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2006-10-28

Modern führen

Diese Seite soll moderne Führungsmethoden in sozialen Bewegungen beschreiben.

Jörg Bergstedt [mit allen Formatierungen unter http://www.projektwerkstatt.de/hoppetosse/hierarchNIE/moderne_hierarchien.html]

Herrschaft, ohne darüber zu reden

Es ist nicht ganz neu. Fast alle modernen Kampagnen und Organisierungen zeichnen sich durch ähnliche Strukturen aus und ein immer wiederkehrendes Merkmal: Über diese Strukturen wird gar nicht mehr geredet, sie sind einfach da (aber oft nicht einmal erkennbar). Die Vorbereitungsrunde zu den G8-Aktionskonferenzen unterscheidet sich da nicht vom G8-Koordinierungskreis (der aber nicht so heißen will, weil es dann schon wieder auffallen könnte – siehe Protokoll vom 22.9.2006 des Treffens in Hannover). Auch die weiteren großen Mobilisierungen der letzten Jahre haben diesen Anstrich: Wo wird die große Aktion X-1000malquer gelenkt? Glaubt wirklich jemand, die Aktion würde von den erst kurz vorher gebildeten und über alle wichtigen Sachen (Pressearbeit, Außenvertretung, Materialbestand, Kommunikationsflüsse, wichtige Telefonnummern usw.) gar nicht informierten Bezugsgruppen organisiert? Ganz ähnlich bei Gendreck-weg: Wer da an den Schalthebeln sitzt, ist bei den MitläuferInnen (die das zudem gern sind und oft gar nicht mehr wissen wollen als für ihr Dasein als Rädchen im Protest nötig) schlicht unbekannt. Bei der Aktion in Badingen 2006 war selbst der Pressegruppe nicht einmal bekannt, dass sich für die Massenaktion (für eigenständige Aktionen wurde ohnehin nirgends geworben) eine kleine Kungelgruppe gründete, die alles vorbereitete (und zufällig wieder aus den wichtigen Männern bestand, die auch bei X-1000malquer und anderen Aktionen dieser Art ständig eine solche Führungsgruppe bilden).

Nein, es ist alles keine Überraschung. Aber was sich wiederholt, wird dadurch nicht besser. Allerdings können die Macher (und wenigen, aber ebenso autortären Macherinnen) daraus eine Schein-Legitimation schöpfen. Die aktuellen, modernen Hierarchien “haben sich durchgesetzt”, sind in der Bewegung verankert, scheinbar akzeptiert und haben sich bewährt. Solange es gelingt, darüber gar nicht mehr zu reden, wird es dabei bleiben. Wenn sich in den letzten Jahren etwas verändert hat, dann war es eine Modernisierung der Hierarchien – angestossen aus den Eliten selbst. Erfolgreich aber war auch noch etwas anderes: KritikerInnen wurden deutlich erfolgreicher als früher mundtot gemacht. Der Trick: Die Herrschaft wird gar nicht mehr thematisiert (Wahlen, Vorstellung von KandidatInnen – das alles ist in den modernen Hierarchien längst vorbei … “regiert” wird mit klassischen Eliteformationen, informelle, über direkte persönliche Drähte, über inhaltliche Gräben und Strömungsgrenzen hinwege). So fällt das “herrschen” gar nicht mehr auf.

Kommunikation: Kontrollierte Einbahnstraßen

Es gibt auch kaum noch Orte, wo über Fragen der Organisierungsform gestritten werden könnte. Kommunikationssysteme sind in der Hand weniger. Ein kritischer Blick auf die Internetseiten von X-1000malquer und Gendreck-weg bringt schon erste Erkenntnisse: Beide Aktionen, die mit den klassischen Attitüden gewaltfrei, basisdemokratisch usw. die Nebelwurfmaschine kräftig anwerfen, um die internen Strukturen unsichtbar zu machen, bieten keine einzige (!) Kommunikationsform der Beteiligten untereinander an. Der Klassiker heutiger Mobilisierungen, die offene Mailingliste, fehlt bei beiden völlig. Alles, ausnahmslos alles ist kontrolliert und eine Einbahnstraßen-Kommunikation. Warum fällt das niemandem auf? Vielleicht weil hier zusammengewachsen ist, was zusammen gehört? Eliten und MitläuferInnen? Die Organisierung nach Methode der Schafherde? Von allen Seiten auch so gewollt?

Suggestion des Pluralen

Beispiel Auszug aus der Mobilisierungsseite zur 2. Aktionskonferenz in Rostock zum G8-Gipfel Nach den bisherigen Planungen, wie sie auf der Rostocker Aktionskonferenz im März 2006 diskutiert worden sind, soll es nicht beim Pflichtprogramm Großdemonstration, Gegengipfel und Kulturevent bleiben. Die Perspektive vieler sind kraftvolle Tage des Widerstands, bei denen mit der Kritik der G8 und der bestehenden Weltordnung, auch gleichzeitig die Möglichkeiten und die Kräfte der Veränderung in der Aktion sichtbar werden. In diesen Zusammenhang gehören der migrationspolitische Aktionstag, das Camp – und eine Aktionsperspektive, die es noch zu füllen gilt: Blockade der G8!

