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2005-11-03

nolager bremen & gregor samsa zur wto und heiligendamm

hallo,

im aktuellen november-ak ist unter der überschrift "widersprüche, turbulenzen, opportunitäten" ein artikel zur im dezember anstehenden wto-konferenz in hongkong erschienen:

http://www.akweb.de/

nolager bremen & gregor samsa

der artikel endet mit der überlegung, dass der g8-gipfel in heiligendamm nicht zuletzt dafür genutzt werden könnte, den anti-wto-widerstand auch hierzulande endlich auf breitere & radikalere füße zu stellen. was damit konkret gemeint ist, konnte leider nicht mehr ausgeführt werden, das zulässige zeichenkontingent war einmal mehr erschöpft. das ist der grund, weshalb wir hier den fehlenden absatz (in deutlich erweitertertem umfang!) nachreichen wollen. ziel unserer argumentation ist es nicht, den kampf gegen die wto zu einer art mega- bzw. brücken-thema für die heiligendamm-mobilisierung hochzujubeln. nein, wir möchten lediglich zeigen, inwieweit sich die auseinandersetzung mit der wto im rahmen des g8-widerstands thematisch und politisch geradezu aufdrängt (was auch der grund ist, weshalb wir an mehreren stellen brückenschläge zur inhaltlichen disussion auf dem hamburger treffen vorgenommen haben). im hinblick auf das nächste große treffen in berlin (januar 2006) basteln wir noch an einem etwas anders ausgerichteten diskussionsbeitrag - die wto wird dort nur eines unter mehreren themen sein.

herzliche grüße,

nolager bremen & gregor samsa

zur sache: was haben anti-wto und anti-g8-widerstand miteinander zu schaffen?

a) insofern im rahmen des g8-widerstands kapitalismus (als eines von mehreren herrschaftsverhältnissen) grundlegend in frage gestellt werden soll - wovon wir ausgehen, reicht es unseres erachtens nicht, sich lediglich auf die kernaussage "kapitalismus abschaffen" zu beschränken - so wie das bei der deutschsprachigen schottland-mobilisierung in gewisser hinsicht der fall gewesen ist. vielmehr sollte es auch darum gehen (und das müsste sich sowohl in texten als auch in slogans und forderungen ausdrücken), den kapitalismus konkret und auf der höhe seiner zeit (21 jahrhundert!) zu begreifen - nur so kann er realitätstauglich kritisiert und bekämpft werden. genau hierfür bietet die wto zahlreiche anknüpfungspunkte: denn insbesondere die im zuge des wto-prozesses schritt für schritt durchgeboxten privatisierungen, liberalisierungen und deregulierungen sind es, die das gegenwärtige gesicht des kapitalismus maßgeblich (mit-)bestimmen. klar, die wto ist in diesem prozess nicht der einzige akteur; so sind z.b. die weitgehenden liberalisierungen im kapitalverkehr (stichwort: finanzmärkte) bereits seit den 80-er jahren durchgesetzt worden; und auch gibt es unterhalb des globalen wto-levels ständige bestrebungen, durch regionale und zwischenstaatliche abkommen den handels-, investitions-, dienstleistungs- etc -verkehr zu liberalisieren. dennoch scheint uns die behauptung nicht falsch zu sein, dass die wto schrittmacher und somit kristallisationspunkt dieser prozesse ist. nur was im wto-rahmen nicht durchgesetzt werden kann, wird anderweitig probiert - so wie das z.b. die eu-komission im hinblick auf regionale abkommen zwischen der eu und einzelnen ländergruppen unmissverständlich formuliert: "regionale integration ist daher keine alternative zu multilateraler liberalsierung (= wto) sondern ein komplimentärer prozess. vielfach kann die regionale ebene als testfeld für neue politiken dienen, die - soweit sie erfolgreich sind - auf den multilateralen kontext übertragen werden können." (2004)

b) führt mensch sich die konkreten auswirkungen des globalen (!) wto-prozesses vor augen, wird deutlich, welch' gigantischen destruktionspotentiale jenem als globalisierung titulierten prozess innewohnen, d.h. all denjenigen abläufen, in denen sich der kapitalismus seit etwa 25 jahren (endgültig) globalisiert, nicht nur dadurch, dass (nahezu) sämtliche länder des globus von der kapitallogik immer umfassender durchdrungen werden, sondern auch dadurch, dass die kapitallogik zunehmend in sämtliche bereiche des lebens vordringt, ja bis auf die ebene der gene, etwa bei der patentierung von saatgut. dies sich ungeschminkt klar zu machen, erscheint uns deshalb wichtig, weil daran deutlich wird, welchen politischen drahseilakt die von hanau als zentrales motto stark gemachte formulierung "globalisierung von unten" darstellt. wir möchten das an dieser stelle nicht als absage an ein derartiges motto verstanden wissen, denn im grunde teilen wir die überlegung der hanauer/innen, wonach globalisierung auch emanzipatorische prozesse ermöglicht und es folglich auch angesagt ist, politisch dort anzusetzen, wo widerstand & subversion (stichwort: aneignung) tatsächlich am start sind. und doch: vor dem hintergrund, dass zahlreiche menschen und aktivist/innen - nicht zuletzt im globalen süden - mit globalisierung vor allem akteure wie iwf, weltbank oder wto (samt destruktionspotentialen) verbinden, fragen wir uns, ob es tatsächlich ein politisch kluger schachzug wäre, ausgerechnet den tiger globalisierung in aneignungspraktischer pespektive reiten zu wollen.

