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2007-03-02

Ein Beitrag zur Debatte über den Umgang mit der Gewalt

In den letzten Wochen verstärkte sich die Debatte um die Frage nach einem Umgang mit der Gewalt. Da diese Debatte bisher unserer Meinung nach viel zu oberflächig verlaufen ist, wollen wir mit diesem Beitrag zu einer Vertiefung der Debatte beitragen.

Grundsätzlich ist zuerst einmal zu sehen, daß Gewalt nichts weiter ist als eine Handlung. Um dies nachzuvollziehen, bietet die deutsche Sprache die besten Ansatzpunkte. So bildet den Kern des Wortes „Gewalt“ das Verb „walten“, was nichts anderes bedeutet als „handeln“ oder „tun“. Ein Blick auf den heutigen Gebrauch des Wortes „Gewalt“ veranschaulicht diesen Ansatz: Ein Beamter waltet seines Amtes. Er führt also eine Handlung aus. Auch die Austarierung der Machtverhältnisse wird mit einem positiven Bezug auf die Gewalt bestimmt. Die drei offiziellen Gewalten werden dabei durch ihre Art der Handlung mit den Gesetzen bestimmt. Die erste Gewalt, die Gesetzgebung, handelt, indem sie die Gesetze beschließt. Die zweite Gewalt, die Exekutive, handelt, indem sie die Befolgung und die Umsetzung der Gesetze überwacht und bei Verstößen einschreitet. Die dritte Gewalt schließlich, die Rechtsprechung, handelt, indem sie Gesetzesverstöße ahndet bzw. beschlossene Gesetze unter Umständen beurteilt. Da alle drei Gewalten im staatlichen Sektor verhaftet sind, wird auch vom Gewaltmonopol des Staates gesprochen, d.h. der Staat allein wird berechtigt, mittels Gesetzen zu handeln und sie auch gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen.

