NoLager Bremen
1. Vorbemerkung
Ausgangspunkt des vorliegenden Diskussionspapiers ist ein zunehmendes Unbehagen, welches uns ob der Diskussions- und Entscheidungsprozesse innerhalb des Hannoveraner G8-Koordinierungskreises beschlichen hat (mitunter wird der Hannoveraner Koordinierungskreis auch als "Rostocker Bündnis" bezeichnet, was jedoch insofern irreführend ist, als auch auf lokaler Ebene ein Bündnis gleichen Namens existiert). Dass wir unsere Kritik - einschließlich verärgerter Einsprengsel - noch vor der Rostocker Aktionskonferenz zur Diskussion stellen, ist natürlich kein Zufall, selbst wenn wir uns relativ spontan, in der gemeinsamen Nachlese des letzten Hannover-Treffens dazu entschieden haben. Denn natürlich hoffen wir, dass die von uns formulierten Einschätzungen auf die eine oder andere Weise Eingang in die Konferenz finden und somit einen aus unserer Sicht konstruktiven Beitrag zum weiteren Geschehen leisten werden (unbeschadet dessen, dass wir in vielerlei Hinsicht bei eher skeptischen Schlussfolgerungen landen).
Erwähnt sei darüber hinaus, dass unser heutiges Diskussionspapier im unmittelbaren Kontext mit einem weiteren Diskussionspapier steht, welches wir letzte Woche anlässlich des dissent-Treffens in Osnabrück verfasst haben. Gegenstand jenes Textes ist das Verhältnis zwischen dem dissent/campinski-Spektrum und dem Hannoveraner G8-Koordinierungskreis. Wir möchten dieses unter http://www.gipfelsoli.org/Inhalt+Theorie.html abrufbare Diskussionspapier nicht nur aus Gründen wechselseitiger Transparenz erwähnen, sondern auch deshalb, weil wir einem bestimmten Leseeindruck von Vornhinein entgegentreten möchten: Bei aller Kritik am Hannoveraner G8-Koordinierungskreis, es geht uns nicht darum, die alte Leier übermächtiger NGOs bzw. Großorganisationen á la attac zu bedienen, welche vorgeblich nichts unversucht ließen, den Protest zu vereinnahmen bzw. mainstreamförmig zu kanalisieren. Derlei in linksradikalen Zusammenhängen immer noch gerne kultivierte Selbstentmächtigungs-, mithin Verschwörungsstrategien führen unseren Erachtens nicht weiter, damit haben wir uns in besagtem Text ausgiebig beschäftigt.
2. Wo hakt's? Kritische Perspektiven in Sachen Hannoveraner G8-Koordinierungskreis
a) Viele der Differenzen und Probleme, welche im politisch breit angelegten Hannoveraner G8-Koordinierungskreis gleichsam naturgemäß immer wieder auftauchen, werden im Rahmen der Hannoveraner Zusammenkünfte regelmäßig gedeckelt, vertagt oder wegdelegiert (dass bereits die Verwendung des Wörtchens �Bündnis' politisch brisant ist, ist uns durchaus bewusst; wir werden darauf weiter unten noch ausführlich eingehen). Hierdurch droht der gemeinsame politische Prozess hohl und nichtssagend, ja technokratisch zu werden. Es mag sein, dass wir am Ende 100.000 Menschen für eine Großdemo in Rostock mobilisiert haben werden - auch wenn wir diesbezüglich weniger optimistisch sind. Wir können uns aber nicht des Eindruckes erwehren, dass unter den gegebenen Bedingungen eine derartige Zahl reichlich folgen- bzw. kraftlos bliebe. Denn substantielle Bündnisprozesse (in welchen die gemeinsamen politischen Schnittmengen tatsächlich ausgelotet oder erweitert werden) finden nach unserem Eindruck allenfalls eine Ebene unterhalb des G8-Koordinierungskreises statt, etwa im "Block G8!"-Blockadebündnis, im Euromärsche-Netzwerk oder in einigen, insbesondere aus dem Anti-G8-Camp "Campinski" im August 2006 hervorgegangenen AGs. Sicherlich, sämtliche dieser Prozesse sind bedeutsam (einschließlich der Prozesse, die erst im kumulativen Überschlag politische Wirkung entfalten), es sollten aber auch nicht die ursprünglichen Absichten aus dem Blick geraten. Denn diese sind - das kann gar nicht oft genug betont werden - bis auf den heutigen Tag hochfliegend: Meist ist von der Krise des Neoliberalismus die Rede und von der einzigartigen Chance, welche der G8-Gipfel deshalb für die