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2012-02-02

Wie gewonnen – so zerronnen

Prozess um Entschädigung von staatlichem rechtswidrigen Handeln.

Erklärung eines Betroffenen zu dem geführten Prozess gegen die Stadt Hamburg, der für eine Entschädigung gestritten hatte:

Am 9. Mai 2007, im Vorfeld des G8 Gipfels in Heiligendamm, durchsuchte die Bundesanwaltschaft, gedeckt durch den §129a (Bildung einer Terroristischen Vereinigung) über 40 Wohnungen und Orte. Der Verfassungsschutz hatte schon seit Längerem (mehrere Jahre) Betroffene überwacht und beim Generalbundesanwalt die "Ermittlungen" empfohlen. Durch die Überwachung kamen dann dadurch, dass einzelne zueinander Kontakt hatten, immer mehr Beschuldigte dazu. Von den Razzien, an denen über 900 Polizeibeamt_innen beteiligt waren, waren somit insgesamt 18 Personen betroffen. Uns wurde vorgeworfen:

"... mit Brandanschlägen und anderen gewalttätigen Aktionen den bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel (G8) im Frühsommer 2007 in Heiligendamm erheblich zu stören oder zu verhindern. Diese Straftaten sind dazu bestimmt, die in der Bundesrepublik Deutschland bestehende Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zu erschüttern und können insbesondere die internationale Position der Bundesrepublik Deutschland als verlässlicher Partner im Verbund der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen erheblich schädigen."

Der Bundesgerichtshof (BGH) erklärte später, dass die gesamten Maßnahmen der Bundesanwaltschaft rechtswidrig waren.

Am 17.11.08 beschloss das Amtsgericht Hamburg in einer Grundsatzentscheidung, dass eine Entschädigungspflicht bestünde.
Ich, ein Betroffener, wollte daraufhin meine Entschädigung geltend machen.
Aber die Hamburger Justizbehörde verweigerte mir und zwei anderen die Entschädigungszahlungen. Ihrer Meinung nach gäbe es für rechtswidrige Handlungen des Staates keine Entschädigung. Das Entschädigungsgesetz gilt nur für rechtmäßige Maßnahmen, für Rechtsbrüche indes nicht, so ihre Begründung.

Dieses führte ich nun weiter vor Gericht und so fand am 20. Mai 2011 die Verhandlung zum Entschädigungsprozess gegen die Stadt Hamburg vor dem Landgericht Hamburg statt.

Die Durchsuchungen meiner Arbeitsstelle, zweier Wohnungen, an denen ich mich aufgehalten haben soll, meinem Auto und dem Wochenendhaus meiner Mutter, endeten mit der Beschlagnahme von wichtigen Unterlagen und Computern. 10 Monate später (am 06.03.08), nachdem der BGH diese Maßnahmen bereits am 20.12.07 für rechtswidrig erklärt hatte, wurden mir die entwendeten Sachen, also über zwei Monate danach, erst zurückgegeben.
Ich wollte die Kosten ersetzt bekommen, die mir u.a. für den Arbeitsausfall am Tag der Durchsuchung, die Leihgebühren für Ersatzcomputer und die Reparatur der beschädigten Gegenstände entstanden waren.

Eine Entschädigung wollte ich nicht explizit des Geldes wegen erhalten, sondern, um mich
nicht damit abfinden zu müssen, was die Repressionsbehörden mit mir gemacht haben.
Auch, um für mich eine kleine eigene Handlungsperspektive zu erreichen und zu versuchen, von dem System das zu bekommen, was es hergibt. Ebenso wollte ich widerspenstig zeigen, dass ich nicht alles einfach so mit mir machen lasse. Dass ich solche Behandlung nicht akzeptiere und mich dagegen wehre, wollte und habe ich öffentlich gemacht. Das war mir auch wichtig und ein Bestandteil meiner Klage.

Am 17. Juni 2011 war dann das Landgericht Hamburg so gnädig, sein Urteil zu verkünden:

Das Strafentschädigungsgesetz ist nach dessen Auffassung, anders als das des Amtsgerichtes, nun doch nicht anwendbar, da die Razzien nachweislich rechtswidrig waren. Dafür aber ist die Handlung ein enteignungsgleicher Eingriff von 10 Monaten gewesen, also gibt es „dem Grunde“ nach einen Anspruch auf Entschädigung!
„Dem Grunde“ nach bedeutet nun aber nur dem Grunde nach, denn in Wirklichkeit nicht. Im Detail wurden dann nämlich die einzelnen Posten, der entstandenen Kosten die ich versuchte geltend zu machen, auseinandergenommen: „Die Klage ist aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet“.
Der Kläger (also ich) bekam nun theoretisch von der Stadt 425,57 Euro, dieses sind nur 12% meiner geforderten Entschädigung. Dafür muß ich aber für die Anwälte und Gerichtskosten 1625,84 Euro zahlen, das sind 88% der Kosten.
Somit entstehen für mich durch den enteignungsgleichen Eingriff, der durch den Staat in illegaler weise erfolgte, Kosten von 1200,27 Euro. Addiert mit dem materiellen, nicht beglichenen Schaden, beziffern sich meine Kosten so insgesamt auf über 4100 Euro.
Immaterielle Belastungen oder gar eine Entschuldigung sind in diesem System erst recht nicht vorgesehen und so kann das auch nicht verhandelt werden.

