale Herausforderungen“ für die europäische Sicherheit aus und schlägt zur „Herausbildung von Europa’s Position in einer globalisierten Welt“ vor:

  • „Aufrechterhalten des ‘Europäischen Modells’ im Bereich europäischer Innenpolitik durch das Balancieren von Mobilität, Sicherheit und Privatsphäre
  • Bewältigen der zunehmenden Abhängigkeit zwischen innerer und äußerer Sicherheit
  • gewährleisten eines bestmöglichen Datenflusses innerhalb europaweiter Netzwerke“.

Die Veränderungen europäischer Innenpolitik stehen im Zusammenhang der Diskussion um den Lissabon-Vertrag, der die Schaffung EU-übergreifender Organisationen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit vorsieht. Nach dem „Konvergenz-Prinzip“ werden zwischenstaatliche Hürden und juristische „Hindernisse“ abgebaut, Gesetze „harmonisiert“ und „vereinfacht“, Ausrüstung und Personal zusammengefaßt („pooling“), Ausbildung standardisiert und die „Interoperabilität“ bestehender Systeme angestrebt. Wie auf vielen Ebenen innerhalb der EU sind die Entscheidungsstrukturen des Bereichs „Justiz und Inneres“ („Justice and Home Affairs“) undurchsichtig. Als ihr Kernziel wurde im EU-Vertrag „die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ festgelegt.

Zuständig für diesen Bereich ist seit Frühjahr 2009 der „Kommissar für Freiheit, Sicherheit und Recht“, Jaques Barrot. Er löste 2008 Franco Frattini ab, der in Italien unter dem neuen Kabinett von Berlusconi Außenminister für die „Forza Italia“ wurde. Zusammen mit dem deutschen InnenministerInnen Schäuble hat Frattini eine zentrale Rolle bei der Verschärfung europäischer Sicherheitspolitik gespielt.
Im Bereich der Inneren Sicherheit sollen die relativ jungen EU-Institutionen nun noch mehr operative Kompetenzen erhalten, um etwaige Unzufriedenheiten im Innern unter Kontrolle zu behalten: Die europäische Polizeiakademie CEPOL, die Europäische Gendarmerietruppe EGF, die Polizeiagentur Europol, das „EU-Lage- und Analysezentrum“ zur Auswertung nachrichtendienstlicher Informationen (SitCen) oder die Grenzschutzagentur Frontex. Sie sollen Zugriff auf „alle relevanten Informationen“ erhalten. In den Mitgliedsstaaten sollen nach deutschem Vorbild „Anti-Terrorismus-Zentren“ aufgebaut werden, die Polizei und Nachrichtendienste zusammenfassen und europaweit Informationen tauschen (soweit nationale Interessen durch die Weitergabe nachrichtendienstlicher Erkenntnisse nicht berührt werden). Für alle EU-Polizeibehörden soll ein übergreifendes „Komitee für innere Sicherheit“ geschaffen werden. Damit dürfte die Idee eines gemeinsamen „EU-InnenministerInneniums“ ein Stück näher rücken, das bisher mit der Einrichtung des „Fachausschusses COSI“ betrieben wurde.

Die Koordination unter den EU-Sicherheitsbehörden wird durch sog. „Verbindungsbeamte“ („Liaison Officers“) abgewickelt, für die in jedem Mitgliedsland Anlaufstellen eingerichtet wurden und die bereits jetzt mit hohen Kompetenzen ausgestattet sind. Die „Future Group“ rät, ihr Netzwerk weiter auszubauen und zu stärken.

Gemäß der Ideologie von „Homeland Security“ wird die innere Sicherheit nicht mehr nur als eine Angelegenheit von Innenpolitik, sondern als gemeinsame Anstrengung von Politik, Militär, Polizei, Zivilschutz, Sicherheitsindustrie, Forschung und Akademien verstanden. Ihre Grenzen „verwischen“, „erodieren“, seien „intrinsisch voneinander abhängig“ und verlangten einen „umfassenden, globalen Ansatz“ („comprehensive global approach“). Dementsprechend verschränken sich die Politikbereiche unter dem Primat von Sicherheit:

„Die Gruppe rät dringend, ein gesamtheitliches Konzept zu entwickeln, z.B. Aspekte abdeckend von Entwicklung, Migration, Sicherheit, Wirtschaft, Finanzen, Handel und Außenpolitik, um damit der Europäischen Union zu erlauben eine verantwortliche und glaubwürdige Rolle in internationalen Beziehungen zu spielen“.

Als Beitrag zur „globalen Sicherheitsarchitektur“ soll innere Sicherheit auch unter verschiedenen Staaten organisiert werden. Hauptaugenmerk liegt auf den USA , mit denen die EU bereits mehrere bilaterale Abkommen geschlossen hat: Datenaustausch Europol, Ausweisung, gegenseitige Hilfe, Passagierdaten, SWIFT-Transaktionen, Container-Sicherheit.

