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2007-04-30

A.L.B.: FIGHT G8

… tu nicht so als hättest du was besseres vor.

Anfang Juni findet in Heiligendamm bei Rostock das alljährliche Treffen der G8 statt. Wenn dort die Chefs der acht mächtigsten Staaten politische und ökonomische Richtungsentscheidungen fällen, dann betrifft dies einen Großteil der Weltbevölkerung und spiegelt ebenso die Verfasstheit kapitalistischer Verhältnisse wider. Kein anderes Treffen symbolisiert den Anspruch auf globale Herrschaft auf eine solche Weise wie der G8-Gipfel, aber auch kein anderes Treffen der globalen Elite hat einen so breiten Sturm des Protests und des Widerstands rund um den Globus hervorgerufen. Wann und Wo immer sich die Herrschenden versammeln, finden Massendemonstrationen, Blockaden, Gegengipfel und militante Proteste statt.

Plakat

Straight to Hell

Beispielhaft für die Politik und Inszenierung der G8 ist die Propaganda rund um den Schuldenerlass: Zwar wurde 2005 medienwirksam ein Schuldenerlass für die ärmsten Länder verkündet, das Kleingedruckte dieser Beschlüsse steht aber nicht in dicken Lettern auf den Tageszeitungen. Der Schuldenerlass betraf lediglich 18 Länder und es wurden selbst diesen wenigen nicht die kompletten Schulden erlassen, sondern nur die bei IWF (Internationaler Währungsfonds), Weltbank und Afrikanischer Entwicklungsbank. Die restlichen Schulden bei einzelnen Staaten, Privatbanken oder anderen multilateralen Finanzinstitutionen bleiben bestehen. Das entspricht einer jährlichen Zins- und Tilgungsentlastung von ca. eine Milliarde US-Dollar die weniger zu zahlen sind. Eine Summe, die verglichen mit 300 Milliarden Zinsen und Tilgungen die jährlich von den Entwicklungsländern gezahlt werden, lächerlich gering ausfällt.

In Wirklichkeit ist der Schuldenerlass das geeignete Mittel zur Fortsetzung der Ausbeutung verarmter Weltregionen. Aus Sicht der Geberländer ist er die Bankrotterklärung von “Hungerleiderstaaten”. Um der daraus folgenden Kreditunwürdigkeit zu entkommen, sind diese Staaten gezwungen, mehrjährige “Strukturanpassungsprogramme” des IWFs zu durchlaufen. Das heisst konkret: Die Politik der Öffnung der Märkte, der Privatisierung, Abbau von Subventionen, einseitige Förderung der Exportwirtschaft muss akzeptiert werden, sonst ist man nicht dabei. Offiziell wird das Resultat dieser Erpressung, das zur weiteren Verarmung der Bevölkerung führt, dann “gutes Regieren” (good governance) genannt.

Und Überhaupt: Was sind das für Schulden, die zurück gezahlt werden müssen? Ist es ein Akt der Gnade, wenn die Industrie-Nationen großzügig auf einen Teil der Beute verzichten, dort wo sowieso nichts mehr zu holen ist? Die heutige Schuldenkrise ist das direkte Resultat aus hunderten Jahren kolonialer und postkolonialer Ausbeutung der Südens durch die reichen Länder. Der Kolonialismus hat die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen in den betroffenen Ländern entscheidend verändert, die Ökonomien wurden auf den Export und die Bedürfnisse der Kolonialmacht ausgerichtet, bestehende Wirtschaften durch Tributzahlungen, Ausbeutung von Rohstoffen, Umweltverschmutzung, Enteignungen und Sklaverei zerstört und zwar so nachhaltig, das die Folgen bis heute andauern. Es sind nicht die Bewohner dieser Staaten, die die Kredite aufgenommen und Schulden gemacht haben, sondern deren Regierungen (die Herrschenden/die Oligarchien dieser Länder). Trotzdem müssen die Menschen gerade stehen für die Kreditwürdigkeit ihrer Obrigkeit. Als der IWF unter Führung von Horst Köhler, der derzeitige Bundespräsident, den Staat Brasilien zur Tilgung von Krediten zwang, wodurch 50 Milliarden Dollar jährlich ins Ausland fliessen mussten, hungerten gleichzeitig 16 Millionen Menschen in diesem Land.