c) auch wenn wir eingangs betont haben (und das durchaus ernst meinen), dass es uns nicht darum geht, ‚die' wto als mögliches klammer bzw. brücken-thema hochzujubeln, möchten wir dennoch darauf hinweisen, dass sich hinter dem wörtchen wto eine gigantische themenpalette verbirgt: ob es um agrarische oder nicht-agrarische produkte geht, um dienstleistungen, investitionen oder geistige eigentumsrechte, überall ist die wto mit von der partie. da es bei jeder art von handel immer auch um die frage geht, welche art von entwicklung (ob im süden oder norden) nicht nur möglich, sondern auch gewollt ist, landet mensch in sachen wto schnell bei sehr grundsätzlichen fragen - nicht zuletzt bei der innerhalb der radikalen linken immer noch unterbelichteten problematik ‚ökologischer zerstörungen'. kurzum: so wichtig wir es finden, den g8-widerstand nicht auf einige wenige hauptthemen einzudampfen, langfristig stellt sich eben doch die frage, ob und inwieweit ‚wir' uns durch gemeinsame schwerpunksetzungen ein nach ‚außen' schärferes profil verpassen wollen. um diese frage ging es beim hamburger treffen immer wieder, in diesem sinne wollten wir die wto schon mal jetzt als eine potentielle schnittfläche, an der sich viele leute mit ihren jeweils eigenen themen einbringen könnten, vorgemerkt haben.

d) die politische auseinandersetzung mit der wto könnte auch für ein weiteres, in hamburg ebenfalls mehrfach zur sprache gekommenes problem produktive (lösungs-)perspektiven eröffnen. die wto betrifft (anders als z.b. die schuldenproblematik) menschen weltweit: ob in indonesien, deutschland oder polen, überall werden jahr für jahr millionen kleinbäuer/innen ‚freigesetzt', d.h. ihrer existenzgrundlagen beraubt; von der privatisierung des wassers könnten früher oder später überall auf der welt arme menschen negativ betroffen sein; gleiches gilt für die zunehmende privatisierung von bildung oder gesundheitsdienstleistungen. konkret heißt das: der kampf gegen die wto droht nicht zum stellvertreter-kampf zu werden, er kann (bzw. könnte) auch hierzulande an konkrete praktische kämpfe anknüpfen. wir schätzen dieses argument, und doch möchten wir zu bedenken geben, dass es nur präzise bzw. dosiert eingesetzt werden sollte. denn einerseits fänden wir es falsch, würden die zum teil riesigen unterschiede einfach eingeebnet werden; so bedeutet landverlust für menschen in mali oder in indien nicht selten den kompletten verlust ihrer ernährungssouverenität und somit unterernährung oder hunger; das ist zum glück in europa (noch) nicht der fall. andererseits gefällt uns das stellvertreter-argument überhaupt nicht: denn im kern besagt es, dass solidarität mit dritten fast schon gleichbedeutend mit stellvertreterpolitik sei und folglich mehr oder weniger automatisch in karitativen paternalismus à la brot für die welt abgleiten müsse (auch in hamburg wurde nicht nur einmal so argumentiert). demgegenüber möchten wir ein politisches verständis von solidarität stark machen, das unter solidarität nicht hilfsflüge, bevormundung und andere schweinerein versteht, sondern politische kooperation auf gleicher augenhöhe - im gemeinsamen kampf für eine andere welt, d.h. für weltweite gerechtigkeit.

