In der Nacht zum 23.Oktober 2006 haben wir ein Feuer im Sitz der Deutschen Afrika- Linien an der Palmaille in Hamburg gelegt. Mit dieser Aktion wollen wir an die kolonialen Wurzeln heutiger globaler Herrschaft und Ausbeutung erinnern und an das Weiterleben der deutschen Kolonialgeschichte im alltäglichen gesellschaftlichen Rassismus.
DAL, früher Woermann-Linie, ist im 19. und frühen 20.Jahrhundert an der Ausplünderung deutscher Kolonien in Afrika und am Krieg und Völkermord im heutigen Namibia reich geworden. Bis heute weigern sich die DAL Verantwortung für ihre blutige Firmengeschichte zu übernehmen.
Bis heute weigert sich die Bundesrepublik, uneingeschränkt die Schuld an den Verbrechen des deutschen Kolonialismus einzugestehen und endlich dafür zu bezahlen. Bis heute müssen die Nachkommen der Opfer die Verharmlosung, Leugnung und sogar Rechtfertigung der Kolonialverbrechen ertragen. Lm Vorlauf des G8-Gipfels, der nächstes Jahr in Deutschland abgehalten werden soll, und im Zusammenhang mit der laufenden militanten Kampagne geht es uns aber nicht ausschließlich um die Erinnerung an die Opfer des Kolonialismus und um die Forderung nach materiellem und ideellem Ausgleich. Es geht auch darum, dass der Imperialismus des 21. Jahrhunderts von den sozialen, politischen, ökonomischen und ökologischen Lasten und Spätfolgen des Kolonialismus profitiert, an denen viele post- koloniale Gesellschaften immer noch zu tragen haben. Besonders unerquicklich nimmt sich vor diesem Hintergrund die Inszenierung aus, die wir letztes Jahr beim G8-Treffen in Schottland erleben mussten: Mit ihrem verlogenen “Schuldenerlass“ gaben die Staatschefs das Stück vom barmherzigen Samariter, während weiße Gutmenschen vom Schlag eines Bob Geldorf dazu von “Gerechtigkeit“ trällerten. Da tobte ein karikativer Rassismus, der schwer zu überbieten war. Uns missfällt es zutiefst, wenn in kolonialrassistischer Manier Armut und Ausbeutung dem angeblichen Unvermögen der Armen und Ausgebeuteten angekreidet wird, die dann brav “danke“ sagen sollen, während die Staaten, die sich an Kolonialismus jahrhundertlang bereichert haben, ein Vermögen in die Sicherung ihrer Grenzen stecken.
Nicht weniger angewidert sind wir, wenn die Regierenden im zukünftigen G8- Gastgeberland sich erlauben, geschichtsverdrehende Lügenmärchen zu verbreiten, deren Moral lautet: Weil Deutschland kolonialgeschichtlich kaum vorbelastet wäre, sei es die ideale Besetzung für militärische Und politische Einmischungen in afrikanischen Staaten. Da wird das humanitäre Deckmäntelchen mit revisionistischem Zynismus aufgepeppt, um den Zugriff auf Ressourcen und Märkte wieder einmal mit Waffengewalt durchzusetzen.
Unsere geschichtspolitische Intervention soll als Anregung verstanden werden, die koloniale Vorgeschichte des heutigen Rassismus, Militarismus und Imperialismus in der Mobilisierung und Kampagne gegen den G8 zum Thema zu machen.
Konkret fordern wir:
Bundeswehr: Finger weg von Afrika! DAL, Deutsche Bank, Orenstein & Koppel!
Terex und alle anderen Profiteure von Kolonialverbrechen und kolonialer Ausbeutung und deren Nachfolger müssen zahlen!
Sofortige Zahlung von Reparationen an alle Nachkommen der Opfer des deutschen Kolonialismus - durch die BRD!
Auflösung des Traditionsverbandes der Schutz- und Überseetruppen!
Von Woer- und Schimmelmännern, kolonialrassistischen Wiedergängern und alten und . neuen deutschen Großmachtträumen:
Vor hundert Jahren und mehr...
... deutsche Handelshäuser, Banken, Bahn- und Minengesellschaften, Plantagenbesitzer und Reedereien schöpfen riesige Gewinne aus der Ausplünderung der Kolonien. Ab 1884 erklärt sich das deutsche Kaiserreich zur “Schutzmacht“ über die Gebiete des heutigen Namibia, Tansania, Ruanda, Burundi, Kamerun und Togo, über Westsamoa, Teile Ozeaniens und ein chinesisches Küstengebiet.
