Mit diesem Papier wollen wir einen Teil unserer Nachbereitung und Selbstkritik
öffentlich machen. PAULA, das überregionale Plenum für einen dezentralen
Aktions- und Blockaderaum rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm, war ein
heterogener, temporärer Zusammenschluss von Gruppen und Einzelpersonen. Aus
diesem Grund nehmen wir im Folgenden vorwiegend eine Bewertung des dezentralen
Blockadekonzepts vor und liefern keine gemeinsame Stellungnahme zu den
G8-Gipfel Protesten im Allgemeinen. Das ist eine Diskussion, die wir an anderer
Stelle in unserem Alltag und in unseren Gruppen führen.
Die Idee und die Hoffnung
Die Idee zu PAULA entstand vor dem Hintergrund jahrelanger Erfahrungen aus den
Protesten gegen die Castortransporte im Wendland sowie den defensiven
Gipfelblockaden 2006 in Gleneagles. In Ergänzung zu dem Massenblockadekonzept
von Block G8, aber auch wegen unserer Kritik an dessen begrenzten
Aktionsrahmen, wollten wir versuchen, das Gipfeltreffen 2007 mit einem Ring aus
dezentralen Blockaden auf den Zufahrtsstraßen nach Heiligendamm massiv zu
behindern.
Wir wollten die „gipfelspezifische“ Situation, mit sehr vielen Menschen vor Ort
zu sein, nutzen, um an verschiedenen infrastrukturellen Punkten den Ablauf des
Gipfels effektiv zu stören und damit unsere unmissverständliche Ablehnung gegen
das Treffen und die neoliberale Politik zum Ausdruck zu bringen. Um eine
unkontrollierbare Situation zu schaffen, waren vor allem mehrere
Materialblockaden mit bereits vorhandenem und eigens dafür deponierten
Materialien angedacht. Die Dezentralität sollte uns ein möglichst
unberechenbares und flexibles Agieren ermöglichen.
Bestandteil des Konzepts war, dass sich erstens noch weitere Zusammenhänge von
den PAULA-Aufrufen inspirieren lassen und dezentrale Blockaden vorbereiten und
zweitens viele Aktivist_innen während der Gipfeltage mitmachen würden. Wir
versuchten damit auch, aus den klandestinen kleinen Kreisen herauszukommen und
die Tür zur Massenmilitanz zu öffnen.
Es wurde an einer Informationsstruktur gearbeitet, die den Gruppen den Austausch
über Ort und Zeitpunkt der anstehenden Aktionen ermöglichen und eine
kurzfristige Einbindung von anderen Gruppen, insbesondere der Internationals
gewährleisten sollte.
Die Umstände und wir
Kurz vor den und vor allem während der Aktionstage wurden uns unsere Schwächen
und Grenzen bewusst. Das Ergebnis war desillusionierend. Wir haben nur von
wenigen Aktionen erfahren, die wir einer dezentralen Blockadeidee zuordnen
können (vergleicht http://www.gipfelsoli.org/rcms_repos/maps/action.html).
Einige der zum Teil sorgfältig vorbereiteten dezentralen Aktionen konnten nicht
umgesetzt werden.
Das lag zum Teil daran, dass die Cops Infos über geplante Aktionen erhalten
hatten, oder an fehlenden Aktivist_innen, die wider unseren Erwartungen dem
Zaun sehr nahe kamen und damit unseren Materiallagern fern blieben. Andernorts
kollidierten der anvisierte Blockadepunkt und das Materiallager mit anderen
Aktionen, so dass die Punkte aufgrund der verursachten (und erfreulichen)
Verkehrslahmlegung nicht rechzeitig erreicht werden konnten. Neben diesen
äußeren Gegebenheiten ist ein gewisses Scheitern jedoch auch dem eigenem
Unvermögen zuzuschreiben, unter den gegebenen repressiven Verhältnissen
handlungsfähig zu bleiben. Bereits in der Vorbereitung wurde der Fokus stärker
auf die konkrete Vorbereitung der einzelnen Aktionen gelegt und weniger auf
eine wirksame Mobilisierung für die Aktionsidee. Die mit der Organisierung
halbklandestiner Aktionsformen verbundene Schwierigkeit der öffentlichen
Werbung und der Gewährleistung einer Ansprechparkeit wurde für uns während der
Gipfeltage zu einem noch größeren Hindernis. Während wir in der Vorbereitung
z.T. auf befreundete Genoss_innen aus anderen Bündnissen bauen konnten, die das
dezentrale Blockadekonzept hier und da zur Sprache brachten, versagten wir
während der Protesttage darin, offensiv und selbstbewusst für die vorbereiteten
Aktionen zu werben. Mögliche Repression befürchtend, hielten wir uns so sehr im
Hintergrund, dass es für jene, die mit unserem Konzept sympathisierten, kaum
Anknüpfungspunkte gab.