„Im Feld von Freiheit, Sicherheit und Recht müssen Aktionen und Maßnahmen einer strikten geographischen Priorisierung und politischer Differenzierung folgen: die Europäische Union hat zuerst ihre grundlegenden strategischen Interessen zu definieren. […] In einer zweiten Stufe muß die Europäische Union identifizieren, welche Drittländer von vitalem Interesse für eine Kooperation sind“.

Zu „geographischen Herausforderungen“ zählen die „Kandidatenländer“, West-Balkan, EU-Nachbarländer, Mittelmeer-Region, Rußland, Afrika, Lateinamerika, Afghanistan, Irak und Nachbarstaaten, China und Indien.
Die „Future Group“ schlussfolgert, dass die „Verwischung der Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit“ und eine „Internationalisierung von Konfliktlösung“ ein Eingreifen außerhalb der EU „erforderlich“ macht. Die aggressive Außenpolitik der EU ist zwar nichts Neues, doch dass InnenministerInnen sie zur Chefsache erheben markiert eine neue Ära.
21 der 27 EU-Staaten sind Mitglied der NATO (und die meisten von ihnen in den Afghanistan-Krieg involviert). EU-Polizei ist in „Drittländern“ zunehmend in militärische Missionen integriert. Die EU-Polizeimission EULEX übernimmt z.B. im Kosovo Aufgaben wie Aufstandsbekämpfung, Schutz von Eigentum oder Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Die gemeinsame „Europäische Gendarmerietruppe“ (EGF) mit Sitz im italienischen Vicenza soll verstärkt in Auslandsmissionen eingebunden werden. Polizeieinsätze gelten dabei als „zivile Interventionen“. Zukünftig sollen alle im Ausland operierenden Kräfte (Militär, Polizei, Diplomatie, Entwicklungshilfe, Zivilschutz, „Einrichtungen der Rechtsstaatlichkeit“) bereits im Planungsstadium auf gegenseitige Erkenntnisse zurückgreifen, in gemeinsamen „Mission Situation Centres“ operieren und ihre Informationen anderen EU-Behörden zur Verfügung stellen. Potentielle Einsatzgebiete sind zahlreich:

„Institutionenbildung, Rechtsstaatlichkeits-Missionen, Wahlen, Demokratisierung, Zivilgesellschaft und humanitäre Hilfe. […] Die unüberschaubare Bandbreite von Bedrohungen reicht von Kriegssituationen zu terroristischen Anschlägen, organisiertem Verbrechen, gewalttätigen Demonstrationen, natürlichen oder menschengemachten Katastrophen und gewöhnlichen Polizeiaufgaben“.

In den Mitgliedsländern, aber auch auf EU-Ebene sollen neue dezentrale „Kompetenzzentren“ entstehen um gemeinsame Aufgaben zu bündeln. Zur zunehmenden Verschränkung polizeilicher und geheimdienstlicher Arbeit sollen gemeinsame Überwachungszentren für sämtliche Abhörmaßnahmen der Telekommunikation aufgebaut werden. An den EU-Außengrenzen werden gemeinsame „Police and Customs Cooperation Centres“ (PCCC) installiert.

Migration wird von den EU-InnenministerInnen als „inhärentes Phänomen unserer zunehmend globalisierten Gesellschaften und Wirtschaft“ definiert. Der wirtschaftliche Aspekt steht dabei im Vordergrund. Demographische Entwicklungen werden besorgt registriert und ein Zuwachs an benötigter Arbeitsmigration prognostiziert. „Legale Migration“ soll weiter gestärkt werden, um den Arbeitsmarkt der EU zu versorgen. In der Integrationspolitik sollen „legitime Anforderungen der empfangenden Gesellschaft berücksichtigt werden. Das Verhältnis von „Angebot und Nachfrage“ zwischen EU und Arbeitern aus „Drittländern“ soll aber lediglich als Hintertürchen existieren und durch den Markt bestimmt werden:

„Die Gruppe rät, dass Mitgliedsstaaten alle Möglichkeiten einer intra-europäischen Migration vollständig ausschöpft“.

In „Drittstaaten“ sollen EU-Migrationsbehörden installiert werden,
„mit Verantwortung zur Erteilung von Visa und damit verbundenen Fragen sowie zur Rekrutierung von Immigranten“.
Für die EU soll ein ähnliches „entry-exit“-System wie das ab 12. Januar 2009 in den USA vorgesehene Online-System ESTA („Electronic System for Travel Authorization“) eingesetzt werden, um eine Einreisegenehmigung zu beantragen. Das US-System richtet sich an Touristen und Geschäftsreisende. Mobilität stellt einen zentralen Punkt in Bezug auf Arbeitsmarktpolitik und Tourismus dar und hat damit auch eine sicherheitspolitische Dimension:

„Wenn Bürger sich nicht sicher fühlen, ist es höchstwahrscheinlich das sie überhaupt nicht mehr reisen wollen“.