Herausbildung neuartiger Bündnis-Konstellationen in Deutschland und darüber hinaus bieten würde (vgl. exemplarisch die von der Interventionistischen Linken herausgegebenen G8-Extra-Zeitungen). Allein: Von qualitativ neuartigen Bündnissen ist in unseren Augen bislang wenig zu spüren - legt mensch nicht die (pragmatische) Organisierung zweier Konferenzen, sondern die Verbindlichkeit und den Gehalt eines gemeinsamen politischen Diskussions- und Organisierungsprozesses als ausschlaggebendes Kriterium zugrunde. Wir möchten dies anhand zweier Beispiele aus dem letzten Treffen verdeutlichen:
Als wir über die Auftaktveranstaltung der Rostocker Konferenz sprachen, bemängelten insbesondere AktivistInnen von attac, dass die bis dato vorgeschlagene Zusammensetzung des Podiums zu linkslastig ausfiele und deshalb für etliche NGOs schlicht ungenießbar wäre. Es entpuppte sich schnell, dass dies eher eine Frage der politischen Optik wäre und somit auch grundsätzlicher (bündnis-)politischer Interessen bzw. Präferenzen. Allein: Die Zeit war einmal mehr knapp bemessen, weshalb uns nichts anderes blieb, als diese nicht nur spannende sondern auch notwendige Debatte (s.u.) abzubrechen und die damit verknüpfte Aufgabenstellung schnöde wegzudelegieren. Der Ergänzung halber sei noch angemerkt, dass wir zwar den Vorschlag charmant fanden, attac mit der Konzeptualisierung der Auftaktveranstaltung zu betrauen, weniger charmant ist allerdings, dass seitdem nichts mehr in dieser Angelegenheit zu vernehmen war (Stand: 08.11.). Doch das ist nur ein Nebenschauplatz, gleichsam das unrühmliche Ende eines ohnehin unrühmlichen Vorgangs.
Ebenfalls bemerkenswert sind die Abläufe rund um die Mottofindung. Zur Erinnerung: In Hannover wurden zunächst die bisherigen Ergebnisse der Motto-Findungskomission skizziert. Obwohl allenthalben bekannt ist, dass die Bestimmung eines gemeinsamen Slogans eine überaus delikate Angelegenheit darstellt, einigten wir uns aus Zeitgründen darauf, nicht in die inhaltliche Debatte einzusteigen - eine Entscheidung, welche im Lichte der Bedeutsamkeit von Slogans eigentlich blanker Nonsens ist. Um so erstaunlicher war, dass einige Tage später seitens einzelner Teilnehmer der Motto-AG via Mail die Einschätzung erfolgte, in Hannover habe sich bereits ein erster Konsens in Sachen Motto abgezeichnet: "Gemeinsam mit globalen Regeln für Klima und Gerechtigkeit zum weltweiten Frieden" (Arbeitstitel). Dieser Einschätzung wurde zwar von unterschiedlicher Seite vehement widersprochen, auch unter Rückgriff auf kabarettistische Stilmittel. Allein: Konsequenzen hat das keine gehabt, was unseres Erachtens einmal mehr ein bezeichnendes Licht auf den aktuellen Stand der Organisierung wirft. Denn auch wenn wir die Behauptung eines in Hannover entstandenen Konsens keineswegs als machtpolitisch inspirierten Winkelzug begreifen, einer spezifischen Ausrichtung des Mottos durch die Hintertür Oberwasser zu verschaffen, zeigt dieser Vorgang doch, wie wenig sich die in Hannover treffenden Gruppen und Netzwerk kennen bzw. einschätzen können. Exemplarisch sei dies an der Begrifflichkeit der "(Spiel-)Regeln" verdeutlicht. Aus linksradikaler, mithin kapitalismuskritischer Perspektive verbietet sich die Rede von (Spiel-)Regeln geradezu von selbst, einfach deshalb, weil im hegemonialen Diskurs der Verweis auf (Spiel-) Regeln meist im Gegensatz zu solchen Perspektiven steht, die nicht die Regeln, sondern das Spiel verändern wollen. In diesem Sinne wäre in Hannover eigentlich - verfügbare Zeit vorausgesetzt - eine Debatte erforderlich gewesen, wie sie z.B. Walden Bello mit Oxfam über die Chancen und Grenzen eines gerechten Welthandels geführt hat. Denn erst auf der Basis solcher und ähnlicher Debatten wäre es möglich gewesen, die Chancen eines gemeinsamen Slogans substantiell auszuloten, und zwar in großer Runde, wo tatsächlich die ganze Breite des Protestspektrums repräsentiert ist.