So muss heute gefragt werden: wem gehören die Fabriken und Konzerne in den ehemaligen Kolonien, die zu wirtschaftlichem Aufschwung und Unabhängigkeit verhelfen könnten? Wer kontrolliert die immensen Kredite und welcher Druck kann darüber ausgeübt werden, dass man Gläubiger ist? Wer kontrolliert bestimmte Regionen militärisch? Und wie werden die permanenten Eingriffe begründet? Wer hat Schuld und wer kann sie erlassen?

They’re Gonna Privatize the Air

Die Kämpfe, die gegen die Ausbeutung weltweit geführt werden, richten sich gegen unterschiedliche Auswirkungen und Ausprägungen des Kapitalismus, sie finden im Norden wie im Süden, in Metropolen wie auf dem Land statt. Auch wenn die Bedrohung für die Menschen im Süden weitaus existenzieller ist, wenn sie um Zugang zu sauberem Trinkwasser, zu lebensrettenden Medikamenten, Land, Nahrung und oft genug ums nackte Leben kämpfen, so ist doch die Grundstruktur, die Systematik der Ausbeutung die selbe, der auch die Menschen im Norden unterworfen sind. In einer globalen kapitalistischen Ökonomie stehen Profitinteressen vor den Interessen der Menschen, erstes Ziel ist die Gewinnmaximierung. Egal, ob es sich um lebenswichtige natürliche Ressourcen wie Wasser und Land handelt oder um das Gesundheitssystem, Wissen und Bildung — alle Güter werden immer umfassender durchkapitalisiert, werden zur Ware und stehen immer weniger Menschen zur Verfügung.

Do They Owe Us a Living?

Auch die Frage nach Arbeitsbedingungen stellt sich unterschiedlich: Während sich in Europa und Nordamerika die Kämpfe gegen den Abbau des gesicherten Normalarbeitsverhältnisses (lebenslange Anstellung im selben Betrieb, soziale Absicherung, fester Lohn, geregelte Arbeitszeiten) richten, hat es solche Bedingungen im Süden noch nie gegeben. Prekarisierung, also ungesicherte, zeitlich begrenzte Arbeitsverhältnisse ohne soziale Absicherungen war für einen Großteil der Weltbevölkerung schon immer das ‘Normalarbeitsverhältnis’. Das weiss auch die Gegenseite, und so werden von den Wirtschaftsverbänden und ihren Lobbyisten in den Parlamenten Lohnkürzungen, längere Arbeitszeiten und soziale Einschnitte mit der Drohung erpresst, in Länder abzuwandern in denen die Menschen noch stärker der kapitalistischen Zurichtung unterworfen sind, sprich niedrigere Löhne bekommen, länger und härter arbeiten, weniger Rechte haben. Sweatshops gibt es längst auch in US-amerikanischen Großstädten oder in der süddeutschen Provinz und die Anzahl derjenigen, die unterhalb der Armutsgrenze leben wächst weltweit. Ein neoliberales Modell, das in eine neokonservative Form übergeht, hat sich durchgesetzt. Damit gemeint ist eine Verlagerung von der Dominanz industrieller Akkord-Produktion hin zu einer Dominanz des Dienstleistungssektors. Durch den Einsatz von Hochtechnologien wird menschliche Arbeitskraft überflüssig gemacht. Menschliche Arbeit wird überflüssig gemacht? “Ist doch toll”, möchte man meinen, “arbeiten war eh nie so mein Ding”. Die Sache hat natürlich eine Haken: Es gibt zwar ein stetiges Anwachsen der Produktivität, von diesem Wachstum wird aber ein Großteil der Menschen ausgeschlossen. Es wird mit bei Androhung des sozialen Abstiegs ein Konkurrenz-Druck um die verbliebenen Arbeitsplätze erzeugt, der die Konkurrenten zwingt sich immer billiger zu verkaufen, noch so schlechte Jobs zu noch so schlechten Bedingungen anzunehmen. Unterstützt durch eine anhaltende “Wer nichts schafft, ist nix wert”-Propaganda lässt die Angst vor dem Abstieg eine kollektive “Alle gegen Alle”-Stimmung aufkommen.

