Home » Heiligendamm 2007 » G8 2007 deutsch » Gruppen und Kampagnen » Militante Gruppen » Dokumentationen  

 Recent

Watch also...



print
2006-03-30

Es fährt kein Zug nach nirgendwo

Wir haben in der Nacht zum 27.03.2006 acht LKW der Gleisbaufirma Thormählen Schweißtechnik (TST) in Bad Oldesloe verbrannt und ausrangiert. Unsere Aktion richtet sich gegen die Beteiligung von TST an der imperialistischen und neokolonialistischen deutschen Außenpolitik und unter- stützt die Kampagne gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007.

Bei TST wird in diesen Tagen der Abschluss eines gigantischen Geschäfts gefeiert. So schnell wie möglich soll ein Konsortium aus deutschen Firmen ein neues Eisenbahnnetz im Südsudan errichten. Zusätzlich sind auch der Bau von Kraftwerken, Brücken, Strassen, Stromleitungen, ein Telefonnetz und sogar eine Radiostation in den Auftragsbüchern notiert.

Investitionen für geschätzte 8 Mrd. Euro, Tendenz steigend. Bisher sind die “unvermeidlichen“ Siemens, Thyssen-Krupp, Strabag, Bilfinger /Berger, aber auch illustre Gäste wie Radio Hamburg beteiligt. Die Vorhaben sollen durch die Erlöse aus der Ölförderung und aus den Goldminen im Sudan, aber auch durch Hermesbürgschaften der Bundesregierung finanziert werden.
So weit so üblich, war da noch was ?
Ach ja, im Sudan wird seit Jahrzehnten Krieg geführt, mit 2 Mio. Toten allein in den letzten 20 Jahren. Massaker und Vergewaltigungen, Armut und Hunger haben noch mal mehr als 4 Mio. Menschen zu Flüchtlingen gemacht, die an den Mauern der Festung Europa erschossen werden oder ertrinken (wie in Ceuta/Mellila, vor den kanarischen Inseln oder im Mittelmeer), auf der Strasse von Polizisten massakriert werden (wie 2005 in Kairo) oder einfach in der Wüste verhungern und verdursten (ohne Schlagzeilen zu machen). Die Kriege im Sudan haben eine lange komplexe Geschichte. Schon vor der formellen Unabhängigkeit des Landes von der britischen(bzw. ägyptischen) Kolonialverwaltung 1956, wurde eine administrative und soziale Teilung des Landes zwischen dem islamisch-arabisch geprägten Norden und dem christlich-afrikanisch dominierten Süden betrieben. Mit Hilfe von Partizipations- und Ausschlusspolitiken gegen die zahlreichen, auch untereinander verfeindeten Bevölkerungsgruppen wurde die Teilhabe (und Nichtteilhabe) an gesellschaftlicher und ökonomischer Macht reguliert, was immer wieder zu Aufständen führte. Auch nach der Unabhängigkeit wurden diese Kämpfe bis heute fortgesetzt, in denen es um kulturelle und ökonomische Autonomie oder um die Vorherrschaft des Islam geht, und in die immer stärker “äußere‘ Faktoren einwirken. Durch die IWF und Weltbankprogramme zur Entwicklung des Landes wurden lokale Konflikte um den Zugang zu Wasser und Land verschärft, die Verarmung von Bauern noch beschleunigt. Die Kriege in den Nachbarländern Kongo und Uganda verstärkten die ethnischen Rivalitäten im Sudan und der so genannte Krieg gegen den Terror wurde schon in den 90er Jahren im Sudan ausgetragen, den die USA zum “Schurkenstaat“ erklärten und angriffen. Zu einer wesentlichen Triebkraft des Krieges ist die fort gesetzte Entdeckung und Erschließung von Ölvorkommen im Südsudan geworden, die in den 70er Jahren begann und einhergeht mit der gewaltsamen Vertreibung der Menschen, die in den Fördergebieten leben, und die den Kampf um die Verteilung der Profite aus dem Ölgeschäft einschließt. Inzwischen sind die politischen, strategischen und ökonomischen Interessen der imperialistischen Länder und milliardenschwere
Investitionen großer Firmenkonsortien zu bestimmenden Faktoren im Krieg geworden.
In wechselnden Konstellationen werden die Kriegsparteien von den USA, Russland (Bzw. früher Sowjetunion) und seit einigen Jahren auch von China und Deutschland finanziert und ausgerüstet.
Seit Mitte der 90er Jahre wird die aufständische südsudanesische SPLA (sudanes. Befreiungsarmee) von den USA protegiert, die bis in die 80er Jahre noch die nordsudanesische Zentralregierung unterstützten. Die Zentralregierung wiederum erhält Waffen und Geld von China und Russland und bezahlt dafür mit Ölförderrechten.
Die Errichtung einer Pipeline von den Ölfeldern im Südsudan zum Exporthafen Portsudan im Norden am Roten Meer 1999 und die Entdeckung weiterer riesiger Ölvorkommen im Süden seit 2001 haben das Interesse ausländischer Investoren noch vergrößert und den Krieg weiter angeheizt.
