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2007-03-26

Ein Zwischenruf zur G8-Kampagne

Stören allein hilft nicht

Um Missverständnissen von vornherein vorzubeugen: Mir geht es in dem folgenden Text nicht darum, die Legitimität der Kampagne in Frage zu stellen. Im Gegenteil, ich halte es durchaus für angebracht, die Tribüne von Heiligendamm zu nutzen, um sowohl nach innen als auch nach außen zu zeigen, dass massenhafter Protest gegen die Politik der Herrschenden überaus angesagt ist. Meine Befürchtung ist nur, dass zu viele wertvolle Energien auf eine von oben angebotene Projektionsfläche konzentriert und von dem notwendigen alltäglichen Protest gegen das So-Sein der Welt abgezogen werden. Schließlich findet der globale Krieg längst an tausend Fronten täglich statt, und wir arbeiten uns an jährlich neu aufgelegten Events ab, hecheln um Aufmerksamkeit in den Medien, investieren viel Kraft und Nerven in Veranstaltungen und Demonstrationen, die letztlich immer auch ein Stück unserer Ohnmacht dokumentieren.

10.000 Polizisten sollen aufgeboten werden, um den TeilnehmerInnen des G8-Gipfels im Juni im Ostseebad Heiligendamm das Gefühl unheiliger Sicherheit zu bieten. Vor allem aber wird dies geschehen, um der Öffentlichkeit gegenüber zu signalisieren, dass von den angekündigten 100.000 Demonstranten eine ernsthafte Gefahr ausgehe.

Dabei sind diese doch die treusten Fans der dort versammelten Regierungschefs. Sie scheuen keine Mühen, in deren Nähe zu gelangen, ihnen Botschaften zuzurufen oder zumindest in großen Lettern zu zeigen. Leider werden sie nicht viel näher an ihre „Idole“ herankommen als ein Dreijähriger an die Gorillas im Zoo. Ein solider 13 km langer Stahlzaun wird sie voneinander trennen. Die Zaunmaschen mögen den körperlichen Kontakt zu den Zooinsassen verhindern, das gegenseitige Wittern vermögen sie jedoch nicht zu unterbinden. Ein unsäglicher Gestank wird herausströmen aus dem eingezäunten Areal, ein Gemisch aus ätzenden Lügen und parfümierter Arroganz, gegen das nur TÜV-geprüfte ABC-Masken ausreichend Schutz bieten werden.

Vom Fortschritt im Kampf gegen den Terror wird die Rede sein, von der Aussicht auf die Beseitigung des Hungers in der Welt, von der Notwendigkeit der Kriegführung für den Frieden und davon, dass die Anstrengungen noch erhöht werden müssen. All dies wird bis ins letzte Detail von tausenden von Kameras aufgezeichnet und in die weite Welt ausgestrahlt werden. Die Zaungäste draußen hingegen werden nur als marodierende gesichtslose Masse gezeigt werden – oder auch gar nicht.

Stören allein hilft nicht

Selbst wenn gelingen sollte, was in Seattle während der WTO-Konferenz vor 8 Jahren gelang – nämlich das Stelldichein der 8 einflußreichsten Regierungschefs so empfindlich zu stören, dass sie unverrichteter Dinge wieder abreisen -, was wäre damit gewonnen?

Die große Koalition der global Herrschenden würde noch enger zusammengeschweißt, bestehende Bruchlinien würden vorübergehend verwischt, das nächste Treffen würde noch besser und unter noch hermetischerem Ausschluß einer stets kleineren kritischen Öffentlichkeit vorbereitet.

In der Kampagnen-„Zeitung für eine interventionistische Linke“ (G8Xtra Nr. 3) heißt es im Einleitungsartikel: „...die von der G8 dominierte Welt (ist) eine Welt der Kriege, der Armut und des Elends...“, und ein Ziel der Mobilisierung sei es, „die Legitimität der G8 in Frage zu stellen, sie zu untergraben und letztlich zu zerstören.“ Mir scheint, dass die Autoren mit einer solchen Formulierung haarscharf am Ziel vorbeischießen.