InhaberInnen eines EU-Reisedokumentes soll der Grenzübertritt erleichtert werden:
„Ein ‘one-stop approach’, der alle checks und Kontrollen die zu verschiedenen Zwecken ausgeführt werden integriert; das heißt: bezogen auf Personen, Güter, Veterinär und Pflanzenschutz, Verschmutzung, Terrorismus und organisiertes Verbrechen“.
Hier sollen neue Technologien des „Border Management“ zum Einsatz kommen (z.B. biometrische Verfahren, Röntgentechnologie, RFID-Chips).
Neben einer Vereinheitlichung der Asylgesetzgebung sollen weitere Anstrengungen im „Kampf gegen illegale Migration“ unternommen werden, forciert wird eine „effektive europäische Rückkehrpolitik“. Das „Europäische Grenzkontrollsystem" (EUROSUR) soll ausgebaut werden, damit

„die Zahl der Drittstaatsangehörigen reduziert wird, die illegal in das Hoheitsgebiet der EU gelangen, indem ein größeres Situationsbewusstsein für die Lage an den Außengrenzen entwickelt und die Reaktionsfähigkeit der Nachrichtendienste und Grenzschutzbehörden verbessert wird“.

Hierzu sollen bestehende Institutionen und Programme stärker vernetzt werden. Im Mittelpunkt soll dabei die „Grenzschutzagentur Frontex“ im Kampf gegen Migration, „organisiertes Verbrechen“, Drogenhandel und Terrorismus stehen.

„Der Erfolg der Frontex-Missionen wird geschwächt durch das Fehlen präziser rechtlicher Maßnahmen, z.B. das System der Leitung von Frontex-Maßnahmen bezogen auf z.B. souveräne Aktionen ausgeführt von nationalen Schiffen, Flugzeugen und Verantwortlichkeiten für Flüchtlinge, Asylsuchende und Schiffbrüchige. Hierfür muß der Entwicklung solcher gemeinsamen Regelungen Priorität gegeben werden“.

Mitgliedsstaaten sollen größere Anstrengungen unternehmen, Frontex mehr Verantwortung bei kurzfristigen „Missionen“ zu erlauben, regionale Abteilungen einzurichten oder Technik und Material zur Verfügung zu stellen. Frontex soll nicht nur nationale Grenzschutztruppen ausbilden, sondern sie inspizieren und evaluieren dürfen. Mehr Abschiebungen („return flights“) sollen unter autonomer „Initiative, Organisation und Koordination“ von Frontex abgewickelt werden. Angestrebt wird eine gemeinsame „corporate identity“ aller EU-Grenztruppen als „European Border Guards“. EU-Grenztruppen sollen auch außerhalb der EU operieren, wie etwa zwischen Lybien und Niger bzw. Tschad. Auf See soll ihre Verantwortung auf „territoriale Gewässer betroffener Länder“ ausgedehnt werden.

Große Sorge bereitet den InnenministerInnen die Standardisierung von Sicherheitstechnik. Zivile und militärische Forschung wird wie im „European Security Research Programme“ (ESRP) zusammengeführt (allein das ESRP hat für 2007-2013 ein Budget von 1,4 Milliarden €). Von deutscher Seite wurde das ESRP von Repräsentanten des BKA, der Fraunhofer Gesellschaft sowie den Rüstungskonzernen Siemens, Diehl und EADS auf den Weg gebracht.
Europäische Polizeibehörden ärgern sich über Datenschutz, wie die zunehmende Nutzung von Verschlüsselungstechniken in der Telekommunikation (PGP, Skype). Zukünftig sollen Standards entwickelt werden, die den Schnüfflern Abhörmaßnahmen erleichtern sollen. Auch im Bereich Videoüberwachung sollen Systeme vereinheitlicht werden, um technische Probleme des gemeinsamen Zugriffs z.B. auf die biometrischen Daten abzubauen. Geforscht werden soll auch zur Nutzung „unbemannter Systeme“ in der Polizeiarbeit (sog. „Unmanned Air Vehicles“ (UAV), „Drohnen“, in Sichtweite ferngesteuert und mit Kameras ausgerüstet). Etliche Polizeien in Europa testen die Nutzung UAV in der allgemeinen Polizeiarbeit. Auch Frontex unterhält dazu ein Forschungsprogramm. Der Einsatz von UAV hat in der Schweiz bereits zu Festnahmen von MigrantInnen an der „Grünen Grenze“ geführt.

