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2007-05-14

G8 2007: Countdown zum Showdown

Die heiße Phase des Gipfels hat begonnen, darüber besteht kein Zweifel mehr. Den letzten Schwung für die Anti-G8-Mobilisierung, die zu einer Woche des Widerstands an die Ostsee einlädt, brachte interessanterweise eine Aktion der deutschen Bundespolizei, die ca. 40 linke Projekte und Wohnungen von Privatpersonen mit über 900 Beamten durchsuchte. Mit dem Artikel 129 a, der von Kritikern auch als "Gummiparagraf" bezeichnet wird und zur "Terrorismusbekämpfung" geschaffen wurde, versuchten sich die Sicherheitsstrategen einen Überblick über die Strukturen der Gipfelgegner zu verschaffen und dokumentierten doch nur vor allem ihre Hilflosigkeit angesichts einer Mobilisierung, deren Vielfalt und Breite in Deutschland beispiellos sind und bei der die Beteiligung von über 100.000 Leuten erwartet wird. Genua lässt grüßen.

Die Antwort, die die G8-Protestbewegung auf den Kriminalisierungsversuch der Bundesanwaltschaft gab, ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Innerhalb von nur zehn Stunden versammelten sich noch am gleichen Tag ca. 12.000 Menschen und demonstrierten in verschiedenen Städten der Bundesrepublik, weitere 5000 international gegen die Repressionsmaßnahme. Es ist deutlich geworden, dass das Kalkül der deutschen Behörden, mit der landesweiten Durchsuchungsaktion einzuschüchtern und an Informationen zu gelangen, kaum jemanden davon abschreckt, Anfang Juni an die deutsche Ostseeküste zu fahren, um gegen die Politik der acht mächtigsten Industrienationen zu protestieren. Im Gegenteil. Neun Jahre nach Seattle lässt es sich die globalisierungskritische Bewegung offenkundig nicht nehmen, Widersprüche der bestehenden kapitalistischen Weltordnung erneut zuzuspitzen und ein weiteres Mal ein fundamentales Steuerungszentrum globaler Wirtschaftsstrukturen grundsätzlich in Frage zu stellen: den G8-Gipfel.

Die Zeit ab dem ersten Juni lässt ein Kauderwelsch des Aktionismus erwarten - verschiedenste Protestformen geben sich in Rostock und Umgebung ein Stelldichein. Einige Einrichtungen haben sich über die Jahre der "Globalisierung von unten" etabliert, wie etwa Camps zur gemeinsamen Unterkunft an verschiedenen Orten, Convergence-Center zur Zusammenkunft und medialer Arbeit, Legal-Support, Unterstützung von durch Polizeigewalt Traumatisierten, Volxküchen und womöglich einige Formen, die bei den letztjährigen Gipfelprotesten in Gleneagles neu hinzu kamen, wie etwa CIRCA, die Armee der Clowns. Fest steht, dass vielfache Möglichkeiten für die Teilnehmenden vorhanden sein werden, sich über die eigentliche Blockade hinaus zu engagieren - auch wenn von Erfahreneren dazu geraten wird, wenn möglich bereits als Gruppe anzureisen (www.gipfelsoli.org). Nicht zuletzt gibt es ein umfangreiches kulturelles Programm, damit neben der Politik das Amusement nicht zu kurz kommt (www.move-g8).
Die lang ausgearbeitete "Choreografie des Widerstands" verspricht eine bewegte Woche - deren eigentlicher Auftakt die internationale Großdemo am 2.6. bildet. Im Zentrum der folgenden Tage steht die Blockade des G8-Gipfels, eine großangelegtes Vorhaben, auf das bereits seit einiger Zeit hintrainiert wird und die sich in der Tradition des zivilen Ungehorsams damit befasst, durch die Absperrungen der Polizei "hindurch zu fließen". So soll verhindert werden, dass die Staatschefs und ihre Untergebenen zum Hotel Kempinski nach Heiligendamm, dem Ort ihres Treffens, gelangen (www.block-g8.org).

