Die Anti-Globalisierungsbewegung sei so verzweigt, dass man sie nicht dramatisieren könnte, befindet der Regisseur Daniele Vicari auf der Pressekonferenz nach der Berlinale-Vorführung von Diaz - Don't Clean Up This Blood. Das strittige Gewaltexposé, das sich selbst als Pamphlet gegen die massive Brutalität und psychische und physische Folter der Insassen des Social Media Forums, das legal im Komplex der Diaz-Pascoli-Schule angesiedelt war, versteht, thematisiert die ausufernde Polizeigewalt und Staatswillkür gegen Demonstranten und Unbeteiligte während des G8-Gipfels im Jahre 2008 in Genua.
Den Opfern zollt Daniele Vicari aber nicht einmal genügend Respekt, um sie zu Charakteren zu machen. Rund ein Dutzend Protagonisten haben etwa genauso viele Sätze zu sagen. Die persönlichen Motive für ihr politisches Engagement, Art und Ziele ihrer Bewegung und wer von ihnen dieser überhaupt angehört, bleiben so vage wie ihr privater Hintergrund. Einzelpersonen versinken im Gesamtbild eines durch Dreadlocks, Tattoos und Grunge-Look gekennzeichneten Kollektivs ohne organisatorische Struktur und konkrete Ausrichtung. Ein paar verfassen Texte am Computer, andere ärgern sich, dass das Internet nicht funktioniert und wer bei ihnen ein und aus geht überblicken sie nicht. Aber wenn bei Kundgebungen Polizei aufmarschiert, rotten sie sich zusammen und wenn ein Einsatzfahrzeug vorbei fährt, werfen sie Flaschen.
Eine zersplittert in der Anfangsszene von Diaz - Don't Clean Up This Blood in Zeitlupe. Geworfen hat sie einer der jungen Demonstranten, die aus dem Diaz-Komplex auf ein vorbeifahrendes Polizeiauto zu rennen und es anhalten. Immer wieder verfolgt die Kamera den Flaschenwurf, der zum Schlüsselereignis wird. Die Szene dient als Angelpunkt, zu dem die Handlung zurückkehrt, um die Ereignisse bis dort hin oder von dort an zu erzählen. Was zur perspektivischen Erweiterung dienen könnte, instrumentalisiert Diaz zu deren Beschränkung. Die politischen Mechanismen, die amtliche Korruption und moralische Perversion, die einen zu Recht als faschistisch bezeichneten Akt der Brutalität nicht nur ignorieren, sondern koordinierten, forcierten und anschließend zu vertuschen versuchten, werden ausgeblendet.
"Wir haben uns entschlossen, den politischen Hintergrund nicht zu beachten", sagt Vicari. Der Mangel wiegt umso schwerer, da das Schockierende des Falles Diaz ist, dass er sich inmitten der EU in einer Demokratie ereignet. Deren Versagen und systematisches Wegsehen auf mehreren staatlichen Ebenen wird retuschiert zum bequemeren Bild einer Einzeleskalation. Das Sondereinsatzkommando erscheint als klar konturierter, gesichtsloser Feind, der wie ein Alptraum aus der Nacht kommt und von dem sich der gegenwärtige Polizeiapparat, nicht nur in Italien, allzu leicht distanzieren kann. Die Opfer zeigt der Film nicht als Individuen, sondern als anonyme Gesichter, so als seien sie dafür da geschlagen zu werden. Die drastischen Gewalttaten von über 300 Polizisten gegen die keinerlei Widerstand leistenden Demonstranten sind der blutige Höhepunkt der Inszenierung: geschmacklos nicht aufgrund der Explizitheit, sondern des orgiastischen Schwelgens in Brutalität, die Diaz nicht verurteilt, sondern zugunsten plumper Schockeffekte zelebriert.
Der blutige Hauptteil setzt die reale Gewalthandlung als kalkuliertes Action-Element ein, das zum sadistischen Anfeuern verleiten zu wollen scheint. Verständlich, dass die realen Betroffenen ablehnten, dass ihre Namen in dem Film verwendet werden. Die Polizisten hingegen fühlten sich offenkundig so sicher, dass sie die Frage nach der Verwendung ihrer Namen nicht kommentierten. Die Schuldigen auf staatlicher Seite benennen will Diaz jedoch nicht. "Das würde nur zu Hysterie und absurder Polemik gegen die Polizei führen", sagt Produzent Domenico Procacci, was wie eine nette Umformulierung der Dialogworte eines der Polizisten klingt: "Sei höflich, iss dein Sandwich und stell keine Fragen."
Stattdessen impliziert die geschickt platzierten Wiederholungen der Flaschenwurfszene, die Demonstranten seien die ursprünglichen Aggressoren gewesen. "Fünf Stiche, ein Zahn.", summiert einer der Betroffenen: "Schon okay." Das Urteil über das seine vorgeblichen Prinzipien verratende Drama fällt weniger milde aus: 127 Minuten Lebenszeit, ein schlechter Film. Nicht okay.
(Lida Bach)
Source: http://www.kino-zeit.de/blog/berlinale/diaz-don-t-clean-up-this-blood