Die Welt ist nicht nur eine der Kriege, der Armut und des Elends, sondern auch eine des geradezu obszönen Reichtums, der Verschwendung und der immer noch hochgradig funktionierenden Sozialpartnerschaft, aus der die G8-Regierungschefs nach wie vor ihre Legitimität ziehen. Vor allem aber ist es eine Welt, deren Bevölkerungen systematisch daran gehindert werden, sich ein adäquates Bild von den Wirklichkeiten zu machen, in denen sie leben und die sie aktiv mitgestalten. Der durch technologischen Wandel rasant beschleunigte Globalisierungsprozeß schafft nicht nur täglich neue Widersprüche auf lokaler, nationaler und globaler Ebene, sondern zwingt uns alle zu immer höheren Anpassungsleistungen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Sich zu informieren fällt zwar immer leichter, mit dieser Information etwas anzufangen jedoch stets schwerer, da jeder die Erfahrung macht, dass nach dem Erreichen eines bestimmten Informationsstandes der Bedarf nach weiteren Informationen immer weiter wächst.

Dabei drängt sich ein Bild auf, das einem auf Autobahnen, in Supermärkten oder in U-Bahnstationen immer wieder begegnet. Der Versuch, sich durch besonders rasche Fortbewegung an die Spitze einer nie abreißenden Fahrzeugkolonne oder einer sich stets reproduzierenden Käufer- oder Fahrgastschlange zu begeben, endet in der Regel mit der Feststellung, dass die Spitze zugleich auch das Ende einer voraufgehenden Kolonne oder Schlange ist. Die Ersten sind die Letzten sind die Ersten sind die Letzten….

Es mag ja als Erfolg zu verbuchen sein, wenn tatsächlich 100.000 im Juni an den Ostseestrand pilgern und lauthals ihren Unmut über die herrschende Politik äußern werden. Aber was sind schon 100.000 gegen die restlichen 79,9 Mio. Menschen in diesem Land? Ein Jahr nach dem beispiellosen Erfolg in Seattle wurde in den USA ein Idiot wie Bush an die Spitze des Landes gewählt, und ein weiteres Jahr später fragte sich die überwältigende Mehrheit der Amerikaner nicht etwa: „Was haben wir falsch gemacht, dass uns ein so unvorstellbarer Haß entgegenschlägt?“, sondern zog begeistert mit ihrem verrückten Präsidenten in den Krieg. Und als am 15. Februar 2003 15 Mio. Menschen weltweit gegen den angekündigten Irakkrieg auf die Straße gingen, dachten wir auch noch, er könne es nicht wagen, gegen diese aktivierte Masse seinen Krieg zu führen.

Angstregime statt Politik

Mittlerweile gehört Kriegsberichterstattung zu den hässlichen Alltagsgeräuschen. Ohne Meldungen über mindestens 100 Tote vergeht kaum ein Tag, ob in Afghanistan, Irak, Palästina, Somalia, Thailand oder wo auch immer.

Derweil rast der entfesselte Globalisierungszug mit unverminderter Geschwindigkeit weiter durch die Kontinente. Wirtschaft und Finanzkapital erzielen astronomische Gewinne, überschütten die Welt mit unsinnigen Produkten und nie wieder rückzahlbaren Schulden, Meere werden verpestet und leergefischt, der Luftraum wird vor lauter Fliegern und Billigfliegern immer enger, und das Klima verspricht adriatische Temperaturen für die Nordsee, laue Winter und jede Menge heißer Sommer.

