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2007-06-14

Bundesregierung zum Polizeieinsatz in Heiligendamm

14.06.2007

Auszug aus dem Plenarprotokoll des Bundestages (Mittwoch, 13. Juni 2007). TOP: Fragestunde – Polizeieinsatz in Heiligendamm

Durch von der Linksfraktion eingereichte dringliche Fragen für die Fragestunde fand gestern eine erste Diskussion über den Polizeieinsatz rund um Heiligendamm im Bundestag statt. Das Votum des zuständigen Bundesinnenministeriums war eindeutig: Staatssekretär Peter Altmeier betonte die angebliche Nicht-Zuständigkeit der Bundesregierung für den Einsatz („Die originäre Zuständigkeit für alle allgemeinpolizeilichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einschließlich des Schutzes von Demonstrationen im Rahmen des G-8-Gipfels in Heiligendamm oblag der Polizei des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Wie Sie sich sicherlich denken können, nimmt die Bundesregierung zu Maßnahmen der Bundesländer im Rahmen ihrer eigenen Zuständigkeit keine Stellung“), zeigte sich überzeugt, dass im Rahmen des Einsatzes keinerlei rechtsstaatliche Grundsätze ausgehebelt wurden, sondern – im Gegenteil – Demonstrationsfreiheit gewährleistet geblieben ist („Trotz der Anwesenheit einer erheblichen Anzahl von gewaltbereiten Störern ist es gelungen, den friedlichen und ordnungsgemäßen Ablauf dieses G-8-Gipfels sicherzustellen, und zwar zu jedem Zeitpunkt. Dies wurde unter Beibehaltung eines hohen Maßes an Demonstrationsfreiheit geleistet.“) und wies mehrfach darauf hin, dass der Einsatz eine erfolgreiche Strategie der Deeskalation gewesen sei („Nach meiner Einschätzung haben die Sicherheitsbehörden keine pauschalen Verurteilungen oder Vorverurteilungen vorgenommen. Sie sind im Gegenteil ausgesprochen umsichtig vorgegangen mit dem klaren Ziel, zur Deeskalation der Lage in Rostock beizutragen. Diese Strategie war im Übrigen im Großen und Ganzen sehr erfolgreich.“)

Anbei der vollständige Auszug aus dem Protokoll

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich rufe zunächst die dringliche Frage 4 der Kollegin Nele Hirsch auf:

Wie bewertet die Bundesregierung die Korrektur der Polizeisondereinheit "Kavala" am Freitag, dem 8. Juni 2007, dass sich beim G-8-Einsatz entgegen ihrer ursprünglichen Aussage getarnte Zivilpolizisten in den Reihen der Demonstrierenden befanden, und hat sie darüber bereits Gespräche mit den Ländern aufgenommen, auch hinsichtlich des Vorwurfs, diese seien als Agents provocateurs aufgetreten?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich beantworte die Frage der Kollegin Hirsch wie folgt: Die originäre Zuständigkeit für alle allgemeinpolizeilichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einschließlich des Schutzes von Demonstrationen im Rahmen des G-8-Gipfels in Heiligendamm oblag der Polizei des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Wie Sie sich sicherlich denken können, nimmt die Bundesregierung zu Maßnahmen der Bundesländer im Rahmen ihrer eigenen Zuständigkeit keine Stellung.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ihre Nachfrage.

Nele Hirsch (DIE LINKE): Wie bewertet die Bundesregierung, dass Bundespolizei, Bundeskriminalamt und offensichtlich auch der Bundesverfassungsschutz an den Gegenaktivitäten beteiligt waren? Sieht sie insofern nicht die Notwendigkeit, zu diesem Einsatz in irgendeiner Form Stellung zu nehmen, auch vor dem Hintergrund, dass dieses Ereignis nicht nur bundesweite Relevanz hat, sondern darüber hinaus auch international in den Medien Beachtung gefunden hat, und gerade in der Frage, wie der Polizeieinsatz verlaufen ist, von verschiedenster Seite massive Kritik geäußert wurde?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Soweit die Bundesregierung mit eigenen Kräften - etwa der Bundespolizei - in Heiligendamm präsent war, ist sie selbstverständlich bereit, Auskunft zu geben und Stellung zu nehmen. Ich darf allerdings darauf hinweisen, dass sich Ihre Frage auf diesen Punkt nicht bezieht.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zweite Nachfrage.