b) Die Tendenz, heiße Eisen nicht mit der in unseren Augen nötigen Entschiedenheit anzugehen, macht sich besonders schmerzlich an der bis heute weitgehend unbesprochenen Campfrage fest. Wir sagen schmerzlich, weil es sich unseres Erachtens um eine der zentralen Fragen schlechthin handelt: Einerseits sind alle Protestspektren auf Camps angewiesen und rechnen auch mit deren Existenz (zumindest soviel ist auf dem letzten Treffen in Hannover deutlich geworden). Andererseits wirft das die Frage auf, was gemeint ist, wenn von Camps die Rede ist: Geht es lediglich um (politisch neutrale) Massenschlafplätze mit Klos, Waschmöglichkeit und Massenverpflegung oder werden Camps als eigenständige Orte des Widerstands definiert - unmittelbar kurzgeschlossen mit vielfältigen Aktions- und Blockadekonzepten? Während es diesbezüglich im Rostocker Bündnis so gut wie keinen Gesprächstand gibt, hat sich das dissent/campinski-Spektrum bereits deutlich dazu geäußert. Danach ist zwar ein spektrenübergreifendes Camp politisch gewollt, allerdings nur zu bestimmten Konditionen: Erstens soll es innerhalb eines gemeinsamen Camps eigenständige Barrio-Strukturen mit je autonomen Entscheidungskompetenzen geben. Zweitens werden komerzielle Dienstleister u.ä. abgelehnt - genauso wie jede Art von Security, Zäunen und vergleichbarer Überwachungsstechnologie (erinnert sei nur an das von der Stadt Edingburgh beim G8-Gipfel 2005 zur Verfügung gestellte Geister-Camp). Drittens ist gegenüber der Presse ein abgestimmtes Vorgehen erwünscht, dies schließt jede Form wechselseitiger Distanzierung aus! Nicht geklärt ist innerhalb des dissent/campinski-Spektrums bislang, wo und wieviele Camps es geben soll. Klar ist lediglich, dass Camps und die Gesamtchoreografie des Widerstands sorgfältig aufeinander abgestimmt sein sollten. Wir erwähnen das deshalb so ausführlich, weil in dieser Hinsicht dringender Klärungsbedarf besteht. Denn die, die sich bislang um die Camps kümmern, haben in den letzten Wochen zu Recht einen politischen Auftrag eingefordert. Sie möchten wissen, was politisch gewünscht ist und von wem mit welcher finanziellen, logistischen, personellen und politischen Unterstützung bzw. Mitträgerschaft zu rechnen ist. Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch, dass der Aufbau gut funktionierender (Widerstands-)Camps erfahrungsgemäß eine überdurchschnittlich zeit-, kraft- und ressourcenfressende Angelegeneheit ist!
