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2005-12-14

nolager bremen: input-papier zum anti-g8-vorbereitungstreffen in berlin (6. - 8. januar 2006)

zweimal hatten wir uns schon zu wort gemeldet: einmal zu "wto & g8" und einmal zu "internationalismus" - einschließlich einer kleinen textsammlung zur geschichte der bundesdeutschen internationalismusbewegung (diese textsammlung ist wie vieles andere auf folgender website dokumentiert: www.gipfelsoli.org). heute hingegen möchten wir etwas allgemeiner werden, nicht im analytischen schweinsgalopp einmal rund um den globus. nein, unser anliegen ist vielmehr, einige der fragen näher zu beleuchten, von denen wir denken, dass sie für den fortgang der inhaltlichen debatte in nächster zeit von belang sein könnten. in diesem sinne werden wir uns immer wieder auf einige der bereits über die mailing-liste verschickten texte beziehen.

nolager bremen

1. ausgangspunkt: "internationalismus neu begründen!"

bereits auf dem hamburger treffen hatten wir uns (als eine von mehreren gruppen) dafür ausgesprochen, die kommende g8 2007-mobilisierung als chance für eine neubegründung internationalistischer politik zu begreifen, und zwar unter berücksichtigung sowohl der irrtümer als auch der stärken internationalistischer organisierungen in den vergangenen 40 jahren. da in sachen "internationalismus" seit dem hamburger treffen einiges auf der g8-mailing-liste geschehen ist (ausgehend von einem papier der "inhalte-ag des g8-plenums mannheim-heidelberg"), möchten wir die debatte an dieser stelle nicht wieder aufnehmen. wir möchten stattdessen eine (mittel-)kurze bestimmung davon geben, was wir meinen, wenn wir von internationalistischer politik sprechen. uns scheint das sinnvoll zu sein, lassen sich doch daraus kriterien für die debatte um die thematische, organisatorische und praktische ausrichtung des g8-widerstands gewinnen. konkret: wenn wir von internationalismus sprechen, geht uns nicht um die zärtlichkeit zwischen nationen & völkern oder ähnlichen anti-emanzipatorischen schmarrn. nein, wir haben vielmehr eine bestimmte haltung im auge:
a) analyse, praxis und organisierung linker politik sollte immer schon global angelegt sein. aus internationalistischer perspektive (jedenfalls in unseren verständnis) ist der nabel der welt die welt selbst.
b) die verschiedenen, weltweit auszumachenden ‚probleme' dürfen nicht als einzelmisstände interpretiert werden, die je einzeln zu ‚bearbeiten' wären. sie sind stattdessen als ausdruck unterschiedlicher, wechselseitig und global verschränkter herrschaftsverhältnisse zu begreifen. dies gilt es stets im hinterkopf zu behalten, auch dann, wenn mensch sich aus pragmatischen gründen auf bestimmte ‚themen' konzentriert.
c) es gibt keinen privilegierten standpunkt für die erkenntnis und veränderung globaler verhältnisse, d.h. niemand - ob im süden oder norden - sollte für sich in anspruch nehmen, wichtigere kämpfe als andere auszufechten. einzig auf der basis global vernetzter erkenntnis-, organisierungs- und widerstandsprozesse kann die herrschende welt aus den angeln gehoben werden.
d) viele der unmittelbaren problemlagen existieren im norden und süden gleichermaßen, das ist ein direkter effekt kapitalistischer globalisierung. exemplarisch seien die systematische zerstörung der existenzgrundlagen von kleinbäuerinnen und -bauern, die privatisierung von wasser, bildung, gesundheitsdienstleistungen etc. und die verschuldungsspirale öffentlicher haushalte genannt. und doch: so sehr die strukturellen gemeinsamkeiten herauszustellen und zur grundlage gemeinsamer kämpfe zu machen sind, die meist nicht minder großen niveau-unterschiede dürfen auch nicht aus den augen verloren werden. denn letztlich führt kein weg an der einsicht vorbei, dass dem globalisierten kapitalismus strukturelle interessensgegensätze (inklusive tiefgreifender ausbeutungsverhältnisse) zwischen norden und süden innewohnen - eine feststellung, die das wissen darum einschließt, dass die peripherisierung auch im norden voranschreitet, so wie umgekehrt, die interessensgegensätze im süden ebenfalls immer schärfer werden. den nord-süd-interessensgegensatz anzuerkennen, heißt indessen nicht, sich (schuldgequält) nur noch für die kämpfe des südens solidarisch in's zeug werfen zu müssen. angesagt ist vielmehr, einen solidaritätsbegriff zu entwickeln, der solidarität als gleichberechtigte politische kooperation jenseits von paternalistischer dominanz, karitativem unterstützungseifer und unkritischer glorifizierung sozialer (bzw. nationaler befreiungs-)bewegungen im süden begreift. nur so können niveau-unterschiede (und andere differenzen) im direkten kontakt zwischen nördlichen und südlichen bewegungsaktivist/innen offen kommuniziert und daraus gemeinsam die erforderlichen (ggf. auch programmatischen) schlussfolgerungen gezogen werden.
e) internationalismus ist ein offensiver, auf die aneignung globaler rechte (s.u.) abzielender kampf. die wahl der mittel ergibt sich einzig aus den jeweils konkreten gesellschaftlichen umständen.
f) last but not least: wie mensch das eben skizzierte verständnis bezeichnet, ist uns in letzter konsequenz egal: wir favorisieren zwar den begriff internationalismus, einfach deshalb weil es ein bewegungshistorischer aufgeladener begriff ist und weil wir glauben, dass um die jeweilige bedeutung von begriffen ohnehin ein ständiger kampf tobt, aber wir können auch andere positionen akzeptieren.

