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2006-01-16

Liebe Mobilisierung gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm,

innerhalb der Mobilisierung gegen den G8 dreht es sich im Rahmen von Dissent! mit den Fragen nach Namen und Bedeutung der Hallmarks darum, so etwas wie eine Identität zu finden und den Charakter der Mobilisierung auszuhandeln. Über diese zwei Punkte hinaus besteht, wie sich in Hamburg abzeichnete, die Frage nach der Struktur der Mobilisierung. Wir wollen an dieser Stelle nun einen Beitrag zur inhaltlichen Diskussion einbringen.

FelS-G8-AG

Wie auch bei den jüngsten Texten aus Bremen ausgedrückt, meinen wir, dass die Debatte um eine inhaltliche Stoßrichtung im Vordergrund stehen und weitergeführt werden sollte. Wir beziehen uns dabei nicht auf den Ansatz, "Internationalismus neu zu begründen", sondern, in Abgrenzung von der Idee des "Gemischtwarenladens", darauf, einen "roten Faden" und eine gute Art der "Zuspitzung" zu erreichen. Deshalb wollen wir den zuletzt in Hamburg unterbreiteten Vorschlag aus Hanau, bestimmte Themenfelder stärker ins Auge zu fassen, aufgreifen. Denn wir als FelS-AG plädieren ebenfalls für eine thematische Klammer bei der Mobilisierung und wollen Euch vorschlagen, das Thema Migration ins Zentrum zu rücken.

I. Plädoyer für eine "thematische Klammer"

Wir möchten gerne, dass die linksradikale Mobilisierung ein Profil hat, das auch innerhalb einer gesellschaftlichen Debatte erkennbar ist.

Das mediale Szenario bzw. die Vermittlung der Inhalte ist unserer Auffassung nach ein zentraler um nicht zu sagen der neuralgische Punkt: Wer bringt wie die eigenen Inhalte an die Öffentlichkeit? Dabei verweisen die Erfahrungen darauf, dass RegierungsvertreterInnen mit ihren Verlautbarungen und (v)erklärten Verhandlungsergebnissen Rang eins, danach NGOs und nahestehende KünstlerInnen mit Rang zwei in der Wahrnehmbarkeit "der Öffentlichkeit" stehen. Linke und linksradiale Themen und Ansätze sind häufig auf dem "Siegertreppchen" nicht vorhanden, sind von Außen nur sporadisch und zufällig erkennbar, und wenn doch, dann steht die Berichterstattung von Riots im Vordergrund. Unsere Rolle besteht traditionell in der Störung des Gipfels, und uns bleibt in der Regel, die massive Gegenmobilisierung und die vielfältigen Aktionsformen hervorzuheben und zu loben.

Wir (als FelS) beteiligen uns an der Mobilisierung zu den G8-Protesten in Heiligendamm, weil wir den Versuch unternehmen wollen, darüber hinaus zu gehen. Das ist auch ein wesentliches Argument dafür, dass wir Teil der Interventionistischen Linken sind und uns für einen breiten Bündnisprozess einsetzen, in dem eine linke Strömung klar sichtbar ist.

Die Mobilisierung wird darin bestehen die erfolgreiche Störung und mittelfristige Abschaffung des Gipfels zum Ziel zu haben. Oder sie kann darin bestehen, die Verschiebung gesellschaftlicher Diskurse zu erreichen. Oder sie kann BEIDES sein!

Wir haben uns als ein wesentliches Ziel gesetzt, eigene Inhalte deutlich in einem bestehenden gesellschaftlichen Diskurs unterzubringen. Es sollte bei der Mobilisierung auch darum gehen, aus der besagten Rolle auszubrechen und die Grenzen zu verschieben, die andere, aber auch wir selbst, uns gesetzt haben.

Deshalb machen wir den Vorschlag, ein Thema (oder ein Themenbündel) offensiv in den Vordergrund zu rücken, das weder von der G8-Agenda noch von den NGOs bestimmt wird. Diesen thematischen Schwerpunkt wollen wir innerhalb der Proteste stark machen, um eine linksradikale Position sichtbar werden zu lassen, die sich nicht so schnell im Wust parallel vorgetragener Meinungen und Forderungen verliert. Die Auseinandersetzung mit der konkreten Agenda des G8-Gipfels (zum jetzigen Zeitpunkt noch unbekannt) wird sicherlich vom NGO-Spektrum abgedeckt werden. (Wie wir uns dazu verhalten, müssen wir im Laufe des Prozesses ausloten.) Mit einer eigenen Schwerpunktsetzung laufen wir nicht Gefahr, vom Gravitationsfeld der NGOs angezogen und dann inhaltlich übertönt zu werden. Und selbst wenn wir mit unserem Themenschwerpunkt nicht so deutlich an die Öffentlichkeit kommen sollten, haben wir dennoch den wichtigen Schritt getan, für uns weitergekommen zu sein.