e) eine bezugnahme auf anti-wto-kämpfe hätte auch zur konsequenz, dass mensch es im globalen rahmen vor allem mit (thematisch ausdifferenzierten) sozialen bewegungen zu tun hätte - und nicht so sehr mit nationalen befreiungsbewegungen. einerseits würden wir das als handfesten politischen vorteil bezeichnen, denn in vielerlei hinsicht teilen wir die in hamburg gegenüber so genannten nationalen befreiungsbewegungen geäußerten vorbehalte, auch wenn wir finden, dass die kritik mitunter viel zu pauschal und oberflächlich ausgefallen ist und außerdem viel zu wenig den umstand berücksichtigt hat, dass die nationale rahmung politischer kämpfe nicht selten ein durch die ‚realität' aufgeherrschter sachverhalt ist; an dieser stelle sehen wir mit anderen worten noch großen diskussionsbedarf. andererseits ist uns die feststellung, dass der globale anti-wto-kampf politische allianzen quer zur nationalstaatlichen organisationslogik ermöglicht, deshalb wichtig, weil genau dies viel zu häufig unter den tisch fällt. dieser punkt hat uns nicht nur in hamburg irritiert, sondern auch in dem vor einigen tagen über die mailing-liste verschickten positionspapier der "inhalte-ag des g8-plenums mannheim-heidelberg". dort wird sich zwar von nationalen befreiungsbewegungen und antiimperialistischen unterstützer/innen genauso abgegrenzt wie vom "konzept des internationalismus", es wird allerdings kein wort darüber verloren, dass es in den ländern des südens x mal mehr soziale bewegungen als nationale befreiungsbewegungen gibt (nebst komplexer überschneidungen!) und dass sich deshalb die diesbezüglichen (allianz/kooperations-)fragen eigentlich nochmal ganz anders darstellen, als das im allseits bekannten schlagabtausch zwischen so genannten anti-imps und ihren kritiker/innen der fall ist. am ende hilft hier nur, jedenfalls in unseren augen, die konkrete, d.h. auf bestimmte länder und bewegungen gemünzte diskussion weiter - ohne dass das allerdings in einen durch europäische aktivist/innen vorgenommenen polit-tüv verkommen sollte.

f) mehrmals wurde auf dem hamburger treffen die meinung vertreten, dass hinsichtlich so genannter nord-süd-themen das politische feld bereits derart von ngo's zugestellt bzw. besetzt sei, dass es kaum noch möglich wäre, sich diesbezüglich von linksradikaler seite aus mit eigenen positionen zu profilieren. wir teilen dieses argument aus sehr grundsätzlichen erwägungen nicht. denn der umstand, dass sich in bestimmten feldern viele ngo's tummeln, ist aus unserer sicht zuallererst als chance zu begreifen (im sinne breiterer bündnisse und relativ größeren politischen drucks), und trotzdem heißt das noch lange nicht, dass mensch aufhören könnte, selber zu denken, zu schreiben und zu handeln. denn lobbyismus (wie ihn viele ngo's betreiben) hat in inhaltlicher hinsicht stets sehr klare grenzen - das geht gar nicht anders. bestimmte (radikale) perspektiven können folglich nur von sozialen bewegungen stark gemacht werden, hier gibt es also überhaupt keinen grund, sich zu verkriechen. was das konkret heißt, kann am beispiel der wto bestens illustriert werden: wir hatten es unter c) schon gesagt, handels- und verwandte themen werfen immer auch grundsätzliche fragen (inklusive antworten) auf: so gibt es z.b. viele ngo's, die in sachen wto einen gerechten welthandel fordern. dem stehen andere ngos sowie soziale bewegungen gegenüber, die die meinung vertreten, dass es unter kapitalistischen vorzeichen für länder aus dem süden gar keinen gerechten handel geben könnte. sie machen sich stattdessen das von walden bello & co vertretene konzept der de-globalisierung zu eigen: danach sei es für länder aus dem globalen süden angezeigt, sich aus der derzeit herrschenden weltmarkteinbindung (inklusive primärer exportorientierung) zu lösen und stattdessen regionale wirtschaftstrukturen (durchaus im transnationalen rahmen) zu stärken. die perspektive von de-globalisierung geht außerdem mit der forderung nach landreform, umverteilung des reichtums, qualitativem statt quantiativem wachstum, ökologischer ausrichtung der produktion etc. einher, denn letztlich sind auch die länder des globalen südens hundsgemeine klassengesellschaften - einschließlich der einschlägigen interessen auf seiten der herrschenden klassen! für den anti-g8-widerstand heißt das also, dass es durchaus zahlreiche möglichkeiten gibt, sich mit grundlegender analyse und kritik in sachen wto zu wort zu melden.

g) ein letzter gedanke: die ministerkonferenz der wto findet alle 2 jahre statt. auch wenn derzeit nicht absehbar ist, was aus der minister-konferenz im dezember in hongkong werden wird, so ist es dennoch wahrscheinlich, dass es auch 2007 (wahrscheinlich nach dem g8-gipfel) eine wto-konferenz stattfinden wird. hieraus könnten sich politisch interessante szenarien und perspektiven ergeben!

wir möchten es hiermit auf sich beruhen lassen. wie gesagt - wir wollten in diesem diskussionbeitrag nur einige der möglichen schnittstellen zwischen anti-g8- und anti-wto-widerstand ausloten. mehr und anderes soll beizeiten ebenfalls noch aufgeschrieben und rumgeschickt werden...