Ein erster inhaltlicher Aktionstag am 3. Juni widmet sich dem Zusammenhang G8 und Landwirtschaft. Die Kritik an der Politik der G8 lässt sich mit dem Satz subsumieren: "Ein Kind, das heute verhungert, wird ermordet." Dezentrale Aktionen sind geplant (www.g8-landwirtschaft.net). Montag, der 4. Juni steht im Zeichen des Aktionstages zum Thema Migration und den damit verbundenen Forderungen nach "Globalen Sozialen Rechten" und "Bewegungsfreiheit". Ein Sternmarsch, der bereits Wochen vorherverschiedene Städte einschließt und bereits am 1. Juni in Rostock in einem African Action Day mündet, leitet diesen Aspekt der Proteste ein. Weiterhin werden im Zusammenhang mit dem Thema Flucht und Migration Aktionen beispielsweise zu den Lagern im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt (www.g8-migration.net.tf). Der Alternativgipfel, der am Mittwoch, den 7. Juni beginnt, bietet das Forum zur Zusammenführung unabhängiger Diskussionen, die von Prominenten der globalisierungskritischen Bewegung vorrangig von der Plattform der NGOs geführt werden (www.g8-alternative-summit.org). Den Abschluss der Woche bildet aller Wahrscheinlichkeit eine weitere Demonstation.

Die deutsche Linke erlebt angesichts dieser vielfältigen Ansätze einen Aufschwung und greift gleichzeitig auf Erfahrungen zurück, die es im Widerstand gegen staatliche und privatwirtschaftliche Projekte nationaler und transnationaler Art in der Vergangenheit gegeben hat und die sich nun als nützlich erweisen. Nicht nur Seattle und Genua, sondern beispielsweise auch der langjährige und schließlich erfolgreiche Widerstand gegen die atomare Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf und die immer wieder aufs Neue stattfindenden Blockaden gegen die Atommülltransporte nach Gorleben sind neben den Rückblicken auf vergangene Wirtschaftsgipfel in diesem Zusammenhang bedeutsam. Nicht nur, weil das praktische Szenario, also die ländliche Umgebung, Vergleiche nahe legt, sondern vor allem auch deswegen, weil in dem Protest unterschiedlichste Strömungen und Gruppen vereint an einem gemeinsamen Widerstand arbeiten.

Während der Vorbereitung gab es mit den sogenannten Rostocker Aktionskonferenzen den konkreten Versuch, spektrenübergreifend und international zu den Protestaktivitäten einzuladen und deren Ausrichtung gemeinsam zu gestalten. So sind nun Gruppen wie die mit unterschiedlichen radikaldemokratische Ansätzen antretende Interventionistische Linke (IL) und der eher basisnahe Zusammenhang Dissent, weitere linke Bündnisse sowie eine große Plattform verschiedener Nichtregierungsorganisationen NGOs von Attac bis Greenpeace, Friedens- und kirchlichen Gruppen und Gewerkschaften ins Gespräch gekommen - auch wenn es abzuwarten bleibt, wie sich die sich ansatzweise abzeichnenden Übereinkünfte der gegenseitigen Toleranz während der Protesttage umsetzen lassen.

Auf internationale Beteiligung wird bei den Demonstrationen und sonstigen Aktionsformen großen Wert gelegt, und auch hier ist mit vielfältiger Teilnahme zu rechnen - aus ganz Europa haben sich Gruppen angekündigt, an den Blockaden mitzuwirken. Nicht zuletzt die Anbindung an die Sozialforen wie etwa das ESF in Athen oder das Afrikanische Sozialforum in Nairobi werden dafür sorgen, dass der Charakter der Proteste sehr stark von einem internationalen Austausch geprägt sein wird, von dem alle Anreisenden profitieren.

