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2006-07-14

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Globalisierungskritik auf Postautonom

X-berg.de

Die "interventionistische Linke" (ein Bündnis, an dem sich eine größere Anzahl "linksradikaler" Gruppen beteiligt, darunter ALB, FelS, AVANTI, die Redaktionen analyse + kritik und fantômas) ruft mit einem "First Call" zum Sommercamp in Heiligendamm auf, um die Proteste gegen den G8-Gipfel im nächsten Jahr vorzubereiten. Ziel ist laut Aufruf eine Plattform zum Austausch der "Bewegungslinken" untereinander; es soll darum gehen, eine "inhaltliche und praktische Kontinuität" der Gipfel-Proteste der 90er und 2000er Jahre zu gewährleisten. Das Camp soll "Ort der Begegnung, des Austausches und [...] des Streits der heterogenen Bewegungslinken" werden, also trotz inhaltlicher Differenzen viele Menschen dorthin mobilisieren. Dieser Gipfel soll nicht ohne "einen breiten, entschlossenen und wirkungsvollen internationalen Widerstand" über die Bühne gehen. Nun müsste man sich fragen: Warum meinen radikale Linke, sich an diesem "Widerstand" beteiligen zu müssen? Man ist der Ansicht, gegen die G8 und ihr Treffen politisch vorgehen zu müssen. Die "neoliberale Umstruktierung der Welt" ist als Feind erkannt - sie soll mit den Aktionen bekämpft werden.

So äußert sich Tim Laumeyer von der Antifaschistischen Linken Berlin im Interview mit dem Attac-Rundbrief "Sand im Getriebe" folgendermaßen: "Schließlich ist die neoliberale Politik in Deutschland nicht abgekoppelt von einem 'Weltelite-Treffen' wie der G8." Weiter im Interview wird das politische Ziel der ALB bei diesen Protesten klar benannt: Als "gemeinsame Grundlage" der Mobilisierungen soll "eine eindeutige Delegitimierung der G8" herumkommen. Was mit "neoliberaler Politik" eigentlich gemeint ist, wird nicht ausgeführt. Es scheint ein nettes Schlagwort zu sein, unter dem sich die verschiedensten Leute versammeln können. Von der sozialdemokratischen Gewerkschaftslinken bis zur "militanten gruppe" (die übrigens nicht an dem Bündniss beteiligt ist, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen) ist der Widerstand gegen die "neoliberale Globalisierung" schließlich konsensfähig.

Das Bündnis schreibt in seiner eigenen Zeitung zum Stand der Diskussion: "Als praktisches Experimentierfeld für unsere Zusammenarbeit haben wir den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm gewählt." Für Linksradikale, die eigentlich wissen sollten, dass die Verschärfung der Konkurrenzbedingungen durch den Staat nicht auf einem G8-Gipfel oder auf einem Bilderberg-Treffen hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, sondern ganz demokratisch in den Parlamenten, mutet diese Zuspitzung des Protests auf den G8-Gipfel seltsam an. Aber betrachtet man das Konzept der interventionistischen Linken eingehender, wird deutlich, warum gerade dieser Ort und dieser Zeitpunkt gewählt wurde. Es geht darum, "praktisch in die realen politischen und sozialen Auseinandersetzungen einzugreifen", die deutsche Linke soll "wieder realen Einfluss auf die Richtung von Politik und gesellschaftlicher Entwicklung" nehmen.

Der Zusammenhang zwischen "neoliberaler Politik" - was das sein soll, ist immer noch nicht klar! - und den Treffen der G8 muss so eng dargestellt werden, da, wie die interventionistische Linke feststellt, "der Unmut über den Neoliberalismus zwar weltweit verschieden" ist, aber "deutlich wahrnehmbar zum Ausdruck" kommt. Dieser diffuse Widerstand soll genutzt werden. So ist es um die Anschlussfähigkeit dieser Linken also nicht obwohl, sondern weil das, wogegen protestiert werden soll, inhaltlich nicht ganz klar ist, nicht schlecht bestellt. Es ist plumper Populismus, den dieses Bündnis verfolgt: den Unmut der als schon quasi revolutionär imaginierten Massen auf ein konkretes, angreifbares Ziel zu lenken. Eine Kritik an dem, was als notwendige Zumutung in der globalen Konkurrenz verkauft wird, ist hier nicht zu erwarten, geschweige denn eine Analyse dessen, was diese Konkurrenz ausmacht und wie sie hergestellt wird. All das wird nicht in Frage gestellt. Eben darum wird die G8 als elitärer Zirkel kritisiert und ihre Delegitimierung angestrebt. Würde dieselbe Politik basisdemokratisch auf einem Weltsozialforum in Chiapas beschlossen, so könnte man meinen, wäre die Kritik an ihr gestorben. Damit fällt dieses Bündnis zu Gunsten der "Anschlussfähigkeit" an die Massen noch weit hinter die überlegteren Ergebnisse sozialdemokratischer Theorie-Bildung zurück.

