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2005-11-30

hallo,

vor 2 wochen (16.11.) hat die "inhalte-ag des g8-plenums mannheim-heidelberg" ein längeres diskussionspapier über die mailing-liste verschickt. konkret wird sich dort mit den pga-hallmarks auseinandergesetzt. wir schätzen dieses vorgehen, wird doch so endlich der raum für die am ende des hamburger treffens eingeforderte debatte über die pga-hallmarks und somit das selbstverständnis ‚unseres' bündnisses eröffnet. und doch: inhaltlich haben wir in mancherlei hinsicht bauchschmerzen mit den von den m-h/innen formulierten positionen.

nolager bremen

einige unserer einwände haben wir bereits in unserem gestern verschickten papier zu g8 und wto am rande angedeutet. wir möchten heute eine weitere anmerkung machen. wieder wird's nur um einen einzelnen aspekt gehen, einfach deshalb, weil wir nicht zu jedem der von den m-h/innen angesprochenen positionen einen gemeinsamen diskussionsstand haben.

relativ zu beginn setzten sich die m-h/innen mit dem themen-komplex (anti-)imperialismus & nationale befreiungsbewegungen auseinander. nicht unerwartet (nimmt mensch die auf dem hamburger treffen gelaufenen diskussionen als bezugspunkt) fällt dieser part äußerst kritisch aus. unmittelbar im anschluss an diesen abschnitt heißt es sodann:

"auch das konzept des internationalismus lehnen wir ab, da es sich positiv auf die idee nation bezieht, die als prinzip wiederum diskriminierungen durch exklusion beinhaltet. das konstrukt der nation und der dazu notwendige nationalismus verhalten sich daher diametral zu unserer position."

so sehr wir die anti-nationale perspektive im grundsatz teilen, die art und weise, wie diese unmittelbar mit dem so genannten "konzept des internationalismus" kurzgeschlossen wird, hat uns, gelinde gesagt, die schuhe ausgezogen - auch wenn uns die postion selbst bereits vom hamburger treffen bekannt war. das ist nicht polemisch oder gar unfreundlich gemeint, wir wollen hiermit vielmehr eine deutliche inhaltliche differenz markieren - eine differenz, die wir jedoch - jedenfalls an dieser stelle - gänzlich (!) von der debatte um (anti-)imperialismus & nationale befreiungsbewegungen entkoppelt wissen wollen.

was ist unser problem? unseres erachtens gibt es kein "konzept des internationalismus". was es gibt, ist vielmehr eine lange und äußerst vielschichtige, ja heterogene geschichte der internationalismusbewegung. das ist etwas völlig anderes, ja, das ist der unterschied ums ganze! die geschichte der ‚neuen' internationalismusbewegung - im unterschied zur geschichte der diversen kommunistischen internationalen - beginnt in den metropolen des nordens spätestens in den 60-er jahren; in gewisser hinsicht könnte mensch auch die in den 50-er jahren entstandenen solidaritätsbewegungen anlässlich des algerienkriegs, der kubanischen revolution oder des antikolonialen unabhängigkeitskampfes im kongo als wiege des ‚neuen' internationalismus bestimmen. die internationalismusbewegung hat in ihrer rund 40-jährigen geschichte zahlreiche (auch antinational inspirierte) wandlungs- und häutungsprozesse durchlaufen. vieler dieser weiterentwicklungen und veränderungen sind das produkt von erfahrungen und debatten sowohl innerhalb der einzelnen strömungen des internationalismusspektrums als auch zwischen ihnen gewesen. konkret lassen sich mindestens 4 strömungen unterscheiden: christlich-humanistische strömungen (woraus u.a. die welt-läden hervorgegangen sind), traditionelle-linke gruppen (dkp etc.), undogmatische linke strömungen (wofür mehr oder minder die mitgliedsgruppen des buko standen) und sozialrevolutionäre ansätze. zu nennen wären außerdem die anti-imperialistischen gruppen (auch die, die im bewaffneten kampf steckten), wobei hierzu anmzumerken ist, dass sich anti-imperialistischen zusammenhänge häufig vom internationalismus abgegrenzt haben - was natürlich nicht ausschließt, dass die übergänge in personeller, inhaltlicher und praktischer hinsicht fließend gewesen sind.

