Der Schwarze Block und die Faschingsfarben der Demokratie
Schwarz wirkt. Es wirkt stärker als Bunt. Obwohl Bunt die fröhlichen Beschreibungen stimuliert: In die Berichterstattung von den Demonstrationszügen gegen den G8-Gipfel drängt sich seit Tagen eine Begrifflichkeit, die den Schauder des Volksfestes nicht vermeiden kann. Von »Faschingsfarben« war die Rede, von »heiterem Trubel«, von »fröhlichem Treiben«. Gegensätze sind deutlich geworden: Der friedliche Protest offenbart das ersehnte Bild einer angenehm verträglichen Menschengemeinschaft, die sich geradezu blumig abfeiert, um vom Gefühl ihrer Ohnmacht nicht überwältigt zu werden. Dem gegenüber jene Gewalt- und Hassfurie des Schwarzen Blocks, die als Reaktion auf kapitale Welt-Verbrechen aber doch angemessener scheint als eine Parade tanzender Clownsfiguren entlang eines Polizeikordons. Das ist der Schmerz, der von Heiligendamm ausgeht: Bunte Züge sind das taugliche Widerstandsmittel, dessen Gefälligkeit aber niemandem weh tut; Schwarze Blöcke sind das untaugliche Widerstandsmittel, dessen Radikalität aber wenigstens jene, die gemeint sind, ein wenig zittern lässt.
Die Welt ist grausamer geworden in ihrer Gelassenheit, Selektion zu ertragen. Diejenigen, die selektieren, sind zugleich raffinierter geworden, Selektion zu vertuschen. Gut und Böse ist nicht mehr so einfach zu trennen – was sich allein in der ökologischen Bewegung darin zeigt, dass es nicht vorangehen kann ohne Solidarität zwischen Kräften, die scheinbar nicht zusammenpassen: Kapitalismuskritikern, konservativen Naturschützern und Großkonzernen, die neue Märkte wittern. Solche Bündnisse, die zum Realismus einer globalisierten Welt gehören, gefährden jede politisch-ideologische Einheitsfront aus Widerstand und Verweigerung. Die Kompliziertheit der Verhältnisse arbeitet überall dem Kompromiss zu, der eigentlichen Schule der Demokratie. Aber Kompromissfähigkeit zerstört auch: und zwar die Entschiedenheit, einen Zustand unerträglich zu finden, ihn nicht hinzunehmen und daraus den Mut zu entwickeln, ein nicht zu diskutierendes, absolutes Zeichen zu setzen. Die friedlichen Demonstranten bezeugen die unsägliche Mühe, sich diszipliniert nach den Regeln einer Welt zu bewegen und zu beteiligen, die nicht mehr wirklich überschaubar, einsehbar und schnell zu ändern ist.
Die Steinewerfer bezeugen die Rechte eines Gefühlshaushalts, der sich langsamer ändert als unsere Einsicht in die schwierigen Verhältnis eines globalisierten Planeten, eines Gefühlshaushalts, der Wut herauslässt, statt ihn in einen Diskurs zu kanalisieren, der den Schrei herauslässt, statt ihn in einen Gospel umzulenken, der das Feuer anzündet, statt es als Lichterkette aufglimmen zu lassen. Die provokative Laune, die sich die Verletzung der Regeln geradezu zum Ziel gesetzt hat, spricht gegen die Willkürlichkeit alles Launischen, vor allem aber spricht sie gegen die Regeln, die in einer deformierten bürgerlichen Gesellschaft immer dann beschworen werden, wenn der Staat besonders heftig daran arbeitet, Grundrechte zu brechen.
So bitter diese Wahrheit ist: Jede Konsequenz des Handelns driftet in eine Klarheit ab, die einen Konsens aufkündigt. Der Satz, man dürfe keine Steine werfen, ist unterschreibbar für jeden Menschen – darin liegt des Satzes Größe und zugleich seine Anfechtbarkeit. Deshalb nun, in den großen Chor derer, die sich von den Chaoten eindeutig distanzieren, nur sanft und unsicher hineingefragt: Sind die Schwarzen nicht auch ungebetene Abgesandte unseres Unterbewusstseins, das just dort hassen, zürnen, toben will, wo die Vernunft immer wieder zur Mäßigung treibt? Verfluchen wir nicht manchmal das, was sich in uns Vernunft nennt, in Wahrheit aber Anpassung, Feigheit, Altersmilde ist? Werfen da nicht ein paar Menschen deshalb mit Steinen, weil die demokratisch aufgeklärten, gesellschaftskritisch aktiven Vielen, trotz ihrer Aktivität, immer wieder ein so trauriges Bild der Vergeblichkeit abgeben? Ist jede Friedlichkeit von Protest nicht immer auch schon ein Teil der Niederlage? Wann hat man zuletzt einen Mächtigen bangend, bleich gesehen angesichts seines unzufriedenen Volkes? Also: Wirft der Schwarze Block nicht auch jenen Stein, der uns vom Herzen fällt, weil unser Hass zum Glück nicht so groß ist, dass wir unkontrolliert unvernünftig werden? Das, wie gesagt, nur sanft und unsicher hineingefragt in den großen Chor der Friedlichen.