Die deutsche Regierung hingegen befindet sich in einer Situation, die sich immer schwieriger darstellt: einerseits weiß sie, dass ein real durch Proteste unterbrochener Gipfel das "Ansehen Deutschlands in der Welt" schaden würde, wie in diesen Tagen nun öfter von offiziellen Stellen zu vernehmen ist. Andererseits kommt sie mit den üblichen repressiven Mitteln und Spaltungsversuchen, wie die jüngsten Maßnahmen zeigen, eher in die Lage, die Stimmung anzuheizen. Ein Szenario wie in Genua muss jedoch, so meinen die Offiziellen, unbedingt vermieden werden.

Bereits knappe drei Wochen vor dem Gipfel allerdings kommt das Thema nicht mehr aus den deutschen Medien heraus. Langsam aber sicher wird der Regierung und dem hochgerüsteten Sicherheitsapparat der Extra-Klasse die Dimension des Protests klar, der sich nicht mehr ignorieren lässt - auch die Verstärkung des Zauns mit Natodraht, der nur für den Gipfel bereits vor einem halben Jahr für 12,5 Millionen Euro fertig gestellt wurde sowie die Aufstockung der 16.000 Polizisten um 1.100 Soldaten zum Schutz der Diplomaten vor dem Volkszorn gibt auch für Unbeteiligte langsam aber sicher den Blick auf die Absurdität des Unterfangens frei. Allein für den Polizeieinsatz liegen die geschätzten Kosten bei über 100.000,- Euro. "Wer sich die G8 einlädt, lädt sich auch den Protest ein", ist bereits seit Jahren einer der Slogans der globalisierungskritischen Bewegung und immer wieder zu hören gewesen. Die Vorbereitungen, die seit von Seiten der Protestierenden vor zwei Jahren angelaufen sind, lassen vermuten, dass der Protest weltweit gut vernommen werden kann.

Doch nicht nur das. Die Veranstaltungen rund um die Demonstrationen geben begründeten Anlass zu der Hoffnung, einen weiteren Schritt dahin zu gehen, ernsthaft über die Probleme der globalisierten Welt, und zwar nicht unter der Federführung derjenigen, die als G8 maßgeblich für das aktuelle Debakel verantwortlich sind, zu sprechen - sondern vermehrt unter der derjenigen, die betroffen sind. Die althergebrachten Institutionen und insbesondere die G8 können und wollen dies nicht leisten. Die Bewegung für eine solidarische Globalisierung will laut eigener Aussage die Gelegenheit nutzen, die Debatte um globale soziale Rechte voranbringen, Alternativmodelle zur hiesigen Wirtschaftsordnung gemeinsam zu diskutieren und deren Umsetzung einzufordern sowie zu planen, ein Schlaglicht auf den Zustand der Demokratie auch im industrialisierten Norden zu werfen und den selbsternannten Weltenlenkern klar zu machen, dass ihre Politik auf breit-organisierten Widerstand stößt und sie also zu einem Umdenken zu zwingen. Die diesjährigen Rostocker Aktionskonferenz formulierte es folgendermaßen: "Deshalb ist diese Erklärung eine Abschiedserklärung und eine Einladung. Eine Abschiedserklärung an die G8: 'Geht! Ihr seid nicht willkommen!' Eine Einladung an alle, die sagen: 'Ya basta! Es reicht! Eine andere Welt ist möglich!' Eine Welt der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit, der gleichen Rechte aller, des Friedens. Heiligendamm wird ein Anfang sein. Unser Anfang."

Der Widerspruch spitzt sich zu

Die ersten Erfolge der breiten Protestbewegung, die sich gegen den G8-Gipfel an der deutschen Ostseeküste richtet, werden erkennbar: Inzwischen ist die offizielle Agenda auf ein Kurzprogramm zusammengekürzt worden, bei dem sich die Regierungschefs gerade noch 1 1/2 Tage zusammenfinden - wohl vor allem, um die gemeinsamen Fototermine wahrzunehmen. Die Absurdität des mondänen Treffens, dessen Kosten sich auf geschätzte 120 Millionen Euro belaufen dürften, wird immer offenbarer.