Für eine profitable Ausbeutung der ÖIqueIlen - wie auch für den Export anderer Rohstoffe (Erdgas, Gold und Edelholz) ist aber jetzt eine Beendigung des Krieges not- wendig geworden. Deshalb wurde die sudanesische Zentralregierung von den USA und der BRD unter der massiven Androhung militärischer Gewalt (“humanitärer“ Aufhänger waren die Massaker im sudanesischen Darfur 2003) zum Abschluss eines Friedensvertrags mit der SPLA im Januar 2005 gezwungen. In diesem Vertrag ist die Bildung einer gemeinsamen Übergangsregierung vorgesehen, die die Teilung der Gewinne aus der Ölförderung über- wachen soll, und ein Referendum über die vollständige Unabhängigkeit des Südsudan im Jahr 2011‚ dem dann fast alle Ölquellen zufallen würden.
Hier bekommt nun das Eisenbahnprojekt von TST seine besondere Bedeutung:
Geplant ist im ersten Schritt bis 20 1 0 der Anschluss der Ölfelder an das kenianische Eisenbahnnetz im Süden mit Anbindung an den indischen Ozean. Im zweiten Schritt sollen dann die weitern Fördergebiete im Südsudan an die Eisenbahn angebunden werden und erst im dritten Schritt ist die Verbindung zu der im Nordsudan existierenden Eisenbahnlinie vorgesehen. Ein Zeitpunkt dafür existiert nicht.
Rechtzeitig zum Referendum 20 1 wäre also für den Südsudan eine Ökonomische Eigenständigkeit durch die Eisenbahn weil das 01 nicht mehr über die bisher einzig existierende Verbindung durch die Pipeline in den Nordsudan exportiert werden müsste, sondern unabhängig vermarktet werden könnte.
Parallel zum Eisenbahnbau ist geplant, Wasserkraftwerke zur Energiegewinnung, ein Strassen- und Telefonnetz und eine Radiostation zu errichten. Was zunächst vor allem die notwendige Infrastruktur für den Bau der Eisenbahn selbst liefern soll, wird faktisch der Aufbau eines neuen Staates. Konsequenterweise sind die Pläne für den zukünftigen Regierungssitz als erstes fertig gestellt worden. Mit dem Bau ist bereits der Hamburger Großinvestor Dieter Becken beauftragt.
Für die anderen Projekte stehen Siemens, Thyssen-Krupp und die Strabag in den Startlöchern - es herrscht Goldgräberstimmung. Bezahlt wird mit Öl. Das bisher mit 8 Mrd. Euro geschätzte lnvestitionsvolumen soll erst ein kleiner Anfang sein.
Die US-Regierung verfolgt diese Pläne mit Wohlwollen. Sie plant, die in den 80er Jahren ausgebooteten US-Ölkonzerne wie- der ins Geschäft zu bringen. Ihr strategisches Interesse besteht zum eine darin, den chinesischen Zugang zum (sudanesischen) Öl kontrollieren bzw. abschneiden zu können. Zum anderen gibt es Planungen, in 10 Jahren 25% des eigenen Ölbedarfs in Afrika zu beziehen. Dafür ist die Möglichkeit des Exports des sudanesischen Öls über den Indischen Ozean attraktiv, weil das Nadelöhr des Krisen- und Kriegsgebiets Rotes Meer - durch das der Abtransport bisher läuft - umgangen werden könnte. Gleichzeitig wird auch schon über den Bau einer Pipeline zum Atlantik durch den Tschad und Kamerun nachgedacht.
Um das zu verwirklichen, muss aber nicht nur der Krieg beendet, sondern auch die Teilung des Sudan vollzogen werden, womit die Verfügung über das Öl allein dem Südsudan zufiele. Am Ausgang des Referendums zweifelt niemand. Allerdings ist auch spätestens bei einer Teilung des Landes ein neuer Krieg sehr wahrscheinlich, denn der Nordsudan hätte als nahezu reines Agrarland keine große Entwicklungsperspektive auf dem Weltmarkt und wird auf die Teilhabe am Ölgeschäft nicht bedingungslos verzichten. China hat angeblich bereits jetzt schon 4000 Soldaten zur Sicherung seiner Interessen im Land stationiert. Kommt es bei einer Sezession des Südens tatsächlich zu einem neuen Krieg, hätte die deutsche Regierung neben den üblichen humanitären Legitimationsfloskeln auch handfeste ökonomische Interessen, die militärisch geschützt werden könnten und müssten, will sie den deutschen Firmen ihre Geschäftsmöglichkeiten sichern und weiter am Zugang zu den Rohstoffen partizipieren.
