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20.01.2009

Die NATO: Den Markt freibomben

Gegründet als Bollwerk des Westens gegen den Ostblock zu Zeiten des Kalten Krieges hat die NATO während der letzten zehn Jahre einen Wandel erfahren, der ihre Bedeutung wieder vergrößert. Verteidigt werden nicht mehr die Territorien der Mitgliedsstaaten, sondern deren »westliche Werte«. Geschützt werden die Märkte und der Zugang zu Ressourcen wie Öl und Gas.

Richtungweisend für die geopolitische Entwicklung der NATO war das Strategiekonzept, das 1999 auf dem 50jährigen Jubiläum des Bündnisses verabschiedet wurde – während der Angriffskrieg der NATO auf Jugoslawien bereits in vollem Gange war. Unter Vorsitz des Bundeswehrgenerals Klaus Naumann wurde beschlossen, dass die Sicherheitsinteressen der Mitgliedsstaaten nunmehr nicht erst bei einem militärischen Angriff ihrer Territorien berührt seien, sondern die Gefährdung auch »Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens, sowie die Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen« umfasse.

Bild: Graffiti

Was 1999 in der NATO beschlossen wurde, ist damit nichts weiter als die weltweite militärische Unterstützung der wirtschaftlichen Interessen ihrer bedeutendsten Mitgliedsstaaten, die Stabilisierung jenes globalen Armutsgefälles, welches sie zu verantworten haben: Die Militarisierung des Neoliberalismus.

Neue Strategiekonzepte: Die Naumann-Papiere

Geht es nach den tonangebenden NATO-Strategen, soll diese Ausrichtung der Allianz weiter ausgebaut werden. Der NATO-Gipfel im Rahmen des 60jährigen Jubiläums im April 2009 wird hierfür einen weiteren Meilenstein darstellen. Bereits erwähnter Klaus Naumann hat gemeinsam mit vier anderen hochkarätigen NATO-Generälen ein neues Strategiepapier in die Diskussion eingebracht, über welches im April abgestimmt werden soll. Die wichtigsten Eckpfeiler sind: 1. Die Möglichkeit eines Ersteinsatzes von Nuklearwaffen gegen Staaten ohne Atomwaffen im Falle eines drohenden Einsatzes von chemischen Waffen; 2. der Aufbau eines eigenen NATO-Raketenabwehrschirms; 3. die fortgeführte NATO-Erweiterung im postsowjetischen Raum; 4. der Ausbau zivil-militärischer Kooperationen zur »Stabilisierung« von Regionen und Staaten; 5. die Abschaffung des Konsensprinzips zugunsten von Mehrheitsentscheidungen und die Mitbestimmung militärischer Operationen nur durch Mitglieder, die sich am Krieg beteiligen; 6. die Kriegsführung der NATO auch ohne UN-Mandat. Begründet wird die Notwendigkeit dieser Neuerungen damit, dass die Glaubhaftigkeit und Handlungsfähigkeit der NATO unbedingt gestärkt werden müssen, um den Schutz des Zugangs zu notwendigen Ressourcen weiter zu gewährleisten.

Afghanistan zum westlichen Protektorat

Im Afghanistan-Krieg wird die strategische Ausrichtung der NATO bereits sehr deutlich. Das Land ist für den Westen von großer geostrategischer Bedeutung. Aufgrund seiner Lage zwischen den riesigen Erdöl- und Erdgasvorräten in den Nachbarländern Kasachstan, Aserbaidschan, Turkmenistan und Usbekistan auf der einen und dem Kaspischen Meer auf der anderen Seite wird Afghanistan zu einem Schlüsselland für den Transit der Rohstoffe in den Westen. Dies setzt allerdings verlässliche Bündnispartner und eine relative politische Stabilität voraus, welche 2001 nicht mehr gegeben waren. Ziel des NATO-Einsatzes in Afghanistan ist es also, das Land zum Protektorat der Allianz zu machen, was mit der Marionettenregierung Karzais allerdings nur in der Hauptstadt Kabul gelungen ist. Im Rest des Landes gestaltet sich die Kontrolle schwierig.
Hier kommt nun ein neues Konzept der NATO-Strategen zum tragen, welches sich als »Comprehensive Approach« einen Namen macht: die Aufstandsbekämpfung durch eine zivil-militärische Zusammenarbeit.