Von Revolution will man schließlich auch gar nicht mehr reden. Es ist dem Bündnis peinlich, noch davon anzufangen: "[Es] bleibt die Beschwörung des revolutionären Umbruchs [...] als bloße Geste in der Luft hängen, wenn wir als Linke es z.B. nicht geschafft haben, Hartz IV zu verhindern." Wenn sich auch der Zusammenhang zwischen "Hartz IV verhindern" und "revolutionärer Umbruch" - zwei vollkommen verschiedene Ziele - nicht direkt erschließt, so wird doch deutlich, was gemeint ist: man ist sich der eigenen Ohnmacht bewusst geworden! Gerade deshalb mag man nicht mehr "in linksradikaler Rhetorik verharren". So als ob der bei der Kritik der herrschenden Zustände angeschlagene Ton die Massen vom fröhlichen Mitmachen beim revolutionären Projekt abhalten würde und nicht der Inhalt. Man versucht es eben hintenherum: In "breiten Bündnissen" will man eine "faire und konstruktive Zusammenarbeit" suchen, aber trotzdem "antikapitalistische Inhalte" in diese Bündnisse hineintragen und für "konfrontative Aktionsformen" werben. Also eine Agitation durch die Hintertür: die Massen meinen, sie kämpften gegen Hartz IV, und sind, ohne dass sie es selbst merken, schon beim Abschaffen der bürgerlichen Staatsgewalt.
Das soll durch "Richtungsforderungen" an diese Bündnisse geleistet werden. Unter der Parole "Alles für alle!" sollen ein "bedingungsloses, ausreichendes Existenzgeld für alle", das Recht auf globale Bewegungsfreiheit, die Legalisierung von MigrantInnen, die Entwaffnung der Armeen, die Streichung der Schulden des "globalen Südens" und Reperationszahlungen für 500 Jahre Kolonialismus und Sklaverei eingefordert werden. Anscheinend meint man - in totaler Unkenntnis der Gesetze des Kapitalismus -, dass solche Forderungen durchsetzbar seien. Wären sie durchsetzbar, stellte sich die Frage: Warum dann einen Teil vom Kuchen fordern und nicht die ganze Bäckerei, wie es eine alte und doch treffende linksradikale Parole auf den Punkt gebracht hat? Also nicht in sozialdemokratischer Manier die ungleiche Distribution von Gütern kritisieren, sondern nach Abschaffung der Produktionsverhältnisse rufen, die diese bedingen. Was durch diese Strategie eines "indirect approach" erreicht werden soll, ist "eine Radikalisierung der konkreten sozialen Forderungen", auf dass die Massen einsehen, dass "die rebellischen Wünsche im Kompromiss mit der kapitalistischen Herrschaft nicht befriedigt werden [können]", sondern sich nur im "revolutionären Bruch mit dieser Herrschaft" verwirklichen lassen. Es ist also die alte Hoffnung nach einer Radikalisierung der Massen in den "sozialen Kämpfen", die die postautonome Sozialdemokratie à la ALB, FelS und Co. antreibt.

Und so ist es auch nichts anderes als das, was man von der deutschen Sozialdemokratie spätestens seit 1914 kennt: nicht abseits stehen zu wollen, sondern immer dabei zu sein, egal um welchen Mist es sich gerade handelt - ob es nun ums Mitregieren geht oder die Organisation eines bunten, familienfreundlichen Protests gegen den Kapitalismus. Natürlich nur entlang eines klaren Feindbildes, hinter dem alle theoretischen Differenzierungen verschwinden. Doch die beschworenen "sozialen Kämpfe" können schon deshalb nicht revolutionär geführt werden, weil sie als systemimmanente Auseinandersetzungen eben nicht auf den Umsturz, sondern auf die Reform des Kapitalismus setzen. An ihnen wird sich eben keine Revolution entzünden, so wie auch die gewerkschaftlichen Kämpfe, die es allein in den letzten 60 Jahren BRD-Geschichte reichlich gab, nicht zur Herausbildung eines revolutionären Bewusstseins im bundesdeutschen Proletariat führten.

So verkommt hier der Hinweis auf "das ganz andere Ganze" wieder nur zur Revolutions-Rhetorik und -Romantik - allerdings nicht wegen der Ohnmacht der radikalen Linken, es zu erkämpfen, sondern weil sich ihr politisches Programm schon längst davon verabschiedet hat. Hier überstimmt das schlechte Sein das Bewusstsein, und man fällt hinter die theoretischen Erkenntnisse aus fast 200 Jahren linksradikaler Politik zurück.

http://x-berg.de/2006/07/06/globalisierungskritik-auf-postautonom/