Nele Hirsch (DIE LINKE): Ich möchte das in meiner zweiten Nachfrage konkretisieren: Kann die Bundesregierung definitiv ausschließen, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesverfassungsschutzes oder der Bundespolizei getarnt als Zivilpolizisten unter die Demonstrierenden gemischt haben und teilweise als Agents provocateurs gewirkt haben? Falls ja, würde ich gerne eine Aussage der Bundesregierung zu Augenzeugenberichten haben, die deutlich machen, wie vor Ort konkret gehandelt wurde und dass anderes der Fall war.

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Soweit sich die Frage auf das Bundesamt für Verfassungsschutz bezieht, muss ich Sie wieder enttäuschen; denn wir nehmen zu Fragen, die die Nachrichtendienste betreffen, nur in dem dafür zuständigen Gremium des Deutschen Bundestages Stellung; das ist das Parlamentarische Kontrollgremium. Im Übrigen darf ich Ihnen versichern, dass die eingesetzten Beamten der Bundespolizei - wie erwartet - rechtmäßig und im Rahmen ihrer Befugnisse gehandelt haben.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine weitere Frage stellt die Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, schauen wir einmal, ob Sie für die Bundeswehr zuständig sind. Wie begründet die Bundesregierung den Einsatz von Tornadoflugzeugen und Spähpanzern zur Aufklärung im Zusammenhang mit G-8-Gipfelgegnern?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich bin mir zwar nicht sicher, ob eigentlich das Bundesministerium des Innern hierfür zuständig ist. Da sich aber die Bundesregierung bereits geäußert hat, möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass der Einsatz von Tornadoflugzeugen im Rahmen der Amtshilfe erfolgt ist, um aufzuklären, ob beispielsweise Manipulationen an Straßen oder im Gelände vorgenommen wurden. Das ist ein üblicher und normaler Vorgang. Dafür gibt es eine einwandfreie rechtliche Grundlage.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine weitere Frage stellt der Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da Sie vorhin so ausweichend geantwortet haben, möchte ich Sie ganz konkret fragen: Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Beteiligung von Zivilpolizei oder Mitarbeitern von Verfassungsschutzämtern an den Aktionen wie in der Ursprungsfrage dargestellt?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich darf darauf hinweisen, dass ich für die Bundesregierung nie ausweichend, sondern immer nur korrekt antworte.

(Lachen bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Über die Fragen nach Beteiligungen von Verfassungsschutzmitarbeitern ist im Parlamentarischen Kontrollgremium zu diskutieren; insofern wiederhole ich mich. Mir ist außerdem nicht bekannt, dass Beamte der Bundespolizei in diesem Zusammenhang in irgendeiner Weise tätig geworden sind.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe nach Ihren Erkenntnissen über die Landespolizeimitarbeiter gefragt!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Fragerecht geht jetzt an die Kollegin Ulla Jelpke von der Linkspartei.

Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, wie Sie wissen, gab es einen Polizeieinsatzstab aus Landespolizei und Bundespolizei. Wie ich bei meinem Besuch in Heiligendamm erfahren habe, war auch die Bundeswehr in diesem Polizeistab vertreten. Mich interessiert, wer die Zusage gemacht hat, dass Panzerspähfahrzeuge bzw. Tornados eingesetzt werden. Darüber hinaus interessiert mich im Zusammenhang mit der Frage von Frau Hirsch Folgendes: Sie haben auf meine Frage im Rahmen einer Kleinen Anfrage, ob Zivilpolizisten unter den Demonstranten eingesetzt werden, deutlich mit Nein geantwortet. Finden Sie nicht, dass es eine Lüge ist, wenn man jetzt so tut, als wäre das nicht Sache des Parlaments?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Ich kann nur darauf verweisen, dass der Einsatz der Bundeswehr - das betrifft nicht nur den Einsatz der Tornados, sondern auch den Transport von Gipfelteilnehmern und andere logistische Aufgaben - ordnungsgemäß im Rahmen der Amtshilfe erfolgt ist. Ich bitte um Verständnis, dass ich die Einzelheiten des Verfahrens nicht schildern kann, weil dies nicht mein Haus betrifft. Wir sind aber selbstverständlich gerne bereit, Ihnen Ihre Frage schriftlich zu beantworten.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Fragerecht geht nun an die Kollegin Silke Stokar von Neuforn, bitte.

Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte die Frage nach den Spähpanzern und den Feldjägern konkretisieren. Da es in die Zuständigkeit Ihres Hauses fällt, werden Sie mir die Frage beantworten können, ob der Bundespolizei von Feldjägern und Spähpanzern Aufklärungserkenntnisse über das Demonstrationsgeschehen geliefert wurden. Der Hintergrund ist: Es war ganz offensichtlich, dass Spähpanzer Demonstrationen wie feindliche Truppen beobachtet und Bilder gemacht haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Bilder an die NATO geliefert worden sind. Wir befanden uns nicht im Bürgerkrieg oder im Kriegszustand. Ich glaube, dass diese Bilder an die Bundespolizei oder die Einsatzleitung weitergegeben worden sind. Ich bitte Sie um eine konkrete Auskunft, welche Aufklärung Spähpanzer und Feldjäger über das Demonstrationsgeschehen betrieben haben und an wen diese Aufklärungsergebnisse weitergeleitet wurden, weil dies über die technische Amtshilfe, die zulässig ist, weit hinausgeht.

Meine zweite Frage betrifft den Vorfall mit Greenpeace. Ich hätte gern die Auffassung der Bundesregierung darüber gewusst, ganz gleich, ob das ein Boot der Wasserschutzpolizei oder der Bundespolizei war. Offensichtlich haben beide im selben Seeraum agiert, was nach der Rechtslage fragwürdig ist. Wie bewertet die Bundesregierung, dass mit dem Überfahren der Greenpeacemitglieder in Kauf genommen wurde, dass es Schwerverletzte bis hin zu Toten hätte geben können? Halten Sie solche Aktionen auf See noch für verhältnismäßig? Die Aktivisten von Greenpeace sind dafür bekannt, dass sie ihre Aktionen absolut gewaltfrei durchführen.

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin Stokar, ich darf darauf hinweisen, dass Ihre Zusatzfragen in gar keinem Zusammenhang mit der ursprünglichen dringlichen Frage der Frau Kollegin Nele Hirsch stehen.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es geht um den Sicherheitseinsatz bei G 8!)

Deshalb bitte ich um Verständnis, wenn ich mich jetzt auf das beschränke, was mir an konkreten Erkenntnissen vorliegt. Es gab den Vorwurf, dass die Tornadoflugzeuge bei ihren Einsätzen beispielsweise Camps von G-8-Gegnern ausgespäht hatten. Dazu kann ich ganz eindeutig sagen, dass die Beobachtung dieser Camps und die Auswertung nicht der Auftrag der Tornadoflugzeuge war und dass der Umstand, dass eines von diesen Camps bei einem der Einsätze überflogen worden ist, mit dem Einsatz zu tun hatte, dies aber nicht das Ziel des Einsatzes war, und dass die entsprechenden Informationen nicht ausgewertet und verwertet wurden.

Ich bitte um Verständnis, dass ich die anderen Fragen schriftlich beantworten möchte.

(Silke Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dafür habe ich kein Verständnis! Das ist wie hinterm Zaun!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt hat der Kollege Jerzy Montag das Fragerecht.

Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, Sie waren so freundlich, auf die Zusatzfrage nach dem Einsatz der Tornados selber zu antworten. Ich werte Ihre Bereitschaft und Freude zur Antwort so, dass das Bundesinnenministerium gerne die Zuständigkeit dafür hätte.