Damit ist uns bewusst geworden, dass die Vermittlung der Aktionen in der
Vorbereitung gründlicher einbezogen und überlegt werden muss. Statt wohl
klingender Aufrufe, hätten wir mit einer konkreten Erörterung des Konzepts, wie
eine Teilnahme möglich ist, welche räumliche Orientierung besteht (z.B.
Zugangsstraßen und günstige Angriffspunkte) und in welcher personellen
Größenordnung die Aktionen gedacht werden, vermutlich mehr Leute angesprochen.
Während der Protesttage wäre für ein offensives Propagieren unserer Pläne und
Analysen die Einberufung eines autonomen Plenums oder zumindest die stärkere
Präsenz auf den Camp-Plena bzw. auf dem zu spät stattfindenden, von den
Internationals einberufenen autonomen Plenum am Mittwoch auf dem Camp in
Reddelich nötig gewesen.
Eine andere, nicht unwesentliche Ursache für unsere faktische „Abwesenheit“
sehen wir in der personellen Überlastung durch die Einbindung in die
Protest-Strukturen, die insgesamt betrachtet maßgeblich von Leuten aus dem
autonomen Spektrum gestellt wurden. Diese füllten die Lücken in der
Infrastruktur und trugen somit paradoxerweise zum Gelingen anderer Konzepte
bei, während sie sich um die eigenen nicht genug kümmern konnten.
Schlussendlich müssen wir feststellen, dass auch wenn die Hoffnung zuletzt
sterben sollte, ein Hoffen darauf, dass sich viele andere Gruppen durch einen
unverbindlichen Aufruf zur Vorbereitung eigener Aktionen animieren lassen,
derzeit nicht realistisch ist.
PAULA war ein Versuch. Das Resultat spiegelt nicht nur die organisatorischen
Grenzen und Schwächen, sondern auch die fehlende Bereitschaft in der
linksradikalen Szene wieder, sich durch Eigeninitative an derartigen Konzepten
zu beteiligen. Wenn aufgrund mangelnder Vorbereitung oder verbreiteter
Konsumhaltung selbstorganisierte und auch militante Protestformen auf der
Strecke bleiben, empfinden wir das als ein schlechtes Zeichen für die
Entschlossenheit in der linksradikalen Szene.
Die andere Art des „friendly fire“
Wir hatten uns im Zuge der Diskussionen um mögliche Aktions- und Blockadeformen
während des G8-Gipfels bewusst gegen eine Teilnahme am Konzept Block G8 (BG8)
entschieden, weil uns manch versprühter Geist der Regulierung, das Anliegen den
Handlungsspielraum bei diesem Konzept auf ein „kontrolliertes Maß“ festzulegen
und die Betonung des zivilen Ungehorsams unter Ausschluss weitergehender
Aktionsform missfielen.
Wir fanden die Idee einer Massenblockade von BG8 prinzipiell gut. Den Weg der
Umsetzung hingegen fanden wir falsch, weil wir in der klaren Festlegung
gewünschter und ungewünschter Verhaltensweisen nicht nur das Anliegen sahen,
möglichst vielen, unerfahreneren AktivistInnen einen Aktionsrahmen anzubieten,
sondern auch die implizierte Übernahme des kriminalisierenden Blickes auf
militante Widerstandsformen. Damit wurde von einigen in BG8 eine Polarisierung
zwischen vertretbaren, im Sinne von vermittelbaren, und unvertretbaren
Aktionsformen aufgemacht, die auch von den linksradikaleren BG8-Bündnisgruppen
nicht korrigiert werden konnte.