Die Politik ist längst dabei sich selbst zu delegitimieren. Politiker werden nur noch von Minderheiten ertragen, nicht mehr wirklich von gesellschaftlichen Mehrheiten getragen. Glaubwürdigkeit kann bald nur noch beanspruchen, wer dem offiziellen Polittheater vollends entsagt. In einem Essay für die „Zeit“ schreibt der kroatische Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Zizek: „Die vorherrschende Form von Politik ist heute die Politik der Angst: Wir haben Angst vor Einwanderern, vor anderen Ethnien oder Religionen. Wir haben Angst vor Verbrechen, vor der Macht des Staates, Angst vor Belästigungen und Übergriffen. Und wir haben Angst vor einer Katastrophe, die unsere Zivilisation umwälzen oder gar zerstören könnte.“ (DIE ZEIT, Nr. 9, 22. Febr. 2007). In seinen ansonsten sehr treffenden Überlegungen über den Wahn der Wissenschaft und Technik, die die Natur nicht nur beherrschen, sondern neu produzieren wollen, erwähnt Zizek einen zentralen Angstfaktor nicht: Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, und damit verbunden vor sozialem Abstieg und Ausgrenzung aus der formierten Gesellschaft. Die mit dem Verlust und der Ausgrenzung verbundene Chance, zur Besinnung zu kommen und den herrschenden Wahnsinn aus einer anderen Optik wahrzunehmen, ergreifen leider noch zu wenige Menschen. Die große Mehrheit ist zu stark mit den Sorgen ums Überleben beschäftigt und wird überdies mit den o.g. Ängsten in Schach gehalten, um wirklich dazu zu kommen, sich zu organisieren und andere Lebens- und Arbeitsformen auszuprobieren.

Der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano hat zu dem globalen Angstregime die folgenden Zeilen verfaßt:

„Diejenigen, die arbeiten, haben Angst die Arbeit zu verlieren.“

„Diejenigen, die nicht arbeiten, haben Angst, nie wieder eine Arbeit zu finden.“

„Wer keine Angst vor dem Hunger hat, hat Angst vor dem Essen.“

„Die Demokratie hat Angst sich zu erinnern, und die Sprache hat Angst zu sprechen.“

„Es ist die Zeit der Angst.“

„Die Angst der Frau vor der Gewalt des Mannes und die Angst des Mannes vor der furchtlosen Frau.“

(zitiert aus einem Artikel des mexikanischen Philosophen Gustavo Esteva über das aus Angst und Ohnmacht resultierende Gewaltpotential im Kontext der militanten Auseinandersetzungen in Oaxaca, Mexico. La Jornada, 26.2.07)

Glos – verkappter Friedenskämpfer

Ein Lehrstück für den fortschreitenden Bedeutungsverlust staatlicher Politik gegenüber dem Machtzuwachs transnational agierender Unternehmen bietet das gegenwärtige Tauziehen um den europäischen Luftfahrt- und Rüstungsgiganten EADS. Mit ihrem „Power 8“-Programm haben sich die daran beteiligten privaten Konzerne aus Deutschland, Frankreich, England und Spanien längst darüber geeinigt, dass nur ein massiver Stellenabbau die erwarteten Gewinne beim Bau der großen Massentransportflieger sprudeln lässt, und überlassen es nun den einflußlosen Partnern aus den jeweiligen Regierungen, die schlechte Nachricht der Öffentlichkeit zu überbringen. Diese zieren sich eine Weile oder drohen gar mit dem Entzug von Aufträgen – dem amtierenden deutschen Wirtschaftsminister Glos müsste eigentlich für seine unbedachte Warnung vor dem Entzug von Rüstungsaufträgen von Seiten der Friedensbewegung ein Orden an seine breite bayrische Brust geheftet werden -, inszenieren schließlich aber doch ein gut vorbereitetes Boulevardstück für die Medien. Präsident Chirac grüßt mit Handkuß die deutsche Kanzlerin in dem neuen Gästehaus der Bundesregierung, und beide verkünden in angemessen bedächtigem Ton: „Es geht darum, die Lasten gleichmäßig und fair zu verteilen.“ Knapp 4.000 hier, gut 4.000 dort, und noch mal 1.000 in den beiden anderen Ländern, so werden Grausamkeiten „fair“ verteilt.

Abgesehen von seiner grenzüberschreitenden europäischen Dimension ist dieser Fall wahrlich kein Einzelfall. Erinnert sei hier nur an die geplanten Massenentlassungen bei Telekom, Allianz, Siemens, Deutsche Bank oder anderen Großkonzernen. In allen Fällen wird der konjunkturelle Aufschwung dazu genutzt, die Arbeitskosten in einem großen Aufwasch zu senken, werden skandalöse Billiglöhne eingeführt und mit allen Mitteln darauf hin gearbeitet, die Tarifpartnerschaft zu untergraben bzw. gänzlich aufzulösen. Und dabei gehört es längst zur Alltagsweisheit, dass die Globalisierung zu solch krassen Maßnahmen zwinge, dass die Konkurrenz aus Fernost mit ihren Standortvorteilen eine ernste Gefahr für den Fortbestand der heimischen Güterproduktion darstelle und man von daher gezwungen sei, aufs Tempo und die Löhne zu drücken.

