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2007-11-16

Interview mit der Soligruppenord

Nach dem staatlichen Angriff auf antifaschistische Strukturen in Bad Oldesloe, Hamburg und Berlin unter dem Deckmantel des Terrorismusvorwurfes nahm in Hamburg eine Soligruppe die Arbeit auf, um – ja, was eigentlich? Fragen wir doch mal dort nach…

Hallo, stell dich doch mal bitte kurz vor!

N’Abend! Ich bin Arne aus Hamburg, aktiv in einem autonomen antifaschistischen Zusammenhang, und arbeite in der Soligruppe der betroffenen Antifas in Hamburg und Bad Oldesloe, d.h. dem von uns als §129a² betitelten Komplex. Es mag vielleicht ein wenig überraschen das ich jetzt Berlin nicht mitaufgezählt habe, dies liegt allerdings nicht an der manglenden Solidarität untereinander, sondern schlicht und einfach daran, dass aufgrund der räumlichen Entfernung ein effektives geschlossenes Arbeiten in unserem Sinne nicht möglich ist – weshalb sich in Berlin eine eigene Soligruppe gefunden hat, um die dortigen Betroffenen zu unterstützen. Der Einfachheit halber hören wir auch auf den Namen Soligruppe Nord.

Zwei Soligruppen zu einem Komplex - ist das nicht oftmals doppelte Arbeit mit nur einem Ergebnis?

Natürlich kann es hin und wieder Überschneidungen kommen. Allerdings arbeiten die beiden Gruppen nicht vollkommen isoliert voneinander einfach drauf los, sondern tauschen sich aus, bzw. sehen wir bei unseren primären Handlungsfeldern diese Gefahr nicht.

Wie lassen sich denn diese von dir erwähnten primären Handlungsfelder beschreiben, wie können wir uns überhaupt die Arbeit einer Soligruppe vorstellen?

Ausschlaggebend für die Gründung dieser Soligruppe war die z.T. unmittelbare Betroffenheit von den Auswirkungen der staatlichen Repression. Richteten sich die ebenfalls mit dem §129a begründeten staatlichen Angriffe vom Mai 2007 in erster Linie gegen Personen aus dem sog. „globalisierungskritischen Spektrum“, war bei dem Angriff im Juni desselben Jahres schnell offensichtlich, dass nun die antifaschistische Bewegung in den Fokus der Ermittlungen gestellt wurde.
Unter dem offensichtlich konstruierten Vorwand der Terrorismusbekämpfung wurde versucht, in eine vermutete Struktur der antifaschistischen Bewegung einzubrechen und dadurch deren Arbeit empfindlich zu stören. Eine solche Störung konnte natürlich nicht im Sinne dieser antifaschistischen Bewegung sein, weshalb aus diesen Kreisen heraus relativ schnell Überlegungen entstanden, auf diesen Angriff auch strukturell zu reagieren, und zwar in Form einer verbindlichen Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gruppen, Zusammenhängen und Einzelpersonen.
Zum einen verstehen wir unsere Soliarbeit im klassischen Sinne als direkte Unterstützung der Betroffenen, das bedeutet in erster Linie finanzielle Hilfen für Anwaltskosten und ähnliches. Zum anderen erachten wir es als notwendig, eine eigene Öffentlichkeit zu schaffen, um über das Thema, die laufenden Ermittlungen, die möglichen Folgen und die eventuellen Notwendigkeiten zu informieren. In diesem Zusammenhang wollen wir auch versuchen, eine politische Betrachtung und Bewertung der Geschehnisse vorzunehmen…

Stichwort Öffentlichkeit. In dieser scheint derzeit die Terrorismushysterie wieder ungeahnte Züge anzunehmen…

