Die benefizenden Popstars stellten beim Live-8-Spektakel ihren unbedingten Willen zur Kollaboration mit dem neoliberalen Establishment zur Schau • Von Kai Degenhardt
„Es geht nicht um Entwicklungshilfe. Handel ist der Weg aus der Misere“, sagte Bono, Sänger von U2 und Mitinitiator von Live 8 ganz unverblümt gegenüber dem „Stern“. Und sein großer Bruder im Geiste, Bob Geldof, pries zum Auftakt des globalen Multi-Events Tony Blair und seinen Finanzminister Gordon Brown, die den Schuldenerlass für die ärmsten Länder der Dritten Welt als willkommene Image-Campagne für die britische Regierung nutzen wollten, als „Lennon und McCartney der globalen Entwicklung“. Gleichzeitig mahnte er die mitwirkenden Musiker und Zuschauer, den Erfolg des Projekts bloß nicht durch unangebrachte Kritik an US-Präsident Bush zu gefährden. „Er hat mehr für Afrika getan als jeder Präsident vor ihm“, ließ Geldof im „Time Magazine“ verlautbaren. So hört sich das also an, wenn Rock’n’Roller einem heute die Welt erklären.
Auch sollten diesmal keine Spenden mehr gesammelt werden. Der Plan war bescheidener: Die Champions-League der Popbranche sollte einfach einen Tag lang auf neun verschiedenen Bühnen von Philadelphia bis Tokio rumposen, und jeder, der live oder auch nur vorm Fernseher dabei war, dürfe glauben, er selbst habe ein Signal gesetzt und die G-8-Regierungschefs dazu gedrängt, sich drei Tage später in Schottland zusammenzusetzen und ein paar afrikanischen Staaten die Schulden zu erlassen. Billiger war soziales Engagement nie zu haben. Dass das Ganze schon vorher beschlossene Sache und auch von den ökonomischen Interessen der G-8-Staaten gedeckt war, spielt ja keine Rolle.
Den internationalen Gläubiger-Konzernen und -Banken nützt die enorm hohe Staatsverschuldung bei den Ärmsten nämlich gar nichts, solange nicht die inländischen Märkte dieser „Entwicklungs“-Länder aufgeknackt, Staatsgeschäfte und vorhandene Rohstoffe in private Hände überführt und sämtliche Ein- und Ausfuhrbeschränkungen beseitigt sind. „Strukturanpassung nach WTO-Kriterien“ heißt das in Gipfel-Speach und ist die Bedingung für jegliche „Afrikahilfe“ seitens der G-8-Nationen. Die paar Milliarden, die das zunächst kostet, fließen eh bald zurück in den Finanzkreislauf und können dann abgeschöpft, eingesackt oder woanders gewinnbringend angelegt werden.
Auch wenn das seit vielen Jahren bekannt ist – von Seattle bis Genua, Göteborg bis Evian, wo die so genannten Globalisierungsgegner zu Hunderttausenden immer wieder lautstark auf diese Zusammenhänge hingewiesen haben. Good old Bono hat die komplizierte Sachgeschichte allen Beteiligten noch einmal genau auseinandergesetzt: „Wir belohnen gute Regierungen und setzen damit die schlechten in den Nachbarstaaten unter Druck. Wenn auch sie ihre Buchführung offen legen und eine Zivilgesellschaft aufbauen mit freier Presse und Bürgerrechten, dann erhalten auch sie mehr Geld vom Westen.“ Will heißen: Bahn frei für die internationalen Konzerne.
Es soll also keiner der dressierten Pop-Affen sagen, er habe nicht gewusst, wofür er da aufgetreten ist, bei diesem galaktischen Spektakel für Freihandel, Privateigentum und das Menschenrecht auf Kapitalismus. Die internationale Show-Elite, und alle, die gerne dazu gehören würden, haben ihren Fans jedenfalls nachhaltig demonstriert, wo und in welcher Weise sie sich und ihre Kunst politisch verorten. In dieser umfassenden Deutlichkeit ist das neu und vermutlich Sinn der Angelegenheit gewesen. Ganz nebenbei: Wesentlicher Inhalt und ästhetische Substanz der monströsen Welt-Hunger-Gala wurden beim Konzert an der Berliner Siegessäule von Brian Wilson auf den Punkt gebracht: Nachdem in der Umbaupause die üblichen Bilder von unterernährten, nackten, afrikanischen Kindern – Fliegen in den Augen usw. – über die Großleinwände geflackert waren, tigerte der etwas dickliche, very old Beach Boy zum Mikrofon und plärrte den weltweit 2 Milliarden Zuschauern seinen größten Hit um die Ohren: „I wish they all could be californian girls“.
