Im Verlauf der letzten Monate ist einiges öffentlich geworden über Ermittlungsmethoden von Sicherheitsbehörden: Vorratsdatenspeicherung, Online-Durchsuchung, so genannte “Textanalyse von Taterklärungen” (angewandt in den Ermittlungsverfahren nach §129a gegen G8-AktivistInnen) etc. Polizei und Nachrichtendienste wollen ungehinderten Zugriff auf Personendaten und User-Profile im Internet. Internetanbieter müssen ihren Traffic langfristig speichern und damit polizeiliche Datenbanken entlasten.
Die Debatte um die Einführung biometrischer Pässe hat in Erinnerung gerufen, dass die Industrie längst komplexe Überwachungssysteme entwickelt hat: Iris-Scanning, RFID-Chips (z.B. zum Einkauf im Supermarkt oder auf Ausweisen), automatische Gesichtserkennung etc. Im Bereich der “Border Control” sollen “privilegierte Reisende” mit biometrischen Pässen “automatisch einreisen” können. Die neue “Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen” (FRONTEX) ist beauftragt, eine permanente “Risiko- und Gefahrenanalyse” der EU-Außengrenzen zu erstellen und für mehr Koordinierung und Überwachung zu sorgen. Die technische Aufrüstung steht im Mittelpunkt.
Kontrolle, Normierung und Überwachung sind keine neuen Phänomene. Der Rückbau sozialer Sicherung im globalisierten Kapitalismus geht einher mit der Umstrukturierung von Innenstädten, “Gated Communities” mit Kameras, Zäunen und Security oder Video-Überwachung am Arbeitsplatz. Neben der Bewegungsfreiheit wird die freie Nutzung des Internets zunehmend eingeschränkt. Gegen politisch missliebige Bewegungen werden neue Gesetze erlassen.
Mit Rückendeckung von Polizei-Gewerkschaften, BKA- und Polizei-Hardlinern wollen Innenpolitiker politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen für die Einführung neuer Sicherheitstechnologie schaffen. Dieser Umbau soll zu einer “globalen Sicherheitsarchitektur” beitragen, die auf Ansätzen des US-Heimatschutzministeriums (Department of Homeland Security) aufbaut. Dessen “Mission” ist, “Bedrohungen voraussehen, zuvorkommen und abwenden”.
Das Thema “Sicherheit” ist längst zum umkämpften Markt in der IT-Branche geworden. Dutzende Anwender konkurrieren wenn es darum geht, Informationen für beteiligte Behörden schnell verfügbar zu machen, Kommunikation über Digitalfunk zu verschlüsseln oder Software zu programmieren, damit unterschiedliche Datenbanken miteinander harmonisieren. Dabei handelt es sich um Software, die kommerziell vertrieben wird, etwa für Hochschulen, Behörden oder private Anwender, und auf den Betrieb bei Polizei und Nachrichtendiensten abgestimmt wird. Unterschiedliche technische Standards anderer Länder stellen dabei ein Problem polizeilicher Zusammenarbeit dar. Auf der nächsten Konferenz wollen deutsche Polizeigewerkschaften einen Aufruf zur Einführung einheitlicher Software veröffentlichen.
Der “Europäische Polizeikongreß” ist ein Forum, auf dem sich Politiker, Polizeibehörden, Nachrichtendienste, Bundeswehr und Sicherheitsindustrie über die Implementierung neuer Verfolgungsmaßnahmen verständigen. Der jährliche Kongreß hat den Charakter einer “Sicherheits-Messe” , in den ersten Jahren stand die technische Ausrüstung auf der Tagesordnung. Inzwischen stehen Verfolgungsbehörden allerdings vor der Frage wie der immense Umfang an Daten sinnvoll verarbeitet werden soll. Eine Antwort darauf ist das sogenannte “Data-Mining” , ein Prozeß mit dem Texte, Abhörmitschnitte oder Videos auf Schlüsselwörter oder Redewendungen untersucht und Personen zugeordnet werden. Einige Anbieter entwickeln Software die es ermöglichen soll, die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Gesetzesübertretungen mathematisch zu berechnen. Die Firma SPSS beschreibt diesen Vorgang in einem Referat auf dem “Europäischen Polizeikongreß” als “Die Evolution in der Verbrechensbekämpfung… Vom Reagieren… Zur Eigeninitiative… Zur Vorhersage…” . Damit wäre der erste Schritt der “Homeland Security” -Ideologie vollzogen: Das “Vorhersehen von Bedrohungen” .
Auch für das “Zuvorkommen von Bedrohung” , erfüllt der “Europäische Polizeikongreß” eine Funktion: eine Vernetzung internationaler Polizeibehörden, die weit über bereits bestehende Strukturen hinausgeht (Europäisches Polizeiamt EUROPOL, Schengen-Informationssystem SIS). Die Bundeswehr ist in die Neustrukturierung der Sicherheitsbehörden eingebunden. Im In- und Ausland ist mehr Einsatz im Innern vorgesehen (“Zivil-Militärische Zusammenarbeit”). Im “Kampf gegen Internationalen Terrorismus” , für “Border Control” oder die “Bewältigung polizeilicher Großlagen” wie Gipfeltreffen oder Sportereignisse sind neue Agenturen, Institute, Arbeitsgruppen und Forschungsprogramme entstanden. Zentrale Themen sind diskrete Aufklärung und Intervention. Dabei geht es um Kommando- und Kontrollsysteme, Zugriff auf Geheimdienstdatenbanken, den Umgang mit Beschwerden gegen Polizei, IT-Infrastruktur, Zäune, “Handhabung von Menschenmassen” (“Crowd Management”) sowie Medien- und PR Strategien.
Charakteristisch für diese neue polizeiliche Vernetzung ist ihre Arbeit im Verborgenen. Nationale und supranationale Polizeibehörden stellen sogenannte “Verbindungsbeamte” ab, die sich in “Closed door meetings” über Sicherheitsfragen abstimmen. Das neue Wissen um die Kontrolle “sicherheitskritischen Verhaltens” wird auf regelmäßigen Konferenzen, Workshops oder in Seminaren der Polizei-Akademien weitergegeben. Ziel ist die Entwicklung internationaler Standards. Die internationale Vernetzung von Sicherheitsbehörden setzt sich über limitierende politische Regelungen hinweg und agiert ohne rechtsstaatliche Kontrolle.
Die “globale Sicherheitsarchitektur” hat eine neue Qualität. Der Focus auf “vorhergesagte Risiken” setzt Menschen einem Generalverdacht aus. Dies stellt Soziale Bewegungen vor eine große Herausforderung. Wir schlagen deshalb eine Kampagne gegen den “11. Europäischen Polizeikongreß” im Februar 2008 in Berlin vor. Die Kampagne hat zunächst folgende, eher allgemeine Ziele:
Der Polizeikongreß 2008 steht unter dem Motto “Informationstechnologie – Ermittlung – Einsatz” . Am Dienstag den 29. Januar um 15.30 Uhr referiert Innenminister Schäuble im “Forum der europäischen Innenminister” . Zusammen mit anderen Gruppen organisieren wir zu diesem Termin eine Kundgebung, evtl. eine Demonstration.
Wir wollen mit der Kampagne ein breites Spektrum von Gruppen erreichen und denken, dass der “11. Europäische Polizeikongreß” eine Gelegenheit zur Verlängerung bestehender Kampagnen sein kann: Gegen Vorratsdatenspeicherung, gegen 129abc, Frontex, Oury Jalloh, Antimilitarismus etc.
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