Künstliche Einheiten und kleinste gemeinsame Nenner

Beispiel: Einheitliche Aktion statt Vielfalt Auszug aus der Mobilisierungsseite zur 2. Aktionskonferenz in Rostock zum G8-Gipfel Unser Ziel sind Blockaden, an denen sich tausende von Menschen aus unterschiedlichen politischen und kulturellen Spektren und unterschiedlicher Aktionserfahrungen beteiligen, die sich in den Aktionen nicht nur gegenseitig respektieren und tolerieren, sondern tatsächlich zum gemeinsamen Handeln finden. Dazu braucht es keine Helden , sondern den Mut, der aus der Solidarität und Kollektivität vieler entsteht. Unsere Aktionsplanungen orientieren sich daher gerade nicht an den Bedürfnissen der vermeintlich Entschlossensten und Radikalsten. Vielmehr soll eine möglichst kalkulierbare Situation geschaffen werden, in der Entscheidungsstrukturen transparent sind, die Grenzen aller respektiert werden und eine politische und praktische Verantwortung für den Ablauf der Blockaden übernommen wird. Wir sind der Überzeugung, dass dies die Voraussetzung dafür ist, dass sich tatsächlich tausende von Menschen unterschiedlicher Hintergründe aktiv beteiligen. … Dieser Aufruf hat zunächst nur die Aufgabe, unsere bisherigen Überlegungen zu Massenblockaden vorzustellen. Wir würden uns freuen, wenn an möglichst vielen Orten in den nächsten Wochen und Monaten Blockadegruppen entstehen würden, die sich vorstellen können, an solchen Massenblockaden teilzunehmen Mit einer gemeinsamen „Blockade on Tour“ Rundreise ab dem Herbst wollen wir diese Gruppenbildungen unterstützen. Wir hoffen, dass dann viele dieser Blockadegruppen und sonstigen Zusammenhänge sich auf der Internationalen G8-Aktionskonferenz vom 10.-12. November 2006 zusammenfinden werden und ein gemeinsames Blockadenetzwerk ins Leben rufen. Antifaschistische Linke Berlin; Avanti – Projekt undogmatische Linke; Grüne Jugend (Bundesvorstand), X-tausendmal quer, sowie AktivistInnen aus: Attac, Solid und der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion

Das Konzept ist umso überraschender, als z.B. das bekannte Aktionskonzept beim Castorwiderstand seit Jahren zeigt, dass es anders geht und wirksamer ist: …

Erinnert sei auch an einen Spruch aus dem zapatistischen Widerstand in Chiapas (Mexico), auf den sich viele soziale Bewegungen auch hierzulande viele Jahre positiv bezogen haben (bis autoritäre Umgestaltungen z.B. durch sozialistische Staatsführer hegemonial wurden). Sinngemäß hieß es: “Für eine Welt, in der viele Welten Platz haben”. Dieser Zielsetzung werden sowohl politische Ziele wie auch Organisierungskonzepte sozialer Bewegungen regelmäßig nicht gerecht. Gefordert wird mehr Einheit, mehr Handlungsstärke zentraler Strukturen wie dem (National-)Staat oder globaler Institutionen. Gleichzeitig werden intern einheitliche Aktionsformen durchgesetzt statt Vielfalt organisiert und gefördert.

Kontrolle der Außenvertretung

Beispiel: Pressekonferenz-Planung der G8-Vorbereitungskonferenz Nov. 2006 in Rostock Die Mail stammt von Pedram Shayar, Obermacker bei Attac, interventionistische Linke, G8-Vorbereitung usw. > Lieber m. > Befindlichkeiten kann jeder mensch äussern, wo er will. Auf einer > pressekonferenz sprechen verschiedene repräsentant/innen von > verschiedenen spektren. Diese vertreten vor allem ihre eigene > organisation und sprechen dann nach der gemeinsamen absprachen mit der > presse. Du hast das gute recht, menschen zu trauen und zu mistrauen wie > du willst, aber wer an welche stelle für attac mit der presse spricht, > wird in attac-gremien entschieden. Also wirst du dich mit unserer > personalpolitik abfinden müssen :) > Eine pressekonferenz ist im übrigen FÜR DIE PRESSE und nicht für die > konferenzteilnehmer/innen. Insofern ist es sehr unerheblich, ob wir es > ankündigen oder nicht, das betrifft die teilnehmer/innen sowieso nicht. > Die Besetzung und Durchführung der Pressekonferenz war und ist > Gegenstand der Vorbereitungsgruppe. > Viele grüße > pedram