Die letzten Tage vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm sind angebrochen - und der Gastgeber, die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, hat alle Hände voll zu tun, den immer deutlicher werdenden Protest gegen die Veranstaltung zu unterdrücken. Letzte Maßnahmen der Obrigkeit: Verbote und Verfügungen gegen alles, was Kritik zu nahe an die sogenannten Volksvertreter herankommen lässt. Vier bis sechs Kilometer Sperrzone, so die jüngste Idee der Sicherheitsstrategen, soll die Protestierenden außer Sichtweite der Gipfelteilnehmer halten. Denn Kritik, so kommentiert inzwischen auch die konservative Presse das Vorgehen etwas verwundert, scheint nicht in das Demokratieverständnis der Weltenlenker zu passen.

Nach den jüngsten Kriminalisierungsversuchen mittels einer großangelegten Durchsuchungsaktion versuchen deutsche Behörden nun einerseits, die bloße Annäherung an den Abwehrzaum (Kosten: 12,5 Millionen) juristisch zu verbieten und mittels einer "Allgemeinverfügung" die rechtliche Grundlage dafür zu schaffen, protestierende Menschen sofort festnehmen zu können. Andererseits wird mit fadenscheinigen Argumenten versucht, eine der zentralen Demonstrationen am 7. Juni zu verbieten. Dass dieses Thema nun bereits in den bilateralen Gesprächen zwischen dem russischen Präsidenten Putin und der Bundeskanzlerin Merkel bestimmend war, die sich gegenseitig wegen der offensichtlichen Demokratiedefizite in ihren Ländern kritisierten, zeigt die Stärke der Bewegung - die Szenerie erinnert an Kinder, die sich gegenseitig die Schuld zuschieben.

Der globalisierungskritische Widerstand ist nicht faul: schnell reagierten die vielfältigen Netzwerke, die verschiedene Formen des zivilen Ungehorsams planen: so wurde die wichtige Blockade des Flughafens Rostock-Laage nun auf den 7. Juni terminiert - denn die Anreise der Diplomaten wurde von offizielle Seite auf diesen Tag verschoben. Von Seiten der GipfelgegnerInnen wird an diesem Datum zu einem Aktionstag gegen Militarismus, Krieg und Folter aufgerufen.

Die große Anzahl von Basisinitiativen und Netzwerken zeigen sich also von den repressiven Maßnahmen unbeeindruckt - im Gegenteil, es scheint, als seien diese Versuche, das fundamentale Recht auf Demonstrationsfreiheit zu beschneiden, eher noch ein Ansporn dazu, die Aktionen auszuweiten. Immer deutlicher wird, dass mit unterschiedlichsten Protestformen zu rechnen ist. Die Vorbereitungen der inzwischen vier Widerstandscamps rund um Heiligendamm laufen auf Hochtouren, Strukturen zur Unterbringung, Verpflegung, Rechts- und medizinischen Hilfe sowie zur Kommunikation und zur medialen Betreuung und Öffentlichkeitsarbeit werden aufgebaut. Die Zahl der geplanten politischen und kulturellen Veranstaltungen wächst täglich. Nicht nur der Sternmarsch unter dem Motto "Den Protest nach Heiligendamm tragen", sondern auch Kundgebungen und Aktionen im Rahmen der weiteren Aktionstage zu Migration und Landwirtschaft konkretisieren sich. "Make Capitalism History" ist einer der Slogans auf der internationalen Demo am 2. Juni. Die Trainings zum zivilen Ungehorsam, die an verschiedenen Orten landesweit begonnen haben, erfreuen sich großer Beteiligung. Die Stimmung ist gut und die Zuversicht wächst innerhalb der Bewegung, die für eine solidarische Globalisiserung von unten eintritt, dass das "Nein", das der Politik der G8 entgegenschallt, laut sein wird.

Winnie Medina