Die ersten Stellungen im Sudan sind von der Bundeswehr bereits bezogen. Sie leistet logistische Hilfe im Rahmen des UNMIS Einsatzes zur Überwachung des Friedensabkommens zwischen SPLA und sudanesischer Regierung. Ein weiterer Einsatz in der dem Sudan benachbarten demokratischen Republik Kongo wird gerade vorbereitet und in einigen Wochen dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt. Dieser Einsatz wird vorrangig von deutschen und französischen Soldaten der “europäischen Eingreiftruppen“ getragen. Die Leitung der Mission wird im Potsdamer Führungshauptquartier der Bundeswehr untergebracht. Die strategischen Ziele der Bundesregierung formulierte kürzlich der für Außen- und Sicherheitspolitik zuständige CDU-Bundestagsfraktionsvize Andreas Schockenhoff stellvertretend für Verteidigungsminister Jung (CDU) und Außenminister Steinmeier (SPD):“ Deutschland hat erhebliche Interessen an der Stabilisierung des Kongo. Die dortige Entwicklung beeinflusst die zahlreichen Nachbarn (sic!) und strahlt weit ins südliche Afrika“. Und er gibt zu bedenken, dass der Kongo “eines der ressourcenreichsten Länder der Welt ist und vor allem über strategische Rohstoffe verfügt, die für Europa wichtig sind“. Propagandistischen Vorrang vor der militärischen Variante imperialistischer Unterdrückung bekommt im Sudan aber zunächst die “zivil- gesellschaftliche“ der so genannten Entwicklungshilfe. Dafür wurden in Brüssel nach Abschluss des Friedensvertrags 2005 insgesamt 400 Mio. Euro lockergemacht. Ein weiterer Strang sind die Hermesbürgschaften für den Eisenbahnpionier Thormählen und seine Freunde. Thormählen phantasiert auch schon von der friedensschaffenden Ausstrahlung seines Projekts, in dem er ehemaligen Milizionären der SPLA zu Tausenden Arbeitsplätze beim Eisenbahnbau verschaffen und sie so durch “ehrliche Arbeit“ resozialisieren will. Glück und Frieden durch Investitionen und Wachstum. Leider werden die Menschen, die die Eisenbahn, die Kraftwerke und die Strassen bauen sollen, am Gewinn und Reichtum den sie produzieren nicht beteiligt werden. Vorher werden sie wieder als Kanonenfutter für den nächsten Krieg um Öl und strategische Märkte rekrutiert und umgebracht. TST steht aus unserer Sicht mit dem sudanesischen Eisenbahnprojekt beispielhaft für die konkrete Umsetzung eines neuen deutschen Imperialismus, der nicht vordergründig auf militärische Eroberung setzt, sondern auf die ökonomische Durchdringung potenziell produktiver Zonen überall auf dieser Welt, und der ihre (Re)Integration in den kapitalistischen Weltmarkt zum Ziel hat.
Ob sich Thormählen nun selbst als visionärer Kaufmann, als idealistischer Entwicklungshelfer oder als deutscher Friedensengel des 21. Jahrhunderts betrachtet, ist dabei belanglos. Der Zug, der auf seinem Gleis rollen wird, heißt Krieg, die Stationen Hunger, Elend und Tod. Für uns ist entscheidend, dass das TST Projekt ein strategischer Teil der imperialistischen ( Rück)Eroberung der sudanesischen Rohstoffquellen ist.
Dieses Eisenbahnprojekt macht die Zusammenhänge und das Wechselverhältnis kapitalistischer Ausbeutung und imperialistischer Kriege sichtbar. Wir haben dieses Prinzip dort angegriffen, wo wir es erreichen können. An dieser Stelle wollen wir solidarische Grüße an die Gruppe M.A.M.I. schicken, die im Januar anlässlich der Nato- “Sicherheitskonferenz“ Brandanschläge auf LKW der Firma Imtech in Hamburg durch- geführt hat. Wir begrüßen eure Idee, Antiglobalisierungsbewegung und antimilitaristische Initiativen in der Vorbereitung des G8-Gipfels 2007 in Deutschland zusammen zu bringen. Ob sich das in einer gemeinsamen Aktionsreihe zur nächsten “Sicherheitskonferenz“ 2007 in München verwirklichen lässt, muss sich aber noch zeigen. Wir finden es aber in jedem Fall richtig, den Vorlauf zum G8-Gipfel zu nutzen, um die verschiedenen linksradikalen Teilbereichspolitiken zu bündeln und - wo es geht - auch zu vernetzen. Es ist bereits absehbar, dass sich in der inhaltlichen Vorbereitung auf Heiligendamm einige wenige Schwerpunktthemen herauskristallisieren werden. Aus unserer Sicht gehört das Thema Krieg und deutscher Imperialismus dazu. Vor diesem Hintergrund reihen wir uns mit unserer Aktion in die laufende Kampagne gegen den G8 in Heiligendamm ein und hoffen, dass weitere Gruppen aus dem antimilitaristischen und antirassistischen Spektrum sich anschließen werden. Der deutsche Imperialismus und Kolonialismus hat eine lange und blutige Geschichte, nicht zuletzt in Afrika. Firmen wie Siemens, Thyssen- Krupp, Strabag und Bilfinger/Berger sind mit dieser Geschichte seit Jahrzehnten verbunden.
Wir begrüßen nun auch Thormählen Schweißtechnik im Club.

lnternationalistische Zellen