Sie haben auch gesagt, dass die Tornados im Wege der Amtshilfe eingesetzt worden sind, um Manipulationen an Straßen und an der Landschaft festzustellen. In diesem Zusammenhang frage ich Sie, ob es die Bundesregierung als einen Erfolg des Einsatzes der Tornados bewertet, dass die Tornados tatsächlich eine Manipulation festgestellt und weitergemeldet haben. Es wurde nämlich - so die Berichterstattung über den Erfolg des Tornadoeinsatzes - eine Manipulation am Landschaftsbild festgestellt, als rings um Heiligendamm ein Zaun gebaut worden ist. Ist dies nach Auffassung der Bundesregierung ein Erfolg des Einsatzes der Tornados?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Montag, ich darf Sie darauf hinweisen, dass dieser Zaun nicht von der Bundesregierung und auch nicht von der Bundespolizei gebaut worden ist, sondern von den Behörden des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Allerdings haben die Bundesregierung und das Bundesministerium des Innern bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt dem Wunsch von wichtigen Mitgliedern des Innenausschusses, auch aus Ihrer Fraktion, Rechnung getragen und dafür gesorgt, dass diese Anlagen vor Ort von den Obleuten der Fraktionen besichtigt werden konnten und dass auch Angehörige der Bundespolizei und der Landespolizei von Mecklenburg-Vorpommern zur Beantwortung entsprechender Fragen zur Verfügung standen.

Im Übrigen möchte ich an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich die Bundesregierung durch das Sicherheitskonzept des Landes Mecklenburg-Vorpommern und auch durch die Beiträge des Bundes insgesamt bestätigt fühlt: Trotz der Anwesenheit einer erheblichen Anzahl von gewaltbereiten Störern ist es gelungen, den friedlichen und ordnungsgemäßen Ablauf dieses G-8-Gipfels sicherzustellen, und zwar zu jedem Zeitpunkt. Dies wurde unter Beibehaltung eines hohen Maßes an Demonstrationsfreiheit geleistet. Ich möchte mich an dieser Stelle auch bei den überwiegend friedlichen Demonstranten bedanken, die mitgeholfen haben, zu verhindern, dass diese Demonstrationen aus dem Ruder laufen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir kommen damit zur dringlichen Frage 5 der Kollegin Nele Hirsch:

Wie bewertet die Bundesregierung Forderungen nach einer stärkeren Überwachung der sogenannten autonomen Szene, die nach dem G-8-Gipfel unter anderem von Vertretern des Bundesministeriums des Innern ins Gespräch gebracht wurden?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern:

Hier kann ich Ihnen im Namen der Bundesregierung antworten: Der Ablauf des Gipfels hat in der Tat bestätigt, dass es im Bereich autonomer Gruppierungen, insbesondere mit Nähe zum linksextremistischen Spektrum, ein erhebliches Maß an Gewaltbereitschaft gibt. Die Bewegung dieser Autonomen ist allerdings bundesweit nicht homogen. Es gibt über das Bundesgebiet verstreut mehr oder weniger gefestigte und eigenständige, meist kleinere Gruppierungen, die von den zuständigen Sicherheitsbehörden schon jetzt lageangepasst beobachtet und aufgeklärt werden. Dies hat sich durch die Ereignisse in Rostock übrigens als richtig herausgestellt.

Unabhängig davon haben die Geschehnisse im Zusammenhang mit dem G-8-Gipfel nach Auffassung der Bundesregierung deutlich gemacht, dass die Sicherheitsbehörden die autonome Szene noch stärker als bisher in den Blick nehmen müssen, um Vorkommnisse wie in Rostock künftig vermeiden zu können.

Die im Zusammenhang mit dem G-8-Gipfel gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen der Sicherheitsbehörden werden derzeit ausgewertet. Die sich hieraus ergebenden Schlussfolgerungen sind Grundlage für weitere Erörterungen in den hierfür zuständigen Bund-Länder-Gremien. Ich bitte um Verständnis dafür, dass wir zunächst einmal die Auswertung vornehmen müssen, bevor wir zu konkreten Schlussfolgerungen gelangen.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nachfrage, Kollegin Hirsch.

Nele Hirsch (DIE LINKE): Erst einmal besten Dank dafür, dass Sie hier in einigen Sätzen geantwortet haben; das war schon mehr als bei der Beantwortung der anderen Frage. Mit Blick auf Ihre Antwort, die Sie auf die letzte Frage der Kollegen der Grünen gegeben haben, möchte ich noch sagen: Von Demonstrationsfreiheit rund um Heiligendamm in der letzten Woche konnte man weiß Gott nicht sprechen. Diese Erfahrung haben auch mehrere Mitglieder unserer Fraktion gemacht, die vor Ort waren.