Die Globalisierung muß entweder als Disziplinierungsknüppel bei der restriktiven Lohnpolitik herhalten, oder sie wird als das „goldene Zeitalter“ gehandelt, in dem erst die Potentiale einer unterm Kapital vereinten Menschheit vollständig zur Reife gelangen. Brave New World!

Wir brauchen unsere eigene Agenda

Was uns immer noch fehlt, ist ein gemeinsamer Diskurs, der es ermöglichte, politisch in die Offensive zu gehen und nicht erst auf die passende Gelegenheit zu warten, um es denen da oben zu zeigen. Die G8-Kampagne kann hierzu einen Beitrag leisten, weil sie sehr viele sehr unterschiedliche Akteure zu einem bedeutsamen Anlaß zusammenzuführen vermag. Von entscheidender Bedeutung hierfür wird aber sein, ob es gelingt, die vielbeschworenen Alternativen zu dem derzeitigen Globalisierungsprozeß in ein schlüssiges Handlungskonzept einmünden zu lassen. Die „Möglichkeit einer anderen Welt“ muß in konkrete Utopie übersetzt werden und von ihrem unbestimmten Slogancharakter befreit werden. Anders wird die Welt mit jedem Tag, auch ohne unser Zutun – auf das Wie kommt es schließlich an!

Wir müssen unsere eigene Agenda aufstellen und nicht immer nur auf die der Herrschenden reagieren. Dazu bedarf es eines intensiven Diskussionsprozesses über die Prioritäten, die wir setzen müssen; in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, der Bildungs-, der Technologie-, der Gesundheits- und Verkehrspolitik, aber auch in der Außen-, Außenwirtschafts- und der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das klingt gigantisch, bei näherem Hinsehen liegen aber zu all den genannten Gebieten interessante Konzepte und Vorschläge vor, die quer zu der Verwertungslogik des Kapitals und seiner Profiteure liegen. Sie alle miteinander vertraut zu machen, sie auf ihre Praktikabilität hin zu überprüfen und davon ausgehend schließlich eine Hierarchisierung der anstehenden Aufgaben vorzunehmen, bedarf zwar eines langen Atems, den viele von uns vielleicht gar nicht mehr haben, ist aber m.E unverzichtbar. Das soll nicht gleichbedeutend mit der Aufstellung eines auf Jahre festgeklopften Parteiprogramms sein, sondern es geht mir um das Anstoßen eines anhaltenden Diskussions- und Reflexionsprozesses, mit dem nicht nur die Bausteine für eine „andere Welt“ aus unterschiedlichsten Materialien und für vielfältigste Zwecke zusammengetragen und aufeinander abgestimmt werden, sondern auch Politik als verantwortliches gesellschaftliches Handeln neu erfunden werden kann.

Wir scheinen uns tatsächlich auf einen Zustand hin zu bewegen, der dem von Francis Fukuyama aus einem anderen Kontext prophezeiten „Ende der Geschichte“ nahe kommt. Das verzweifelte Geschrei nach mehr Wachstum, um die Verwertungskrise eines überwiegend nur noch virtuell zirkulierenden Kapitals zu lösen, übertönt nur mühsam die scheißende Angst vor dem großen Crash, dem Moment, in dem keiner mehr für sich beanspruchen kann, den Überblick über die restlos aus den Fugen geratenen Finanzströme auf diesem Globus zu bewahren.

Das Wissen um die Unmöglichkeit einer schlichten Fortschreibung des Ist-Zustandes dieser Welt ist zu verbreitet, als dass man es noch mit hohlen Begriffen wie Zukunftsfähigkeit oder nachhaltiger Entwicklung beeindrucken könnte. Es ist ja nicht nur in den Metropolen der reichen Nationen verbreitet, sondern es pflanzt sich in dynamisch beschleunigter Weise auch in den entlegensten Regionen des globalen Südens fort. Und es ist dieses immer wieder ins Vorbewusste verdrängte Wissen, das eine gefährliche Mischung aus Wut und Angst, Allmachtswahn und tief empfundener Ohnmacht nährt.