c) Unsere dritte Anmerkung zielt darauf, dass wir in der bisherigen Kooperation den umfassenden, ja emphatisch aufgeladenen Willen zum Kompromiss vermissen. Das ist zwar nicht prinzipiell anstößig, im Falle des G8-Koordinierungskreises sollten jedoch - Stichwort: hochfliegende Absichten - andere Maßstäbe gelten. Wir möchten dies am Beispiel des Alternativgipfels erläutern - und beginnen mit einer kurzen Rückblende: Gleich als im Mai 2006 der erste konzeptuelle Entwurf für einen Alternativgipfel zur Diskussion gestellt wurde, machten wir zusammen mit kein mensch ist illegal/Hanau deutlich - unter anderem vor dem Hintergrund eines entsprechenden Votums aus dem dissent-Spektrum - dass wir die vorgeschlagene zeitliche Parallelität zwischen G8- und Alternativgipfel politisch äußerst unglücklich fänden. Denn diese hätte zur Konsequenz, dass die inhaltlichen Perspektiven sowie thematischen Schwerpunktsetzungen seitens derer, die während des Gipfels vorrangig auf der Straße aktiv seien, im Rahmen des Alternativgipfels nicht hinreichend repräsentiert würden. Allein: Mit unserer Initiative, den Alternativgipfel zeitlich in die Länge zu strecken und somit unmittelbare Parallelelitäten zu vermeiden, ernteten wir vor allem Widerspruch: Einerseits würden wir nicht, so die Antikritik, die Interessen und Strategien von NGOs berücksichtigen (wonach es sehr wohl darauf ankäme, die Alternativen in unmittelbarer Tuchfühlung mit dem offiziellen G8-Gipfel zu artikulieren). Andererseits würde eine zeitliche Streckung des Alternativgipfels dessen Kompaktheit sprengen und somit der Gefahr einer medial kontraproduktiven Zerfaserung Vorschub leisten. Während wir ersteres plausibel fanden (und das auch entsprechend kundtaten), leuchtete uns letzteres überhaupt nicht ein. Denn in der Konsequenz hieße das ja, so unsere Erwiderung, dass die faktische Nicht-Teilnahme eines zentralen Flügels des Anti-G8-Widerstands billigend in Kauf genommen würde; und das aus Gründen, die wir auch inhaltlich problematisch fänden, ließe sich doch die enorme Breite, Vielfalt und Widersprüchlichkeit des Protests weder kompakt noch eindeutig auf irgendeinen Punkt bringen. Uneinigkeit hin oder hier, unser Interesse, mit eigenen Inhalten auf dem Alternativgipfel vertreten zu sein, war damit (noch) nicht gebrochen, auch wenn in der Zwischenzeit eine weitgehend parallele Terminierung festgezurrt wurde. Um so erstaunter waren wir, als wir dem letzten Protokoll der Alternativ-Gipfel-AG entnehmen mussten, dass sich der Themenkomplex Migration "am ehesten auf der AG-Ebene bearbeiten" ließe, sich also nicht als "mittleres Podium" eigne, wo unter anderem Themen wie "Frieden/Sicherheit/Krieg" oder "Armut/Entwicklung/Nord/Süd" bearbeitet werden sollen. Nun ist uns durchaus bewusst, dass es sich bislang lediglich um Vorschläge handelt und auch möchten wir nicht ausschließen, dass womöglich Missverständnisse vorliegen und außerdem eine konzeptuelle E-Mail von unserer Seite (inklusive zeitlicher Kompromissvorschläge) nicht rechtzeitig zur Kenntnis genommen wurde. Dennoch bestärkt die Platzierung von Migration am Katzentisch der AGs (als bislang einzigem AG-Thema!) unseren eingangs erwähnten Eindruck, dass (unter anderem) im Rahmen des Alternativgipfels der Wille zum Kompromiss und zur umfassenden Beteiligung aller Protestspektren eher schwach bzw. selektiv ausgeprägt ist. Prinzipiell ist das nicht illegitim, und natürlich steht es uns und allen anderen frei, im Rahmen der Camps mit eigenen Veranstaltungen an die Öffentlichkeit zu treten. Allein: Vor dem Hintergrund der ursprünglichen Rostock-Programmatik klafft an diesem Punkt eine gravierende Glaubwürdigkeitslücke, einzig deshalb erwähnen wir es hier so ausführlich.
3. Woran liegt's? Versuch einer knappen Ursachenanalyse
Vorbemerkung: Mehreres ist ja bereits angesprochen worden, insbesondere im Zusammenhang mit dem Alternativgipfel. Wir werden in diesem Abschnitt nicht nochmal eigens darauf eingehen.
