Mit dieser Stellungnahme möchten wir die repressiven und willkürlichen
Maßnahmen der Kavala und polizeilichen Einsatzkräfte im Rahmen des
Migrationsaktionstages am 4. Juni in Rostock aufzeigen und protestieren
hiermit auf das Schärfste dagegen.
Nachdem am Vormittag migrationspolitische Aktionen vor der
Ausländerbehörde, einem Lidl-Supermarkt und in Lichtenhagen zur Erinnerung
an den Pogrom im August 1992 stattfanden, sammelten sich ab 13:00 Uhr
tausende Menschen trotz starker Behinderungen durch die Staatsgewalt vor dem
Asylheim in der Satower Straße. Es gab eine Kundgebung, mit der auf die
Situation von Flüchtlingen aufmerksam gemacht wurde. Viele Menschen, die an
der angemeldeten Veranstaltung teilnehmen wollten, wurden durch die Polizei
aufgehalten und effektiv daran gehindert. Mehrere BewohnerInnen des
Flüchtlingslagers beteiligten sich an der anschließenden Demonstration.
Später sollte sich zeigen, dass die Durchführung der Demo von vornherein
nicht geplant war, obwohl es eine genehmigte Anmeldung gab.
Nachdem sich die TeilnehmerInnen zu einem bunten, vielfältigen Zug formiert
hatten, wurde die Demonstration von einem martialischen Polizeiaufgebot
eingekreist, einige Räumpanzer und mindestens 8 Wasserwerfer wurden vor
und hinter der Demonstration aufgefahren. Die Wasserkanonen zielten auf
friedlich demonstrierende Menschen. Es gab keinerlei Hinweise auf
gewalttätige Aktionen. Alle TeilnehmerInnen verhielten sich bis zur
erpressten Auflösung und danach friedlich.
Durch die Maßnahmen der Ordnungskräfte wurde jedoch bewusst ein
Bedrohungsszenario aufgebaut. Die Demonstration verharrte eingekreist zwei Stunden
auf der Stelle. Der einzige offene Ausweg war der angrenzende Friedhof!
Was war der Grund für die Einkreisung und Verzögerung? Die Einsatzleitung
teilte den Veranstaltern mit, dass Kundgebungsteilnehmer Steine aus dem
Gleisbett der Straßenbahn entnommen hätten, einige vermummt seien und es
ca. 200 potentielle Gewalttäter gäbe.
Das Gleisbett, welches durchgehend von Polizeikräften gesichert wurde, war
an einer Stelle offensichtlich zugänglich für DemonstrantInnen, da die
Polizeikette ohne Angabe von Gründen einige Meter Platz machte. Mit Hilfe
von Lautsprecherdurchsagen gelang es uns, die Teilnehmenden des
Demonstrationszuges auf diese inszenierte Situation aufmerksam zu machen.
Das Gleisbett wurde daraufhin nicht betreten. Offen bleibt die Frage, warum
an der besagten Stelle die Polizeikette ihre Sicherungsaufgaben nicht
wahrnahm.
Später wurde die fingierte Geschichte mit den entnommenen Steinen etwas
anders dargestellt. Die Eingangs erwähnten Steine sollten nun angeblich von
DemonstrationsteilnehmerInnen aus dem Gleisbett am Doberaner Platz entnommen
worden sein. Der Doberaner Platz und seine Umgebung sind seit Anfang des
Jahres komplett zubetoniert, da auch Busse die Wege der Straßenbahnen
nutzen. Auch hier können wir nur von einer schlecht erdachten Fiktion
seitens der Polizei ausgehen.
Gleichzeitig wurde der Presse mitgeteilt, dass sich 2.500 gewaltbereite
Autonome in einem „schwarzen Block“ zwischen dem ersten und zweiten
Lautsprecherwagen auf der Demo befänden. Dies entsprach in keiner Weise der
Realität. Schwarze Kleidung war auch zu sehen, aber in einer
alltagsüblichen Art und Weise. Nach einer Durchsage der Veranstalter wurden
die vereinzelt vorhandenen Kapuzen, Halstücher und Sonnenbrillen abgelegt.
