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2007-06-20

junge Welt: Unsere Kultur

Grundlage des Erfolges der Linken im Rahmen der G-8-Aktionen: Die Aktivisten ließen sich nicht spalten

Von Dietmar Koschmieder

Wenn so einer einen Stein wirft, was ist er dann? Ein Verbrecher, wie der CSU-Politiker Günther Beckstein im Fernsehen sagt? Ein Chaot, der womöglich Tote will, wie die Bild-Zeitung auf ihrer Titelseite fragt? Führt er die Ziele der Gipfelgegner ad absurdum, wie Michael Brie von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in einem Positionspapier behauptet? Oder ist er ein nützlicher Idiot der Geheimdienstleute – wenn nicht gar selbst einer von denen, wie jW-Autor Jürgen Elsässer einschätzt? Einig sind sich die genannten jedenfalls darin, daß sich die anderen Demonstranten von solchen Leuten sofort zu distanzieren, eine »klare Trennlinie« zu ziehen hätten.

Die junge Welt hat sich diesen Standpunkt nicht zu eigen gemacht, trotz der Macht der ersten Bilder, die auch Mitarbeitende von Verlag und Redaktion in den ersten Stunden der sogenannten Krawalle von Rostock verunsicherten. Es war schnell klar, daß wie üblich Medien und Politiker zunächst mehr behaupteten (und später weniger sagten), als sie wußten: Die Zahl der Demonstranten wurde gewaltig untertrieben, das Ausmaß an Zerstörung und Gewalt aus dem sogenannten Schwarzen Block dramatisch übertrieben, die Gewalt der Hochgerüsteten ignoriert. Die gemeldete Zahl der schwerverletzten Polizisten war schlicht gelogen, die Zahl der schwerverletzten Demonstranten ist bis heute unbekannt. Wie alle anderen wußten wir nicht: Wer hat warum Steine geschmissen? Waren es einzelne oder tatsächlich eine große Gruppe, die als Handlungskonzept gezielt und planmäßig Steine rührten? Oder hatten sich Demonstranten gegen Übergriffe gewehrt? Waren Hools und Randaleheinis dabei, die das aus Spaß machten? Oder steckten Provokateure mit Staatsauftrag dahinter? Solange wir aber nicht wissen konnten, was da geschah: Warum sollten wir uns und von wem distanzieren?

Wer bedroht wen?

Klar war jedoch, von wem reale Bedrohung ausgeht, wer Tote in Kauf nimmt: die Auftraggeber derer, die sich da in Heiligendamm versammelten. Vertreter der Kräfte, die nicht vor Krieg, Ausbeutung, massenhaftem Elend und Tod zurückschrecken, wenn es den eigenen Interessen nutzt. Die sich vor Demonstranten schützen ließen durch Tausende hochgerüsteter Polizisten, versehen mit über 100000 Schuß Munition, die zudem aus Militärkasernen verstärkt wurden.

Klar war auch: Der Schwarze Block als einheitlich agierende Formation ist ein von Politikern und Medien erfundenes Phantom. Es gab und gibt in ihm Widersprüche durch unterschiedliche Einschätzungen – wie das übrigens bei allen linken Formationen üblich ist. Natürlich muß auch in linken Bündnissen ständig über Strate­gien, Methoden und Ziele diskutiert werden. Welche sind richtig und sinnvoll, welche schädlich, wie wird erfolgreich Bündnispolitik betrieben? Aber diese Diskussion führt man nicht vor laufenden RTL-Kameras. Da denunziert man niemanden und distanziert sich nicht während der Aktion. Denn die Gegenseite will diese Spaltung der Aktivisten. Vor allem dort, wo sie trotz Einschüchterung und Drohkulisse auf Widerstand stößt. Daß ihr diese Spaltung nicht gelungen ist, das war eine der wichtigen Voraussetzungen für den Erfolg der Linken in Rahmen der Anti-G-8-Aktionen. Dazu haben wir mit der jungen Welt bewußt einen Beitrag geliefert.

Die Erfahrungen von Heiligendamm zeigen: Wir sind der brutalen Gewalt des militarisierten Staatsapparates nicht wehrlos ausgeliefert. Auch nicht den Bildern und Sichtweisen der bürgerlichen Medien. Einheitliches, geschlossenes, entschiedenes und gut organisiertes Handeln hilft, die ansonsten prägende Erfahrung von Ohnmacht zu überwinden. Solche Erfahrungen helfen, mit eigener Politik, eigener Kultur und eigenen Medien auch jene zu erreichen, die im Land und darüber hinaus ebenso unzufrieden sind mit den bestehenden Verhältnissen. Und sie in den Kampf um Veränderung einzubeziehen. Wenn es gelingt, einheitlich und entschlossen zu handeln, über innerlinke und nationale Grenzen und Beschränktheiten hinweg – ist auch dieses System überwindbar. Das und nicht ein paar Steine oder Holzstücke, die an den Helmen oder Schutzschilden ihrer Paladine abprallen, fürchten die Mächtigen.

Wo die Trennlinie ziehen?

Wenn so einer einen Stein wirft, ist das zunächst einmal einer von uns. Natürlich könnte er auch ein Provokateur sein. Oder ein Verwirrter. Oder ein Hool. Aber genauso könnte jeder, der linksradikale Reden schwingt, ein Spitzel sein oder der jW-Autor ein eingeschleuster Verfassungsschutzagent. Zunächst ist es schlicht einer von uns. Wenn er sich falsch verhält, wenn er sich nicht an Absprachen hält, dann hindern wir ihn am falschen Handeln. Bei Demonstrationen wie in Rostock können das übrigens die vom sogenannten Schwarzen Block am besten erkennen und entsprechend handeln. So oder so, wir klären das unter uns. Denn das ist Teil unserer eigenen Kultur, unserer eigenen Politik. Die Trennlinie ist woanders zu ziehen. Wir brauchen keine Ratschläge von denen, die letztlich bestehende ungerechte Verhältnisse nur konservieren, warum und wie auch immer.

So ist das aber auch mit dem eigenen Medium: Wo immer es möglich ist, übernehmen wir nicht einfach die Sichtweise der Agenturen, sondern fragen kritisch nach. Wir sind zwar vor allem eine Zeitung, verstehen uns aber nicht nur als Beobachter und Analytiker, wir positionieren uns, greifen ein, haben Zielvorstellungen: Wir sind an Veränderung interessiert. Die gibt es nicht ohne unsere eigene Kultur, unsere eigene Politik, und deshalb auch nicht ohne unsere eigenen Medien. In diesen Tagen im Juni 2007 sind wir in solchen Fragen ein gutes Stück vorangekommen.

[http://www.jungewelt.de/2007/06-16/008.php]