Datenbanken und neue technische Entwicklungen spielen eine zentrale Rolle in der Neugestaltung der EU-“Home Affairs“. Sicherheit und individuelle Rechte können in dieser Logik nur in einer „Atmosphäre kollektiver Sicherheit“ gedeihen, erklärt der frühere EU-Kommissar für „Home Affairs“ Frattini. Seine Formulierung fand Eingang in das Strategiepapier. Neue Technologie und gemeinsame Datenbanken

„können mehr Sicherheit für Bürger und gleichzeitig größeren Schutz des Rechts auf Privatsphäre sichern“.

Hier wird die Argumentation der Kritiker, dass der Zugang von Hunderttausenden Angehörigen europäischer Sicherheitsbehörden auf Daten aller EU-Bürger enorme Sicherheitsrisiken produziert, auf absurdeste Weise umgedreht.
Die Verfolgungsbehörden stehen nicht mehr vor dem Problem, Zugang zu umfangreichen Datenbeständen zu erlangen: Meldebehörden, Finanzämter, Provider-Daten, Banken, NutzerInnenprofile im Internet (MySpace, Facebook, Second Life), e-government, Reiseprofile, Telekommunikationsüberwachung, Videoüberwachung, GPS. Die gegenwärtige Aufrüstung „in Zeiten des Cyberspace“ besteht darin, sie sinnvoll zu verwalten und in Beziehung zu setzen. Die Rede ist von „gewaltigen Informationsmengen, die für öffentliche Sicherheitsorganisationen nützlich sein können“:

„Information ist der Schlüssel, um die Öffentlichkeit in einer zunehmend vernetzten Welt zu beschützen, in der öffentliche Sicherheitsorganisationen Zugang zu fast grenzenlosen Mengen nützlicher Informationen haben. Das ist Herausforderung und Gelegenheit zugleich – öffentliche Sicherheitsorganisationen müssen ihre Arbeitsweise transformieren wenn sie den Daten-Tsunami meistern wollen und ihn in Information verwandeln, die sichere, offene und robuste Gemeinschaften produziert“.

Für den europaweiten Datenaustausch haben sich die InnenministerInnen bereits auf 6 von 49 „Typen relevanter Information“ geeinigt, die gegenseitig abgefragt werden können: DNA, Fingerabdrücke, Ballistik, Fahrzeugregistrierung, Telefonnummern und Meldedaten. Dieser Katalog soll 2009 auf eine „Top Ten“-Liste erweitert werden. Ein großes Problem sind unterschiedliche Standards der Mitgliedsländer im Bereich Hardware, Software, Format, aber auch Systematisierung der Daten. Die „Future Group“ wünscht sich eine „European Union Information Management Strategy“ (EU IMS), um Standards zu entwickeln und die Zusammenarbeit der Systeme zu fördern:
„Der Schlüssel zur Effektivität ist die Nutzung von Technologie, um die Fähigkeiten einer Gesamtheit von Mitgliedern [orig.: stakeholders] zu verbinden und sicherzustellen, dass die richtige Information die richtige Person erreicht“.
Damit alle Polizeiorgane der Mitgliedsländer sowie der EU-Institutionen besser kommunizieren können, soll eine „interoperable Plattform“ aufgesetzt werden. Bereits vorhandene Datenbanken wie das Schengen-Fahndungssystem SIS II, das Frontex-Portal BorderTechNet, das Europol-Netzwerk European Information System (EIS) oder die biometrische Visums-Datenbank VIS sollen als „konvergente Netzwerke“ miteinander verknüpft werden. Damit entstünde ein Überwachungsnetzwerk in bisher unvorstellbarer Dimension, dessen zentraler Knotenpunkt Europol als „Kompetenzzentrum für technische und koordinierende Unterstützung“ würde. Europol soll auf lange Sicht eine „Sicherheitspartnerschaft“ mit Interpol (der zweitgrößten internationalen Organisation nach den UN) und mit der Austauschplattform für Nachrichtendienste SitCen eingehen kooperieren.
Der Datenaustausch soll dazu auf „Drittstaaten“ ausgeweitet werden. Im Fokus steht dabei die USA, deren Bestimmungen ihrerseits die Weitergabe an andere Behörden und Länder erlauben. Bis 2014 soll über einen „euro-atlantischen Bereich der Kooperation“ entschieden werden.

Eine große Rolle spielen Datenströme „in Echtzeit“. Zum einen ist damit der Zugriff auf die großvolumigen Datenbestände der Behörden von jedem Ort Europas gemeint, also auch während eines Polizeieinsatzes. Hierfür werden breitbandige, mobile Netze aufgebaut. Andererseits erlauben Technologien wie RFID, WLAN oder Bluetooth die direkte Live-Protokollierung von Verhaltensmustern.