2. thematische ausrichtung des anti-g8-protestes

a) auf dem weg zum gemischtwarenladen: eine debatte um die thematische ausrichtung oder gar zuspitzung des anti-g8 2007-widerstands kann unseres erachtens nur sinnvoll geführt werden, wenn mensch sich zunächst einmal die gesamte palette möglicher thematischer anknüpfungspunkte vor augen führt. das mag simpel anmuten (zumal wir ja in hamburg bereits damit begonnen hatten), aber in unseren augen ist ein derartiges vorgehen geradezu notwendig, hilft es doch, voreilige engführungen zu vermeiden. in diesem sinne haben wir einige themen wild (!) zusammengestellt, die liste ist sicherlich nicht vollständig:

krieg/bürgerkrieg, iwf/weltbank (verschuldung & strukturanpassungsprogramme), wto (privatisierung, liberalisierung und deregulierung), slum-cities/stadt-land-migration (1 milliarde menschen leben weltweit in sog. slum cities), ressourcen-kämpfe (wasser, strom, saatgut, boden etc.), flucht & migration vs. migrationspolitik/rassistische ein- und auschlüsse, hunger (kapitalistische agrarindustrie vs. ernährungssouverenität), krankheit & gesundheit (zugang zu medikamenten etc.), gesellschaftliches naturverhältnis (ökologische zerstörungen, ressourcenverbrauch, verlust von biodiversität), destruktionstechnologien (atom, gentechnologie, waffen etc.), patriarchale geschlechterverhältnisse & globalisierung, neoliberale umstrukturierung der arbeitswelt (prekarisierung/informelle schatten-ökonomien), antisemitismus, faschismus und weitere, reaktionäre ideologien/organisierungen (mit kapitalistischer globalisierung als zusätzlichem nährboden), ausbau staatlicher repressionsapperate (antiterrorabwehr, umstrukturierung urbaner räume etc.), abbau staatlicher sozial- und infrastrukturleistungen, usw. usf.

