Die Proteste gegen den G8-Gipfel waren ein voller Erfolg. Das glauben zumindest die G8-Gegner. Eine Auswertung der Auswertungen von Felix baum
Zwei Monate nach den Protesten in Heiligendamm schwelgen ihre Organisatoren in einer Siegesgewissheit, die der Überzeugung Erich Honeckers, den Sozialismus in seinem Lauf hielten weder Ochs’ noch Esel auf, in nichts nachsteht. »Das Spektakel der G8 ist geplatzt, ihre Zeit läuft ab, unsere bricht an«, meint die »Interventionistische Linke« nach getaner Arbeit, und auch sonst ziehen die Akteure von Heiligendamm bislang die Erfolgsmeldung konsequent der Selbstreflexion vor.
Während man bei Honecker immerhin wusste, welcher Sozialismus sich vermeintlich unaufhaltsam seinen Weg bahne, ist die neue Zeit, deren Anbruch pathetisch verkündet wird, so unbestimmt wie vor den Protesten. Der Einwand der inhaltlichen Beliebigkeit, den einige linksradikale Skeptiker während der Mobilisierung geltend machten, hat sich voll und ganz bewahrheitet. Zwischen Herbert Grönemeyer und Schwarzem Block, Greenpeace und Friedenspfaffen war ein Anliegen der Proteste schlechthin nicht auszumachen. Und nach dem gleichen Muster geht es nun weiter, wie der konstruktive Dialog zwischen Heiner Geißler und einigen linken Aktivisten auf der Sommerakademie von Attac am vergangenen Wochenende zeigt.
Auch dort jagte eine Erfolgsmeldung die nächste. So sollen in Bayern konservative Gemeinderäte gesichtet worden sein, die sich gegen die Privatisierung kommunaler Unternehmen aussprechen. Wie der Kampf weitergehen könnte, ist einer Zeitung zu entnehmen, die in besseren Zeiten Arbeiterkampf hieß und sich heute analyse & kritik nennt. »Nach Heiner Geißler«, heißt es dort, »wäre nun Herbert Grönemeyer der nächste Kandidat auf eine Promi-Mitgliedschaft bei Attac, was wichtig für eine Verbreiterung wäre.«
Jede Klärung der Gesellschaftskritik, die man praktisch werden lassen will, wäre das sofortige Ende der Bewegung, die schon aus diesem Grund keine ist. Die Köpfe der historischen Arbeiterbewegung verfassten ganze Bücher, um ihre Mittel und Ziele zu bestimmen. Die Wortführer der Globalisierungskritiker meiden den Streit und predigen die Einheit um jeden Preis. Sie thronen souverän über der allgemeinen Konfusion und fälschen sie in länglichen Strategiepapieren zu einer Stärke um.
Es bedarf akademischer Formulierungskunst, um dieser Inhaltsleere den Anschein tiefer Reflexion zu verleihen. So schreibt Ulrich Brand, einer der Vordenker der Bewegung, in analyse & kritik: »Ich komme zu keiner abschließenden Einschätzung, denn die Interpretation dessen, was der G8-Prozess war, ist Teil politischer Auseinandersetzungen und Imaginationen des Politischen. Wo öffnen sich Räume, was muss geschehen? Die Politisierung und (Selbst-)Organisierung von Menschen ist zudem ein derartig vielfältiger Prozess, dass darüber nur begrenzt im Sinne eines ›wie weiter?‹ reflektiert werden kann.«
Auch Thomas Seibert, der zweite bekannte Wortführer der hiesigen Globalisierungskritiker, sah sich nach dem Großereignis veranlasst, einige Überlegungen zum Stand der Bewegung zu verfassen. In seinen »Zehn Thesen zur Heiligendamm-Mobilisierung« feiert Seibert, nach eigenem Bekunden Philosoph, in einer kühnen Dialektik das »breiteste Nicht-Bündnis-Bündnis« und unternimmt es vor allem, die Claims zwischen den verschiedenen Organisationen abzustecken. Die Thesen lesen sich wie ein kompliziertes Vertragswerk: Da es nun die »Interventionistische Linke« gebe, sei Attac »nicht einmal mehr für die Medien der alleinige Vorzeigeakteur«, habe ferner »nicht das Recht, von allen prinzipielle Gewaltfreiheit einzufordern«, hingegen aber jenes, »die Übernahme dieser Verantwortung offensiv einzufordern« und so weiter und so fort.