„Spezialisierte Ermittlungstechniken sollten höher auf der Agenda platziert werden […] Mitgliedsstaaten sollen Investitionen in innovative Technologie priorisieren, die eine automatisierte Datenanalyse ermöglicht und Echtzeitzusammenarbeit verbessern. Forschung in diesem Bereich muß vorangetrieben werden, sicherstellend dass Ideen schnell aus dem Forschungskontext zur praktischen Implementierung bewegt werden“.

Mittels Computern werden Daten von Personen, Objekten oder Delikten automatisiert (als im Hintergrund arbeitende Prozesse) miteinander abgeglichen und als Risikoanalyse ausgegeben. Sie können auf Anfrage als Beziehungsdiagramm dargestellt werden. Die Software kann auch Audiodateien, etwa Telekommunikationsüberwachung oder Mitschnitte von Verhören verarbeiten. Im Ergebnis entsteht ein visualisiertes „Mapping“ komplexer Beziehungsstrukturen. Werden mehrere solcher Ebenen übereinandergelegt, existiert ein dreidimensionales Bild in dem nach „Clustern“, also Häufungen gesucht wird. Die Software kann „Entscheidungshilfen“ geben, die sich aus Daten früherer Vorgänge, aber auch Simulationen (wie z.B. bei allen großen Polizeieinsätzen, z.B. Gipfeltreffen oder Sportereignisse) speist. In „Echtzeit“ eingesetzt kann sie eine Häufung „verdächtiger Telefongespräche“ oder, kombiniert mit biometrischen Verfahren, abweichendes Verhalten wie das Verlassen eines üblichen Weges oder Kleidungsmerkmale erkennen.

Solche „Risikoanalysen“ markieren eine Verlagerung der Polizeiarbeit hin zu einem „Proactive Approach“ (Eigeninitiative; im Kontext von Polizeiarbeit am besten übersetzt als „vorauseilende, anlassunabhängige Prävention“). Eine Bevölkerung oder bestimmte Gruppen werden unter Generalverdacht gestellt und von Maschinen untersucht. Damit wollen Polizei und Nachrichtendienste Straftaten vorhersehen. Hier findet ein weiterer, grundlegender Paradigmenwechsel klassischer Polizeiarbeit statt. Weil Polizei bisher in der Regel erst tätig werden darf, wenn Straftaten begangen werden bzw. Anhaltspunkte dafür vorliegen, müssen Polizeigesetze geändert werden.

Das Strategiepapier der „Future Group“ rät der EU, im Kampf gegen „terroristische Bedrohungen“ sowohl „präventive und repressive“ Mittel einzusetzen, darüberhinaus aber auch „proaktive“ unter Zuhilfenahme der Zivilgesellschaft und Wirtschaft entwickeln. Besonderer Augenmerk liegt auf dem Internet. Neben der Einrichtung von Überwachungszentren soll das Internet ebenfalls „proaktiv“ mit einer „kulturellen Intelligenz“ unter Berücksichtigung einer „Cyber-Language“ zur „De-Radikalisierung“ beitragen. Doch damit nicht genug Informationskrieg der cyber-sprechenden InnenministerInnen. Sie raten zu einer Medienstrategie, die

„eine klare und überzeugende positive Botschaft an unterschiedliche Gemeinschaften in Europa und im Ausland entwickelt – möglichst auch in nicht-europäischen Sprachen, unter Bezug auf die europäischen grundlegenden Werte von guter Regierungsführung, Grundrechte und Sicherung von Frieden und Freiheit“.

Datenschutz bleibt stark unterrepräsentiert im Strategiepapier. Das Kapitel dazu endet mit dem Wunsch an die Bevölkerung, mehr Überwachung und Kontrolle selbst zu wollen:

„Die Sicherstellung eines größeren öffentlichen Verständnis der Vorteile des Datentauschs unter den Mitgliedsstaaten sollte Priorität haben. Die Strategie sollte die Zusage beinhalten, den Bürgern der Europäischen Union zu erklären, wie Information verarbeitet und geschützt wird, auf der Basis von Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit“.

Die Neuauflage des Fünfjahresplans für „Home Affairs“ wird von der „Future Group“ mit einem besorgten Blick auf politische Veränderungen innerhalb der EU flankiert: Im Frühjahr wird der Kommissions-Präsident neu bestimmt, im Juni das Parlament neu gewählt. Die Veröffentlichung des Strategiepapiers „Freedom, Security, Privacy – European Home Affairs in an Open World“ will helfen, damit das neue (vermutlich mehr nach rechts rückende) Parlament die gravierenden innenpolitischen Veränderungen zügig durchwinkt. Die Behauptung der InnenministerInnen, ihre Treffen seien informell, mag zutreffen; ihre Schlußfolgerung dass das Strategiepapier deshalb nur als „Reflektionen und Ideen“ verstanden werden solle, kann getrost als Euphemismus ignoriert werden.