In der Tat. Diese Hysterie ist zum einen natürlich dem altbekannten, hiesigen autoritärem Denken geschuldet. Dennoch sind immer wieder trigger notwendig, um diesem Denken auch eine besondere, nachhaltigere Artikulation zu ermöglichen. Im Grunde sind die Terrorismusvorwürfe lächerlich: von den auf an Peinlichkeit nicht zu überbietenden vermeintlichen Beweisen ansich mal ganz abgesehen, sind ein paar mittels Entzündung stillgelegte Kraftfahrzeuge, wie der vorrangige Vorwurf in diesem Fall lautet, eigentlich schlecht geeignet um die innere Sicherheit Deutschlands nachhaltig zu erschüttern. Im Falle einer funktionierenden kritischen Öffentlichkeit hätte sich vermutlich nichtmal die Bundesanwaltschaft (BAW) dazu hinreißen lassen die Terrorismuskarte auszuspielen.
Diese kritische Öffentlichkeit in weiten Teilen abgebaut zu haben, können die Herrschenden allerdings auf ihrer Erfolgsseite verbuchen: aus aktuellen Anlässen bzw. aufgrund eines runden Jubiläums teilen sich islamistische Terrorgruppierungen, RAF sowie Wolfgang Schäuble als einsamer Mahner vor dem nahenden Terror die Titelseiten der führenden Meinungsblätter, hin und wieder darf auch ein Dieter Wiefelspütz als vermeintlicher Gegenpart seine im Grunde mit Schäble identischen Positionen ausbreiten. Platz für fundierte Kritik am Sicherheitswahn findet sich dabei höchstens noch im Feuilleton der üblichen „liberalen“ Zeitungen wie SZ oder FR – die meinungsbestimmenden Schlagzeilen schreien das Gegenteil heraus.
Vor einem solchen Hintergrund erscheint es auch verständlich dass der Staat sich diesen Angriff gegen die antifaschistischen Bewegung erlaubt hat. Wir betrachten im übrigen diesen Schlag als keinen losgelösten Angriff gegen „uns“, sondern sehen ihn in einem direkten Zusammenhang z.B. auch mit der Repressionswelle im Mai diesen Jahres, als das globalisierungskritische Spektrum eingeschüchtert und unter Druck gesetzt werden sollte. Diesen Angriff betrachten wir aufgrund der anschliessenden Entwicklung zwar ansich als gescheitert, die weiteren Folgen sind dennoch enervierend und nachhaltig. Allerdings zeigte jener Komplex auch, dass unter Umständen die Reste einer kritischen Öffentlichkeit durchaus noch artikulationsfähig sind: die Hamburger Morgenpost war jedenfalls nicht amüsiert über die sie betreffenden Überwachungsmaßnahmen und machte dies auch mehrfach deutlich. Im Zuge dessen entstanden auch Ansätze eines kritischen journalistischen Umgangs mit dem Überwachungsstaat und seiner Terrorismusauffassung. In wie weit dies wieder Bedeutung erlangen könnte, wird sich zeigen. Ersten Einschätzungen zufolge haben auch in diesem Fall die zuständige Behörden bewiesen dass sie im Zweifel gewillt sind, ihren bereits weit gefassten rechtlichen Rahmen zu verlassen.

Du sprachst eben gerade die Ermittlungen vom Mai diesen Jahres an…

Wie erwähnt, dürfen und wollen wir die staatlichen Angriffe nicht als jeweils separierte Schläge gegen linke Strukturen begreifen– wir betrachten die Repressionsmaßnahmen als miteinander verknüpfte Angriffe, mit einem primären Ziel, nämlich die Linke in ihren unterschiedlichen Handlungsfeldern anzugreifen. Natürlich stehen in den verschiedenen Komplexen noch weitere, unterschiedliche Motivationen dahinter, bzw. unterscheiden sich diese bei den jeweiligen technischen Repressionsabläufen. Dies zu benennen, könnte ebenfalls eine Aufgabe von Soliarbeit sein. Die Losung „Betroffen sind einige - gemeint sind wir alle!“ gilt nach wie vor, weshalb es für uns ein logischer Schritt ist, den Austausch mit jenen zu suchen, die im Mai im Mittelpunkt staatlichen Interesses standen, um gemeinsam mit ihnen – und anderen – eine passende Antwort zu formulieren. Und die werdet ihr noch hören…

Dank an dieser Stelle an Arne von der Soligruppe Nord, Grüße gehen raus an alle Betroffenen - und nicht vergessen: Einstellung aller Verfahren, §129a abschaffen, das System abschalten.

Source: http://soligruppenord.blogsport.de