Von Frank Pfaff, dpa
Heiligendamm (dpa) – Der Protest hat auf den Feldern rund um
Heiligendamm neue Wege gefunden. Ungeachtet höchstrichterlicher
Beschlüsse und vorbei an einem Großaufgebot der Polizei marschierten
tausende Globalisierungsgegner unbeirrt durch die Sicherheitszone bis
zum Zaun um den Tagungsort der Staatschefs beim Gipfel der sieben
führenden Industrienationen und Russlands. Das Stacheldraht bewehrte
Bollwerk sollte das Treffen der G8 vor Anschlägen schützen – und
hielt damit auch den Protest von den Politikern weitgehend fern.
Dass die G8-Kritiker wenigstens bis zum Zaun vordrangen, ist für
den Sprecher der globalisierungskritischen Organisation Attac, Peter
Wahl, ein wichtiger Etappensieg der selbstbestimmten
Bürgergesellschaft. «Das waren wunderbare Gegenbilder – die
martialische Stahlfestung und der bunte, friedliche Protest.»
Schon Tage vor dem Treffen hatte die G8-Polizeieinheit Kavala die
Sicherheitszone um den Tagungsort auf drei bis fünf Kilometer vor den
Zaun ausgedehnt. Protestaktionen innerhalb dieses Korridors waren
damit verboten. Das wollten die Organisatoren der Proteste, die am
liebsten direkt vor das Tagungshotel im Ostseebad marschiert wären,
nicht hinnehmen. Sie zogen vor Gericht und bekamen zunächst auch
Recht. Nach langem juristischem Tauziehen verbot dann am Ende das
Bundesverfassungsgericht unter dem Eindruck der schweren Krawalle von
Rostock mit vielen Verletzten doch einen geplanten Sternmarsch nach
Heiligendamm und Mahnwachen. Da waren die Demonstranten an einigen
Stellen aber schon bis fast an den Zaun vorgerückt.
Nach Überzeugung von Anwalt Carsten Gericke, der die Sternmarsch-
Organisatoren vertrat, haben die Sicherheitskräfte das Verbotsurteil
mit «falschen Tatsachen zur Bedrohungslage» erwirkt. «Da wurde ein
Großangriff auf den Zaun prophezeit. Erlebt hat die Welt einen
kreativen und vor allem einen friedlichen Protest.»Dem Urteil aus
Karlsruhe kann der Jurist viel Positives abgewinnen: «Das
Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass ein Grundrecht wie
das der Versammlungsfreiheit nicht so einfach auf eine so riesige
Fläche von 40 Quadratkilometern ausgedehnt werden kann.» Die Richter
hatten ihre Bedenken gegen das Verbot sehr deutlich formuliert, sich
letztlich aber unter Hinweis auf etwa 2000 gewaltbereite Autonome in
der Region Rostock den Sicherheitsrisiken gebeugt.
Obwohl die Proteste dann – trotz zeitweiliger Auseinandersetzungen
zwischen Polizisten und Demonstranten und dem Einsatz von
Wasserwerfern – weitgehend friedlich verliefen, erwartet der Berliner
Verfassungsrechtler Professor Christian Pestalozza keine Änderungen
in der Rechtsprechung zum Versammlungsrecht. «Die Richter werden
immer aktuelle Prognosen zur Gefahrensituation stellen müssen und
dann ihre Entscheidungen treffen. Hinterher sind auch Richter
schlauer.» Doch könnten die Ereignisse von Rostock und Heiligendamm
das Bewusstsein bei den Protestveranstaltern beeinflusst haben.
Die Vermutung des Rechtsgelehrten wird von Attac-Sprecher Wahl
bestätigt: «Nach dem Schock der Rostocker Ausschreitungen haben wir
erkannt, dass wir die Veranstaltungen noch besser organisieren
müssen. Das ist uns dann ja auch gelungen. Dass es zu keinen weiteren
Krawallen kam, ist vor allem das Verdienst der Demonstranten selbst»,
sagt Wahl. Und auch bei der Polizei stellt er Veränderungen fest:
«Friedliche Sitzblockaden wurden nicht als Straftaten eingestuft. Man
schleppt ja auch nicht jedes Auto, das falsch parkt, gleich ab.»