„A hungry man is an angry man“

Das NATO-Strategiepapier „Towards a Grand Strategy for an Uncertain World“ 4

Die NATO sieht ihrem 60. „Geburtstag“ mit großen Plänen einer Transformation und einer Expansion des Einflussbereichs entgegen. 2009 soll die zunehmende Unsicherheit der Welt mit einer reformierten und aufgerüsteten NATO, neuen Mitgliedern, Aufgabenbereichen, Mitteln und vereinfachten Entscheidungsstrukturen beantwortet werden. Das bisher gültige Konsensprinzip soll aufgehoben werden, Enthaltungen einzelner Regierungen können keine Mission blockieren. Nur wer Krieg führt darf mitbestimmen (bzw. nur wer bezahlt darf Krieg führen). Künftig sollen NATO-Einsätze ohne UN-Mandat möglich sein.

Als „transatlantisches Verteidigungsbündnis“ europäischer Länder und Nordamerika gegen die Sowjetunion Ende des Zweiten Weltkriegs gegründet, sucht die NATO seit Ende des Kalten Kriegs nach neuen Aufgaben in den veränderten geopolitischen und ökonomischen Koordinaten. Missionen wurden unter dem Oberbegriff „Human Security“ als „Friedenserhaltungs-“ und „humanitäre Interventionen“, „Krisenmanagement“ oder „Verhinderung von Bürgerkriegen“ deklariert. Gegenwärtig operieren NATO-Truppen in Afghanistan, Irak, Darfur, Kosovo. Mindestens 240 Atomraketen sind allein in Europa stationiert (Belgien, Deutschland, Italien, Niederlande, Türkei).

„Der nukleare Erstschlag (‘first use of nuclear weapons’) muss als letzte Option im Köcher verbleiben, um den Einsatz von Massenvernichtungswaffen und dadurch eine tatsächlich existentielle Bedrohung zu verhindern“.

Die Überholung des bisherigen NATO-Strategiekonzepts ist auf die militärische Absicherung gegen neue Herausforderungen sozio-ökonomischer Konflikte gerichtet: Klimawandel, Energiekrisen, Nahrungsmittelkrisen, „unkontrollierte Migration“, „Menschenhandel“ und „Terrorismus“. Neue Bedrohungsszenarien werden als Grundlage für die veränderte Ausrichtung der NATO herangezogen: Naturkatastrophen, Rohstoffkriege, „wütende hungrige Männer“ die sich nicht mehr unter Kontrolle haben und somit aufständisch werden (NATO-Webseite), weibliche “Opfer“ von Menschenhandel, die „gerettet“ werden müssen, was für die Betroffenen oft den Verlust der Arbeit und Abschiebung bedeutet.

Das „Defensivbündnis“ soll also zukünftig offensiv und gezielt auf „Sicherheitskrisen“ der Mitgliedsstaaten reagieren, um gegen Herausforderungen einer neuen Ära der Unsicherheit handlungsfähig zu werden:

„Die NATO muss sich zu einem effizienteren Instrument für die Analyse der sozio-ökonomischen Bedingungen entwickeln, die Sicherheitsproblemen zu Grunde liegen“.

Die „zivil-militärische Zusammenarbeit“ soll ausgebaut, Aufgabenbereiche verschränkt werden. Der „Umfassende Ansatz“ fordert den
„gleichzeitigen Einsatz aller zur Verfügung stehenden zivilen und militärischen Elemente, um Feindseligkeiten zu beenden und die Ordnung wiederherzustellen“.
Als „zivile Elemente“ gelten z.B. Polizei, Nachrichtendienste, Forschung, Akademien, Zivilschutz, aber auch die private Sicherheitsindustrie. Die NATO möchte verstärkt auf die polizeiliche „Europäische Gendarmerietruppe“ mit Sitz im italienischen Vicenza zurückgreifen.
Mit der „zivil-militärischen Zusammenarbeit“ vollzieht sich eine Militarisierung polizeilicher Arbeit, unterfüttert durch innenpolitische Aufrüstung und Anti-Terror-Gesetze. Gemäß der Logik, dass der Terror nun „zuhause“ angekommen sei, ist ein Einsatz des Militärs im Inland leicht zu vermitteln. Dieser „Umfassende Ansatz“ der NATO findet sein Echo in Strategienpapieren der InnenministerInnen der NATO-Staaten, die ihrerseits an einer Verschmelzung der inneren und äußeren Sicherheit bzw. „Homeland Security“ arbeiten: Mehr Militärpräsenz im Inland, bessere Zusammenarbeit der In- und Auslandsgeheimdienste, gemeinsame Datenbanken (Datenbanken von Europol werden z.B. für militärische Aufklärung im Kosovo genutzt). Die NATO sieht sich als Garant der Sicherheit „kritischer Infrastruktur“ (z.B. Energie, Transport, Kommunikation) innerhalb der Mitgliedsländer.