Die polizeilichen Einsatzkräfte folgten der Durchsage jedoch nicht und
provozierten weiterhin in ihrer vollständigen Kampfmontur. Aus Protest
gegen die sich zuspitzende Situation zogen sich einige TeilnehmerInnen aus,
um gegen die überzogenen Entmummungsforderungen zu protestieren.
Das endlose und für die TeilnehmerInnen unerklärliche Warten und die
Einkesselung der Demonstration wirkte alles andere als deeskalierend. Nach
langwierigen Verhandlungen erhielten wir mit zwei Stunden Verzögerung die
Erlaubnis, losgehen zu dürfen.
In der Parkstraße angekommen, wurde der Demonstrationsleitung mitgeteilt,
dass die Versammlungsbehörde bzw. die Kavala die genehmigte Route
kurzfristig geändert hat. Es sollte nun Richtung Karl-Marx-Straße gehen.
Zur Unterstützung dieser Forderung wurden 8 Wasserwerfer, 2 Räumpanzer und
unzählige Einsatzwagen aufgefahren. Als Grund wurde angegeben, dass diese
Demonstration für lediglich 2.000 TeilnehmerInnen angemeldet worden sei und
sich mehr als 10.000 Demonstranten versammelt hätten. Leider übernahm ein
Großteil der Presse diese Meldung ungeprüft. Fakt ist, dass schon am 14.
Mai die Demonstration für mindestens 5.000 Teilnehmer angemeldet wurde.
Dazu wurde in einem mit der Kavala geführten Kooperationsgespräch die
Route dieser Demonstrationsgröße entsprechend festgelegt und später auch
mit dieser Streckenführung genehmigt.
Unklar bleibt, warum die Parkstraße Stunden, bevor sie der Demozug
erreichte, in drei Reihen mit Einsatzfahrzeugen blockiert wurde. Der
logistische Aufwand, um die ca. 100 Fahrzeuge in dieser Straße zu
positionieren, lässt vermuten, dass die Strecke von vornherein nicht wie
geplant für den Demozug gedacht war. Hier müssen wir von einer gezielt
betriebenen Desinformation und Hinhaltetaktik gegenüber Presse und
Demoleitung ausgehen.
Aufgrund der zeitlichen Verzögerungen war es uns nicht möglich, über
diese Route den Abschlusskundgebungsort rechtzeitig zu erreichen. Von Seiten
der Veranstalter wurde eine verkürzte Alternativroute zum Stadthafen
vorgeschlagen, auf die aber nicht eingegangen wurde. Vertreter des
Anwaltlichen Notdienstes schlugen daraufhin vor, eine Spontandemonstration
anzumelden. Die Einsatzleitung der Polizei meinte zu diesem Vorschlag, dass
auch eine Spontandemo sofort unter Einsatz von Zwangsmaßnahmen aufgelöst
werden würde. Das hätte bedeutet, die absolut friedlichen DemonstrantInnen
direkt den Wasserwerfern auszusetzen.
Gegen 18:00 verkündeten die Veranstalter die erpresste Auflösung der
Demonstration. Dem disziplinierten Verhalten der
DemonstrationsteilnehmerInnen ist es zu verdanken, dass es nicht zu
gewaltsamen Auseinandersetzungen nach der Demoauflösung kam.
Das Vorgehen der Kavala kommt einem Quasi-Verbot gleich und widerspricht den
demokratischen Grundrechten auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Selbst
einer der Einsatzleiter sagte sinngemäß: Ich kann nichts machen, ich bin
auch ein armes Schwein.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die polizeilichen Einsatzkräfte
seit dem 02. Juni gezielt eine Desinformationspolitik gegenüber der Presse
betreiben. Besonders deutlich wird dies am Beispiel der angeblich
“Chemikalien versprühenden Angehörigen der Clownsarmee”, die es auf dieser
Demo gegeben haben soll. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass es sich bei
dieser gefährlichen Chemikalie um Seifenblasenwasser handelte und keine
PolizistInnen hierdurch verletzt wurden.
ANTIRASSISTISCHE INITIATIVE ROSTOCK [A.I.R.]
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