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04.01.2008

Gewalt gesichert

Die Demonstrationen gegen den G-8-Gipfel 2007. Ein Resümee des Berichts, den das Komitee für Grundrechte und Demokratie jetzt vorlegte

Von Wolf-Dieter Narr

Das demonstrative Geschehen vom 2. bis 8. Juni wurde mit einer Riesendemonstration und Versammlung am 2. Juni im Rostocker Hafen eröffnet. 80.000 Menschen trafen sich dort, um die herrschende Form der Globalisierung zu kritisieren. Die Eröffnungsversammlung war noch nicht zu Ende, da hallte der Gewaltruf durch die Medien; wurden Bilder gewaltsamer Auseinandersetzungen übers Fernsehen in die Wohnzimmer geflimmert; wurde der Vorwurf, Teilnehmer an der Versammlung seien gewalttätig, mündlich und zeitungsschriftlich verbreitet. Nicht wenige Vertreter selbst von den Gruppen, die die Versammlung organisiert hatten, sprachen sich gegen diejenigen pauschal aus, die Gewalt geübt hätten. Die Polizei meldete Hunderte teilweise schwer verletzter Polizeibeamter. Teilnehmende an der Versammlung wurden als ertappte oder vermutete »Gewalttäter« festgenommen. Die Polizeiführung, konzentriert in der Sonderbehörde »Kavala«, erklärte zugleich, sie habe durchgehend eine »Deeskalationsstrategie« verfolgt. Sie werde trotz der negativen Überraschung durch »Gewalttäter« daran festhalten. Um dem Versammlungsverlauf gerecht zu werden und beurteilen zu können, welche Behauptungen zutreffen, hat die Beobachtergruppe des Komitees für Grundrechte und Demokratie zweierlei getan. Sie hat zuerst die Vorgeschichte der Junitage von Rostock und Heiligendamm untersucht. Sie hat die Berichte, die die Beobachter gegeben haben, als dichte Beschreibung des Geschehens am 2. Juni und der folgenden Tage bis zum 8. Juni komponiert.

Bild: HRO

Terrorprognose

Zur Vorgeschichte: Die politisch-polizeiliche Einstimmung auf das Junigeschehen geschah in zweifacher Weise. Auf der einen Seite wurde vorausgesetzt, der G-8-Gipfel sei ein schützenswertes Gut. Das gelte es uneingeschränkt und kompromißlos gegenüber allen irgend erwartbaren Gefährdungen zu sichern. Die sichernde Prävention ging so weit, daß die »hohen Staatsgäste« nicht einmal von Ferne demonstrierende Bürger mit dem Fernglas wahrnehmen können sollten. Denn, so die Ansicht der Sonderbehörde »Kavala«, einer der Staatsmänner, solche Bürgeräußerungen nicht gewohnt, könnte davon irritiert werden. Auf der anderen Seite wurde vermutet, geheimdienstlich-verfassungsschützerische Berichte legten Prognosen nahe, die demonstrierenden Gruppen enthielten einen terroristischen, »islamistisch« geschnitzten Kern. Um diesen Kern lagerten noch vor dem Kranz friedlich Demonstrierender »gewaltbereite« Gruppen »autonom«, »schwarzblockig«. Also müsse die Polizei bereit sein, daß unter Umständen mit Sprengstoff u.ä. instrumentierte Gewalttaten gegen das Gruppenbild »Sieben Herren und eine Dame« begangen würden. Demgemäß wurde über zwei Jahre lang hochgerüstet. Ein Stacheldraht- und Eisenzaun wurde unübersteigbar und großzügig um Heiligendamm gezogen. Die Bundeswehr wurde um grundgesetzlich nicht gedeckte Amtshilfe ersucht. Sie stand bereit. Sie war mit Schnellbooten und Panzerspähwagen zu Wasser und zu Land präsent. Nicht zuletzt dienten »Tornado«-Flüge dazu, endlich nicht am Hindukusch, sondern in Mecklenburg-Vorpommern, den »Feind«, nämlich demonstrierende Bürger, vorab ob möglicher Wühlmaustätigkeiten und Anfang Juni im demonstrierenden »Einsatz« auszuspähen. Statt Feind-, militärische Bürger-»Aufklärung«. Wer nennt die Polizeien, die sichernd im großen Kreis um Rostock, Heiligendamm und den Flughafen Laage mit Hubschraubern, Blaulichtwagen ohne Ende und schlagsicher verpackten Polizisten zusammenkamen? Deeskalation? »Kavala« und die hinter ihr stehende Politik, repräsentiert durch die Innenminister Caffier (Mecklenburg-Vorpommern) und Schäuble vor allem, betrieben spekulationsgesicherte Eskalation pur.

Polizeitäuschung

Unser Beobachtungsbericht vom Samstag, dem 2. Juni, und von den Tagen 3. bis 8. Juni weist nach, daß der mit Spekulationsluft gefüllte Ballon präventiver Sicherungen wie eine einzige Kette von Knallfröschen zerplatzte. Am 2. Juni gab es gewaltvermischte Handgemenge zwischen Demonstrierenden und Polizeigruppen. Es gab Steinwürfe. Es gab manche verletzte Polizeibeamte. Die eingesetzten, divers gefärbten, oftmals wie Bürger in Zivil gekleideten, also vielfach mehr oder minder bis zu ihren heruntergelassenen Helmblenden wahrhaft vermummten Polizeigruppen wurden jedoch von allem Versammlungsanfang an nicht so eingesetzt, daß wechselseitige Aggressionen möglichst vermieden wurden. Die Polizeileute wurden vielmehr so unter die versammelten Bürger eingestreut und griffen immer erneut einzelne Demonstrierende heraus, daß die Polizei nicht Gewalt vermied, sondern Gewalt sicherte. Das rechtfertigt keinen Steinwurf. Fest steht jedoch, daß die Polizeileitung »Kavala«, die schon im Mai durch eine hanebüchen begründete, also unfundierte Allgemeinverfügung alle Demonstrationen grundrechtswidrig untersagte, in jeder öffentlich allgemeineren Äußerung täuscht. (Zu ihren Gunsten nehmen wir an, sich auch selbst täuschte. Nur, wozu brauchen wir Sicherheitsorgane, die zuungunsten der Bürger, aber zugunsten ihrer eigenen Bedeutung jedes Augenmaß und jede »Intelligence« vermissen lassen?!) Die Täuschung reicht skandalöserweise bis in die Angabe der Zahl verletzter Polizeibeamten und der Schwere von deren Verletzungen. Von Sonntag, dem 3. Juni, bis Freitag, dem 8. Juni, glänzten die Demonstrationen als Demonstrationen gegen die schlimmen Folgen kapitalistisch einseitiger Globalisierung. Sie glänzten zugleich als praktizierte Friedensbewegung. Aggressive Akte, durchgehend am Rande, sind fast nur der falsch und übermäßig eingesetzten Polizei zuzuschreiben.

Wolf-Dieter Narr ist emeritierter Politikwissenschaftler der FU Berlin und Mitgründer des Komitees für Grundrechte und Demokratie.

Gewaltbereite Politik und der G-8-Gipfel. Komitee für Grundrechte und Demokratie, Köln 2007, 192 Seiten, 10 Euro, ISBN 978-3-88906-125-6

Bezug: Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7–11, 50670 Köln, Tel.: 0221/9726930, Fax: 0221/9726931, E-Mail: info@grundrechtekomitee.de

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Source: www.jungewelt.de