Somit ist aber dem Rechtsstaat Genüge getan, denn es gibt ja immerhin in Deutschland die Möglichkeit, gegen rechtswidriges Handeln des Staates vorzugehen und „Recht“ zu bekommen. - „Vielen Dank!“

Nun ja, das sehe ich nicht wirklich so!

Ich habe zwar keine faire Behandlung erwartet, habe aber nicht wirklich mit so einem Urteil gerechnet.
Ich hoffte doch immer noch, vielleicht auch etwas naiv, dass es etwas Gerechtigkeit in dem Justitzwirrwar gibt, immerhin hatte ja das "höchste" Gericht in Deutschland entschieden, dass die Razzien damals illegal waren und nun zwei andere Gerichte, dass es eine Entschädigung geben müsse. Aber dass dann noch höhere Kosten für diese Feststellung aufkommen, empört mich eigentlich doch sehr. Und auch solch dreiste Begründungen, dass es für rechtswidrige Razzien keine Entschädigung gibt... Ich frage mich da, ob es dann jemals für sogenannte rechtmäßige Razzien eine Entschädigungen geben würde.
Da fehlen mir die Worte und es macht mich fassungslos und wütend.

Somit sind für mich die Eingriffe, die die Razzien in mein Leben hatten, noch nicht einmal theoretisch "gesühnt".
Der Staat, in diesem Fall durch die Bundesanwaltschaft vertreten, kann nach meinem Empfinden willkürlich handeln. Der Gesinnungs- und Schnüffelparagraph §129a dient da nur einem nach außen wahrnehmbaren Konstrukt, dass es nur "ganz schlimme" Leute treffen kann.
Ich sehe mich "zwar" als kritischen Menschen an und habe in einigen Dingen möglicherweise auch „radikalere“ Meinungen als der "Mainstream". Ich denke aber, dass diese Überzeugung für ein gerechtes und solidarisches Miteinander ohne Ausbeutung nicht als „radikal“ zu diffamieren ist.

Praktisch haben die Razzien, die ja schon 2007 stattfanden, immer noch Auswirkungen auf mich, natürlich nicht immer und jederzeit, aber immer mal wieder. Das zeigt sich z.B. daran, dass ich mich ab und zu mal umschaue, ob mich eine_r verfolgt, oder beim Telefonieren, wenn ich mich frage, wer denn sonst so in der Leitung mithört und ich so nicht wirklich frei reden kann.
Damals wurden für die „Ermittlungen“, wie wohl bei solchen Verfahren üblich, u.a. mein Telefon abgehört und e-Mails mitgelesen, es liefen Leute hinter mir her, und am Auto war ein Peilsender angebracht. Bei anderen wurde die Wohnung verwanzt und abgehört, bei mir "nur" der Antrag für eine Wanze im Auto genehmigt.
Und was in den 264 Bänden umfassenden Akten noch alles drin stand, bzw. was daraus wieder entnommen wurde, bevor es die Anwälte bekamen, gibt einem doch zu denken.

Schön war damals für mich die Solidarität die u.a. durch unzählige Demonstrationen ausgedrückt wurde, sie ermutigte und half mir.
Auch die unüberhörbaren weltweiten Proteste gegen die "kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung" hatten mich ermuntert. Ich habe das Gefühl, einiger Protest richtete und richtet sich weiterhin gegen die herrschende kapitalistische Ordnung, die weltweit verantwortlich ist für Armut, Umweltzerstörung, Ausbeutung, Unterdrückung, und Krieg. Leider auch immer noch.

Ich habe diesen Prozess geführt, da ich darin für mich eine Möglichkeit gesehen habe, mit den Razzien umzugehen. Dieses war nur eine Möglichkeit von vielen, und jeder muß für sich selber einen Weg finden, gegen Unrecht anzugehen.
Obwohl ich nichts erwartet hatte, fand ich dann das "Urteil" aber doch ziemlich mies. So brauchte ich doch noch diese Zeit, um etwas Abstand zu gewinnen, um diesen Text nun so schreiben zu können.

Jeder muß selbst entscheiden, am besten mit anderen gemeinsam, wie und wo wir was, für eine gute Welt tun wollen!

Ein Betroffener der G8 Razzien 2007 im Januar 2012

Prozessankündigung und weitere Links
http://de.indymedia.org/2011/05/307177.shtml

Anderer Betroffener wollte auch Entschädigung:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,715133,00.html

Source: http://de.indymedia.org/2012/02/324080.shtml