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2009-10-05

Demo-Twittern: Schlauer, als die Polizei erlaubt

Von J. Kuhn

US-Behörden verhaften zwei twitternde Aktivisten, die den Demonstranten beim G-20-Gipfel die Polizeitaktik verrieten. Es könnte ein Präzedenzfall werden.

Unter Aktivisten gehört der Mikrobloggingdienst Twitter heutzutage zum Standardwerkzeug, wenn es darum geht, während Demonstrationen Informationen über die aktuelle Lage auszutauschen oder Zwischenfälle zu dokumentieren.

Nun müssen vielleicht bald US-Gerichte entscheiden, wo dabei die Grenze zwischen dem Recht auf freie Rede und der Behinderung der Polizeiarbeit liegt. Hintergrund ist ein Vorfall am ersten Tag des G-20-Gipfels in Pittsburgh.

Am 24. September hatten sich nach dem Aufruf einer anarchistischen Gruppe mehrere tausend Demonstranten zu einer nicht genehmigten Protestaktion im Stadtteil Lawrenceville versammelt.

Im Zuge des Polizeieinsatzes, bei dem Tränengas und Gummigeschosse abgefeuert wurden, durchsuchten Beamte auch ein Motelzimmer am Stadtrand. Dort fanden sie, so berichten US-Medien unter Berufung auf Gerichtsdokumente, zwei Männer: Mit einem Funkscanner ausgerüstet verfolgten diese die Kommunikation der Sicherheitsbehörden und leiteten die Informationen per Handy und Twitter an die Demonstranten weiter. Sie wurden sofort verhaftet.

Steuerung der Demonstranten?

Einer der beiden ist der New Yorker Sozialarbeiter Elliot Madison, dem nun wegen Behinderung der Strafverfolgungsbehörden die Anklage droht. Wie die New York Times berichtet, beteiligte sich der 41-Jährige an der Aktion der Aktivisten vom “Tin Can Comms Collective”, einer linken Anarchistengruppe.

Durch seine Kurznachrichten über Einsatzorte und Bewegungen von Polizeieinheiten soll Madison nach Darstellung der Behörden das Verhalten der Protestierenden gesteuert haben. Dies hätte dazu beigetragen, dass sich die Demonstration nicht wie von der Polizei gefordert aufgelöst habe. Konkret nachzuweisen, dass Madisons Twitternachrichten die Bewegungen der Masse koordinierten, dürfte allerdings schwierig werden.

Warum die Anklage auf wackeligen Beinen stehen könnte

Auch die Ausschreitungen, bei denen es zu Sachbeschädigungen durch Demonstranten kam, fanden erst Stunden nach der Verhaftung der beiden Aktivisten statt, argumentiert Madisons Anwalt. Da sich die Situation in dieser Zeit geändert hätte, könnten die beiden nicht wegen der Beihilfe zu diesen Taten belangt werden.

Selbst für das Abhören des Funkverkehrs können die Aktivisten eventuell nicht belangt werden. Dieser sei nicht verschlüsselt, weshalb der Zugriff nach amerikanischem Recht nicht illegal sei, argumentiert der Bürgerrechtler Witold Walczak in der Pittsburgh Post-Gazette: “Wenn die Polizei privat kommunizieren möchte, gibt es sicherlich Möglichkeiten”, sagt der Rechtsbeauftragte der Pennsylvania American Civil Liberties Union, “der Polizeifunk gehört nicht dazu.”

Tatsächlich hatten die Verhaftungen kaum Auswirkungen: Die verbliebenen Mitglieder des Anarchisten-Kollektivs informierten die Demonstranten noch in den folgenden Tagen via Twitter über die Polizeibewegungen. So waren dort unter anderem Hinweise wie “Die Polizei versucht, den Schwarzen Block in der Nähe des Studentenwerks einzukreisen” zu lesen. Bei den Protesten am Rande des Gipfels kam es zu vereinzelten Ausschreitungen, insgesamt nahm die Polizei 193 Menschen fest.

“Es war entscheidend, die Informationen zu besitzen”

Bei einer Durchsuchung von Madisons New Yorker Haus am vergangenen Donnerstag beschlagnahmten FBI-Beamte Computer und anarchistische Literatur. Ob die Durchsuchung auch dazu dienen sollte, belastendes Material gegen weitere Mitglieder des “Tin Can Comms Collectives” zu finden, ist unklar.

Mitte Oktober ist eine Anhörung angesetzt. Sollte es zu einer Anklage kommen, könnte dies zu einem amerikanischen Präzedenzfall zum Umgang mit neuen Informationskanälen bei Demonstrationen werden.

Die beiden Aktivisten befinden sich nach Zahlung einer Kaution inzwischen wieder auf freiem Fuß. Elliot Madison zeigt sich im Gespräch mit der New York Times von seiner Unschuld überzeugt: “Sie haben mich für etwas verhaftet, das alle anderen auch getan haben und das absolut legal war”, sagt er. “Es war für die Menschen entscheidend, die Informationen zu besitzen, die wir gesendet haben.”

Source: http://www.sueddeutsche.de/computer/535/489917/text/#top