Adolf Woermann, dessen Handelshaus und Schifffahrtslinie lange vor der Errichtung der deutschen Kolonialregime beste Geschäfte mit Rohstoffen mit Rohstoffen aus Afrika gemacht hat, ist ein zentraler Protagonist deutscher Kolonialbestrebungen. Als Anfang der 1880er Jahre abzusehen. ist, dass Frankreich und England ihre westafrikanischen Einflussgebiete abstimmen, verfasst Woermann eine Denkschrift an die Reichsregierung. Er fordert den Schutz des deutschen Afrikahandels vor der europäischen Konkurrenz, die Ausschaltung des afrikanischen Binnenhandels und die Gründung einer Handelskolonie in Kamerun. Als Präses der Hamburger Handelskammer, Bürgerschafts- und Reichstagsabgeordneter macht Woermann seinen Einfluss geltend. Mit Erfolg: Im Dezember 1 883 entsendet die Bismarckregierung ein Kriegsschiff nach Westafrika, dass den deutschen Handel schützen soll.
Auf der “Kongo-Konferenz“ 1884/85 in Berlin sichert sich das deutsche Kaiserreich sein Stück vom afrikanischen Kuchen. In der Folgezeit baut Woermann seine Afrikageschäfte weiter aus. Handel mit Palmöl und Kautschuk, Waffengeschäfte in den Kolonien, 30 Faktoreien in Kamerun, Großplantagen und der Verkauf von Branntwein, die Woermann-Interessen in Afrika sind vielseitig. Als Mitglied der Kolonial-Gremien und in zahlreichen Aufsichtsräten sitzend ist Adolf Woermann an fast allen wichtigen Überseeunternehmungen beteiligt. Neben der “normalen“ kolonialen Ausbeutung, die vor Ort die Erniedrigung, Enteignung und Proletarisierung der Bevölkerung bedeutet, ist sich Woermann auch sonst für kein schmutziges Geschäft zu schade. Gemeinsam mit dem Handelshaus Woelber & Brohm aus Bremen organisiert er den Sklaventransport zum Eisenbahnbau von Togo nach Kongo. Mit Privatarmeen gehen die hanseatischen Geschäftsmänner gegen rebellierende Bevölkerung vor, lassen Häuser und Felder nieder- brennen und Zwangsarbeiterinnen für sich schuften.
Heute...
... gehören die Profiteure und Menschenschinder von damals noch immer zur Creme von Wirtschaft und Handel. Zwar hatte die Niederlage im 1 .Weltkrieg für Deutschland zum Verlust der Kolonien und für die Woermannlinie zum Verlust ihrer Schiffe geführt, aber schon in der Nazizeit ging es wieder steil bergauf. Von den Nazis initiiert, wurde die Woermann-Linie mit anderen Reedereien unter der Leitung John Essbergers zu den Deutschen Afrika- Linien zusammengefasst. Später machten die DAL dann hervorragende Geschäfte mit dem Apartheidregime in Südafrika. Im Firmensitz an der Palmaille blickt man mit Stolz auf die lange Firmengeschichte zurück und feiert die enge Verstrickung in die grausame Kolonialgeschichte Afrikas als honorigen Beitrag zu dessen “Anschluss an die übrige Welt“.
Vor hundert Jahren und mehr...
... kämpfen Menschen in den deutschen Kolonien gegen ihre rassistische Unterdrückung und Ausbeutung. Wo immer die Kolonisierten sich erheben, schlagen die deutschen Kolonialherren grausam zurück. In China, in Kamerun oder in “Deutsch- Ostafrika“: Bei der Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstandes im heutigen Tansania 1 905, der sich zum Guerillakrieg entwickelt wenden die Schutztruppen eine Strategie der verbrannten Erde an. Der verantwortliche Hauptmann Wagenheim erläutert, worum es ihm dabei geht: “Nach meiner Ansicht kann nur Hunger und Not die end gültige Unterwerfung herbeiführen“. Diese Rechnung geht auf, auch wenn der Widerstand noch bis 1 908 fortgesetzt wird.
Dem Krieg und der durch die Zerstörung von Feldern und Dörfern herbeigeführten dreijährigen Hungerkatastrophe fallen 200- 300.000 Menschen zum Opfer.