Ein altgedienter Chronist der autonomen Bewegung namens Geronimo bezeichnete dies Treiben treffend als »Anspruch auf Bewegungsmanagement«. Und so könnte überhaupt das einzige nennenswerte Ergebnis der zweijährigen Mobilisierung nach Heiligendamm darin liegen, dass ein Teil der Linksradikalen das zivilgesellschaftliche Bündnistreiben ihrer ehemaligen Weggefährten offensiver kritisiert, als es bislang der Fall war.
Die Autonomen alter Schule, der Professionalisierung und Verwässerung der Bewegung sympathisch abgeneigt, befinden sich bislang aber in der subalternen Rolle des Fußvolks, das von den Bewegungsmanagern mal für seine – doppelt gemoppelt hält besser – »selbständige Eigentätigkeit« (Seibert) gelobt, dann wieder wegen allzu wilder Randale zur Ordnung gerufen wird und vorerst ins Hintertreffen geraten ist. Neben den wendigen Postautonomen, die rund ums Jahr zwischen Attac-Beirat, Universität und Rosa-Luxemburg-Stiftung vernetzen, repräsentieren und neue Bündnisse aus der Taufe heben, wirken die autonomen Staatsfeinde wie ein sektiererisches Auslaufmodell aus den achtziger Jahren. Nichts anderes meint Seibert, wenn er an anderer Stelle huldvoll die historische »Reife einer Neuformierung« verkündet, »in der sich eine weit vorangeschrittene, wenn auch nicht abgeschlossene (Selbst-)Kritik des Linksradikalismus der siebziger bis neunziger Jahre mit strategischen Reflexionen auflädt«.
Weniger verschwurbelt heißt das schlicht, den Linksradikalismus zu liquidieren, insbesondere natürlich seine Ablehnung von Stellvertreterpolitik und Parlamentarismus. Aus dieser Perspektive war daher nicht nur Heiligendamm »für uns alle rundweg ein Erfolg«, nein, »ein nicht minder großer Erfolg«, so Seibert, »war die nur zwei Wochen später vollzogene formelle Gründung der Partei Die Linke«, was zusammengenommen bedeutet, dass »wir alle« gleich »einen Doppelschlag landen konnten« (Hervorhebung im Original). Schwarze Tage für die deutsche Bourgeoisie.
Die Bewegungsmanager treten ihrer manchmal ungestümen Basis nach der bewährten Rollenverteilung »guter Bulle – böser Bulle« gegenüber, das lässt sich fernab jeder Verschwörungstheorie festhalten. Anders kann das Spiel auch nicht funktionieren, da es den Widerspruch zu handhaben gilt, einerseits verbalradikal den Antagonismus zu beschwören, wie es Seiberts Verein »Interventionistische Linke« ausgiebig tut, und sich andererseits der Zivilgesellschaft und den parlamentarischen Kretins um Oskar Lafontaine anzudienen. So machte, nachdem es am 2. Juni in Rostock gescheppert hatte, zunächst Attac-Funktionär Peter Wahl den Büttel – als ehemaliger DKP-Funktionär sicherlich nicht unerfahren im Kampf gegen linksradikale Kinderkrankheiten – und polterte gegen die Randalierer los, bevor andere Bewegungsmanager abwiegelten und die Koexistenz unterschiedlicher Protestformen beschworen, um die Basis, ohne die sie nichts sind, nicht zu verprellen.
Nur in dieser Hinsicht aber, als Stolperstein für das historische Bündnis von Attac, autonomem Zeltlager und linker Bundestagsfraktion, kommt der Randale in Rostock Bedeutung zu. Für sich genommen führt sie aus der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit der Antiglobalisierungsproteste keinen Millimeter hinaus. Daran würde sich erst etwas ändern, wenn eine Verbindung mit den neuerdings wieder zunehmenden Streiks und Arbeitskämpfen gelänge. Erst dann, heißt es treffend im linksgewerkschaftlichen express, stünde »der wirkliche Gegner auf der Straße. Für diese zukünftigen Auseinandersetzungen übt die Polizei schon heute. Kein Autonomer sollte sich deshalb dafür hergeben, der Polizei als Übungspartner zu dienen.«
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