Wie viele Hamlets der Theatergeschichte zogen in Schwarz ihre Bühnenkreise, starben im Niemandsland zwischen Erstarrung und Tat. Den Hamlet der Angela Winkler kleidete Peter Zadek vor Jahren mit anarchistisch anmutender Lederjacke und einem roten Stern an der Guevara-Mütze. Wie oft bildeten auch Schillers »Räuber« einen Schwarzen Block. All das sind Verweise auf unsere Not, im praktisch Politischen wahrgenommen, ernst genommen zu werden – die Kunst als Ausdruck unserer heimlichen Sehnsucht, sich gegen die Langeweile der Disziplin, die nichts bewirkt, mit Rauschzuständen des Aufbegehrens zu versorgen, ins Ungebärdige auszureißen und nicht immer nur die Stabilitätsnarren einer repräsentativen Demokratie zu sein, die an sich selbst ergraut und verödet.
Michael Thalheimer ließ seinen »Woyzeck« zum Mörder werden, dem man jedes Mitleid versagen musste – eine sensationell moderne Lesart, die Salzburgs Festspielpublikum in hellste Empörung versetzte, und ich gebe zu, ich sah die feinen Herrschaften mit Frohlocken geifern und japsen und verstört aus dem Theater tappern. Da war ihnen einen Held gestohlen worden, an dem sie ihr heuchlerisches Spiel von Barmherzigkeit und Läuterung absolvieren konnten. Dieser Woyzeck (Peter Moltzen) wollte nicht Opfer sein, sondern ein Aktiver, ein in der Demütigung doch Selbstbestimmter, der den Grund, ihn zu hassen, vehement vorgab. Er wollte Herr des Verfahrens sein, das ihn aussortierte, also mordete er, sorgte mit eigener Hand für den Hass, der ihn traf. Thalheimer porträtierte den modernen radikalen Verlierer, der sich zum bösen, blutigen Feind macht, um in dieser Funktion noch einmal ein Mensch zu sein, der die Herrschenden in Rage, Angst sowie in eine Wut versetzt, der sie kenntlich macht als die eigentlichen Gewalttäter. In jedem Steinewerfer lebt ein wenig auch von diesem Woyzeck.
Der Stein, der fliegt, ist unschuldig. Seine Flugbahn aber verbindet zwei Pole einer unteilbaren Welt. Auf der einen Seite eine ohnmächtige Politik, der man aber keinen Hauch Erschütterung ansieht, auf der anderen Seite eine junge wilde Kraft, die zwar kein politisches Bewusstsein hat, aber unfähig ist, sich ins Bunte einzugemeinden. Ausschreitung, Randale, Blockade sind die jüngeren, unbeholfenen Geschwister des Aufruhrs, und zur fernen Verwandtschaft gehört der Terror, das ist schlimm genug – aber die Bilder, die Krieg zeigen, sind ehrlicher als jene der singenden, klingenden Träumchen vom Protest, der Innenstädte nicht besetzt, sondern regelrecht verschönert. »Ich mache Theater, um nicht Fensterscheiben einschlagen zu müssen«, hat Regisseur Armin Petras einmal gesagt und verweist damit auf die Schmerztabletten, die wir für ein Leben benötigen, das angesichts der wahren Zustände dieser Welt durchhaltbar bleibt.
Lassen wir die bösen Gedanken nahe des unseligen Schwarzen Blocks. Bleiben wir die wahren Demokraten, bleiben wir also unvermummt: Setzen wir uns die (rot!) leuchtenden Pappnasen wieder auf. Protest kann so schön sein, und am schönsten ist es, wenn uns Angela Merkel das bestätigt.