Zwei Tage vor den Blockaden führten Vertreter von BG8, sowie ein Anmelder des
antimiltaristischen Aktionstages in Rostock-Laage Gespräche mit den Cops um
ihren Aktionsspielraum auszuhandeln. Hintergrund für diese Entscheidung von BG8
soll u.a. gewesen sein, dass aufgrund der Ereignisse am Samstag ein zu geringer
Handlungsspielraum erwartet wurde. Durch die Offenlegung des eigenen
Aktionsrahmens erhoffte mensch sich einen deeskalierenden Bulleneinsatz bzw.
die Möglichkeit einen harten, unverhältnismäßigeren Bulleneinsatz besser
kritisieren und delegitimieren zu können. Solche Gespräche sehen wir bei
Aktionen des zivilen Ungehorsams, bei denen die Regelverletzung erklärtes Ziel
ist, als politischen Fehler an, zumal die darin selbst auferlegten
Beschränkungen gegenüber den Aktivist_innen von BG8 vor Ort auch in einigen
Fällen durchgesetzt wurden. Unsere Einschätzung bestätigte sich bereits am
Mittwoch, als die Schergen die Blockade-Taktik neutralisieren konnten. In
dieser Situation gelang es BG8 nicht, den Ramen zu sprengen und ein neues Fass,
bzw den Zaun aufzumachen.
Unser Verhältnis zur Kampagne Block G8 lässt sich jedoch nicht nur über die
genannte Kritik beschreiben. Wir haben die beiden Blockadekonzepte immer als
gegenseitige Ergänzung gesehen und uns dafür mit Teilen des Bündnisses sehr gut
koordiniert. Wir haben uns über die Bereitschaft von Tausenden von Menschen
gefreut, die sich für ein Blockieren im Rahmen von BG8 entschieden hatten und
wir haben von der Kampagne BG8 gelernt, was die Vermittlung klarer
Aktionsangebote bedeutet. Letztendlich haben sich nicht wenige aus unserem
Umfeld der Massennblockade mangels eigener Alternativen angeschlossen.
Klar ist, dass mensch mit der Propagierung von militanten Aktionskonzepten in
einem Widerspruch zur legitimierten Ordnung und der mehrheitlichen Meinung
steht. Es bleibt eine der größten Herausforderungen, diesen Widerspruch in der
politischen Praxis auszuhalten und auch öffentlich vertreten zu können. Der
emanzipatorische Charakter einzelner Aktionen und politischer Kampagnen ist mit
Sicherheit nicht an dem Grad ausgeübter Militanz zu messen, aber eben an einem
unversöhnlichem Antagonismus zur bestehenden Ordnung. In der Frage nach dem
Verhältnis zu Aktionen des unkontrollierbaren Regelbruchs steckt zugleich die
Frage nach dem Verhältnis zur staatlichen, zur rechtssetzenden und
rechtserhaltenden Gewalt.
Solidarische Kritik ist für die Weiterentwicklung militanter Aktionskonzepte
erwünscht und notwendig. Aber es sollte doch bei jeglichen Äußerungen zu
anderen Aktionsformen und Aktivitst_innen Klarheit darüber bestehen, wo die
eigentliche Konfliktlinie im Kampf um gesellschaftliche Veränderung verläuft.
Vorauseilende Ausgrenzung, Denunziation und Gedanken über eine Auslieferung von
Genoss_innen an die Bullen sind fern eines jeglichen solidarischen Verhaltens.
Und wie schnell wird aus einem „Schlagt uns nicht!“ ein „Schlagt nicht uns!“.
Die Auflösung und die Zukunft
Wir waren PAULA. Es hat sich gezeigt, dass das Konzept von PAULA Schwächen hatte
und sowohl in der Planung als auch in der Umsetzung an einigen Stellen zu
ergänzen ist. Dennoch halten wir grundsätzlich das Konzept von dezentrale
Blockaden für sinnvoll, sei es bei Großereignissen wie Gipfeltreffen oder bei
Castortransporten und Naziaufmärschen.
Wir bleiben dabei, dass unberechenbare Widerstandsformen notwendig sind. Eine
logische Konsequenz unserer Gesellschaftsanalyse ist auch eine militante Praxis
in der linksradikalen Szene und die Bestrebung, die gemeinsame Bereitschaft für
derartige Aktionsformen aufrecht zu erhalten.
Mögen die angeführten Kritikpunkte zukünftigen Zusammenschlüssen bei der Planung
von subversiven Aktionen hilfreich sein.
Solidarische Grüße an die mit §129a belästigten Gennoss_innen!
PAULA (überregionales Plenum – antiautoritär – unversönlich – libertär -
autonom)