Meine Nachfrage bezieht sich nun auf den Punkt „Überwachung der sogenannten autonomen Szene“. Ich habe in meiner Frage extra die Formulierung „sogenannte autonome Szene“ gewählt. Mir ist aus Ihrer Antwort nach wie vor nicht ersichtlich, nach welchen Kriterien Sie bei der Einordnung der „autonomen Szene“ vorgehen. Ich kann für meine Person sagen: Ich bin bei der Demo am Samstag in Rostock mitgelaufen, und zwar teilweise im Block „Make Capitalism History!“, der von der Einsatzleitung der Polizei nachträglich als „Der schwarze Block“, also als der Block der autonomen Szene, bezeichnet wurde. Ich habe auch einen schwarzen Kapuzenpullover getragen. Gehöre ich damit zur „autonomen Szene“? Bin ich dadurch einer verschärften Überwachung durch den Verfassungsschutz oder durch eine andere Einrichtung ausgesetzt? Welche Kriterien legen Sie da an?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Da ich selbst Ihr Auftreten und Verhalten in Heiligendamm nicht beurteilen kann - ich habe es nämlich nicht erlebt -, verbietet sich eine Bewertung von selbst.

Sie wissen im Übrigen, dass die Partei, der Sie angehören, bereits seit einiger Zeit vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Dies bedeutet allerdings nicht, dass wir behaupten, alle Mitglieder Ihrer Partei gehörten automatisch autonomen Gruppen an. Sie wissen so gut wie ich, dass autonome Gruppen prinzipiell gewaltbereit sind; sie selbst definieren sich in diesem Sinne. Diese Gruppen werden ebenfalls seit längerer Zeit vom Verfassungsschutz beobachtet, und wir werden in der Auswertung der Ereignisse von Rostock entscheiden müssen, ob wir diese Beobachtung in Zukunft verstärken müssen oder ob die gegenwärtige Praxis ausreichend ist.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Eine zweite Nachfrage, bitte.

Nele Hirsch (DIE LINKE): Meine zweite Nachfrage: Teilen Sie meine Befürchtung, dass die angekündigte stärkere Überwachung einer sogenannten autonomen Szene die Gefahr in sich birgt, dass damit eine große Anzahl von Menschen pauschal unter eine Art Generalverdacht gestellt wird?

(Jörg van Essen (FDP): Durch Beobachtung wird niemand unter Generalverdacht gestellt!)

Auch in dieser Beziehung haben wir in Heiligendamm einige Erfahrungen machen müssen. Ich denke daran, dass beispielsweise Menschen festgenommen wurden, nur weil sie Walkie-Talkies bei sich trugen, oder dass sie mitgenommen wurden, weil sie mit einem Edding-Stift eine Nummer des Ermittlungsausschusses auf ihren Arm geschrieben haben oder eben weil sie den erwähnten Kapuzenpullover trugen. Ich frage Sie, ob Sie die Befürchtung teilen, dass damit ein pauschaler Generalverdacht vorangetrieben wird, der rechtsstaatliche Grundsätze ziemlich weit aushebelt.

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Nach meiner Einschätzung haben die Sicherheitsbehörden keine pauschalen Verurteilungen oder Vorverurteilungen vorgenommen. Sie sind im Gegenteil ausgesprochen umsichtig vorgegangen mit dem klaren Ziel, zur Deeskalation der Lage in Rostock beizutragen. Diese Strategie war im Übrigen im Großen und Ganzen sehr erfolgreich.

Ich darf allerdings darauf hinweisen, dass der Staat es nicht zulassen darf, inhaltlich notwendige Debatten zu unterlassen und etwa über die Frage der Beobachtung bestimmter Gruppen nicht mehr zu diskutieren, nur weil damit unter Umständen aus der Sicht einiger eine Provokation verbunden sein könnte. Der demokratische Rechtsstaat ist ein starker Staat, und das muss er auch in seiner Arbeit zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die nächste Frage hat der Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zu dieser Stärke gehört auch, dass wir uns an die gesetzlichen Regeln halten. Sie haben vorher mehrere Fragen mit dem Hinweis abgewiegelt, zu Sachverhalten im Zusammenhang mit den Geheimdiensten würden Sie lediglich im Parlamentarischen Kontrollgremium Auskunft geben. Im Gesetz über das Parlamentarische Kontrollgremium steht ausdrücklich, dass dieses eine zusätzliche Informationsmöglichkeit für das Parlament darstellt, aber im Übrigen die Fragerechte des Parlamentes in keiner Weise abschneidet.