Während viele tausend Demonstranten, die wissen, wer die Armut in der Welt tatsächlich zu verantworten hat, zwei Tage später, unter anderem mit der Forderung „Make Capitalism History“, die Straßen von Edinburgh brennen ließen, zeigten sich Bono und Sir Bob an der Seite von Schröder, Bush, Chirac und Blair den internationalen Fotografen und zelebrierten politisches Engagement auf ihre Weise. Die deutsche Pixi-Ausgabe, Campino von den Toten Hosen, war auch in Schottland anwesend, „um Schröder den Rücken zu stärken“, wie es hieß. Er wurde aber ins Nobelhotel von Gleneagles nicht rein gelassen. Draußen im Nieselregen durfte der Düsseldorfer Punkrocker dafür aber in die Tagesthemen-Kamera gegen die Demonstranten schimpfen: Die würden das Benefiz-Großereignis nur dazu benutzen, um Krawall zu machen. Irgendwas hat er da wohl nicht ganz mitbekommen. Sein schottischer Kollege, der Mitorganisator von Live 8, Midge Ure, lag jedenfalls richtiger, als er im Vorfeld des Gipfels auf die Frage, ob er Angst vor einer unfreundlichen Übernahme der Aktion durch gewalttätige Globalisierungsgegner habe, antwortete: „Wieso? Wir übernehmen doch das Event der Anarchisten.“
Die heute grotesker Weise Anarchisten geheißenen politischen Aktivisten, die sich weltweit dagegen wehren, dass multinationale Unternehmensinteressen nationale Gesetze und Völkerrecht überrollen, ließen sich aber keineswegs von den „Heute retten wir die Welt“ spielenden „Masters Of War“ und ihren röhrenden Hirschen vereinnahmen. Das machten sie durch ihre Aktionen in Edinburgh und Gleneagles deutlich.
Am 7. Juli detonierten dann in London die vier Al-Kaida-Bomben und rissen drei U-Bahn-Züge und einen Doppeldecker-Bus in Stücke. Über 50 Tote und viele hundert Verletzte. Mit politischem Widerstand hatte das so viel zu tun wie die Folterpraxis in Guantanamo mit innerer Sicherheit. Nachrichtenmäßig überschattete der Anschlag aber alles andere, auch wenn die Zahl der Opfer in Bagdad an den meisten Tagen als recht gemäßigt gelten würde. Es kam zu den üblichen Betroffenheits-Statements: „feiger Angriff, unschuldige Opfer, infame Bösartigkeit blablabla“, und Schily, im Standby-Modus, faselte auch noch irgendwas vom „Preis einer offenen Gesellschaft“.
Selbst die FAZ musste anderntags feststellen, dass das Mitgefühl mit den Opfern der Anschläge seitens der G-8-Führer merkwürdig dünn rüber gekommen sei. Lag das daran, dass ihnen der Schock, weil es sie diesmal nur um Haaresbreite nicht selbst erwischt hatte, förmlich ins Gesicht geschrieben stand? Oder hatte es mit dem Umstand zu tun, dass nun auch ihre vorher breit ausgewalzte menschliche Barmherzigkeit wegen der 35.000 täglich an Armut Krepierenden, in Anbetracht der gespreizten Worte bei vergleichsweise wenigen Toten, sich als selbstgefällige Heuchelei zu erkennen gab?
Wie auch immer: Sie werden den Terroranschlag ihrer ehemaligen Söldnertruppe wieder dazu benutzen, die bürgerlichen Freiheiten im Inneren einzuschränken und ihre „Krieg gegen den Terror“ genannten militärischen Eroberungsfeldzüge auszuweiten. Same pocedure. Und die Rocker sitzen mit im Boot.