Freedom’s Just Another Word for Nothing Left to Lose

Während auf der einen Seite das Wegfallen von nationalen Beschränkungen, von Handelshindernissen gefordert und gefeiert wird, wird deutlich das der Wegfall dieser Grenzen uneingeschränkt lediglich für Kapital- und Warenströme, nicht aber in vollem Umfang für Menschen gilt. Diese, wenn sie sich denn Richtung Norden aufmachen, werden als bedrohliche Masse behandelt, die verwaltet kontrolliert und reguliert werden muss. Die Grenzen in den reichen Norden werden immer massiver abgeschottet und politischer Druck auf diejenigen Länder ausgeübt, die als unsichere Grenzregionen gelten: Nordafrika oder Südosteuropa als Außengrenzen der EU, Mexiko als Grenze zu den USA. Gleichzeitig ist die Durchlässigkeit dieser Grenzregionen aber auch wirtschaftlich einkalkuliert: Illegalisierte sind fester und gewollter Bestandteil des informellen Arbeitsmarkts. Billig und willig, denn weder können sie ihren Lohn einfordern noch überhaupt allzu große Ansprüche stellen, da sie politisch vollkommen rechtlos sind.
Auch bei den Maßnahmen gegen Erwerbslose und Sozialhilfeempfänger/ innen greifen politische Entrechtung und wirtschaftlicher Nutzen ineinander: 1€-Jobs ersetzen zu Dumping-Löhnen regulär bezahlte Arbeit und persönliche Wünsche nach dem Ort, an dem man lebt und der Arbeit, mit der man sein Geld verdient, gelten als Luxus. Wer sich dem Zwang zur Billig-Arbeit verweigert muss damit rechnen überhaupt nix mehr zu bekommen. Es ist nicht verwunderlich, dass gerade in Zeiten, wo es an Arbeit für alle mangelt und eigentlich auch allen klar ist das es nie wieder Vollbeschäftigung geben wird, Arbeit als Grundbedingung von Existenz und Identität nicht in Frage gestellt werden darf. Denn genau so funktioniert Macht: darüber, dass man nicht auf die Idee kommt, die Grundlagen in Frage zu stellen.

Angry Boys & Girls of the World: Unite!

Die Antwort auf all das kann jedenfalls nicht die Rückbesinnung auf den bürgerlichen Nationalstaat sein, der schon immer die Betriebsbedingungen des Kapitals garantiert hat, sondern kann nur mit dem Versuch, die Kämpfe zu internationalisieren und eine Bewegung jenseits nationaler Grenzen aufzubauen, beantwortet werden.

Die Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung ist nicht erst seit gestern auf den Beinen. Sie hat verschiedene Stationen, wie Seattle, Prag, Göteborg, Genua, Evian und auch Gleneagles und St. Petersburg und viele weitere durchlaufen und auch die Erfahrungen der Bewegung sind gewachsen, es gab schmerzhafte und traumatische Erlebnisse, aber auch Erlebnisse der Solidarität, des Gemeinsamen und der Stärke.
Von Anfang an war sie eine in ihrer Praxis internationale Bewegung. Nicht in dem Sinne, Internationalismus als Ziel am Horizont auszumachen, sondern als Ausgangspunkt und selbstverständliche Antwort auf die Vernetzung und Internationalisierung der Herrschenden. Gegen die Gipfel wurde gemeinsam demonstriert und gestürmt, auf den internationalen Sozialforen über die Länder- und Kontinentgrenzen hinweg diskutiert. Die Argumente gegen den Neoliberalismus kamen von überall, aus den zapatistischen Wäldern, aus den Universitäten in Italien und den USA, aus Lateinamerika, Asien und Afrika, von der Straße.
Die Vehemenz des Widerstands der Bewegung hat dazu geführt, das die Herrscher ihre Treffen nur noch abgeschottet in der Provinz hinter Stacheldraht abhalten können. Die Radikalität der Proteste war es, die wieder die Frage aufgeworfen hat, ob der Kapitalismus tatsächlich wie von den Neoliberalen behauptet, das Ende der Geschichte darstellt. Die Frage nach einer Perspektive jenseits der kapitalistischen Konkurrenz aller gegen alle, die sich um so dringender stellt, als das neoliberale Modell mehr und mehr in die Krise gerät. Dadurch, dass sich weit über eine radikale Linke hinaus viele mit den Themen der Globalisierung und was damit zu tun hat, wie Kapitalismus, Kriege, Migration u.v.m. beschäftigen, sind manche Analysen nicht unbedingt die, denen man als radikale Linke begeistert zustimmt, und dennoch war es nach den bleiernen Neunziger Jahren der Gemeinsame Aufbruch der Bewegung, der eine grundlegende Veränderung wieder vorstellbar gemacht hat.