Wären Sie bereit, uns im Lichte dieser Rechtslage entweder die Informationen von vorhin nachzuliefern oder zumindest darzulegen, worin bei der jeweiligen Frage im Einzelnen das aktuell bestehende Geheimschutzbedürfnis besteht, angesichts dessen, dass es sich ausnahmslos um abgeschlossene Vorgänge handelt, bei denen ich nicht erkennen kann, wie die Arbeit der Geheimdienste durch eine offene Beantwortung der Fragen des Parlamentes gefährdet werden könnte?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Beck, ich habe nicht den geringsten Anlass, irgendeine meiner Aussagen, die ich vorhin gemacht habe, zu korrigieren oder zu relativieren. Sofern Sie es wünschen, können wir gerne auch noch einmal schriftlich im Einzelnen darlegen, wieso bestimmte Informationen nur in den dafür vorgesehenen Gremien des Deutschen Bundestages diskutiert werden. Dies hat der Deutsche Bundestag im Übrigen selbst so gewollt, weil er selbst diese Regelung getroffen hat.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nicht in dieser Form! Aber ich wünsche das ausdrücklich!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die nächste Frage hat die Kollegin Ulla Jelpke.

Ulla Jelpke (DIE LINKE): Herr Staatssekretär, ich glaube, Sie widersprechen mir nicht, wenn ich sage, dass laut Verfassungsschutzbericht die sogenannten autonomen Gruppen, wie sie bei Ihnen heißen, bereits beobachtet werden. Nun haben Sie ja schon vor dieser Demonstration in Heiligendamm Razzien mit 900 Beamten gegen mehr als 40 Projekte durchgeführt, meines Wissens ohne Ergebnisse. Ich frage Sie: Welche Kriterien wollen Sie jetzt zusätzlich aufnehmen - bitte benennen Sie sie einmal konkret -, und was soll diese Ankündigung einer Verschärfung von Überwachung letztendlich bedeuten?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin Jelpke, wir sollten die Dinge nicht durcheinanderbringen; das sind wir diesem Hohen Hause und auch der Öffentlichkeit schuldig. Wir haben eben über präventive Beobachtungen durch die Nachrichtendienste des Bundes und der Länder in bestimmten Fällen gesprochen. Das, was Sie jetzt angesprochen haben, hat mit Prävention nichts zu tun; denn Sie wissen so gut wie ich, dass die Durchsuchungen im Vorfeld des Gipfels von Heiligendamm ausschließlich repressiven Charakter hatten.

Das heißt, es ging um die Aufklärung von Straftaten, die bereits begangen worden waren.

Ich will nur noch einmal darauf hinweisen, dass im Vorfeld des Gipfels von Heiligendamm über 21 Brandanschläge zu verzeichnen waren und dass es die Verpflichtung der entsprechenden Behörden und Stellen ist, diese Straftaten aufzuklären. Diesem Zweck - und keinem anderen - dienten die Durchsuchungen. Das habe ich auch im Innenausschuss des Deutschen Bundestages in der letzten Sitzungswoche - in Ihrer Anwesenheit, wenn mich nicht alles täuscht - eindeutig klargestellt. Deshalb bitte ich Sie, in der Öffentlichkeit nicht den gegenteiligen Eindruck zu erwecken.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen (FDP))

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Recht zur nächsten Frage geht an den Kollegen Josef Winkler.

Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Überraschung darüber, dass sich neben den bereits eben erwähnten Agents provocateurs, die sich offensichtlich aus den Reihen der Sicherheitsorgane im schwarzen Block befunden haben, offensichtlich auch Agents provocateurs aus den Reihen der Linksfraktion, die sich mit schwarzen Kapuzenpullovern getarnt haben, in diesem autonomen Block befunden haben, und meinen Sie nicht auch, dass sich diese Anbiederung beim autonomen Block, bei den autonomen Gruppen in die Relativierung der Gewaltbereitschaft dieser speziellen Gruppe einreiht, die - auch nach den Zwischenfällen an dem Samstag - von Kollegen aus diesem Hause, insbesondere aus den Reihen der PDS, von sich gegeben wurde?