Im herero-deutschen und nama-deutschen Krieg im damaligen Deutsch-Südwestafrika ( Namibia) ist das Haus Woermann in besonderer Weise involviert: Hintergrund des Krieges ist die fortschreitende Zerstörung der Existenzgrundlage der Herero, die in dieser Zeit vorwiegend von der Rinderzucht leben, durch die Ansiedlung von immer mehr deutschen Farmern im Hererogebiet. Die Rinderpest von 1898 hat das Marktmonopol der Herero gebrochen und Landverluste zur Folge. Immer mehr Menschen werden zur Lohnabhängigkeit von den Deutschen gezwungen. In dieser Situation wird 1900 die Omeg, die Otavi-Minen-und-Eisenbahn Gesellschaft, gegründet, um Kupfervorkommen im Gebiet der Herero abzubauen. Hauptabnehmer soll die Norddeutsche Raffinerie sein, die zur Norddeutschen Bankgehört.
Hauptaktionäre der Omeg sind Norddeutsche Bank, Deutsche Bank und Discontogesellschaft. Auch Woermann besitzt Aktien und sitzt im Aufsichtsrat der Norddeutschen Bank.
Beiderseits der geplanten Bahnstrecke wer- den die Herero gezwungen, Grund, Boden und Wasserrechte kostenlos abzugeben. Es ist klar, dass zahllose deutsche Siedler sich dort niederlassen werden. In dieser zugespitzten Lage entscheiden die Herero sich zum Aufstand.
Die Pläne der Omeg sind nicht nur ein Auslöser für den Aufstand, sondern können durch den sich daraus entwickelnden Krieg umso besser vorangetrieben werden. Für die Truppentransporte wird der Bau der Bahnlinie beschleunigt, militärisch geschützt und mit einer Million Reichsmark subventioniert.
Kriegsgefangene Herero werden der Omeg bevorzugt zum Trassenbau zugeteilt. Beim Kriegsgegnern die Herero und beim wenig später beginnenden Guerillakrieg der Nama gegen die deutsche Zwangsherrschaft gehört Woermann zu den ganz großen Kriegsgewinnlern. In eigenen halbprivaten Konzentrationslagern werden Nama und Herero zur Zwangsarbeit interniert. Zudem werden alle Militärtransporte mit Schiffen der Woermann-Linie durchgeführt.
Heute...
... haben DAL, die Deutsche Bank und Orenstein & Koppel /Terex, die die Streckenarbeiten für die Omeg durchführte, erfolgreich mehrere Klageversuche der Herero People‘s Reparation Cooperation vor US-Gerichten ausgesessen. Die HPRC fordert von den genannten Firmen und von der Bundesrepublik Entschädigung für die “Anzettelung und Durchführung eines Rassenkrieges“, für Völkermord, systematische Versklavung, Zwangserniedrigung gefangener Frauen und für die Zerstörung der Hererokultur.
Ein ernst gemeintes Schuldeingeständnis von Bundesregierung und Bundestag und ein Bekenntnis zu allen vom Deutschen Reich begangenen Kolonialverbrechen hat es auch hundert Jahre später noch nicht gegeben.
Einzig im Fall Namibias rang sich Entwicklungsministerin Wieczorek-ZeuI die bis dahin immer bewusst vermiedene Entschuldigung ab. Das war im Gedenkjahr 2004 - ihre hartnäckige Verweigerungshaltung in Sachen Entschädigung und Reparationen hat die Bundesrepublik seit- dem nicht aufgegeben. Das paternalistische Verhalten der Bundesregierung in der Entschädigungsfrage zeugt vom Weiterleben rassistischer Überlegenheitsgefühle gegen- über afrikanischen Gesellschaften und Staaten. Alle deutschen Regierungen bis heute vertreten den Standpunkt, dass Deutschland seiner “besonderen Verantwortung“ für die Ex-Kolonien mit gezielter Entwicklungshilfepolitik nachkommen würde. Folgerichtig stellte Wieczorek – Zeul 20 Millionen zusätzliche Entwicklungshilfe für Namibia in Aussicht, als ihr Schuldbekenntnis symbolische Aktionen erforderte. (Zur Einordnung: Die Klageforderung der HPRC belief sich auf je 2 Milliarden von der Bundesrepublik und . den beklagten Firmen.)
Für die Verteilung und Verwendung der Gelder versucht die deutsche Seite einseitig die Bedingungen zu diktieren. Auch ihre Gesprächspartnerlnnen in Namibia in dieser Angelegenheit will sie selbstverständlich selbst auswählen.
