Die G8 will Stärkung der Rechte am geistigen Eigentum
Sabine Nuss
In Städten wie Quito, der Hauptstadt Ecuadors, sind sie an jeder Ecke zu sehen: Kleine Läden, an der Decke ein Fernseher mit einem DVD-Player und an den Wänden sind schmale Regale bis zur Decke hoch überladen mit DVD-Filmen und Musik-CDs. Die Preise je Scheibe liegen zwischen ein und zwei US-Dollar und vor jedem Kauf wird an den Abspielgeräten getestet, ob die gebrannten Dinger auch wirklich funktionieren. Der Verkauf so genannter Raubkopien ist hier Alltag. Ebenso der Handel mit imitierten Markenprodukten: Adidas-Schuhe, Eastpack-Rucksäcke und Gucci-Sonnenbrillen liegen in den Geschäften aus - spottbillig. Fragt man nach, woher diese Produkte kommen, so fallen immer wieder zwei Namen: Russland und China.
Der internationale Handel mit gefälschten Produkten konzentriert sich vornehmlich in so genannten Entwicklungs- oder Schwellenländern und bereitet den Industriestaaten zwar schon längere Zeit, aber seit der Verbreitung des Internet zunehmend mehr Bauchschmerzen. Laut Angaben des Bundesjustizministeriums entfallen fünf bis neun Prozent des Welthandels auf gefälschte Produkte. Seit 1998 hat sich die Zahl der Plagiate, die an den Außengrenzen der EU abgefangen werden, verzehnfacht. Weltweit wird der Umsatz auf rund 350 Mrd. Euro geschätzt. Das Internet wird zunehmend auch als Vertriebskanal für stoffliche Produkte genutzt. Allein in der Textilbranche sind ca. 60 bis 70 Prozent der online gehandelten Waren Fälschungen. Rund ein Drittel der Waren, die heute vom Zoll beschlagnahmt werden, ist auf Bestellungen im Internet zurückzuführen.
Adäquate Form der Eigentumssicherung
Dem weltweiten, grenzüberschreitenden Handel mit Plagiaten, bei dem je nach Inhalt Marken-, Patent-, Urheber- oder sonstige gewerbliche Schutzrechte verletzt werden, werden Umsatzverluste in Milliardenhöhe angelastet. Aber auch innerhalb so genannter Wachstumsmärkte ist Produkt- und Markenpiraterie für potenzielle Investitionen ein Problem. Besonders in China ist Piraterie gang und gäbe. Gefälscht wird so ziemlich alles, was Erfolg verspricht, zitiert die Deutsche Welle eine Mitarbeiterin der Bundesagentur für Außenwirtschaft. Dem Bericht zufolge klagte die GM-Tochter Daewoo erst vor kurzem gegen Plagiate aus der Produktion des staatlichen chinesischen Automobilherstellers Chery. Dieser habe zwei komplette Autos kopiert, den Chevrolet Spark und den Matiz - Modelle, die in China produziert und verkauft werden.
So überraschte es wenig, als im Oktober Bundeskanzlerin Angela Merkel den Kampf gegen Produkt- und Markenpiraterie als Programmpunkt der deutschen G8-Präsidentschaft 2007 nannte. Merkel möchte in Heiligendamm einen Dialog über die "zentrale Bedeutung von Innovationen in wissensbasierten Gesellschaften und Verstärkung des Schutzes von Innovationen gegen Produkt- und Markenpiraterie" initiieren. Deutschland ist der größte europäische Investor in China, die Direktinvestitionen belaufen sich mittlerweile auf rund zehn Mrd. US-Dollar. Auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries kündigte im Sommer diesen Jahres in einer Rede vor dem Deutschen Patent- und Markenamtes an, dass der Kreis der acht großen Industriestaaten ein wichtiges Forum für den internationalen Kampf gegen die Piraterie sei. Eine Gruppe von "Experten der G8-Staaten" soll daher untersuchen, "ob wir die internationalen Rechtsregeln zum Schutz des geistigen Eigentums verbessern können", so Zypries.
Nun sind internationale Übereinkünfte über "Immaterial-Güter" nichts Neues. Zu den ersten zwischenstaatlichen Verträgen gehört das "Pariser Abkommen für den Schutz von Industriellem Eigentum" von 1883 (für Erfindungen) und das "Berner Abkommen zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst" von 1886. Mit diesen Verträgen wurde den UrheberInnen in den Vertragsländern ein Schutz ihrer Werke gewährt. Diese beiden Verträge fusionierten einige Jahre später und gingen schließlich ein in die Gründung der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) im Jahre 1967. Die WIPO ist eine Unterorganisation der UNO und hat die Aufgabe, die internationalen Vereinbarungen zum internationalen Schutz geistigen Eigentums zu verwalten.