wir fänden es politisch wichtig, wenn möglichst viele, ja alle dieser (und weiterer) themen platz im anti-g8-bündnis bekämen. ja, wir denken, dass es angesagt ist, gruppen und netzwerke, die zu einzelnen dieser themen arbeiten, gezielt anzusprechen bzw. zu gewinnen. das ist im übrigen auch auf soziale bewegungen im globalen süden gemünzt, selbst wenn es diesbezüglich nur eingeschränkte kooperationsmöglichkeiten gibt (hierüber würden wir uns gerne intensiver austauschen - erinnert sei nur an die indische bauern- und bäuerinnen-karawane 1999). klar sollte allerdings auch sein, dass solche themen nicht nur schlicht addiert werden sollten, sie müssen vielmehr als ausdruck unterschiedlicher herrschaftsverhältnisse systematisch aufeinander bezogen werden. wir wissen selbst, dass das nicht immer einfach ist, schließlich ist sozialer widerstand keine seminarveranstaltung. aber eine balance sollte doch gehalten werden. wir finden (als einer von mehreren kritikpunkten), dass dies im kölner aufruf-entwurf überhaupt nicht geglückt ist: dieser wirkt auf uns bestenfalls wie ein brainstorming. was wir absolut vermissen, sind roten fäden, gewichtungen und kristallisationspunkte.
einzig: selbst wenn mensch viele dieser themen kompetent in unserer organisierung unterbringen und außerdem einigermaßen gehaltvoll miteinander kurzschließen würde, es bliebe die frage, wie das ganze zugespitzt werden könnte - eine frage, die uns ja das gesamte hamburger treffen über begleitet hat. im lichte der vielfalt und jeweiligen bedeutsamkeiten der oben aufgelisteten themen (und im lichte davon, dass sie alle einen klaren bezug zu g8 aufweisen) denken wir nicht, dass es sachlich gerechtfertigt wäre, bestimmte themen eigens herauszuheben. deshalb können wir dem von den hanuer/innen gemachten vorschlag nicht zustimmen (auch wenn er nah an unserer eigenen politischen ausrichtung liegt), "aneignung, migration und prekarisierung" als richtungsweisenden untertitel einer gemeinsamen anti-g8-organisierung zu wählen: über das konzept "aneignung" gibt es zwar brückenschläge zu allen möglichen themen (da stimmen wir hanau zu - s.u.), indem das aber rückgebunden wird an prekarisierung und migration, findet letztlich doch eine thematische engführung statt, bei der vieles anderes, nicht minder bedeutsames außen vor bleiben würde (und das sagen wir durchaus im wissen darum, dass sich die hanauer/innen für einen analytisch breit ausgefächerten prekarisierungsbegriff stark machen). hieraus folgt für uns, dass wir uns auf dieser ebene eher für den thematischen (ursprünglich von uns ja ebenfalls verschmähten) gemischtwaren-laden aussprechen möchten. das problem der thematischen zuspitzung (und somit klareren profilierung nach ‚innen' und ‚außen') muss demgegenüber anders gelöst werden.

