Die G8-Protestbewegung sucht nach Perspektiven / Drei Tage in Berlin, um Bündnisfragen und nächste Ziele zu klären
Mit den Perspektiventagen will die linke Bewegung ab morgen in Berlin an den Erfolg der G8-Proteste im letzten Jahr anknüpfen. Trotz harter Auseinandersetzungen wollen sich die Gruppen und Organisationen zusammenraufen, um dem herrschenden System gemeinsam die Stirn zu bieten.
Seit gut einem halben Jahr holt die Linke in Deutschland Luft. Nach der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel im Sommer letzten Jahres muss sich neu sortiert und neue Kraft geschöpft werden. Die Camp AG, die im Juni die beiden Protestcamps in Rostock und Reddelich auf die Beine gestellt hat, will nun an den Erfolg anknüpfen und die Bewegungsträger wieder zusammentrommeln.
Ab Donnerstag wird den Organisatoren zufolge auf den Perspektiventagen in Berlin das ganze Spektrum der G8-Mobilisierung vertreten sein: Von Attac, dem Dissent-Netzwerk, der Friedensbewegung, dem Block G8-Bündnis, sozialistischer und grüner Jugendverbände, der Interventionistischen Linken (IL) bis hin zu den Internationalen Hedonisten, die auf dem Camp in Rostock für gute Stimmung gesorgt hatten.
Zur Eröffnung der drei mit Workshops und Diskussionsrunden vollgestopften Tage soll es am Donnerstagabend darum gehen, Bilanz zu ziehen, meint Marcus Grätsch, einer der Koordinatoren der Perspektiventage. Auch wenn die G8-Proteste überwiegend positiv in Erinnerung geblieben seien, müsse dennoch über die verschiedenen Erfahrungen und Auseinandersetzungen gesprochen werden.
Spielregeln klären
Ein Knackpunkt könnte aus seiner Sicht das Verhalten von einigen Funktionären und Bewegungsvertretern in der Öffentlichkeit sein. Dabei gehe es vor allem um die Reaktionen auf die Großdemonstration am 2. Juni in Rostock, die schon damals für »heftigsten Gesprächs-stoff« gesorgt haben. Die Diskussion über die Eskalation der Demo ist für Grätsch deshalb so wichtig, weil im Vorfeld festgestanden habe, dass »eine Demo verteidigt wird, wenn sie angegriffen wird«. Mit der Verurteilung des 2. Juni hätten sich aber »einige Leute« gegen diesen Bewegungskonsens gestellt und den Medien bei der Gewaltfrage den Ball zugespielt.
Noch viel kritischer sehen das große Teile der Autonomen, die sich ohnehin bei Bündnisfragen relativ schwer tun. Sie fühlen sich von Teilen der Bewegung, vor allem durch die negativen Reaktionen auf den 2. Juni, denunziert und ausgegrenzt, wie Carlo von der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin (arab) erklärt. »Manche Gruppen haben ein Problem damit, Militanz als legitimen Ausdruck des Widerstands anzuerkennen – viel zu schnell wird von unpolitischer Gewalt gesprochen«, meint der arab-Sprecher. »Wir haben das Gefühl, auch bei den Perspektiventagen nicht so gern gesehen zu werden.« Man wolle aber trotzdem Inhalte und Vorstellungen beisteuern und hoffe auf eine solidarische und konstruktive Debatte, so Carlo.
Den Vorwurf, dass sich einige Aktivisten in der Bewegung als VIPs aufspielen würden, mussten sich vor und nach den Protesten vor allem Attac-Führungskräfte und Linksparteivertreter anhören. Mit ihrer ablehnenden Haltung zum Verlauf der Großdemonstration in Rostock sorgten sie für einigen Unmut. Doch eine gewaltfreie Protestkultur gehöre eben zum Konzept von Attac, erklärt Pedram Shahyar, Mitglied des Koordinierungskreises. »Wir erwarten von unseren Bündnispartnern keine prinzipielle Gewaltfreiheit, sondern wollen nur, dass die Aktionen, die gemeinsam mit uns durchgeführt werden, gewaltfrei bleiben«, betont er.
