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2007-04-22

Kapitalismus verkürzen! G8 und Kapitalismuskritik

Wenigstens in einem Punkt waren sich nahezu alle einig, die sich bis jetzt in dieser Disko-Reihe zu Wort gemeldet haben: Das G 8-Gipfeltreffen ist nicht so richtig wichtig für den Fortlauf der Veranstaltung, die man Kapitalismus nennt. Die Entscheidungen werden ohnehin woanders getroffen, in den meisten Punkten gehorchen sie sowieso einer kapitalismusimmanenten Logik, und im Notfall dürfte es ja auch kein Problem sein, die Staats- und Regierungschefs per Telefonkonferenz zu verbinden. Wie so oft stellt sich also die Frage, ob die Damen und Herren einfach zu dämlich sind, um das selbst herauszufinden und sich eine Menge Stress zu sparen. Hinter dem symbolischen Treffen scheint also doch eine Notwendigkeit oder zumindest ein Interesse zu stehen.

Holy damnit

Hinter dem Begriff der »Globalisierung« verbirgt sich ein Sammelsurium von Tendenzen und Entwicklungen. Viele davon sind urkapitalistische Tendenzen, die in wandelnden Formen die Geschichte der letzten beiden Jahrhunderte durchziehen. Neu in der jüngeren Geschichte ist jedoch die immer offener ausgetragene imperialistische Konkurrenz, in der sich die Metropolenstaaten seit dem Zusammenbruch des Ostblocks befinden. Vereint sind die Konkurrenten jedoch, wenn es darum geht, die gemeinsame Machtposition gegen »Aufsteiger« zu verteidigen und die Peripherie als Arbeitskräfte- und Ressourcenreservoir für die Metropolenstaaten zu erhalten. Auch deswegen wird z.B. über Klimaschutz auf dem G8-Gipfel vermutlich anders geredet als bei der Uno. Was auch immer auf diesem Gipfel beschlossen oder eben nicht beschlossen wird, in jedem Fall wird klargestellt, wer in der weltweiten Hackordnung der Gewaltmonopole die Entscheidungsbefugnis hat.

Nun müsste man dafür eigentlich auch keine Gipfel abhalten. Denn auf dem Parkett der internationalen Beziehungen ist die Regel schlicht und ergreifend: Beschließen darf, wer durchsetzen kann. Aber dieser Gipfel kann mehr. Er kann diese Regel demonstrieren und sie gleichzeitig verschleiern. Denn wenn die »zivilisierte« bürgerliche Form der Kapitalverwertung und ihre offen gewaltförmige Kehrseite von ursprünglicher Akkumulation und ganz und gar nicht souverän vertraglich geregelter Extraktion von Ressourcen und Arbeits­kraft am Beginn der Verwertungskette als Globalisierung zusammenfallen, kann man sich prima als Getriebener einer naturgesetzmäßig verlaufenden Dynamik präsentieren, die man selber so human wie möglich gestalten möchte. Paradoxerweise stimmt dieses Bild sogar: Die imperialistischen Staaten treiben gegeneinander eine Entwicklung voran, als deren gemeinsame Getriebene sie sich treffen. Um die möglichst effektive Verwertung ihres einheimischen Kapitals zu gewährleisten, haben sie jahrzehntelang Märkte aufgebrochen, lokale Wirtschaftsordnungen zerstört und Sozialsysteme ausgeschlachtet. Die dadurch erzeugte Instabilität wird zwar in Kauf genommen, ist teilweise auch gewollt, wirkt aber trotzdem, auch für ihre Urheber, bedrohlich.