b) vom gemischtwarenladen zur thematischen klammer "globale rechte aneignen!": statt uns auf die suche nach einer thematischen zuspitzung zu begeben, möchten wir vorschlagen (so wie es bereits in der einladung für das berliner treffen formuliert ist) mit einer art trans-thematischen klammer zu experimentieren: diese klammer sollte einerseits hinreichend allgemein sein, so dass sich möglichst alle themen darunter versammeln lassen, andererseits sollte die klammer eine politisch eindeutige bestimmung haben. denn beabsichtigt ist ja nicht, werbepsychologisch geschickt alle unsere themen unter einen hut zu kriegen; ziel ist es vielmehr - jedenfalls in unseren augen - einen kristallisationspunkt zu finden, mittels dessen sich die unterschiedlichen themen & kämpfe inhaltlich auf einen gemeinsamen nenner bringen und somit - trotz vielfalt - politisch überzeugend nach ‚außen' und ‚innen' vermitteln lassen.
konkret möchten wir als eine solche klammer das motto "globale rechte aneignen!" vorschlagen. wir begreifen diesen vorschlag als (experimentelle) alternative zum bereits in hamburg intensiv diskutierten konzept der hanauer/innen: "globalisierung von unten. angeignung - migration - prekarisierung". das politische hantieren mit globalen (sozialen und anderen) rechten ist innerhalb der radikalen linken eher eine jüngere erscheinung. in der antirassistischen linken ist es zwar schon seit längerem üblich - stichwörter wären "gleiche rechte für alle", "recht auf globale bewegungsfreiheit" oder "recht auf rechte", auch in der debatte um bedingungsloses grundeinkommen spielt der bezug auf "globale soziale rechte" nicht erst seit vorgestern eine zentrale rolle; doch grundsätzlich dürften es erst die letzten 1-3 jahre gewesen sein, in denen die rede von "sozialen rechten" - meist im direkten zusammehang mit "aneignungskämpfen" - fuß innerhalb größerer teile der radikalen linken gefasst haben. als exemplarische stichwörter seien die umsonst-kampagnen (inklusive "yomango"), der buko in kassel mit dem titel "aneignung - das ende der bescheidenheit", die gesellschaft für legalisierung oder die euromayday-parade in hamburg unter dem motto "ein sonntag für globale rechte" genannt.
uns ist durchaus bewusst, dass es trotz dieser aktuellen entwicklungen weiterhin starke vorbehalte gegen das politische operieren mit globalen (sozialen und anderen) rechten gibt. viele denken bei "rechten" sofort an den staat oder supra-staatlichen organisationen wie die uno, an die mensch sich bittstellend zu wenden habe, sobald globale (soziale und andere) rechte als forderung formuliert würden. allein: wir denken, dass diese spontane staats-assoziation weniger mit der logik globaler rechte selbst zu tun hat als vielmehr mit einem nicht-politischen (mainstream-)verständnis von rechten. denn rechte sind nichts, was mensch einfach hätte (qua menschlicher geburt), rechte müssen erkämpft werden. der grad ihrer verwirklichung - so medico international in einem papier - unterliegt der dynamik des sozialen und geschichtlichen kontextes und somit konkreten gesellschaftlichen kräfteverhältnissen. ablesbar ist dies am einfachsten daran, dass viele rechte das papier nicht wert sind, auf dem sie festgehalten werden. in diesem sinne möchten wir für ein politisches verständis in sachen globaler rechte werben: globale rechte sind nichts, was einfach einklagbar wäre (die klage ist allenfalls ein element der politischen strategie, nämlich dann, wenn bestimmte rechte bereits schriftlich fixiert sind). globale rechte sind vielmehr etwas, das es zu erkämpfen gilt. sie werden mit anderen worten wirklichkeit, insoweit es gelingt, sich das dauerhaft (!) anzueignen, was einer/m zusteht.
"globale rechte aneignen!" ist nicht nur eine offensive forderung, sie geht auch ins grundsätzliche. dirk hauer hat das aus anti-kapitalistischer perspektive in einem thesenpapier unter dem titel "wir wollen alles - supermärkte und bäckereien" pointiert auf den punkt gebracht: "worum es in einer linken aneignungsperspektive vielmehr gehen muss, ist die kollektive (wider-)aneignung des eigenen lebens, d.h. der bruch mit der kapitalistischen herrschaft und kontrolle über unsere tätigkeiten, unsere zeit, unsere bedürfnisse (...) ‚aneignung der arbeit' als aneignung der eigenen existenzbedinungen, als kampf gegen die herrschaft und kontrolle im arbeitsprozess, in den arbeitsbedingungen, in der arbeitsorganisation, im technikeinsatz."
wir denken, dass sich sämtliche der oben aufgelisteten themen mehr oder weniger bruchlos auf je konkrete (!!!) globale rechte beziehen und außerdem - so denn gewollt - in entsprechende richtungsforderungen übersetzen lassen, ganz gleich, ob es sich um das recht auf wasser, das recht auf grundeinkommen, das recht auf unversehrheit, das recht auf körperliche selbstbestimmung, das recht auf medizinische versorgung, das recht auf globale bewegungsfreiheit oder was auch immer handelt. wie flexibel das rechte-konzepte ist, zeigt sich auch daran, dass andere netzwerke und bewegungen ebenfalls damit arbeiten: so fordert via campensina (ein weltweites netzwerk von kleinbauern und -bäuerinnen, landlosen und landarbeiter/innen mit ca. 200 millionen mitgliedern) schon seit langem das recht auf ernährungssouveränität. es versteht darunter nicht nur das recht auf nahrung, sondern auch freien zugang zu den für die selbstbestimmte nahrungsproduktion erforderlichen ressourcen, insbesondere land, wasser und saatgut.