Dieser Gedanke beruht auf den Erfahrungen der letzten Gegengipfel, und der vielfach geäußerten Erkenntnis, neben den Aktionen eine nachhaltige Entwicklung politischer Projekte schwer aufrecht erhalten zu können. Dabei handelt es sich auch um den Wunsch, konstruktive Debatten innerhalb der Bewegung anzustoßen, die ihr über den Anti-Kapitalismus hinaus ein schärferes Profil verleihen und damit die Schlagkraft erhöhen. Davon völlig unbelastet ist eine rasante Mobilisierung gegen den Gipfel selbst.

Wir sehen mit dem Ansatz einer eigenständigen und unabhängigen Themenwahl die Möglichkeit, von einer thematisch defensiven in eine offensive Haltung zu kommen: Nicht wir hängen davon ab, was von oben an Themen diktiert wird, sondern wir sind selbst diejenigen, die wissen, was wichtig ist und woran wir arbeiten wollen.

Eine thematische Klammer ist gleichbedeutend mit einer Energiebündelung. Eine Konzentration auf emanzipationshaltige Themen erleichtert die Abgrenzung gegen liberale und rechte Versuche der Vereinnahmung. Die Vorstellung, die Mobilisierung gegen den Gipfel (strategisch, auf mittel- bis langfristige Ziele gerichtet) auch als "Transmissionsriemen" zu anderen Bewegungen zu sehen, klang auch bei anderen Vorschlägen, zuletzt beim Inhalts-AG-Treffen in Berlin, durch.

Unser Vorschlag bedeutet keineswegs, dass es inhaltliche Vorgaben oder Zwänge geben soll, wie sich Einzelne oder Gruppen auf den G8 vorbereiten. Sondern bei der vorgebrachten Überlegung handelt es sich lediglich um einen strategischen Vorschlag: parallel zu dem Ziel, den G8 zu verhindern, inhaltlich markante Pflöcke in eine breitere gesellschaftliche Debatte einzuschlagen.

Es geht unserer Ansicht nach darum, Themen heraus zu greifen, die möglichst weitreichende Wirkung sowie Potenzial zur Polarisierung und Abgrenzung haben, und sie in eine gute Mobilisierung gegen den G8-Gipfel einzubetten. Denn diese Verknüpfung verspricht den größten gesellschaftlichen Effekt. Und den wollen wir.

II. Schwerpunktthema Migration

Wir schlagen vor, sich auf Migration als inhaltliches Schwerpunktthema der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel 2007 zu konzentrieren.

Die Stärke der undogmatischen Linken ist mitunter ihr Problem: die Vielfalt. Daher wünschen wir uns, bei der Mobilisierung aus der Vielfalt heraus das Thema Migration heraus zu greifen: denn durch die Fokussierung ist die Wahrscheinlichkeit am größten, außerhalb "unserer" Strukturen Öffentlichkeit zu erreichen, einen eindeutigen Kontrapunkt zu Regierungspositionen zu beziehen, und von der Anti-Haltung zu einer konstruktiven Haltung zu kommen.

Die Vorteile des Themas bestehen darin, mit einer linksradikalen Forderung neben NGOs ein eindeutiges Profil zu haben, das deutliche Position gegen die gnadenlose EU-Abschottungs-Politik einnimmt und auch eine eindeutige Abgrenzung gegen Rechts und Rechtspopulisten bedeutet. Wie die Erfahrungen der Gipfelmobilisierungen in den letzten Jahren gezeigt haben, wurden linke Forderungen/Themenfelder immer wieder, insbesondere von NGO-Seite, in den herrschenden Diskurs übersetzt. (Dies wurde und wird besonders deutlich anhand der Debatten rund um Verschuldung.) Mit der Einforderung von globalen sozialen Rechten entgeht mensch einerseits weitgehend dieser Vereinnahmungsproblematik, knüpft andererseits aber zugleich an aktuellen gesellschaftlichen Debatten an: Migration und Prekarisierung sind in aller Munde. Diese notwendige Anschlussfähigkeit an gesellschaftliche Debatten sehen wir bei anderen möglichen Themenfeldern (z.B. Privatisierung, Militarisierung) weniger gegeben.

