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2007-06-26

Thomas Seibert: Connecting Words and Struggles

ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 518 / 22.6.2007

Wie und wozu man auf der Straße und im Saal „Bündnispolitik“ betreibt

Vielleicht hat sich der Zusammenhalt des Anti-G 8-Bündnisses politisch nirgendwo deutlicher artikuliert als in dem tosenden Beifall, mit dem die erfolgreichen Blockaden des Mittwoch und Donnerstag auf der Abschlussveranstaltung des Alternativgipfels gefeiert wurden. Sandro Mezzadra, Redakteur des autonom-marxistischen Halbjahresmagazins Posse aus Bologna, hatte in den Blockaden den „definitiven Punkt der Übereinkunft der Bewegung der Bewegungen“ ausgemacht und bei den über tausend ZuhörerInnen dafür begeisterte Zustimmung gefunden. „Block G8“-AktivistInnen, die vor der Nikolaikirche anschließend Spenden sammelten, brachten in wenigen Minuten 2000 Euro zusammen.

Das Kriterium der Praxis

Tatsächlich ist dieser Erfolg nicht nur das Resultat der Woche von Rostock, sondern die Bewährung eines zweijährigen Bündnisprozesses, in dem der linksradikalen Komponente von Anfang an eine zentrale, bisweilen sogar die führende Rolle zukam. Sichtbar wurde dies in der Größe des offenen Blocks der Interventionistischen Linken (IL) auf der Demonstration des Samstags und in der öffentlichen Anerkennung, die der IL, aber auch dem dissent!- und dem X-tausendmal quer-Netzwerk von den moderaten Partnern des Bündnisses zuteil wurde. Historisch drückt sich darin die Reife einer Neuformierung aus, in der sich eine weit vorangeschrittene, wenn auch noch nicht abgeschlossene (Selbst-)Kritik des Linksradikalismus der 1970er – 1990er Jahre mit strategischen Reflexionen auflädt, die ihren Bezugspunkt in den Ereignissen von Seattle und Genua finden.

Gleichwohl hätte die ganze Mobilisierung scheitern können. Daran haben das Schäuble-Ministerium, ihm unterstellte „Sicherheitskräfte“ und bestimmte Reflexe der massenmedialen Öffentlichkeit gearbeitet: im Vorfeld mit gewaltsamen, zum Teil offen rechtswidrigen Polizeiaktionen und einer ganzen Welle hysterischer Denunziation, vor Ort fortgesetzt mit wiederum rechtswidrigen und äußerst brutalen Angriffen, die erneut durch systematische Verleumdung und dreiste Lügen legitimiert werden sollten. Gearbeitet haben daran aber auch diejenigen, die am Samstag aus der unfreiwilligen Deckung der Demonstration heraus eine Form der Militanz praktizierten, die auf schwerste Verletzungen von Personen zielte, solche auch unter den eigenen Leuten in Kauf nahm und im übrigen von Aktionen der militanten Selbstverteidigung streng unterschieden werden muss. Zu nicht unerheblichen Belastungen führten schließlich, wenn auch in jeweils umgekehrter Tendenz, mit heißer Nadel gestrickte „Erklärungen“ sowohl aus den Reihen attacs wie aus denen der IL. Dem wirkten andere Äußerungen und der Umstand entgegen, dass die Kommunikation zu keiner Zeit ganz abriss. Über all’ das wird bald und in solidarischer Weise zu reden sein.

Auf einer ersten Diskussion der Vorfälle im Anschluss an das offene Treffen der IL am Sonntag wurde zu Recht gefordert, die Kritik an einer bloß noch destruktiven, auch selbstdestruktiven Gewalt aus einer alternativen Praxis heraus zu entwickeln und in ihr zu bewähren. Genau eine solche Kritik haben die Blockaden geleistet, die zivilen Ungehorsam und rebellischen Widerstand zur breiten, von ganz unterschiedlichen Leuten geteilten Praxis werden ließen. Einer Praxis, deren zugleich subversiver wie emanzipatorischer Charakter sich nicht nur im gesamten Bündnis, sondern auch in der weiteren Öffentlichkeit unmittelbar mitteilte: „Bilder sagen mehr als tausend Worte.“ (1) Genau dies hat zuvor aber auch die linke und linksradikale Bündnispolitik getan, in der Vorbereitung und Durchführung der Protestwoche wie in der konzeptionellen Beteiligung an ihren einzelnen „Modulen“. Letzteres soll im folgenden anhand der „Satelliten-Veranstaltung“ des Sonntags und des Alternativgipfel-Workshops Globale Soziale Rechte ausgeführt und in einer abschließenden strategischen Reflexion verdichtet werden.