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Winkler, bitte sehen Sie es mir nach, wenn ich Ihre Feststellung nicht en détail kommentieren möchte. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass alle Fraktionen in diesem Hohen Hause sich so klar und eindeutig von der Gewaltanwendung in Rostock distanziert hätten, wie dies beispielsweise von Attac geschehen ist, die die große Demonstration organisiert hatte, die sich in Zusammenarbeit mit der Bundespolizei und mit der Sondereinheit ?Kavala“ vor Ort um einen friedlichen Verlauf bemüht hat und die anschließend den Umstand, dass es teilweise aus dem Ruder gelaufen ist, sehr eindeutig verurteilt und bedauert hat.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Recht zur nächsten Frage geht an die Kollegin Sevim Dagdelen.

Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie haben im Zusammenhang mit der vorangegangenen Frage meiner Kollegin Ulla Jelpke behauptet, dass sich die Durchsuchungen auf bereits begangene Straftaten bezogen haben. Im Zusammenhang mit einer Beschwerde gibt es einen Brief, den die Generalbundesanwältin an mich gerichtet hat. Hintergrund ist, dass bei einer Razzia bei der Werbe- und Kommunikationsagentur Warenform hier in Berlin - sie war unter den 40 durchsuchten Objekten - Informationen mit beschlagnahmt worden sind. In dem Brief der Generalbundesanwältin heißt es, dass es sich um Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Straftat nach § 129 a StGB handelt. Der Verdacht des Vorliegens einer Straftat ist aber etwas anderes als eine ausgeführte Straftat. Mich würde interessieren, inwieweit jetzt eigentlich Gründe, Rechtfertigungsgründe für diese Verfahren bzw. für die Durchsuchungen vorliegen; bis vor einer Woche waren sie noch immer nicht vorhanden.

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Frau Kollegin Dagdelen, Sie versuchen schon wieder, die Dinge zu verwischen und zu vermischen. Es geht um Straftaten, die nachweislich begangen worden sind. Es sind nicht nur Brandanschläge, sondern in erheblichem Umfang auch Sachbeschädigungen in den letzten anderthalb Jahren vor dem G-8-Gipfel verübt worden. Es geht bei den Ermittlungsverfahren selbstverständlich um den Verdacht gegen unbekannt; denn schuldig ist jemand erst dann, wenn er von den Gerichten verurteilt worden ist. Es ging bei all den Maßnahmen und Durchsuchungen immer ganz konkret darum, Straftaten, die bereits begangen worden waren, aufzuklären. In dem von Ihnen angesprochenen Fall gab es den Verdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Auch dies vollzieht sich im Rahmen der repressiven Zuständigkeiten, wie sie von der Generalbundesanwältin ausgeübt werden.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die Zeit für die Fragestunde ist nun eigentlich abgelaufen. Ich lasse aber die eine Frage von dem Kollegen Omid Nouripour noch zu, weitere Fragen dann nicht mehr. - Bitte schön.

Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Staatssekretär Altmaier, jenseits der aus unserer Sicht nicht bestrittenen Unrechtmäßigkeit des Einsatzes von Agents provocateurs wurde uns berichtet, diese seien vermummt gewesen und entlarvt worden, weil sie die Demonstranten gesiezt hätten, was in dem Milieu nun einmal nicht gang und gäbe ist. Meine Frage ist - wenn man solche Menschen einsetzt, jenseits des Gesetzes, bringt man sie auch in Gefahr -: Gab es denn keine Schulung? Hat man ihnen vorher nicht gesagt, dass sie die Leute duzen sollen?

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Peter Altmaier, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Herr Kollege Nouripour, es ist ehrenvoll, dass Sie zum dritten Mal versuchen, mir eine Antwort zu entlocken. Aber es handelt sich hier nach wie vor um Zuständigkeiten der Landespolizei, und deshalb kann ich dazu nicht Stellung nehmen.

(Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da sind Sie für die Ausbildung nicht zuständig!)

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