Auch innerhalb eines breiten Bündnisprozesses ist es möglich über das Thema Migration und über die Forderung nach gleichen sozialen globalen Rechten immer wieder auf Auswirkungen der Politik der G8-Staaten im hier und jetzt und die damit verbundenen Ausgrenzungsmechanismen zu verweisen

Das Thema Migration in den Mittelpunkt zu stellen bedeutet, Bündnisse mit denen zu schließen, die von der neoliberalen Attacke im globalen Maßstab am ärgsten betroffen sind: den Menschen im Trikont und denjenigen, die gekommen sind, um im industrialisierten Norden leben. Dabei wollen wir versuchen, die Zusammenhänge zwischen Kolonialismus und Neokolonialismus, der Abschottungspolitik der G8, der IWF-Auflagenpolitik, mangelnden Einkommensmöglichkeiten in Herkunftsländern, Krieg und Verfolgung und den Flucht- und Wanderungsbewegungen aufzuzeigen. Der Gegensatz, den globaler Kapitalismus hervorbringen kann, drückt sich deutlich im Nord-Süd-Gefälle aus. Eine Linke, die sich radikal gesellschaftlichen Veränderungen verschreibt, wird sich zu dieser Situation verhalten. In traditioneller Lesart könnten wir schreiben, dass es sich um die global gestellte Klassenfrage handelt. Migration ist der Anspruch auf Teilhabe am Reichtum - und bedeutet damit: die soziale Frage global neu zu stellen.

Fest steht, dass die Freiheit der Kapitalströme zusammen mit dem Versuch, "unqualifizierte" Arbeitskräfte in den armen Ländern festzuhalten, zu einem Merkmal wenn nicht der tragenden Säule des heutigen Kapitalismus und seiner Ausbeutungsstrukturen geworden ist. Wesentlich ist dabei die Kontrolle der Grenzen sowie entsprechender Maßnahmen, die MigrantInnen abschrecken sollen - das Ganze wird "Zuwanderungssteuerung" genannt. Sich eindeutig und positiv auf aktive und unkontrollierte Migration und damit offene Grenzen zu beziehen, beinhaltet eine Menge Sprengkraft.

Was wir bei einer Mobilisierung gegen den G8-Gipfel unserer Auffassung nach brauchen, ist ein deutliches Zeichen globaler Solidarität. Wir denken, dass unkontrollierte Migration ein wichtiger Teil unsererunserer "Globalisierung von unten" und damit eine Antwort auf den globalen Kapitalismus ist. Die Schwerpunktsetzung Migration bietet das Potenzial, in bestehende Debatten zu intervenieren - und aktuell einen klaren Kontrapunkt gegen EU-Politik ("dynamische EU-Migrationspolitik" und "Kampf gegen illegale Einwanderung") zu setzen. Ein weiterer wichtiger Zusammenhang wäre, das Thema Migration mit Prekarisierung zu verknüpfen. Auch Krieg und Flucht sind Migrationsgründe, die im Zusammenhang mit dieser Schwerpunktsetzung stark gemacht werden können.

Das Thema Migration im Rahmen der Mobilisierung in den Vordergrund zu rücken, bedeutet für uns als Fels in einem ersten Schritt, uns in Kommunikation mit den dazu arbeitenden migrantischen und nicht-migrantischen Gruppen zu begeben. Dazu ist es sinnvoll, die Ergebnisse der bisherigen Zusammenarbeit mit Flüchtlingsorganisationen zu beachten, bewußt ein gleichberechtigtes Verhältnis anzustreben und beispielsweise Raum und Zeit für Übersetzung fest einzuplanen.

Starke und aktive Einbindung von migrantischen Gruppen ist gerade im Vorfeld der Vorbereitungen zur Mobilisierung als auch bei Aktionen und Aktivitäten das, was wir uns vorstellen. Wir wollen gerne einen Aktionstag zum Thema "Bewegungsfreiheit" oder Forderung nach gleicher Teilhabe im Vorfeld des G8-Gipfel unterstützen oder mitinitiieren, der in der Größe und Schlagkraft eher an den Aktionstag in Genua erinnert, als an die Stadtrundgänge "make borders history" in Glasgow. Sicherlich waren letztere von der thematischen Ausrichtung her gut, aber in der Öffentlichkeit nicht oder kaum sichtbar. Wir wollen damit gerne mit Euch zusammen versuchen, die europäische Grenzpolitik, die Ausgrenzung von MigrantInnen und die Forderung nach Teilhabe in die Öffentlichkeit zu bringen. Und dies durch eine starke Mobilisierung gegen den G8 in Heiligendamm.

mit besten Grüßen,

FelS-G8-AG
fels-g8-mob@nadir.org