Durch das Schüren der Unsicherheit werden „präemptive“ und „proaktive“ Maßnahmen“ gefordert, die potentielle Bedrohungen voraussehen und verhindern sollen bevor sie überhaupt existieren. Das eigene Militär soll stets die Initiative, Deutungs- und Entscheidungshoheit behalten. Unterschieden wird zwischen Eigeninitiative (proaktiv), Präemption, Prävention und Reaktion, um einen qualitativ neuen Ansatz des Voraussagens und Bekämpfens von Risiken zu ermöglichen:

„Abschreckungspolitik in unserer Zeit bedeutet nach wie vor die Schaffung von Unsicherheit im Kopf des Feindes – nicht länger als Reaktion auf einen Angriff, sondern proaktiv […]. Präemption ist der Versuch, sich die Initiative anzueignen ,um den Konflikt zu beenden […]. Prävention ist die reaktive Antwort wenn die Aktion des Gegners als unmittelbar bevorstehend erfasst wird; während Präemption ein selbst initiierter Schritt ist, der auf Verweigerung – und somit Beendung des Konflikts – ausgerichtet ist in einer Situation, wo die Bedrohung noch nicht besteht aber wo unweigerliche Indizien darauf hinweisen, dass ein Konflikt unvermeidbar ist. Präemption wird unter Internationalem Recht als legaler Akt der Selbstverteidigung angesehen, wobei die Frage der Legalität des präventiven Einsatzes von Gewalt bisher als unbeantwortet gilt“.

Hier wird also der Weg geebnet, um noch nicht real-existierende Bedrohungen als Anlass zu nehmen, militärisch einzugreifen, wo Herrschaftsinteressen gesichert werden müssen.

Zwar erklärt das NATO-Papier, dass die sozio-ökonomischen Grundlagen der Konflikte untersucht werden müssten, um die Situation besser zu verstehen, jedoch die Intention solcher Auseinandersetzungen ist klar definiert und ist auf die Sicherung ökonomischer Umstrukturierungen im Sinne einer neoliberalen Weltordnung ausgerichtet:

„Das Vorhaben wird oft die Errichtung von ‘Good Governance’, freier und gerechter Handel (inkl. freier und friedlicher Zugang zu kritischen Rohstoffen) und ökonomische Entwicklungshilfe, wie verlangt wird, um einen funktionierenden Staat herzustellen“.

Dieser Herrschaftsdiskurs findet sich in offensiven Medienstrategien als Teil des „Comprehensive Approach“ wieder:

„Diese Schritte müssen im Anschluss an gut koordinierte und selbst initiierte Medienarbeit gemacht werden, die helfen könnten, das Vorhaben zu erreichen ohne militärisch eingreifen zu müssen. Auch kann eine solche Medienarbeit den Weg ebnen für eine ‘Herz und Verstand’-Kampagne, die jede militärische Intervention begleiten sollte“.

NATO-Interventionen unterwerfen Alltagskämpfe und soziale Bewegungen in den betroffenen Ländern einer Wiederherstellung der kapitalistischen Ordnung und Stabilität zur Kapitalakkumulation. Die Militarisierung sozialer Konflikte reicht allerdings weit über NATO-Einsätze hinaus und ist geprägt von einem hegemonialen gesellschaftlichen Diskurs: Überwachung, Datenspeicherung, Kriminalisierung von Armut, militärische Bekämpfung von MigrantInnen, Militäreinsätze im Innern sind Ausdruck einer Zuspitzung gesellschaftlicher Gegensätze, die sich nicht mehr durch Einbindung/ Integration lösen lassen („The Dark Side of Globalisation“). Auch Klimawandel wird in diesem Weltbild als Bedrohung angesehen, dessen sozialen Auswirkungen in den Aufgabenbereich der NATO fallen. Weltweit wird eine Zunahme von Konflikten als Auswirkung einer ungleichen Verteilung seiner Konsequenzen erwartet .