"Geistiges Eigentum" ist ein (seit seiner Entstehung um 1790 umstrittener) Oberbegriff, seine Anwendungsbereiche sind ausgesprochen breit gefächert: Je nach dem ob es sich um Künste, Erfindungen oder Markennamen handelt, greift das Urheberrecht, das Patentrecht oder das Markenschutzrecht. Daneben gibt es u.a. noch das Halbleiterschutzgesetz zum Schutz der Topographie eines Chips, das Geschmacksmustergesetz zum Schutz ästhetischer Darstellungen und das Sortenschutzgesetz zum Schutz von Pflanzensorten.
Warum braucht es überhaupt "geistiges Eigentum"? Grund dafür ist die Immaterialität der Arbeitsergebnisse. Geistige Schöpfung hat eine Eigenschaft, die sie von materiellen Dingen unterscheidet: Sie verbraucht sich nicht im Gebrauch. Sie ist nicht endlich und kann ohne Qualitätsverlust beliebig oft gebraucht werden. Sie könnte also von allen genutzt werden, ohne dass vor ihrer Nutzung nochmals Arbeit investiert werden müsste. Damit Wissen den MarktteilnehmerInnen durch eine vollständige Eigentumsübertragung nicht entzogen bleibt, aber dennoch der Verwertung dienen kann, gibt es daher lizenzrechtlich kodifizierte Zugangsschranken (Schaffung künstlicher Knappheit), die andererseits aber wiederum eingeschränkt werden müssen (etwa durch zeitliche Begrenzung von Nutzungsrechten).
Verwertungsbedingung geistiges Eigentum
Geistiges Eigentum ist die adäquate "marktwirtschaftliche" Lösung für die Kommodifizierung von Informationen, Wissen, Ideen, usw. Allerdings zeigt sich nicht nur im Patentstreit, der innerhalb der bürgerlichen ökonomischen Theorie ausgetragen wird und wonach völlig offen ist, ob Patente Innovationen eher hemmen oder befördern, dass die Rechte an geistigem Eigentum ein gesellschaftlich immer schon sehr umkämpftes Feld waren und bleiben werden.
In den letzten Jahrzehnten haben sich die Produktivkräfte erheblich gewandelt. Informations- und Kommunikationstechnologien sind neue Leittechnologie geworden. Diese wirken in der Produktionssphäre, indem neues Wissen generiert wird (Gen-, Bio-, Nanotechnologie usw.), indem altes und neues Wissen neue Darstellungsformen (digital) erhält und sie wirken in der Zirkulationssphäre, indem mit dem Internet ein neuer, effizienter Vertriebskanal entstanden ist. Diese Entwicklung ist die Grundlage für die populär gewordene Rede von der Informations- oder Wissensgesellschaft.
Die Ablösung der Industriegesellschaft im ausgehenden 20. Jahrhundert wird in dieser Lesart damit begründet, dass Wissen und Informationen zunehmend an Gewicht gewinnen, nicht nur in der Produktion, auch die hergestellten Produkte sollen zunehmend Resultat geistiger Schöpfung sein. Schätzungen zufolge soll der Anteil der über Rechte an geistigem Eigentum geschützten Güter am internationalen Handel von früher 10 bis 20 Prozent auf über 60 bis 80 Prozent in den kommenden Jahren steigen. Nach Angaben der International Intellectual Property Alliance (IIPA) ist die Rechteindustrie in den letzten 20 Jahren beispielsweise in den USA mehr als doppelt so schnell gewachsen wie der Rest der Wirtschaft.
In den Jahrzehnten nach der Gründung der WIPO wurde Kritik laut. Demnach fehlte es der WIPO an Streitbeilegungs- und Durchsetzungsmechanismen, bestimmte Länder blieben den Abkommen gleich ganz fern. Dazu kam, dass besonders in Entwicklungs- und Schwellenländern der Schutz geistigen Eigentums kaum gewährt bzw. durchgesetzt wurde. Die USA drängten schließlich massiv darauf, dass geistiges Eigentum künftig im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) international verhandelt wird. Im Zuge der Gründung der WTO im Jahre 1994 wurde daher das TRIPS (Trade Related Intellectual Property Rights) als eine der drei Säulen der WTO (GATT, GATS, TRIPS) etabliert. Das Abkommen umfasst die ganze Palette der verschiedenen Rechtsgebiete des geistigen Eigentums.
