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01.06.2007

Jungle World: Der Leviathan droht

Weil der Paragraf 129a StGB so unbestimmt ist, kann der Staat jederzeit mit ihm drohen und erhält sich so die Macht. von stefan krauth

Behemoth und Leviathan sind die Namen zweier Ungeheuer aus dem Alten Testament. Behemoth beherrscht das Land, Leviathan die See. Die beiden Ungeheuer errichten eine Schreckensherrschaft, die Gott vor dem Ende der Zeit beenden wird. Nach den biblischen Ungeheuern benannte Thomas Hobbes (1588 bis 1679) zwei seiner staatstheoretischen Werke. Im »Behemoth« werden vor dem Hintergrund des englischen Bürgerkriegs des 17. Jahrhunderts die Schrecken eines gesetzlosen »Naturzustands« verhandelt. Im »Leviathan« verbleibt ein Souverän in der uneingeschränkten Machtfülle des Naturzustandes, um den Bürgerkrieg zu beenden. Zugunsten dieses Leviathans verzichten die Bürger im Gesellschaftsvertrag auf ihre »natürlichen« Rechte.

Ein schönes Leben für die Untertanen schließt Hobbes’ Staatstheorie nicht mit ein – wohl aber die Voraussetzung dafür, in Ruhe und Frieden Han del treiben zu können. Seine Legitimation bezieht Leviathan (der Staat) daraus, besser als Behemoth (der »Naturzustand«) zu sein. Weil Behemoth droht, muss Leviathan auch drohen. Damit Leviathan eine Ordnung durchzusetzen ­vermag, muss die souveräne Macht uneingeschränkt sein.

Heutzutage droht die Bundes republik Deutschland in Gestalt des Generalbundes anwalts. Der droht zwar nicht mit Behemoth, aber in doppelter Weise mit Terror. Denn Terror schüch tert ein und greift somit die geltende Ordnung an. Die staatliche Reaktion auf drohenden Terror hat die geltende Ordnung zu bestätigen, und dafür bedarf es eines scharfen Schwertes. Der Staat begnügt sich nicht damit, Terroristen für das zu bestrafen, was sie tun, sondern bestraft die Mitgliedschaft in einer Gruppe oder die Bildung einer solchen, deren Tätigkeit darauf gerichtet ist, künftig bestimmte Straftaten zu begehen. Paragraf 129a des Strafgesetzbuches (StGB) stellt nicht Delikte wie Brand stiftung oder Entführung unter Strafe. Bestraft wer den die, die sich in einer Gruppe zusammenschließen, deren geplante Taten u.a. dazu bestimmt sind, »die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüch tern« (Paragraf 129a StGB).

Die Vorschrift verweist beispielsweise auf Computersabotage. Danach wird bestraft, wer die Datenverarbeitung einer Behörde dadurch stört, dass er einen Datenträger zerstört oder verändert. Der Strafrahmen dieser Vorschrift beginnt im Bereich der Geldstrafe und ist, jedenfalls für Ersttäter, weit gehend harmlos. Schließt sich aber eine Gruppe zu sammen, um die Computer einer Behörde derart zu beschädigen, dass die Bevölkerung eingeschüchtert werden könnte, drohen ein bis zehn Jahre Haft, ohne dass auch nur ein Rechner berührt werden muss.

Zudem eröffnet der Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ermittlungs verfahren weitreichende Befugnisse, die für die angestrebten Delikte allein oft nicht gegeben wären. Untersuchungshaft kann problemlos angeordnet werden, Verteidigerinnen können einfacher aus dem Verfahren ausgeschlossen werden und die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs wird fast automatisch angeordnet. Gegenwärtig sind weitere Verschärfungen geplant. Da die terroristische Ver einigung mindestens dreier Personen bedarf, sollen zwei neue Paragrafen (129c und 129d) auch Einzelpersonen, die vor terroristischen Anschlägen tätig werden, erfassen. Die Bereitstellung von Finanzmitteln stellte bereits eine eigenständige terroristische Handlung dar.