Über Europa (hinaus) – Beyond Europe

Beide Veranstaltungen gingen auf eine Konferenz zurück, die attac, die entwicklungspolitischen NGOs medico international und FIAN, das antirassistische Netzwerk kein mensch ist illegal und die Grundsatzabteilung der IG Metall am 27. Februar unter dem Titel Globale Soziale Rechte – Für eine andere Globalisierung in Frankfurt organisiert hatten. Das mehr als ungewöhnliche Bündnis verstand die Konferenz ausdrücklich als Beitrag zur Mobilisierung nach Heiligendamm. Ausgangspunkt war die gemeinsame Erfahrung, im jeweils eigenen Feld auf den Begriff und die Sache der Globalen Sozialen Rechte gestoßen zu sein. Gemeinsam war auch die Unterstellung, in der strategischen Wendung auf über den Nationalstaat hinausreichende Soziale Rechte eine erste Antwort auf die Verwerfungen kapitalistischer Globalisierung gefunden zu haben. Gemeinsam schließlich die Entscheidung, das Fundstück nicht hochzujubeln, sondern kritisch auf sein politisches Potenzial zu prüfen. Das taten die 130 TeilnehmerInnen dann auch in einer Folge ausgesprochen lebendiger Diskussionen, die von 10 Uhr morgens bis 23 Uhr abends andauerten. Den vorläufigen Abschluss markierte Hans Jürgen Urban von der Grundsatzabteilung der IG Metall. Er verortete die gewerkschaftlichen, internationalistischen und antirassistischen Auseinandersetzungen um Globale Soziale Rechte im offenen Horizont eines sich formierenden anti-neoliberalen Gesellschaftsprojekts und machte in einer Allianz von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen dessen möglichen Träger aus – wobei die Gewerkschaften sich dazu von der Sozialdemokratie trennen und in eine soziale Bewegung verwandeln müssten. Der nächste Ort der Durchsetzung eines solchen Projekts sei für uns der europäische Raum, die nächste Bewährungsprobe der Kampf um die „Konstitution“ der EU – das Wort im doppelten Sinn verstanden: als formelle Verfassung und als Prozess der Hervorbringung.

Der Erfolg der Konferenz führte ihre miteinander ja nicht gerade sehr vertrauten Veranstalter dazu, die Diskussion in Rostock fortsetzen zu wollen. Die erste Gelegenheit dafür war die Satelliten-Veranstaltung am Sonntag nach der Demo, an der sich neben dem Frankfurter Bündnis noch die Friedens- und Zukunftswerkstatt, die Euromärsche und die IL beteiligten. Vor 700 TeilnehmerInnen wiederholte die IG Metall-Grundsatzabteilung ihren Vorschlag einer europaweiten Zusammenführung verschiedener sozialer Kämpfe und setzte ihn der Probe durch die anderen RednerInnen aus. Lucille Daumas von attac Marokko verlangte von einem „anderen Europa“ offene Grenzen und die Anerkennung des Rechts auf globale Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit. Gyekye Tanoh vom African Trade Network sah den Beginn einer Zusammenführung der Kämpfe im gemeinsamen Widerstand gegen die EPAs-Abkommen, mit denen die EU die afrikanischen Staaten ihren Handels- und Rohstoffinteressen unterwerfen will. Miroslav Prokes vom tschechischen Sozialforum fragte nach dem Verhältnis zu den osteuropäischen Staaten und der Rolle der EU-Militärpolitik im Einigungsprozess. Angela Klein von den Euromärschen führte die einzelnen Beiträge zusammen und bezog sie noch einmal auf den Kampf um die Konstitution Europas. Im Anschluss teilten sich die TeilnehmerInnen auf unterschiedliche Netzwerktreffen auf.

Globale Soziale Rechte

Die über 100 TeilnehmerInnen des im Rahmen des Alternativgipfels durchgeführten Workshops analysierten am Mittwoch in der Petrikirche vier Stunden lang die unterschiedlichen Auseinandersetzungen um Globale Soziale Rechte. medico und FIAN nehmen Begriff und Sache wörtlich: geht es ihnen doch um das globale Recht auf den gleichen Zugang aller zu Gesundheit (medico) bzw. das globale Recht aller auf Nahrungssicherheit (FIAN) und damit um ein Leben und Überleben in Würde. Für beide NGOs sind die eingeforderten Rechte nur auf der Grundlage eines Ressourcentransfers von Nord nach Süd durchzusetzen. Sie sind sich klar darüber, dass dies nur durch eine Umwälzung der aktuellen Machtverhältnisse zu erreichen sein wird, in denen der Ressourcentransfer bekanntlich in umgekehrter Richtung verläuft. Sie wissen, dass eine solche Umwälzung nur in der globalen Kooperation sozialer Bewegungen erreicht werden kann.