Der Kapitalismus ist in sich ein widersprüchliches Ganzes. Diese Widersprüchlichkeit findet ihren Niederschlag auch in der Art und Weise, wie der Begriff »Globalisierung« gebraucht wird. Doch wie man es auch dreht und wendet, Globalisierung bedeutet im Mund derer, die sie vor sich hertragen oder -treiben immer, dass diese Widersprüchlichkeit als ein »Falsches« innerhalb des allgemein eigentlich schon ganz Richtigen begriffen wird. Dass die Widersprüche so falsch sind wie das Ganze selbst, ist eben nur in ausgewählten Kreisen ein Allgemeinplatz.

Wer nun darauf beharrt, den Kapitalismus in seiner »zivilisierten« Form zu kritisieren, nimmt zwar eine in Auseinandersetzung mit vielen NoGlobals vielleicht taktisch sinnvolle Diskussionsposition ein, läuft aber Gefahr, die Widersprüchlichkeit genauso zu reduzieren. Wenn die Erschießung von Gewerkschaftern, die mittlerweile legendären Blutdiamanten oder die Sklavenarbeit in Sweatshops nur als bedauerliche Ausnahmen oder Unfälle behandelt werden, um statt dessen nur das anzugreifen, was den Kapitalismus »wirklich« ausmacht, dann wird das Spiel genauso mitgespielt, wie wenn die anderen vom Kapitalismus gar nicht mehr reden und im Fairtrade-Kaffee die Lösung aller Probleme erblicken. Denn im internationalen Maßstab sind ein Leben am Existenzminimum zu erniedrigenden Arbeitsbedingungen, unmittelbarer Zwang und Gewalt notwendige Voraussetzungen der kapitalistischen Akkumulation. Die »reine Lehre ohne Staat« der VWL kann das genauso wenig erfassen wie eine »kommunistische Kritik«, die den Kapitalismus auf seine einfachsten Formgesetze reduziert und sich vor dem Aufstieg ins Konkrete drückt.

Dass die Welt so verdammt kompliziert ist, gehört zu den Grundproblemen jeder Kritik. Auch deshalb ist die Fülle der falschen Antworten auf die falsch gestellten Fragen, heißen sie nun Tobin-Steuer, Protektionismus oder Ausbau der Entwicklungshilfe, eigentlich nicht verwunderlich. Das zu kritisieren, ist ein Teil der Aufgabe, die sich der Linken stellt. Dass dies nicht einfach wird, ist offensichtlich, aber niemand hat behauptet, revolutionäre Praxis wäre einfach. Wenn hinter diesen Irrtümern allerdings der »deutsche Mob« gewittert wird, ist Vorsicht geboten. Denn eine verkürzte Wahrnehmung der Wirklichkeit und sich daraus ergebende falsche Lösungsansätze sind das eine, die Entscheidung für Vernichtung und Barbarei als Krisenlösung das andere.

Dass es sich dabei um eine positive Entscheidung handelt, demonstrieren, vielleicht unfreiwillig, die Nazis. Entgegen allen antideutschen Horror­szenarien werden sie mitnichten an den Protesten teilnehmen. Ihr Aufmarsch in Schwerin liegt nicht nur geo­graphisch auf der anderen Seite von Heiligendamm. Das entbindet die Linke nicht von der Aufgabe, natio­na­listische, rassistische und antisemitische Äußerungen oder Aktionen anzugreifen und zu kritisieren, macht aber den qualitativen Unterschied zwischen Nazis und verkürzender Kritik deutlich. Daraus folgt, dass man die einen kritisiert, aber eben auch als BündnispartnerInnen wahrnimmt, während die anderen ihre Wahl getroffen haben und dementsprechend behandelt werden müssen.

Dieses Unterfangen formuliert sich natürlich einfacher auf der abstrakten Ebene, als es sich konkret umsetzen lässt. Das ist allerdings kein Argument gegen die konkrete Praxis, sondern ein Argument für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit derselben: Bei den Protesten gegen den Gipfel muss es Aufgabe einer Linken sein, die scheinbar widersprüchlichen Zielsetzungen zu vereinen: einerseits die ganz offen unmenschlichen Erscheinungen der kapitalistischen Verwertung anzugreifen, dabei jedoch andererseits die große Perspektive der Überwindung des Kapitalismus nicht aus den Augen zu verlieren.