“Klimawandel wirkt sich auf fast alle unsere Lebensbereiche aus, auch auf Sicherheit und die geopolitische Situation. Es wird erwartet, dass Klimawandel eine weitere Umverteilung des Wohlstands, sowie Migration erzeugen wird. Manche Regionen sind schon immer an der Peripherie der Welt gewesen,, so wie Grönland oder Sibirien, manche werden strategisch wichtig werden. Kanada hat jetzt schon mit den USA Souveränitätskonflikte über die kanadische Arktis. Der Konflikt in Darfur wird als ‘erster Klimawandel Krieg’ angesehen, der auf jahrelange Dürre und daraus resultierende Nahrungsmittelknappheit zurückzuführen ist” 5

Ein „Comprehensive Approach“ sozialer Bewegungen

Vorschlag für eine Kampagne gegen die EU

Die beschriebenen Phänomene stellen soziale Bewegungen vor große Herausforderungen. Die Auseinandersetzung damit kann nicht nur Friedens-, Antimilitarismus-, Bürgerrechts- oder Antirepressionsgruppen überlassen werden – zumal diese größtenteils im nationalen Rahmen agieren.

In einer Gesellschaft, die durch ökonomische Umstrukturierungen die Teilung in GewinnerInnen und VerliererInnen forciert und sich auch im globalen Rahmen Gegensätze verschärfen, sind „übergreifende Ansätze“ wie der „Comprehensive Approach“ und „Homeland Security“ der Versuch, Ordnung und Sicherheit im Sinne der Kapitalverwertung und des Freihandels zunehmend mit militärischen Mitteln zu sichern. Wo Konflikte entstehen, die durch Zugeständnisse und Einbindung nicht mehr lösbar sind, geht der Versuch, globale Wettbewerbsfähigkeit und Ressourcensicherung zu erreichen mit der Verschärfung der Sicherheitsapparate einher. Die Auswirkungen davon werden im Alltag als zunehmende soziale Kontrolle, Kriminalisierung von Armut und Migrationsbekämpfung erfahren. Jeder gesellschaftliche Konflikt wird als potentielle Bedrohung angesehen. Mit einer Politik der Angst werden Feindbilder und Bedrohungsszenarien handlungsweisend, autoritäre und militarisierte Herrschaftsstrategien legitimiert und durchgesetzt. Mehr Kontrolle, Ausbeutung und der Ausnahmezustand werden zum Normalfall.

Wir wollen einen „Summer of Resistance 2.0“ gegen die EU und NATO initiieren, der einen Höhepunkt in der schwedischen Präsidentschaft 2009 findet und an die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Italien andockt. Damit schließen wir uns dem Vorschlag an, 2009 zu einer allgemeinen Auseinandersetzung und Intervention gegen die EU-Politik aufzurufen (siehe dazu http://openesf.net/projects/asm/blog/2008/07/01/asm-kyievkiev-report-call-for-mobilisation-2009).
Etliche europäische Gruppen setzen sich kritisch mit EU-Politik auseinander bzw. sind von ihren Auswirkungen betroffen. Themen und damit Trägerkreise einer solchen Kampagne könnten sein:

  • Migration
  • Filesharing-Netzwerke
  • Alternative Provider
  • Terrorismus-Verfahren
  • Vorratsdatenspeicherung
  • Kritische AnwältInnen
  • Bürgerrechte
  • Lissabon-Vertrag
  • Antimilitarismus
  • Friedensbewegung
  • NATO
  • G8
  • Economic Partnership Agreements (EPAs; Wirtschafts-Partnerschaftsabkommen der EU)
  • Klima, Umwelt

Vernetzte und gemeinsam handelnde Soziale Bewegungen können den Sicherheitsphantasien und -strategien Grenzen setzen, um so einen Raum zu schaffen um Alternativen sichtbar werden zu lassen.
Wir wünschen uns, diesen Vorschlag auf zukünftigen Zusammenkünften sozialer Bewegungen zu diskutieren. Über Feedback freuen wir uns unter mail@gipfelsoli.org.

1 General a. D. Klaus Naumann (D), General John Shalikashvili (USA), Feldmarschall Lord Peter Inge (UK), Admiral Jacques Lanxade (F), General Henk van den Breemen (NL).

2 Die „Future Group“ bezeichnet sich selbst als „informelle Gruppe“, die Visionen für europäische Innenpolitik entwickelt. Sie wurde 2007 unter deutscher EU-Präsidentschaft von InnenministerInnen Schäuble und dem damaligen EU-Vizepräsidenten und Kommissar für „Freiheit, Sicherheit und Recht“, Frattini, initiiert.

3 Alle im Folgenden nicht anders gekennzeichneten Zitate aus dem Strategiepapier „Freedom, Security, Privacy – European Home Affairs in an Open World“

4 Alle im Folgenden nicht anders gekennzeichneten Zitate aus „Towards a Grand Strategy for an Uncertain World“

5 NATO Parliamentary Assembly Committee Report 2007 Annual Session, „Climate Change: Thinking Beyond Kyoto“, http://www.nato-pa.int/Default.asp?SHORTCUT=1177

Hintergrund:

Gipfelsoli

September 2008

http://gipfelsoli.org | http://euro-police.noblogs.org

Source: Gipfelsoli