c) patriarchale geschlechterverhältnisse: der umgang mit diesen scheint uns auch im neuen jahrtausend mehr als unausgegoren zu sein. zwar bestreitet niemand, dass es sich um ein zentrales herrschaftsverhältnis handelt, aber passieren tut im regelfall wenig - eigentlich nur dann, wenn auf der ‚persönlichen' ebene wieder mal ‚etwas' vorgefallen ist. auf der politischen ebene hingegen wird das thema meist dadurch (ruck-zuck) abgehanelt, dass die besondere auswirkung von herrschaftsverhältnissen auf frauen beschrieben wird (was im übrigen immer unterstellt, dass die norm männlich ist). hintergrund davon ist, dass frauen gemeinhin für kinder und andere reproduktive aufgaben zuständig sind und deshalb meist einer spezifischen situation unterliegen, sei es in der migration, im falle der privatisierung von wasser oder der streichung von lebensmittelsubventionen im zuge eines iwf-strukturanpassungsprogramms (um nur einige beispiele zu nennen). sachlich sind das zweifelsohne richtige aussagen, insofern ist es auch richtig, dass sie eigens genannt werden, dennoch finden wir es falsch, dass zu selten erwähnt, geschweige denn politisch ausbuchstabiert wird, dass dies mit einer bestimmten geschlechtlichen arbeitsteilung und somit patriarchalen geschlechterverhältnissen zu tun hat, einem verhältnis, wo der mann ja ebenfalls eine ‚besondere' position innehat. hierfür hat sich schon seit längerem der begriff des "strategischen schweigens" etabliert: mensch weiß zwar um ‚etwas' bestens bescheid, thematisiert ‚es' aber trotzdem nicht, mit dem effekt, dass dieses ‚etwas' zunehmend in der versenkung verschwindet und darin eine art zweite naturalisierung erfährt ("zweite naturalisierung" deshalb, weil es ja um die politische, d.h. gender-kritische thematisierung der reproduktionssphäre schon einmal wesentlich besser gestanden ist). unter'm stich kann das zu durchaus paradoxen situationen führen. zwei beispiele:
a) im kölner papier wird den patriarchalen geschlechterverhältnissen eine ganze menge platz eingeräumt - was wir natürlich gut finden. am ende des aufrufentwurfs ist jedoch lediglich von "g8 verhindern - kapitalismus abschaffen - soziale revolution weltweit" die rede. hier fordert also das strategische schweigen auf der ebene der forderungen doch noch seinen tribut. für uns ist das mehr als ein missgeschick, wir sehen darin eine klare thematische prioritätensetzung, die wir auch als relativierung der geschlechterbezogenen abschnitte im aufrufentwurf interpretieren. b) auch im six hills-papier wird den patriarchalen geschlechterverhältnissen eine erklärtermaßen große bedeutung eingeräumt. dennoch reproduziert six hills (sicherlich ungewollterweise) die leerstellen, die das strategische schweigen innerhalb linker mainstream-kapitalismus-analysen hinterlassen hat: dort, wo six hills den globalisierten kapitalismus analysiert, werden die patriarchalen geschlechterverhältnisse nicht mit einem wort erwähnt. das aber führt in die irre, denn die weltweit vorangetriebenen liberalisierungs-, deregulierungs- und privatisierungsregime nehmen die patriarchalen geschlechterverhältnisse nicht nur als eine ihrer zentralen (aber ungenannten) voraussetzungen in regie, sie modeln sie auch grundlegend um - im süden wie im norden. wir möchten an diesem punkt stellvertretend arianne brenssell zitieren, die das bereits vor 5 jahren in einem iz3w-sonderheft zur "zwischenbilanz der globalisierungskritik" mit deutlichen worten benannt hat: "begleitet vom umbau der staatlichen und überstaatlichen institutionen und arrangements - abbau des sozialstaats, privatisierung der öffentlichen aufgaben und zuständigkeiten - kommt es zu nachhaltigen verschiebungen zwischen öffentlichen und privaten sowie zwischen profit- und non-profit-bereichen, die das soziale ökonomisieren und es effizienzkriterien unterwerfen. was diesen kriterien nicht unterworfen werden kann, wird noch weiter ins gesellschaftliche abseits katapultiert. damit sind diese tätigkeiten aber noch lang nicht überflüssig. sie werden vielmehr nebenbei und unbezahlt geleistet, jenseits der kriterienkataloge, in geringer werdenden zeitlücken. und zwar oftmals von frauen. daher ist ein ‚hinterland', das nicht unmittelbar nach kapitalgesetzen reguliert ist und nicht den gesetzen von profiten und produktivitätssteigerungen gehorcht, eine zentrale bedingung, eine art untergrund neoliberaler globalisierung."
insgesamt scheint uns an diesem punkt noch eine ganze menge debatte und gemeinsamer wissensaneignung ins haus zu stehen. auch hinsichtlich anderer aspekte der patriarchalen geschlechterverhältnisse, etwa zur frage, ob und in welchem ausmaß das weltweit hohe, teils sogar steigende gewaltlevel gegen frauen, mädchen, jungen, homosexuelle und transgender - ganz gleich ob in europa, lateinamerika oder anderswo - als ergebnis eines komplexen zusamenspiels zwischen patriarchaler kultur und neoliberal bedingten ohnmachts- und deklassierungserfahrungen verstanden werden kann (eine frage, die sich im übrigen auch hinsichtlich männerinterner gruppen- und einzel-gewalt stellt).
last but not least: wir möchten mit diesen anmerkungen nicht den eindruck erwecken, dass sich hinsichtlich der patriarchalen geschlecherverhältnisse innerhalb linker politik gar nichts bewegen würde. zwei (unmittelbar g8-bezogene) beispiele seien stellvertretend erwähnt: a) die auseinandersetzungen mit der situation (papierloser) hausarbeiterinnen - selbst ein geschlechterpolitisches thema - ist in den vergangenen jahren sehr ausdrücklich mit verschiebungen im geschlechterverhältnis der mittel- und oberklassen verknüpft worden: zunehmend wird es selbstverständlicher, dass frauen aus diesen klassensegmenten ebenfalls erwerbsarbeit nachgehen, möglich wird das dadurch, dass frauen aus den subalternen klassen die hausarbeit übernehmen. b) im antimilitaristischen spektrum wird schon seit längerem der zusammenhang zwischen militär, krieg und geschlecht/zwei-geschlechtlichkeit thematisiert; in der auf dem hamburger treffen verteilten zeitungs-ausgabe von "resista! wiederentwaffnung jetzt!" ist dieser thematik auf seite 3 ein langer artikel gewidmet. wir erwähnen das, weil wir auf gar keinen fall eine (meta-)debatte darüber führen wollen, wie in der linken politischen arena mit patriarchalen geschlechterverhältnissen zu verfahren sei. wir wollen nur, dass damit verfahren wird. nicht mehr und nicht weniger!