kurzum: wer a-historisch vom "konzept des internationalismus" spricht, entledigt sich mit einem federstrich (stichwort: "lehnen wird ab") einer der größten und wirkmächtigsten sozialen bewegungen der neuen (nicht zuletzt radikalen) linken in den vergangenen 40 jahren. unser problem damit ist nicht, dass das ungebührliches verhalten gegenüber den ‚alten' wäre - oder ähnlicher unsinn. unser problem ist vielmehr, dass mensch sich hierdurch ein äußerst reichhaltiges reservoir konkreten bewegungswissens, d.h. konkreter politischer, praktischer und sozialer erfahrungen durch die lappen gehen lässt, sich also auch um die chance bringt, an diesem reservoir zu partizipieren und auf diese weise wichtige schlussfolgerungen für seine bzw. ihre kämpfe im hier und jetzt zu ziehen.
dies formulieren wir insbesondere im hinblick darauf, dass viel von dem, was heute am so gennanten internationalismus kritisiert wird (häufig ohne wirkliche kenntniss der damaligen gesellschaftlichen situationen), bereits innerhalb der internationalistischen bewegung selbst massiv und erfahrungsaufgeladen kritisiert wurde und folglich immer wieder zu richtungsänderungen, weiterentwicklungen, spaltungen u.ä. geführt hat. wir möchten ein winziges beispiel nennen: in der nicaragua-solidarität, die eine der größten solidaritätsbewegungen in den 80-er jahren gewesen ist, hat die kritische auseinandersetzung mit der zum teil äußerst repressiven politik der sandinist/innen gegenüber der indigenen bevölkerung eine absolut zentrale rolle gespielt. die kritik an der logik nationaler oder ethnisch begründeter ausschlussmechanismen ist mit anderen worten nichts, was erst von ‚außen' - 20 jahre später - hätte formuliert werden müssen; es ist stattdessen etwas gewesen, das sich im konkreten solidaritätsalltag von selbst aufgedrängt hat - schließlich sind seinerzeit mit den solidaritätsbrigaden etwa 15.000 (!) aktivist/innen v.a. aus westeuropa in nicaragua gewesen.

dass internationalismus heute von vielen aktivist/innen als nationaler schmarren abgetan wird, ist unseres erachtens überwiegend diskusartefakt, d.h. ergebnis einer unter anti-nationalen (und anderen) vorzeichen mehr oder weniger a-historisch operierenden kritik an irrtümern, fehlern und fehlentwicklungen innerhalb linker internationalistisch ausgerichteter bewegungen in den vergangenen 40 jahren. ein zentrales problem scheint uns hierbei nicht zuletzt eine sachlich falsche und politisch unproduktive engführung zu sein: auch wenn den meisten durchaus klar sein dürfte, dass es beträchtliche unterschiede zwischen internationalistischen strömungen (wozu z.b. auch der sozialrevolutionäre anti-imperialismus der rz in den 80-er jahren gehörte) und einem im kielwasser der raf daherkommenden anti-imperialismus gab, wird die debatte um die geschichte internationalistischer/antiimperialisitischer solidarität immer wieder - so auch in hamburg - auf die frage "kritik an (anti-)imperialismus und nationalen befreiungsbewegungen" reduziert. zum einen hat das damit zu tun, dass es an diesem punkt auch heute noch reale politische konflikte gibt - wobei diese unseres erachtens auch anders verhandelt werden könnten, als das häufig der fall ist. zum anderen spielt hierin besagte geschichtsvergessenheit in sachen ‚internationalismusbewegung' eine wichtige rolle (eine geschichtsvergessenheit im übrigen, deren tiefere ursachen zu ergründen, eine durchaus spannende angelegenheit sein dürfte).

vor diesem hintergrund möchten wir alle einladen, sich an einer kritischen (wieder)aneignung der geschichte internationalistischer bewegung(en) zu beteiligen. wir glauben, dass dies in politischer hinsicht eine absolute wohltat für unser ja erst am anfang stehendes bündnis wäre!!! im bremer anti-g8-bündis haben wir mit dieser aneignung bereits begonnen. wir schicken deshalb im anhang dieser mail 5 texte mit rum, von denen wir glauben, dass sie für die debatte hilfreich sein könnten. die texte sind allesamt in der alaska, der zeitschrift des buko erschienen (im untertitel definiert sich die alaska als "zeitschrift für internationalismus", sie schmückt sich außerdem mit den adjektiven "internationalistisch, feministisch, links, anders"). konkret geht es um folgende artikel:

* 1. bernd hüttner, hoch die...die geschichte der internationalismusbewegung in der brd bis 1992, alaska nr 223, dezember 1998
* 2. redaktion alaska, 150 west - 60 nord. eine standortbestimmung jenseits des neuen internationalismus, alaska nr. 223, dezember 1998
* 3. moe hierlmeier, wer stets das gute will. zur kritik des alten internationalismus, alaska 227, august 1999
* 4. moe hierlmeier, times they are a changing' - (k)eine nostalgie. internationalismusbewegung im wandel, alaska 238, frühjahr 2003
* 5. annette massmann/dima zito, hoch die internationale solidarität. zur geschichte des nicaragua-infobüros, alaska 238, frühjahr 2003

wenn wir von politischer wohltat sprechen, dann meinen wir folgendes: eine präzise, historisch einigermaßen informierte aneigung internationalistischer geschichte ist unseres erachtens geeignet, kenntnis und verständis unterschiedlicher konzepte & selbstverständnisse innerhalb der internationalismusbewegung zu befördern. diese (und andere) konzepte & selbstverständnisse kontrovers zu diskutieren, ist das, was in unseren augen absolut not tut! denn erst von einer solchen (bewegungshistorisch inspirierten) selbstvergewisserung aus lässt sich einigermaßen sinnvoll bestimmen, was ‚wir' mit ‚unserer' 2007-mobilisierung überhaupt erreichen wollen. und haben wir das erst einmal präzise benannt, dürfte es auch ein leichtes sein, sich terminologisch zu einigen, d.h. zu bestimmen, ob wir das kind als ‚internationalismus', ‚globalisierungskritik', ‚globaler widerstand von unten' oder wie auch immer bezeichnen möchten.

herzliche grüße,

nolager bremen