Carlo ha scelto

In diesen Gewalten manifestiert sich Macht. Der Begriff der „Macht“ kann ähnlich betrachtet werden wie der Begriff der „Gewalt“. „Macht“ leitet sich ab von „machen“, einem anderen Verb für „handeln“. In romanischen Sprachen wird „Macht“ mit „pouvoir“, „potere“, „poder“ bezeichnet, auf deutsch eigentlich „können“. Macht leitet sich also von der Möglichkeit ab, handeln zu können, und nicht von einem Recht hierzu – sie kommt aus den Gewehrläufen. Die Bevölkerung ist diesen Mächten und ihren Gesetzen unterworfen. Eine nicht offiziell legitimierte vierte Gewalt existiert mit der Presse, deren Handlung darin besteht, den Umgang mit den Gesetzen zu kommentieren, diese zu interpretieren und gegebenenfalls neue zu fordern.
Die bürgerliche Gesellschaft reklamiert für sich mit dem Verweis auf die Aufteilung der Gewalt auf verschiedene staatliche Institutionen, die Gesellschaftsform für alle Zeit zu sein, die alle Individuen gleichermaßen gerecht und ohne jede Willkür behandelt. Hierfür wurde mit dem Begriff des Staatsbürgers eine Einheit geschaffen, die diese Individuen repräsentiert. Gleichzeitig bezieht sich die bürgerliche Gesellschaft positiv auf die Märzrevolutionäre von 1848, da diese gegen eine Gesellschaft und einen Staat handelten, deren Willkür keinen anderen Weg als die Gewalt zuließ. Willkür wird dabei als ein Zustand bezeichnet, der gewalttätige Handlungen nicht nur rechtfertigt, sondern sogar notwendig macht. Weithin anerkannt ist darüber hinaus, daß Verhältnisse wie in Nazideutschland ein absoluter Ausdruck von Willkür sind. Im Grundgesetz wird deshalb jedem Staatsbürger das Recht zugebilligt, Widerstand gegen diktatorische Willkür zu leisten.
Daß die bürgerliche Gesellschaft nicht frei von Willkür ist, zeigt schon allein die Existenz von Nazideutschland. Aber schon das Grundgesetz definiert nur Deutsche als den Personenkreis, der über umfassende Rechte verfügt; etwa zehn Prozent der Einwohner in Deutschland verfügen nicht über den kompletten Zugang zu allen Rechten. Ein Teil der Einwohner wird zudem, ohne auch nur eine Straftat begangen zu haben, in Gefängnisse eingesperrt: Flüchtlinge, die nur deshalb eingesperrt werden, weil sie versucht haben, in Deutschland zu leben. Im staatlichen Umgang mit ihnen ist Willkür an der Tagesordnung.
Mit einer Vielzahl von Verwaltungsvorschriften – also keinen Gesetzen – wird beispielsweise bei Genehmigungsverfahren von Industrieanlagen das gesetzlich verbriefte Mitwirkungsrecht der Bevölkerung ausgehöhlt. Die Anti-AKW-Bewegung beachtet deshalb nicht die Gesetze und versucht, mittels Blockaden den Arbeitsablauf zu stören. Allein schon Sitzblockaden werden von allen vier genannten Gewalten regelmäßig als gewalttätige Handlungen dargestellt. Das Streikrecht sieht vor, daß eine Minderheit von 25 Prozent ein Diktat ausübt, um einen Streik nicht durchzuführen oder ihn zu beenden. Der politische Streik ist in der BRD zudem verboten, so daß gegen Gesetzesvorhaben wie Hartz IV nicht wirksam protestiert werden kann. Gleichzeitig ist die Kommunistische Partei in diesem Land seit über 50 Jahren verboten und damit eine parlamentarische Kraft gegen den Sozialabbau.
Für den G8-Gipfel diesen Juni in Heiligendamm hat der Staat einen protestfreien Raum definiert und diesen durch einen Zaun abgegrenzt. Allein die Errichtung dieser Zone ist eine gewalttätige Handlung, gleichzeitig jedoch ist sie die Manifestation staatlicher Willkür, da der Protest der Bevölkerung sich nicht bemerkbar machen darf. Der Genosse Carlo Giuliani wurde 2001 bei dem Versuch erschossen, diese Art der Willkür zu beenden. Die staatliche Willkür erstreckt sich allerdings nicht nur auf die Einrichtung dieses protestfreien Raumes, sondern wird in der gesamten EU in Form von Ein- und Ausreiseverboten exekutiert.
Mit dieser Willkür soll verhindert werden, daß der Protest gegen eine Gesellschaft, die für den täglichen Hungertod mehrerer zehntausend Menschen verantwortlich ist, sichtbar wird, damit er eingegrenzt werden kann. Den jetzigen deutschen Staatspräsidenten aufgrund seiner früheren Tätigkeit als IWF-Chef für diese Hungertode mitverantwortlich zu machen ist in diesem Land verboten. Ebenfalls unterbunden werden soll der Protest gegen die Willkür der sog. Anti-Terror-Listen durch eine Solidarisierung mit den aufgeführten Personen und den verbotenen Organisationen. Auch die Propagierung von politischem und Generalstreik ist in der BRD verboten. Wenn aber die bloße Äußerung einer politischen Meinung verfolgt wird, wird normalerweise von staatlicher Willkür gesprochen.
Die Genossin Ulrike Meinhof bezeichnete einst den Unterschied zwischen Protest und Widerstand in der Weise, daß der Protest sich durch das Artikulieren gegen einen Mißstand bestimmt, also durch das Artikulieren einer politischen Meinung. Der Widerstand hingegen bestimme sich durch den Versuch der Beseitigung dieses Mißstandes. Allen Beteiligten ist klar, daß die Revolution heute nicht auf der Tagesordnung steht, mithin wird in Heiligendamm nur eine politische Meinung also ein Protest, geäußert, die Beseitigung der herrschenden Verhältnisse wird allenfalls nur propagiert, aber leider nicht versucht. Die staatliche Willkür in Form der protestfreien Zone, der Einreiseverbote und der Unterdrückung der politischen Meinungsäußerungen wird aber nicht akzeptiert, und es wird garantiert zu von den Betroffenen selbstbestimmten Handlungen kommen, die diese Willkür beenden. Gleiches hat sich in der Geschichte der Menschheit bisher unzählige Male ereignet: Wo Willkür herrscht, ist Widerstand normal. Für alle sich aus der Willkür entwickelnden Konsequenzen sind nicht diejenigen verantwortlich, die diese Willkür beenden wollen, sondern diejenigen, die diese Willkür errichten und sie exekutieren. Wer diesen Widerstand nicht akzeptieren kann, ordnet sich der Willkür dieses Staates unter. Eine Distanzierung hiervon kann von der Linken aber nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden, da der Widerstand eine natürliche Antwort auf die Willkür darstellt, wie die Realität schon tausendfach aufgezeigt hat.

Für den Kommunismus

Rote Aktion Berlin Februar 2007
organisiert im Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive

1) Daß die PDS diese Kraft nicht ist, zeigt ihr Verhalten im Berliner Senat.


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Carlo ha scelto
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