Turn Those Clapping Hands Into Angry Balled Fists

Damit unsere grundsätzliche Kritik letztendlich auch zu realer Gegenmacht wird und das Potential entfaltet tatsächliche Veränderungen zu bewirken, muss sie durch eine entschlossene, vielfältige Praxis transportiert werden. Möglichkeiten gibt es viele: ein Gegengipfel, ein oder mehrere große Kulturevents, ein Aktionstag zu Migration, Camps für AktivistInnen aus der ganzen Welt sind in Planung. Das Zusammenkommen aller wird in einer großen Demonstration sichtbar und als praktischer Ausdruck unserer Ablehnung der G8 und alles wofür sie stehen sind massenhafte Blockaden geplant. Diese Blockaden sollen ein Symbol der kraftvollen, praktischen Delegitimierung der G8 werden, der sichtbare Punkt, dass wir nicht nur Protest anzumelden haben, sondern entschlossen sind, zu handeln.

Wir haben kein Interesse an einem Dialog mit den G8, wir wollen nicht mit Ministern am Tisch sitzen und ihnen versichern, das unser Protest nicht unbotmäßig sein wird und das wir auch vernünftig sein können. Warum auch? Die G8 sind eine Institution ohne Legitimation, warum sollten wir ihnen Verbesserungsvorschläge machen oder uns gar als Partner anbieten? Die Einsicht in das bessere Argument wird die G8- Staaten wohl kaum zu einem Politikwechsel bewegen können. Um daran zu glauben, wie es z.B. bei vielen NGOs weit verbreitet ist, müsste man erstmal davon ausgehen, das die Regierungen der G8 und die Protestbewegung im Grund beide das selbe wollen. Und da ist man dann schon der Propaganda der G8 auf den Leim gegangen: Auch wenn sich die G8-Staaten in ihrer Polit-Show anders zu präsentieren versuchen – sie lösen keine Probleme, sondern verschärfen diese. In erster Linie interessieren sie sich dafür, möglichst optimale Bedingungen für das Kapital zu garantieren, und das heisst: Maximierung des Profits bei Senkung der Unkosten für Lohn, Produktion, Marketing und Reproduktion von Arbeitskraft. Und das steht jeder emanzipatorischen Utopie, die die Ausbeutung und Entrechtung des Menschen durch den Menschen aufheben will entgegen.
Das einzige was wir den G8 zu sagen haben ist: “Que se vayan todos! – Haut alle ab!”. Alle anderen rufen wir auf: Kommt im Juni 2007 nach Heiligendamm und tragt den Widerstand gegen die G8 auf die Straße. Beteiligt euch am antikapitalistischen Block auf der internationalen Bündnisdemo und an den Massenblockaden auf den Zufahrtsstraßen nach Heiligendamm. Und bringt ein zweites Paar Socken mit, wir werden schließlich eine ganze Woche lang gegen die G8 auf den Beinen sein.

Antifaschistische Linke Berlin, April 2007


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