a) Wir glauben zwar, dass das für den Hannoveraner Koodinierungskreis maßgebliche Ideal eines breiten Bündnisses weiterhin von den allermeisten geteilt wird, unser Eindruck ist jedoch, dass es innerhalb davon relativ unterschiedliche Schwerpunktsetzungen gibt und folglich auch unterschiedlich gelagerte Gesprächsinteressen, Kompromissbereitschaften und Loyalitäten. Grob gesprochen - die Betonung liegt auf "grob"! - scheint uns derzeit die Mehrheit der in Hannover aktiv beteiligten Gruppen in erster Linie das politische Spannungsfeld zwischen attac, NGOs, kirchlichen Gruppen, friedenspolitischen Netzwerken, Parteijugendlichen und der Interventionistischen Linken ausloten zu wollen, während nur eine Minderheit (wozu wir auch uns zählen) ihren bündnispolitischen Schwerpunkt etwas weiter links verortet - nicht zuletzt unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das dissent/campinski-Spektrum. Diese Differenzen in der Bündnisgeografie werden z.B. daran deutlich, dass sich das Gespräch in Hannover so gut wie nie um das dissent/campinski-Spektrum rankt, und wenn doch, dann geht dies nicht selten mit gereizten, verklemmten oder enervierten Unter- bzw. Obertönen einher, und zwar selbst bei denjenigen, die sich im Kern - so wie wir - positiv auf das dissent/campinski-Spektrum beziehen. Demgegenüber nehmen die Befindlichkeiten von NGOs sowie anderen Akteuren der Zivilgesellschaft ungleich breiteren Raum ein, nicht zuletzt die Befindlichkeiten derer, die noch gar nicht oder nur mit unklarem (Beobachtungs-)Status dabei sind; verwiesen sei beispielhaft auf die Diskussion um die Auftaktveranstaltung der nächsten Rostocker-Konferenz oder die aus unserer Sicht ziemlich vermaledeite Debatte um die Möglichkeiten der Beteiligung von Linkspartei/WASG. Die bündnisgeografisch unterschiedlichen Interessen drücken sich außerdem in einer - wie wir finden - übergroßen Sorge aus, beim Hannoveraner Koordinierungskreis könne es zum (offenen) politischen Schlagabtausch kommen, mit negativen Effekten, nicht zuletzt was die Beteiligung aus dem NGO-Spektrum betrifft. Wenn wir das sagen, denken wir insbesondere an die Hartnäckigkeit, mit der auf dem Hannoveraner Treffen immer wieder - fast schon beschwörungsgleich - auf den völlig unstrittigen Umstand verwiesen wird, dass die beteiligten Akteure verschiedenartige politische Positionen hätten und dass dies selbstredend von niemandem in Frage gestellt würde.
Kurzum: So verständlich es sein mag, dass unterschiedliche bündnispolitische Präferenzen mit unterschiedlichen �Haltungen' einhergehen, seien es Rücksichtnahmen oder Ignoranzen, selbst Skrupellosigkeiten, so sehr sind wir davon überzeugt, dass dies die Arbeit des Hannoveraner Koordinierungskreises zunehmend belastet, ja blockiert. Wir möchten deshalb dafür plädieren, bündnispolitische Fragestellungen zukünftig offener anzugehen, einschließlich kontroverser Debatten, die das womöglich mit sich bringt, ob auf dem Feld der Bündnispolitik selbst oder hinsichtlich anderer Fragen und Probleme.
b) Ein weiteres Manko des Hannoveraner G8-Koordinierungskreises ist unseres Erachtens, dass dessen Aufgabe nicht hinreichend bestimmt ist. Es heißt zwar immer, dass in Hannover lediglich die Arbeit der unterschiedlichen Protestspektren koordiniert würde, doch das ist eine Mogelpackung, wie bereits ein kurzer Blick in die Protokolle des vergangenen Jahres zeigt. Konkret: In Hannover werden nicht nur letzte Abstimmungen vorgenommen, von Ideen, die andernorts entstanden sind. In Hannover findet vielmehr beides statt: Koordinierung einer Vielzahl unterschiedlicher Aktivitäten (wenn auch längst nicht aller), genauso wie Entwicklung eigener Aktionskonzepte bzw. -strategien, einschließlich der so genannten Gesamtchoreografie des Widerstands. Hinzu kommt, dass der Koordinierungskreis die nahezu einzige Zusammenkunft ist, die tatsächlich spektrenübergreifenden Charakter hat (ohne dass deshalb alle Spektren gleichmaßen oder überhaupt vertreten wären). Das ist deshalb bedeutsam, weil hierin - zumindest der Möglichkeit nach - eine vergleichsweise hohe Legitimität