Vor hundert Jahren und mehr...
deutsche Schutztruppensoldaten sichern die Zwangsherrschaft und koloniale Ausbeutung, in inniger Zusammenarbeit von Politik und Wirtschaft betrieben, militärisch ab. Sie plündern, morden, vergewaltigen, foltern, zerstören. In Namibia gibt General von Trotha, nachdem die Herero am Waterberg die entscheidende Schlacht verloren haben und in die Omaheke-Wüste getrieben wurden, seinen Vernichtungsbefehl. Jeder Herero sei zu erschießen, Wasserstellen und Fluchtwege aus der Wüste werden systematisch abgeriegelt. In einem Schreiben erläutert von Trotha sein Vorgehen:
Während es Stimmen gebe, die “die Nation der Herero als notwendiges Arbeitsmaterial“ sähen, sei er anderer Meinung. “lch glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muss“. Die bei den Deutschen kursierende Rede vom “Rassenkrieg“ wird Wirklichkeit.
Sich ergebende Herero und kriegsgefangene Nama werden zwar später doch als “Arbeitsmaterial verwendet“, die grausame Behandlung der Gefangenen in den Konzentrationslagern setzt allerdings von Trothas Vernichtungsstrategien fort. An Hunger, Kälte, Epidemien, Zwangsarbeit und Misshandlungen stirbt annähernd die Hälfte der Internierten. lnsgesamt überlebt nur die Hälfte der Nama und gerade ein Fünftel der Herero Genozid und Versklavung.
Heute...
... ist die Bundeswehr an einem EU Militäreinsatz im Kongo beteiligt. Unter dem Vorwand, dort Wahlen zu schützen, geht es erklärtermaßen um den Zugang zu Rohstoffen und Märkten und um militärische Migrationsverhinderung. Verteidigungsminister Jung spricht von “zentralen Sicherheitsinteressen unseres Landes“, die es zu verteidigen gälte, denn ohne einen befriedeten “Unruheherd Kongo“ sei ein “großes Flüchtlingsproblem“ absehbar. Und weiter: “Stabilität in der rohstoffreichen Region nützt auch der deutschen Wirtschaft.“
Noch deutlicher wird die deutsch-europäische Afrikapolitik, die sich mit eigenen Militäreinsätzen in Konkurrenz zur USA begibt, von einem “Kongo- Experten“ Badoreck auf den Punktgebracht:
“Wir müssen jetzt da hin. Da kann man im großen Stil Geld verdienen und der Kuchen wird jetzt verteilt.“
... klingt doch irgendwie vertraut.
Vor hundert Jahren und mehr...
... die Deutschen daheim im Kaiserreich genießen die exotischen Kolonialwaren, fie bern mit bei den “Abenteuern“ der Siedler und Händler, feiern die Schutztruppen- Mörder als Helden und erschauern wohlig bei den Berichten über “barbarische Eingeborene“ oder bei den “Völkerschauen“ wie im Hamburger Tierpark Hagenbeck. Kolonialliteratur ist sehr populär, rassistische Karikaturen bringen die Leute zum Lachen, Photos von Konzentrationslagern in Namibia werden als Postkarten verschickt und die Rassenforscher erhalten immer neues Anschauungsmaterial, wie die Schädel ermordeter Nama und Herero.
Heute...
...werden geraubte Kunstgegenstände aus Afrika weiterhin in “Völkerkundemuseen“ ausgestellt und nicht zurückgegeben. Anlässlich des hundertsten Jahrestages des Maji-Maji-Krieges macht sich der “Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen“ für das Ansehen seiner Helden stark. Für eine Entschuldigung liege kein Grund vor, Berichte über deutsche Gräueltaten seien frei erfunden und das Verhalten der deutschen Täter sei “honorig und untadelig“ zu nennen.
Solche ausgewiesenen Revisionisten können sich in guter Gesellschaft wähnen, wenn sie die Opfer des Kolonialismus offen verhöhnen. Gerade enthüllten eine Hamburger Kultursenatorin und ein Wandsbeker Bezirksamtsleiter die Büste des Sklavenhändlers Schimmelmann. Auch er offenbar ein “honoriger Mann“, hat er sich doch um Wandsbek verdient gemacht. Die koloniale Vergangenheit Hamburgs wird durch solche Aktionen verharmlost und gerechtfertigt. Die öffentliche Ehrung eines historischen Rassisten muss als rassistischer Akt verstanden werden.
Kolonialismus und Imperialismus haben im Laufe der Geschichte immer wieder ihre spezifischen Erscheinungsformen geändert. Immer haben sie sich dabei des vorhandenen Rassismus bedient und ihn geschürt. “Historisch“ und “überwunden“ werden sie erst sein, wenn diese Weit nicht mehr nach den Bedürfnissen einer kapitalistischen Verwertungslogik organisiert und zurecht- geschossen wird und wenn alle Grenzen fallen.
Dafür kämpfen wir.