Die Gleichzeitigkeit der Krisenphänomene verhindert zum einen die jeweilige wirksame Überwindung einer Krise, zum anderen verstärkt sie aber auch das Verlangen nach einer grundlegenden Zäsur im Weltgeschehen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein neues Menetekel an den Wänden erscheint, handele es sich um den Klimawandel, den drohenden Energiekollaps, Pandemien wie AIDS, die asymmetrischen Kriege, zerfallende Staaten, Wasserknappheit, Verwüstung, Werteverlust oder generell den weltweiten Glaubwürdigkeitsverlust verfasster Politik.

Lektionen aus Mexico und Bolivien

Aus den politischen Prozessen in Lateinamerika können wir dabei eine ganze Menge lernen. Die mexikanischen Zapatisten stehen seit 13 Jahren für ein Politikverständnis, das sich vom Wunsch nach Teilhabe an oder gar der Erringung der Staatsmacht längst verabschiedet hat. Dank ihrem brillanten Kommunikator Subcomandante Marcos schafften sie es durch das Stellen der richtigen Fragen in den 90er Jahren überraschend schnell für eine Zeitlang die Diskurshoheit im Lande zu erlangen und unabhängig vom offiziellen politischen Geschäft stets eigene Punkte auf die Agenda zu setzen. Dies gilt auch noch für die jüngste Vergangenheit mit dem Versuch, über die sogenannte „Andere Kampagne“ einen Diskussionsprozeß von unten im ganzen Land anzustoßen, mit dem Selbstorganisierungsprozesse angestoßen werden sollten. Eine ernsthafte Bewertung dieses Experiments steht noch aus. Die monatelangen Auseinandersetzungen in Oaxaca zwischen einem horizontal organisierten Bündnis verschiedener sozialer Bewegungen und dem Staatsapparat sind jedenfalls ohne die Vorarbeit der Zapatisten kaum vorstellbar.

Anders verhält es sich in Bolivien, wo die Spaltung der Gesellschaft in eine große Mehrheit rechtloser Habenichtse und eine kleine allmächtige und korrupte Minderheit so weit fortgeschritten war, dass man hier an der Machtfrage nicht vorbeikam. Seit dem überwältigenden Wahlerfolg des indigenen Präsidenten Evo Morales versucht dieser allerdings auf eindrucksvolle Weise, die Weichen in Richtung auf eine partizipatorische Demokratie zu stellen und zumindest durch die Renationalisierung von Schlüsselsektoren der Wirtschaft Strukturen zu errichten, die für das Privatkapital nicht mehr ohne weiteres rückholbar sein dürften.

Im Unterschied zu anderen Weltregionen handelt es sich bei den genannten um transparente politische Konzepte, die korrigier- und kritisierbar sein mögen, in jedem Falle aber öffentlich nachvollzogen werden können. Bei den Widerstandsbewegungen im Nahen und Mittleren Osten fällt dies schwerer. Auf Grund einer ungleich größeren kulturellen Distanz erschließen sich auch die politischen Prozesse in den südost- und südasiatischen Ländern nur einem eingeweihten Fachpublikum hierzulande. Ähnlich verhält es sich mit den wenig transparenten Auseinandersetzungen und politischen Bewegungen auf dem afrikanischen Kontinent und den dortigen erbitterten Ressourcenkriegen.

Wenn die Kampagne dazu beitragen soll, einer weitgehend desorientierten und in großen Teilen verängstigten Gesellschaft einen neuen und attraktiven Orientierungsrahmen zu bieten, muß sie von vornherein weit über den eigentlichen Anlaß hinaus konzipiert werden. Dies bedeutet aber auch, dass nicht die Verhinderung des Gipfeltreffens bzw. die möglichst medienwirksame Störung desselben zum wichtigsten Ziel erklärt wird, sondern dass der G8-Gipfel zum Anlaß genommen wird, das gesamte breite Spektrum sozialer Bewegungen und der aktiven Teile der Zivilgesellschaft zusammenzubringen und die organisatorischen Grundlagen für eine fortgesetzte Debatte über die politischen Prioritäten zu verabreden.

Ulrich Mercker, 16.3.2007

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