der in Hannover auf den Weg gebrachten Entwicklungen begründet ist. Allein: Trotz seiner unbestreitbaren Bedeutsamkeit für den aktuellen Anti-G8-Protest, redet der Hannoveraner Kreis immer wieder seine Rolle klein - unter anderem deshalb, weil einige der am Hannover-Treffen beteiligten Gruppen die politische Nähe scheuen, die entstünde (auch in der Wahrnehmung durch Dritte), sobald sie als Mitglieder eines �richtigen' Hannoveraner G8-Bündnisses angesehen würden - und nicht mehr nur als Mitglieder eines vorgeblich losen Koordinierungskreises. Wir können diese und ähnliche Gründe zwar nachvollziehen, finden es aber dennoch problematisch, dass sich der Hannoveraner Koordinierungskreis bis heute keinen klaren Auftrag gegeben hat, insbesondere was die Frage betrifft, wo und durch wen welche Fragen endgültig besprochen werden. Denn das leistet der oben skizzierten Tendenz zur Wegdelegierung komplizierter bzw. umkämpfter Fragen in Arbeitsgruppen u.ä. enormen Vorschub, schließlich kann mensch auf diese Weise immer wieder behaupten (ob mit oder ohne Kalkül, sei dahingestellt), dass das Hannoveraner Treffen lediglich ein Koordinierungskreis sei und dass deshalb bestimmte Fragen gar nicht ausdiskutiert werden müssten - während die linke bzw. kritische Öffentlichkeit dies überhaupt nicht auf dem Schirm hat und deshalb geneigt ist, Entscheidungen, die aus dem Dunstkreis des Hannoveraner Treffens hervorgegangen sind, als halbwegs ausdiskutiert, mithin legitimiert zu begreifen. So ist es z.B. im Falle des Alternativgipfels gewesen, dessen endgültige Terminierung nicht vom Koordinierungskreis beschlossen wurde, sondern von dem ungleich kleineren Trägerkreis des Alternativgipfels.
c) Wir möchten abschließend noch kurz auf einen Punkt zu sprechen kommen, der zwar banal anmutet, hinter dem jedoch ein handfestes Problem steckt. Die Treffen des G8-Koordinierungskreises sind auch deshalb so pragmatisch ausgerichtet, weil überhaupt nicht die nötige Zeit zur Verfügung steht, ernsthaft in Debatten einzusteigen. Dies hat allerdings weniger damit zu tun - wie in jüngerer Zeit des Öfteren kolportiert, dass wir es nicht verstünden, umsichtig & klug mit unserer knappen Zeit zu haushalten. Das Problem erscheint uns vielmehr zu sein, dass keineR von uns wirklich Zeit hat, hinsichtlich des Hannoveraner Koordinierungskreises in dem Umfang aktiv zu werden, wie das eigentlich erforderlich wäre. Und das wiederum dürfte insbesondere damit zu tun haben, dass die meisten von uns (neben sonstigen Verpflichtungen, Verantwortlichkeiten und Bedürfnissen im Leben) auch noch in eigene, sei es themen- oder organisations- bzw. netzwerkbezogene G8-Baustellen verwickelt sind. Wir erwähnen das deshalb so ausdrücklich, weil wir es falsch fänden, würden die Hannoveraner Treffen zukünftig noch stärker mit dem AG-Delegationsprinzip operieren, als das ohnehin schon der Fall ist. Denn das dürfte viele der von uns aufgemachten Probleme einzig verschärfen, mit der Konsequenz, dass uns die Dinge früher oder später ohnehin wieder einholen und ihr zeitliches Recht einfordern. In diesem Sinne scheint es uns angebrachter zu sein, auf dem ersten Treffen nach der Rostocker Aktionskonferenz (04.12.) nochmal innezuhalten und ergebnisoffen zu überlegen, was die Treffen des Koordinierungskreises überhaupt leisten sollen und mit welchen Arbeits-, Diskussions- und Entscheidungsstrukturen dies am besten zu bewerkstelligen ist.
4. Wie weiter?
Eigentlich hatten wir uns mehrere konkrete Vorschläge überlegt, mit deren Hilfe sich womöglich einige der von uns aufgeworfenen Probleme lösen oder zumindest adressieren ließen. Wir sind jedoch wieder davon abgerückt, diese zur Diskussion zu stellen, einfach deshalb, weil uns die aktuelle Situation vergleichsweise unübersichtlich, ja verfahren erscheint. Wir möchten deshalb zunächst die Rostock-Konferenz abwarten und erst auf dieser Grundlage zu einer Einschätzung gelangen, wie der weitere Organisierungsprozess - insbesondere unter bündnispolitischen Gesichtspunkten - gestaltet werden könnte.
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