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2007-07-13

Angela Klein: Sieben Tage gegen G8

Spiel, Satz und Sieg für Gipfelgegner

In ihrer Gesamtheit betrachtet waren die sieben Tage rund um Heiligendamm für die Gegnerinnen und Gegner der G8 ein gigantischer, in diesem Umfang unerwarteter Erfolg. Will man diesen verstetigen, muss benannt werden, was ihn ermöglicht hat, und auch, was warum falsch gelaufen ist.

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Zunächst sah es gar nicht danach aus. Bis Anfang Mai dümpelte die Mobilisierung vor sich hin. Das Nebeneinander verschiedener Aktionsformen und Themenschwerpunkte wurde erkauft durch einen Mangel an Zuspitzung und inhaltliche Konturlosigkeit. Ausländer fragten schon mal: Was wollt ihr eigentlich in Rostock?
Die G8 selbst boten inhaltlich nicht allzu viel Reibungsfläche, hauptsächlich deshalb weil sehr früh klar war, dass nichts dabei herauskommen würde. Soweit ist die Delegitimierung ja durchaus schon gediehen, dass kaum noch jemand an eine Lösungskompetenz der G8 glaubt. Wenn Blair in Gleneagles noch in der Lage war, Teile der bürgerlichen Öffentlichkeit für seine Afrikainitiative einzunehmen und das Wasser des Protests auf die Mühlen einer zahnlosen Kritik zu leiten, war Angela Merkel das nicht mehr. Bono und Grönemeyer empörten sich schon im Vorfeld medienwirksam über die Unwirksamkeit der sog. Afrikahilfe.
Wahrscheinlich wäre es bei einer eher lauen Mobilisierung geblieben, wäre es nicht der Staatsgewalt noch eingefallen, Heiligendamm zum Testfeld für die innere Hochrüstung zu machen und den Versuch zu unternehmen, ihrerseits die Proteste durch Kriminalisierung zu delegitimieren. Zu Beginn ging der Schuss nach hinten los, die Razzien im Vorfeld haben einen richtiggehenden Mobilisierungsschub ausgelöst. So kamen am Samstag in Rostock doch noch 60000 bis 80000 Menschen zusammen, an den Aktions- und Blockadetagen danach jeweils um die 10000, zum Konzert von Herbert Grönemeyer noch mal 80000. Insgesamt werden also um die 150000 Menschen mobilisiert worden sein — und dies ohne nennenswerte Mobilisierung der Gewerkschaften (mit Ausnahme ihrer Jugend).

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Den Erfolg der großen Zahl haben Innenminister und Polizei versucht, durch Provokation von Gewalt wieder zunichte zu machen. Am Samstag ist das auch zum Teil gelungen. Auf Bilder von Steinhagel, Wasserwerfereinsätzen und brennenden Autos folgte eine systematische Desinformation durch die Polizei und ein breit angelegter Medienkrieg, der die Demonstranten in "gute" und "böse" aufteilen wollte. Teile des Protests sollten delegitimiert und der Erfolg insgesamt damit in Frage gestellt werden.
Leider sind einige auf die Spaltungspolitik hereingefallen. Die vorschnelle Distanzierungserklärung, die einige Vertreter von Attac unterschrieben haben, war zum gegebenen Zeitpunkt völlig überflüssig. Es hätte gereicht, die gewalttätigen Auseinandersetzungen scharf zu kritisieren, sich aber eine Schuldzuschreibung erst nach genauer Prüfung des Sachverhalts vorzubehalten. Die Glaubwürdigkeit von Attac hat dadurch schweren Schaden genommen — zum Nachteil der gesamten Bewegung.