Praktischen Niederschlag könnte dieser Anspruch in dem Konzept der Massenblockaden finden. Ziel ist es dabei, den teilweise rein appellativen Charakter von Protest durch eine kollektive, wenn auch niedrigschwellige Grenzübertretung in einen Akt der Delegitimation zu überführen. Delegitimation ist dabei nicht moralisch zu verstehen, denn auf internationaler Ebene ist die Frage von Legitimität nun mal mehr oder weniger eine Machtfrage. Vielmehr ist die Delegitimation der G8 als Prozess zu verstehen, der den systemsprengenden Kern vermeintlich rein affirmativer Kritik offen legen soll.

Doch nicht nur auf dieser eher taktischen, sondern vor allem auf der politischen Ebene scheint uns das Konzept Massenblockade alternativlos. Um die Proteste zu einem in unserem Sinne erfolgreichen Signal werden zu lassen, ist es unabdingbar, die Umarmung zu sprengen, mit der sich Old Europe an die Brust der NoGlobals wirft. Wenn in diesem Jahr fünf Schwellenländer mit am Tisch sitzen dürfen und über Klimaschutz debattiert wird, steht zu befürchten, dass es der EU gelingt, die Entwicklung der unliebsamen Konkurrenz im Trikont auszubremsen und sich dennoch als Anwalt der Unterdrückten und Überschwemmten, als eine Art regierende Antiglobalisierungsbewegung gegenüber dem Bösewicht USA darzustellen.

Man muss kein Pessimist sein, um zu ahnen, dass die so genannte Zivilgesellschaft dieses Spiel nur zu bereitwillig mitspielen wird, wenn es nicht gelingt, die Unversöhnlichkeit zum Merkmal des gesamten Protests zu machen. Sonst bleibt am Ende, ähnlich wie nach Gleneagles, ein Bild in der Öffentlichkeit bestehen aus massenhaften Demonstrationen, die mit den Regierenden zusammen nur das Beste wollen, und einer kleinen Minderheit unverbesserlicher Linksradikaler, die einfach nicht verstehen wollen, dass doch alle nur das Beste wollen. Und Grönemeyer singt ein Lied dazu.

Durch die symbolische Funktion des Treffens eröffnet sich jedoch zudem die Möglichkeit, an diesen Tagen nicht nur reformistisch das Falsche im Ganzen, sondern genauso das falsche Ganze zu thematisieren und anzugreifen. Wenn das gelingt und zudem die Masse der Protestierenden sich dabei selber ganz praktisch gegen die Staatsgewalt stellt, wenn in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit klar zum Ausdruck gebracht werden kann, dass unser Hauptfeind im eigenen Land steht, dann haben wir viel erreicht. Und dann ist es auch fast egal, wer dazu singt.

Abschließend sei gegenüber allen Freunden der konkreten Praxis, die hier stattdessen das Besetzen von Bahnhöfen und den alltäglichen Kampf ins Feld führten, die Frage erlaubt: Wieso stattdessen? Wenn sich die Möglichkeit bietet, Diskurse zu beeinflussen und Organisierungsprozesse voranzutreiben, sollte sie ergriffen werden, auch um die Voraussetzungen von Basisorganisierung und alltäglichen Kampf zu verbessern. Wer sich durch die Mobilisierung in seiner eigenen, konkreten Praxis und Basisarbeit beeinträchtigt fühlt, möge die Hand heben. Das wollten wir wirklich nicht.

Gabriel Goetz ist Mitglied der Antifaschistischen Linken International A.L.I. aus Göttingen. Der Artikel ist Teil der Diskussionsreihe zum Thema G8 in der Jungle World (Nr. 14 vom 04. April 2007).

[http://www.antifa.de/cms/content/view/522/32/9]


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