Attac hofft deshalb auch weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit mit den verschiedensten Bewegungsträgern. Die Perspektiventage können dabei ein wichtiger Schritt zur Vernetzung sein, sagt Shahyar. Dort wolle sich das globalisierungskritische Netzwerk vor allem beim geplanten Klimacamp einbringen.
Pläne für den Sommer
Auch der Linkspartei-Jugendverband solid will mit allen »fortschrittlichen Gruppen« zusammenarbeiten und ein möglichst breites Bündnis schmieden, erklärt Marco Heinig, der an der Vorbereitung der G8-Proteste beteiligt war. Dazu gehörten dezidiert auch autonome Gruppen. Über Ereignisse wie den 2. Juni gebe es aber innerhalb des Verbandes ganz unterschiedliche Meinungen.
Um sich von den etablierteren Organisationen abzugrenzen, haben sich schon zwei Jahre vor dem G8-Gipfel in Heiligendamm linksradikale Gruppen zur Interventionistischen Linken (IL) zusammengeschlossen. Eine dieser Organisationen ist FelS (»Für eine Linke Strömung«). Doch auch sie schlägt versöhnliche Töne an: »Die Perspektiventage sind da, um die Leute zu einen, doch im Sinne von kritischer Solidarität«, meint Berit Schröder, die bei FelS aktiv ist. Für sie überwiegen die positiven Erfahrungen von Bündnisarbeit in Heiligendamm, auch wenn weiterhin konstruktiv gestritten werden solle. Deshalb hofft Schröder, dass mit gemeinsamen Projekten und Kampagnen auch zukünftig die Synergieeffekte der Bewegung genutzt werden können.
Das Programm sieht tatsächlich vor, nicht nur strittige Punkte auszudiskutieren, sondern auch Lehren aus den Protesten zu ziehen, um die neu aufgebauten Strukturen zu stärken. So soll es laut Camp-AG-Sprecher Grätsch etwa um die Verbesserung von Antirepressionszusammenhängen wie den Legal Teams und die gezielte Mitverfolgung von Gerichtsverfahren gehen. Zudem müssten Ansätze für gemeinsame Alltagskämpfe gefunden werden. Als nächstes konkretes Projekt werden die Teilnehmer in den kommenden Tagen über ein Klima-Camp in diesem Sommer diskutieren. Zu klären ist beispielsweise, ob es sich ausschließlich der globalen Klimafrage oder auch anderen Themen widmen soll. Die 15 Mitglieder der Camp AG sind jedenfalls hoch motiviert, auch dieses Jahr wieder mit einem breiten Bündnis linker Gruppen gegen die herrschenden Verhältnisse Krach zu schlagen. Die Perspektiventage werden zeigen, ob sie die Bewegung mit ihrer Zuversicht anstecken können.
Kein klassischer Kongress – der Ablauf
RÜCKBLICK Am Anfang sollen die Auswertungen einzelner Gruppen und Bündnisse spektrenübergreifend diskutiert werden.
PERSPEKTIVEN DENKEN Ab Freitagmittag geht es um die Suche nach übergreifenden Themen, bei denen Kämpfe und Widerstandsformen zusammenkommen, sich ergänzen und stärken. Haben »Klammerthemen« wie Militarisierung und Krieg, globale soziale Rechte, Privatisierung, Arbeitskämpfe-Prekarisierung-Sozialab-bau, internationale Organisierungen oder der Widerstand gegen Überwachung und Kontrolle dieses Potenzial? Wie sehen Formen und Grenzen einer breiteren Organisierung aus?
PERSPEKTIVEN MACHEN Nach diesen Überlegungen können konkrete Projekte neu erfunden oder weiterentwickelt werden. Ideen sind Camps zu einzelnen Themen oder ein »Mehrsäulencamp« im Sommer, Aktionen parallel zum G8-Gipfel in Japan, gebündelte Kampagnen beispielsweise gegen Privatisierung, Prekarisierung oder für linke Freiräume.
www.perspektiventage.camping-07.de
Von Susanne Götze
[http://www.neues-deutschland.de/artikel/122432.html]
Source: www.neues-deutschland.de