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Was am 2.6. in Rostock wirklich passiert ist, erschließt sich erst allmählich aus der Vielzahl von Augenzeugenberichten und Fotomaterial, das der Republikanische Anwaltsverein, das Komitee für Grundrechte und Demokratie, die Rote Hilfe und andere Organisationen derzeit sammeln und auswerten. Was davon auf das Konto von Demonstrierenden geht, muss offen gelegt und der Umgang damit diskutiert werden. Nichts wäre falscher als den Mantel der Barmherzigkeit darüber zu breiten. Der Schutz der Massenaktion vor ihrer Denaturierung und Instrumentalisierung für fremde Zwecke muss gewährleistet sein — und zwar von den Akteuren selbst.
Denn eins ist am 2.6. und in den darauf folgenden Tagen überaus deutlich geworden: Teile des Repressionsapparats haben versucht, etwas Genua zu spielen. Willkürlich, ohne Vorankündigung und vor allem unter systematischer Verweigerung des Dialogs mit den G8-Gegnern wurden deren Demonstrationsrechte immer wieder außer Kraft gesetzt.
Eine Polizeistrategie war dabei nicht erkennbar und wurde auch nicht verlautbart. Es gab Polizisten, die sich darauf konzentrierten, friedliche Demonstrationen zu ermöglichen, und es gab Polizisten, die das Recht auf Demonstration in Frage stellten. Wie viel davon schlechte Koordination zwischen den Polizeieinheiten, wie viel aber Kalkül oder interessierte Inkaufnahme von Chaos war, wird man in Erfahrung bringen müssen.
Fakt ist, dass wir angesichts der Zunahme sozialer Spannungen auch in Deutschland nicht mehr davon ausgehen können, dass die Staatsgewalt friedliche Massenproteste gewähren lässt, auch und gerade dann wenn sie eine Mehrheitsmeinung der Bevölkerung zum Ausdruck bringen. Die herrschende Politik hat sich längst davon verabschiedet, die sozialen Zerstörungen, die den "freien Wettbewerb" begleiten, abfedern zu wollen. Sie hat auf die verheerenden Folgen ihres Handelns keine Antwort und tut auch immer weniger so, als suche sie danach. So kommt es zu Umfragemehrheiten, die einen tiefen Bruch zwischen der Bevölkerung und der politischen Klasse erkennen lassen. Damit kann die Politik leben — solange diese Mehrheiten nicht in der Lage sind sich zu organisieren. "Spalte und herrsche" lautet deshalb das Gebot der Stunde. Die Ausübung von Gewalt spaltet.
So ist es nur folgerichtig, dass die Hauptzielscheibe der Polizeiangriffe nicht die sog. Randalierer des Schwarzen Blocks waren, sondern friedliche Demonstranten. Das sind keine "Fehler", das hat Methode: durch Einschüchterung und Angstmache sollte das breite politische Bündnis, das der Aktionswoche an der Ostseeküste zugrunde lag, auseinander gesprengt werden. Das ist nicht gelungen, und das ist neben der Breite der Mobilisierung der größte Erfolg von Rostock.

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Die Ereignisse vom 2.6. hatten erneut den Effekt, die Reihen fester zu schließen. Die Aktionstage danach waren mit jeweils 10000 Teilnehmenden sehr gut besetzt, die Eröffnungsveranstaltung des Alternativgipfels brechend voll, und die Auftaktrede Jean Zieglers hat den richtigen, offensiven Ton angeschlagen.
Den größten Erfolg haben jedoch die Blockaden der Zufahrtswege nach Heiligendamm gebracht; dass es noch vor dem Eintreffen der Delegationen gelungen ist, die Zufahrtswege dicht zu machen, und dies ohne Gewaltanwendung seitens der Demonstrierenden, hat den Rückschlag vom Samstag mehr als wett gemacht. Der Ablauf des offiziellen Gipfels konnte effektiv behindert werden: die Mollybahn für die Journalisten war blockiert; Journalisten und Delegationen mussten eingeflogen werden; das Catering von der Seeseite her angeliefert werden; auch beim Verlassen des Geländes gab es Zeitverzögerungen von mehreren Stunden.
Das war jedoch nicht der größte Erfolg der Blockaden. Ihr größter politischer Erfolg war, dass sie es geschafft haben, dass die vielfältigen Polizeiprovokationen, die es auch bei den Blockaden am 6. und 7.Juni gab, ins Leere liefen. Die Blockierer antworteten auf den zum Teil massiven Einsatz von Wasserwerfern, Knüppelorgien und Tränengas mit stoischer Ruhe, mit Lachsalven, wenn die Wasserwerfer der einen Polizeitruppe die der anderen beschoss, und mit vielfältigen Ausweichmanövern — sie hatten den Geländevorteil, weil die Kräfte der Polizei nicht ausreichten, den Ring um Heiligendamm zu schließen.
Vor allem aber hatten sie sich von Anfang an ein realistisches Ziel gesetzt, das eine Massenaktion ermöglichte: Man will an den Zaun ran, aber man stürmt ihn nicht. An diesen Konsens haben sich alle gehalten, und wenn es einmal Provokateure gab, die versuchten, ihn zu durchbrechen, wurden sie davon abgehalten. Es gab keine Minderheiten, die durch eine vermeintliche Radikalisierung der Aktion den errungenen Erfolg aufs Spiel gesetzt hätten. Darin zeigt sich eine große politische Reife.

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In den Tagen von Rostock hat es eine neue Demonstrationskultur gegeben — bunt, laut, einfallsreich, international, witzig, humorvoll und nicht verbissen, mit Musik, Straßentheater, viel Kultur und unzähligen Einfällen. Entdeckt wurde die subversive Macht des Lachens und des Lächerlichmachens. Der Gewalt des Repressionsapparats wird nicht vorrangig mit gleicher Münze begegnet.
Für die Frage der Legitimität ist dies von erstrangiger Bedeutung. Denn die Tatsache, dass die G8 in den Augen sehr vieler Menschen eine schwindende Legitimität haben, bedeutet noch nicht, dass die globalisierungskritische Bewegung Legitimität hätte — dass ihr zugetraut würde, die Geschicke der Menschheit besser zu lenken. Wenn aber keine der beiden Seiten genügend Glaubwürdigkeit besitzt, schlägt die Stunde der Populisten und Demagogen. Zur Gewinnung von Glaubwürdigkeit aber gehört, dass die Alternativbewegung sich nicht nur in den Zielen, sondern auch in den eingesetzten Methoden vom herrschenden Politikbetrieb unterscheidet.

[http://www.vsp-vernetzt.de/soz-0707/070709.htm]