Für GewerkschafterInnen geht es im Kampf um Globale Soziale Rechte erst einmal um die Transnationalisierung ihres „Kerngeschäfts“ in zunächst konzernweiten Kooperationen ihrer noch immer national beschränkten Organisationen. kein mensch ist illegal bestand darauf, dass die Transnationalisierung von Arbeitskämpfen schon im eigenen Land beginnt, im gemeinsamen Widerstand weißer und migrantischer ArbeiterInnen gegen untertarifliche Ausbeutungsverhältnisse und im Kampf für ein Recht auf Legalisierung des Aufenthalts. Valery Alzaga von der us-amerikanischen Dienstleistungsgewerkschaft SEIU führte überzeugend aus, dass das nur um den Preis der Rückverwandlung von Gewerkschaften in Bewegungen erreicht werden kann, für die der Begriff des „social movement unionism“ steht.

Neu an Bord war schließlich die Umweltorganisation Greenpeace. Deren Mitarbeiterin Barbara Kamradt bestimmte den Preis einer Globalen Ökologischen Gerechtigkeit und bestand auf der Dringlichkeit einer ihr angemessenen Verwandlung der herrschenden Produktions- und Konsumweisen. Den Bezug auf die EU stellte diesmal Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) her, parteiloser Abgeordneter im Europaparlament.

Wenn auch nicht unbedingt in linker Rhetorik und linksradikaler Absicht geführt, entspann sich derart ein Prozess, der allen Beteiligten abverlangt, von der jeweils eigenen Position aus nach links zu driften. Nimmt man die drei Veranstaltungen in ihrem Zusammenhang, wird deutlich, wie verfehlt der Vorwurf der „Orientierung auf den Event“ ist, der gegen die Heiligendamm-Mobilisierung gerichtet wurde. (2) Umgekehrt wird ein Schuh draus: der Event wurde zum mehr oder minder zufälligen und zugleich längst erwarteten Anlass, Debatten zu kreuzen und dabei auf ihren eigenen und zugleich gemeinsamen Punkt zu bringen.

Wenn die Ereignisse des Samstags nicht zur Spaltung des Bündnisses führten, lag das auch an solchen eher unscheinbaren, aber umso nachhaltigeren, weil auf längere Sicht Vertrauen schaffenden Aushandelungen. Dem entspricht, dass die VeranstalterInnen in der nächsten Zeit auf der Grundlage eines noch zu formulierenden Papiers zusammen auf Tour gehen wollen, um ihre Debatten durchs Land zu tragen. Einladungen können von allen Seiten ausgesprochen werden: von einem Ortskartell der IG Metall, von der attac-Sommerakademie, von einer Mitgliedsgruppe der IL.

Das Gemeinsame

Natürlich werden Bündnisse zunächst einmal geschlossen, um zu einem begrenzten Zweck mehr Leute zusammen zu bringen als dies die Partner solcher Unternehmungen alleine könnten. Dem quantitativen Begriff von Bündnispolitik ist dann allerdings ein qualitativer Begriff an die Seite zu stellen. Dem geht es nicht um die größtmögliche Zahl, sondern um die Herausbildung eines neuen gesellschaftlichen Akteurs und um eine effektive Intervention in die gesellschaftlichen Verhältnisse: letzteres in dem weit reichenden Sinn genommen, auf den der Name einer Interventionistischen Linken anspielt. Verspielt hat dabei von Anfang an, wer machtpolitisch auf Vereinheitlichung und folglich auf die Löschung von Differenzen setzt. Statt dessen geht es qualitativer Bündnispolitik um die produktive Organisation bleibender Unterschiede und deren jeweils eigensinnige Drift nach links. Auf dem Abschlusspodium des Alternativgipfels hat Sandro Mezzadra einer so verstandenen linken Bündnispolitik die Aufgabe einer „verschiedensprachlichen Übersetzung“ im Streit für „das Gemeinsame“ zugemutet, „das wir meinen, wenn wir über die vielfältigen Kämpfe reden, in denen sich die Multitude bildet.“ (3) Die hier beschriebenen Debatten, die Blockaden, die Konzerte und natürlich die 60.000 DemonstrantInnen des Samstags haben darin einen Anfang markiert, den zu radikalisieren sich lohnen wird.

Thomas Seibert

(1) Abschlusserklärung der IL, http://www.g8-2007.de/

(2) Bleibt zu erwähnen, dass die Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE am Dienstag im Rahmen ihrer „Anhörungen“ im Bad Doberaner Festzelt ebenfalls eine Veranstaltung zu Globalen Sozialen Rechten durchgeführt und dazu VertreterInnen von medico, FIAN und der Clean Clothes Campaign geladen hat.

(3) Sandro Mezzadra, Living in Transition. Manuskript