Die knappen Hinweise auf die Struktur des Paragrafen 129a StGB machen deutlich, dass es sich nicht um einen »normalen« Straftatbestand handelt. Er droht, weil er unbestimmt ist. Man weiß nicht, ob man wegen Brandstiftung oder Bildung einer terroristischen Vereinigung verfolgt werden wird. Wann ein Auto angezündet wird, lässt sich angeben. Aber wann soll die Bevölkerung in erheblicher Weise durch die beabsichtigten Taten eingeschüchtert sein? Weil der Paragraf kein greifbares Rechtsgut schützt, handelt es sich bei ihm streng genommen auch nicht um einen Paragrafen, der sich auf einen festgelegten Straftatbestand be zieht, sondern um Polizeirecht, um Gefahrenabwehr innerhalb des Strafgesetzbuches. Eine bestimmte Form des politischen Zusammenschlusses wird für gefährlich erachtet und präventiv kriminalisiert.

Die Kritik an den Razzien in der linken Szene vom 9. Mai dieses Jahres wirft den Behörden willkürliches und unver hält nismäßiges Vorgehen vor, mit dem von der Teilnahme an den Protesten gegen den Weltwirtschaftsgipfel abgeschreckt werden soll. So berechtigt diese Einwände sein mögen, greifen sie doch zu kurz, wenn sie auf die Rechtswidrigkeit der Maß nahmen abstellen. Denn Recht braucht zu seiner Geltung Gewalt in zweifacher Weise.

Walter Benjamin unterscheidet zwischen Recht setzender und Recht er haltender Gewalt. Die gesellschaftliche Ord nung, die vernünftigerweise nicht begrün det werden kann, wird durch die Gewalt des historischen Sieges begründet und benötigt zu ihrer Aufrechterhaltung die ständige Anwendung von Gewalt – jedenfalls deren Repräsenta tion in Form der Drohung. (Deshalb wacht der Staat eifersüchtig über sein Gewaltmonopol.) So schreibt Benjamin: »Schwindet das Bewusstsein von der latenten Anwesenheit der Gewalt in einem Rechts institut, so verfällt es.« Die Drohung aber dürfe man nicht mit »ununterrichteten liberalen Theo retikern« als Abschreckung verstehen. Für eine Abschreckung ist die Drohung zu unspezifisch. Benjamins Kritik der Gewalt verweist vielmehr auf das, was liberales Rechtsdenken notwendigerweise verdrängen muss: Recht geht nicht in Recht auf, sondern bedarf eines Außerrechtlichen, das das Recht einsetzt und erhält. Leviathan folgt niemals allein dem Recht. Die Anwen dung des Rechts in jedem konkreten Fall ist zugleich eine Nichtanwendung des Rechts, weil das Recht nicht selbst entscheiden kann, wann es angewendet wird.

An diesem Punkt setzt Benjamins Kritik der Polizei ein, die er als »gespenstische Vermischung« der beiden Formen der Gewalt beschreibt. Sie setzt Recht nicht nur mit Gewalt ganz rechtmäßig durch, sondern hält zugleich die drohende und außerrechtliche Grundlage jedes Rechts am Leben: »Daher greift ›der Sicherheit wegen‹ die Polizei in zahllosen Fällen ein, wo keine klare Rechtslage vorliegt, wenn sie nicht ohne jegliche Beziehung auf Rechtszwecke den Bürger als eine brutale Belästigung durch das (…) Leben begleitet.« Paragraf 129a StGB dient der Abwehr von Gefahren und kann hierfür keine klare Rechtslage angeben. Der Entscheidung, ob das Recht angewendet wird oder nicht, liegt lediglich die Einschätzung da rüber zugrunde, ob eine Gefahr besteht oder nicht.

Hören wir insoweit den Bundesgerichtshof: Die beim G8-Gipfel angestrebten Taten seien »dazu bestimmt, die in der BRD bestehende Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zu erschüttern«. Mit der martialisch inszenierten Einleitung der Ermittlungsverfahren gegen die »Militante Kampagne zum Weltwirtschaftsgipfel« wird drohend das Bewusstsein der Gewalt eines Rechtsinstituts in Erinnerung gerufen und Souveränität manifestiert. Denn Souverän ist, wer über die Anwendung des Rechts befinden kann. Wer freilich dem Weltwirtschaftsgipfel allein vorzuwerfen vermag, er sei undemokratisch, wird von dieser Kritik der Gewalt nichts wissen wollen.

Nummer 22 vom 30. Mai 2007

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