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09.12.2007

Menschenrechtspreis für G8-Anwälte

Für ihren Einsatz während des G8-Gipfels zeichnete die Internationale Liga für Menschenrechte Anwälte mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille aus. VON ULRICH SCHULTE

BERLIN taz Eine Szene der Protestwochen gegen den G8-Gipfel hat das Rechtsempfinden der Anwältin Verina Speckin erschüttert. Sie spielte sich vor der Gefangenensammelstelle Industriestraße in Rostock ab. Drinnen pferchte die Polizei G8-Gegner in Käfige, verweigerte ihnen Telefonate und acht Richter unterschrieben in einem Extra-Zimmer, einer eigens ausgelagerten Geschäftsstelle des Amtsgerichts, Anträge für Untersuchungshaft. Draußen standen die Rechtsanwälte - und durften nicht rein. "Da habe ich gemerkt, wie brüchig unser Rechtsstaat ist", sagt die 44 Jahre alte Vorsitzende des Strafverteidigervereins Mecklenburg-Vorpommern. "Wenn bestimmte Leute bestimmte Interessen haben, kann das ganz schnell kippen."

Bild: Preisverleihung

Am Sonntag erzählte Speckin in der Berliner Robert-Jungk-Gesamtschule von ihren Erlebnissen. Die Internationale Liga für Menschenrechte zeichnete sie und andere Mitglieder des Legal-Teams und des Ermittlungsausschusses mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille aus. Rund 100 Rechtsanwälte und Aktivisten des Ausschusses, der auf Demonstrationen juristischen Beistand organisiert, organisierten im Juni während der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm einen Anwaltsnotdienst für Demonstranten. "Sie haben sich wie juristische Streetworker vor Ort für elementare Grundrechte wie freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit und körperliche Unversehrtheit eingesetzt - trotz polizeilicher Verweigerungsversuche und massiver Angriffe", sagt Liga-Vorstand Rolf Gössner.

Die Juristen des Anwaltsnotdienstes, die als Erkennungszeichen gelbe und weiße Westen über der normalen Kleidung trugen, waren wochenlang tags und nachts in Rostock und Heiligendamm unterwegs. Sie liefen in Demos mit, machten Polizisten auf deren Rechtsverstöße aufmerksam, boten festgesetzten Protestlern Soforthilfe an - und dokumentierten fragwürdige Vorfälle, wie den vor der Gefangenensammelstelle. Verina Speckin notierte während ihrer Einsätze alle Gespräche und Beobachtungen detailliert in einem Tagebuch: "Was ich nicht aufgeschrieben habe, habe ich vergessen - man stand einfach zu sehr unter Adrenalin."

Speckin beobachtete, wie Polizisten einen Anwaltskollegen wegschubsten und bei einem Kessel hanebüchene Forderungen stellten. "Die Eingekesselten durften nur mit uns reden, wenn sie uns vorher eine schriftliche Vollmacht erteilt hatten. Aber wer, bitteschön, hinterlegt so was vorher?" Zwar hat sich der Anwaltsnotdienst nach Ende der Proteste offiziell aufgelöst, doch bleiben die kritischen Juristen in Kontakt. Fünf bis acht E-Mails bekomme sie täglich von Kollegen, erzählt Speckin. "Es gibt ein großes Interesse, so einen Dienst bei Bedarf wieder anzubieten."

Anlass für die Würdigung ist der Tag der Menschenrechte am 10. Dezember. Mit der Ossietzky-Medaille zeichnet die Liga Menschen aus, die sich im Jahr der Verleihung um die Menschenrechte verdient gemacht haben. Im vergangenen Jahr erhielt sie zum Beispiel der Anwalt von Murat Kurnaz. Andere bekannte Ausgezeichnete sind Erich Fried, Günter Wallraff oder Heinrich Böll.

Carl von Ossietzky war in der Weimarer Republik als Publizist tätig. Der Herausgeber der Zeitschrift Weltbühne war lange Vorsitzender der Liga für Menschenrechte. Er starb 1938 an den Folgen von Misshandlungen, die er in einem Konzentrationslager erlitt.

Source: www.taz.de