d) globalisierung/aneignung/internationalismus/anti-imperialismus etc.: dieses feld scheint mittlerweile (das hatte sich in hamburg bereits abgezeichnet) zu einem äußerst vielschichtigen gebilde angewachsen zu sein - weshalb wir die diesbezügliche bezugnahme im aktuellen einladungspapier ("globalisierung von unten vs. internationalismus") absolut verkürzt finden. konkret sehen wir mindestens 4 strömungen am werk: erstens sozialrevolutionäre optimist/innen wie die hanauer/innen, die vor allem auf weltweite aneigungsbewegungen setzen und deshalb das motto "globalisierung von unten" stark machen, zweitens skeptiker/innen (zu denen wir uns zählen), die zwar gerne genauso optimistisch wie hanau wären, sich gleichzeitig aber auch von den negativen destruktionspotentialen des herrschenden globalisierungsprozess nachhaltig beeindrucken lassen, drittens apokalyptische melancholiker/innen wie die genoss/innen aus köln, denen - so jedenfalls haben wir ihr papier gelesen - fast jede hoffnung auf emanzipatorische veränderungsprozesse flöten gegangen ist und viertens anti-imperialistische gruppen, die in bastionen wie kuba und vietnam, aber auch in den "nationalen befreiungsbeweungen, etwa in kolumbien und venezuela, in nepal, in palästina, kurdistan und im baskenland" (input-papier für hamburg) wichtige kontra-punkte gegen den (g8-)imperialismus sehen. wir denken, allen beteiligten gruppen dürfte klar sein, dass es kaum möglich sein wird, sämtliche dieser strömungen auf einen nenner zu bringen. vor diesem hintergrund ist es uns ein anliegen, dass wir uns gemeinsam verständigen, worüber wir tatsächlich diskutieren möchten und worüber nicht. denn wir fänden es fatal, wenn immer wieder die gleichen diskussionen hochkochen würden, deren verlauf ohnehin jede/r kennt. die in unseren augen beste lösung wäre, konkret zu bleiben. wir glauben nicht an den erfolg von debatten, wo mensch von der oktoberrevolution über den vietnam-krieg bis nach bolivien (und zurück) jettet. erfolgreicher sind unseres erachtens debatten, die anhand konkreter beispiele wie z.b. venezuela über strittige fragen geführt werden (etwa die frage, was die etwaige notwendigkeit sog. "vertikaler strukturen" unter spezifischen historischen bedingungen betrifft). antworten auf diese und ähnliche fragen zu geben, fänden wir auch im hinblick auf bündnisfragen wichtig. konkret wäre es in unseren augen hilfreich, würde sich auf dem berliner treffen intensiver über die frage verständigt, wo die herrschende (globale) gesellschaft hinsteuert und welche rolle die (globale) linke in diesen prozessen spielt bzw. spielen könnte. wir sagen das nicht zuletzt im hinblick auf die initiative der interventionistischen linken, die ja ihr plädoyer für ein breites bündnis unter anderem mit der zeitdiagnostischen einschätzung begründet, dass es reale chancen gibt, durch explizit breite bündnispolitik die neoliberale hegemonie noch stärker als bislang zum bröseln zu bringen.