Generalsekretär der NATO, Jaap de Hoop Scheffer

Dabei werden zivile Kompetenzen wie juristische Strukturen und humanitäre Projekte für die Umsetzung militärischer Ziele nutzbar gemacht. Dies soll die Besatzung für die afghanische Bevölkerung akzeptabler machen, hat jedoch zur Folge, dass Hilfsorganisationen wie »Ärzte ohne Grenzen« sich aus dem Land zurückziehen, weil sie jetzt als vermeintliche Kollaborateure der Besatzer vermehrt zur Zielscheibe von Anschlägen werden.
Neben der Sicherstellung eines reibungsfreien Transits bemüht sich die nordatlantische Allianz auch um die regionale Installation des gewünschten Wirtschaftssystems: Eines (für den Westen!) völlig offenen Marktes. Die mit Hilfe der Bundesregierung geschaffene »Afghan Investment Support Agency« (AISA), ein Investitionsschutzabkommen, verwandelt das Land in das neoliberale Paradies westlicher Konzerne. Es beinhaltet die Möglichkeit eines 100 prozentigen Firmenbesitzes von Ausländern, Steuerbefreiung und das Recht auf einen 100 prozentigen Gewinntransfer ins Ausland. »Afghanistan kann als eine der offensten Volkswirtschaften überhaupt (...) bezeichnet werden«, jubelt das Bundesamt für Außenwirtschaft – und bereits profitierende Konzerne wie Alcatel, Siemens und Coca Cola können sich bei der NATO für die Frei-Schießung dieses Marktes bedanken. Nun müssen nur noch die »hearts and minds« der Aufständischen für diesen »Enduring Freedom« der NATO-Mitglieder, Coca Cola & Co. gewonnen werden.

Anfang einer neuen Blockbildung

Der NATO-Krieg in Afghanistan und der US-Krieg im Irak sind möglicherweise erst der Anfang einer umfassenden westlichen Intervention zur Umstrukturierung einer weitaus größeren Region, welche im Grunde den gesamten Nahen und Mittleren Osten mit seinen Rohstoffvorkommen umfasst. Neben Pakistan wird der Iran als mögliches Interventionsfeld der NATO diskutiert, wobei hier der Einsatz von Nuklearwaffen nicht ausgeschlossen wird, denn nach Naumann existiere die Gefahr, der Iran könne »eine Region dominieren, die über die größten Öl- und Gasreserven der Welt verfügt«.
Es ist zudem nicht auszuschließen, dass die Ressourcenknappheit zu einer neuen Blockbildung zwischen der NATO auf der einen und Rußlands und Chinas auf der anderen Seite führt. Der Georgien-Konflikt 2008 und der Gasstreit zwischen Rußland und der Ukraine legen dies nahe, denn auch hier geht es um geostrategische Interessen. Die geplante NATO-Osterweiterung im postsowjetischen Raum um die Ukraine und Georgien stellt eine Bedrohung für Rußland dar, welches bereits mit einer militärischen Aufrüstung gedroht hat. Weitere Anzeichen für eine mögliche Blockbildung sind die geplanten Raketenabwehrschirme der USA und der NATO sowie eine massive Intensivierung der Zusammenarbeit Rußlands und Chinas in der »Shanghaier Vertragskooperation«, welche als eine Art Gegen-NATO gewertet wird und nun auch energiepolitische Fragen gemeinsam besprechen möchte – der Iran und Pakistan haben bereits eine Vollmitgliedschaft beantragt.
Auch auf westlicher Seite könnte der Block wieder enger zusammenstehen als in den letzten Jahren. Nach dem Alleingang der USA im Irak und heftigen transatlantischen Auseinandersetzungen wird für die Amtszeit Obamas ein engeres Zusammenarbeiten der Bündnispartner innerhalb der NATO erwartet. Nicht zuletzt aufgrund der wirtschaftlichen Probleme der USA und der Irak-Katastrophe ist Obama auf eine bessere Bündnisarbeit mit der EU angewiesen. Das gemeinsame Bestreben, die Marktdominanz gegen Rußland und China aufrecht zu erhalten, könnte das Wiedererstarken der NATO vorantreiben und die Rolle der EU dabei kräftigen.

Auf die Krise folgt die Kriegspolitik

Die offensichtliche Krise des kapitalistischen Systems, welche sich hierzulande in der Zuspitzung der gesellschaftlichen Verhältnisse zeigt, wird sich nach Außen in einer noch aggressiveren Kriegspolitik bemerkbar machen. Die reibungsfreie Ausbeutung anderer Länder durch den offenen Zugang zu Märkten und Ressourcen wird in Krisenzeiten noch wichtiger für die Überlebensfähigkeit der westlichen Dominanz auf dem kapitalistischen Weltmarkt und des hier herrschenden Lebensstandards. Unterstützt wird dies durch die fortschreitende Akzeptanz der Militarisierung: Die Legitimierung von NATO-geführten Kriegen scheint seit Afghanistan immer unproblematischer, »öffentliche« Gelöbnisse vor dem Reichstag und Denkmäler für »gefallene« Soldaten der deutschen Bundeswehr werden in unserer Gesellschaft wieder möglich.

Source: http://www.antiberliner.de/artikel/artikel2003.htm