International funktionierende Staatsräson
Mit TRIPS wurden alle der WTO angehörigen Mitgliedsstaaten automatisch der Berner und Pariser Übereinkunft unterworfen. Deren Geltungsbereich konnte so ausgeweitet werden. Außerdem war von nun an bei Nicht-Beachtung der Verpflichtungen aus diesen Vereinbarungen der Streitbeilegungsmechanismus der WTO anwendbar. Die WIPO hatte von nun an zusätzlich die Aufgabe, die Implementierung der TRIPS in den Entwicklungs- und Schwellenländern beratend zu begleiten. Die Formierung des Rechts für digitale Inhalte geistig-kreativer Schöpfung hatte allerdings noch die WIPO bereits Mitte der 1990er Jahre federführend initiiert. Am 21. Dezember 1996 wurden der WIPO-Urheberrechtsvertrag (WIPO Copyright Treaty, WCT) und der WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger (WIPO Performances and Phonograms Treaty, WPPT) unterzeichnet. Diese zwei so genannten Internet-Verträge wurden laut Aussage des Deutschen Bundestages im Jahre 2002 explizit "im Hinblick auf die tief greifenden Auswirkungen der Entwicklung und Annäherung der Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Erschaffung und Nutzung von Werken der Literatur und Kunst" verfasst. Es sollte Grundlage bilden für einen möglichst weltweiten und hohen Schutz geistigen Eigentums.
War Sacheigentumsrecht die bestimmende Rechtsform in der Industriegesellschaft, gilt nun in vielen Diskursen geistiges Eigentum als in der "Wissensgesellschaft" oder "Informationsgesellschaft" zentrale Rechtsinstitution. Richtig daran ist, dass ohne eine Sicherung von Rechten geistigen Eigentums das für die Entwicklung der "Innovationen" vorgeschossene Kapital potenziell schwerer verwertet werden kann, da Nachahmer mit geringerem Aufwand billiger verkaufen können. Dies ist auch das Argument des Investitionsschutzes der bürgerlichen Ökonomie und der Bundesregierung, wenn sie behauptet, dass für Innovation die Eigentumsrechte international gesichert werden müssen. Nun ist aber die Sicherung der Rechte an geistigem Eigentum zum einen nicht schon eine Garantie für einen erfolgreichen Verkauf der Produkte, sondern lediglich notwendige Bedingung. Zum anderen ist nicht das geistige Eigentum die zentrale Rechtsinstitution einer so genannten Wissensgesellschaft, sondern nach wie vor handelt es sich dabei um das bürgerliche Privateigentum, wovon das geistige Eigentum nur eine besondere Variante darstellt. Eben als notwendige Bedingung, um auch Immateriellem eine Warenform geben zu können.
Wenn die Bundesregierung in Heiligendamm ein Bekenntnis "zur Investitionsfreiheit in Industrie- und Schwellenländern" ablegen will, als Grundwerte u.a. Marktwirtschaft und Freihandel nennt und gleichzeitig einen Dialog über die Stärkung des Schutzes vor Produkt- und Markenpiraterie initiieren möchte, so steckt dahinter zweierlei: Zum einen soll grundsätzlich ein internationales Rechtsregime zur Etablierung von Privateigentum etabliert werden als Voraussetzung von Marktwirtschaft und Freihandel für so genannte wissensbasierte Produkte. Zum anderen soll damit zugleich der gegenüber den Schwellenländern in den Industrieländern diesbezüglich vorherrschende technologische Vorsprung abgesichert werden.
Dies sind alles Gründe dafür, dass sich die G8 auf ihrem Treffen in Heiligendamm darüber verständigen, wie geistiges Eigentum effektiv geschützt werden kann. Nachdem China inzwischen der WTO beigetreten ist, die uneingeschränkte Macht der G8 innerhalb dieser Organisation jedoch alles andere als eindeutig ist (ak 510), werden die G8-Zusammenkünfte wichtiger, da hier für eine gemeinsame Verhandlungsmacht Konflikte kleingearbeitet werden. Das Thema geistiges Eigentum ist in diesem Sinne Teil der politischen Strategie, die Verwertungsmöglichkeiten für das globale Kapital zu verbessern. Voraussetzung dafür ist eine international funktionierende Staatsräson, unter die sich auch das G8-Mitglied Russland unterzuordnen hat. Dies hat Russland beim letzten G8-Gipfel in St. Petersburg zu spüren bekommen. Seit zehn Jahren versuchte Russland Mitglied der WTO zu werden. Es fehlte nur noch ein bilaterales Abkommen mit den USA, das vor einer Woche doch noch beschlossen wurde. Das war vor ein paar Monaten noch anders: Am Tag vor dem eigentlichen St. Petersburger Gipfeltreffen 2006 trafen sich Bush und Putin. Nach stundenlangen Verhandlungen machten die USA Putin doch noch einen Strich durch die Rechnung. Grund: der noch immer mangelnde Schutz geistigen Eigentums in Russland.
Sabine Nuss
[ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 511 / 17.11.2006]