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2007-10-28

Interview mit MM: „Wenn sie mir neun Jahre Haft geben, was sollten sie dann mit Leuten tun, die einen umbringen?“

Gespräch mit MM, dem Mann mit dem Brett. „Sie wollen all das, was an jenen Tagen faul ist, auf uns abladen.

„Wenn sie mir neun Jahre Haft geben, was sollten sie dann mit Leuten tun, die einen umbringen?“

„Wäre Carlo Giuliani nicht umgebracht worden, hätte es nie soviel Aufmerksamkeit für die Piazza Alimonda gegeben“.

„Ich habe einen Fehler gemacht, das aber, weil ich auf die Gewalt der Polizisten reagierte“.

„Der Gedanke, in Haft zu kommen, versetzt mich in Panik“.

Bild: Genua

Von Marco Preve

„Als mein Anwalt mich angerufen hat, um mich zu benachrichtigen, ist mir zehn Minuten lang die Luft weg geblieben…. Neun Jahre? Was aber dann mit Leuten, die einen umbringen? Was, mit den Polizisten, die in Zusammenhang mit der Diaz-Schule zugegeben haben, dass es wie in einem Schlachthaus war? Mir, der ich diese Steine geworfen habe und zu diesem verfluchten Brett gegriffen habe…!"

MM, 36 Jahre, von Beruf Barmann, heute notgedrungen Gelegenheitsmaler, ist einer der 25 Angeklagten im Verfahren wegen Verwüstung und Plünderung. Sein Verteidiger ist Gilberto Pagano. Er wurde auf Bildern erkannt, die zeigen, wie er in der Demonstrantengruppe auf der Piazza Alimonda den Jeep der Carabinieri angreift. Er gehört zu denen, die ein Brett in der Hand haben. _Ehrlich gesagt, habe ich mit einem so hohen Strafantrag nicht gerechnet“ fährt M. fort. „Ich verstehe, dass die Staatsanwälte ihren Job machen müssen; wenn ich gefehlt habe, dann muss ich zahlen, aber eigentlich… Ich hatte mich damals gestellt. Ich habe immer meine Verantwortung zugegeben. Wenn die aber auf mich und die anderen 24 all das abladen wollen, das in jenen Tagen in Genua passiert ist… “.

Wie sieht denn ihre Rekonstruktion jenes Nachmittags aus?

„Ich bin von Cavi di Lavagna los, wo ich am Strand gewesen war. Ich habe, wie tausende von Menschen, an der Demonstration Teil genommen, ohne im Traum daran zu denken, dass ich mich in jenen Situationen wieder finden würde. Dann hat sich zugetragen, dass sie uns angegriffen haben, ja, dass sie die Demonstration der Disobbedienti angegriffen haben. Und dann habe ich gesehen, wie ganz junge Leute erbarmungslos geschlagen wurden… Nun gut, ja, ich gebe es zu: ich bin ein Hitzkopf, so habe ich mich beim Steinewerfen wiedergefunden, und beim Containerrücken, und dann beim Auflesen von jenem Brett. Als ich verhört wurde, habe ich Alles erklärt, man hat mir aber offensichtlich gar nicht zugehört“.

Sind sie zum Gericht gegangen, um sich den Schluss der Klagerede anzuhören?

Nein. Ich war vergangene Woche beim Gericht. Ich habe gehört, wie der Staatsanwalt über mich sprach. Es hörte sich an, als sei ich den ganzen Tag mit diesem einen Brett auf der Schulter unterwegs gewesen, wo ich es doch gesagt hatte, dass ich es nur in diesem einen Augenblick aufgelesen habe“.

Wie auch immer: Straftaten haben sie begangen

„Sicher. Es ist aber so, ich sage es noch mal, dass es nicht zutrifft, dass ich an jenem Morgen mit der Vorstellung aufgestanden bin, Steine werfen zu gehen. Wir wurden gewaltsam angegriffen, und ich habe reagiert. Ich glaube, dass eine Logik geben müsste. Sie wollen mir neun Jahre aufbrummen, wo sie diesem besoffenen Rumänen sechs verpasst haben, der vier junge Leute überfahren und getötet hat? Die Staatsangehörigkeit spielt keine Rolle, ich bin kein Rassist. Na gut, wenigstens das eine oder andere Jahr werden sie mir abziehen, Mastella und dem Straferlassgesetz 1 sei Dank.

Wovor fürchten sie sich am meisten?

„Es ist die Vorstellung, in Haft zu kommen. Ich kannte Marassi nur von Außen, weil ich auf dem Weg zu den Spiele des FC Genoa dort vorbeikam. Jetzt gibt mir der bloße Gedanke totale Beklemmung, erst Recht, weil ich einen kleinen Sohn habe.

Die Staatsanwaltschaft hat erklärt, dass diese die Strafen sind, die für euch vorgesehen sind und dass sie Euch auch mildernde Umstände gewährt haben.

„Na dankeschön. Aber hören Sie mal, wer erklärt mir, wie viel die im Bolzaneto-Verfahren angeklagten Polizisten abkriegen werden? Ich habe nichts gegen die Polizei, aber wenn es doch gerade einer von ihnen gewesen ist, der vor Gericht die Mattanza 2 eingeräumt hat, das „mexikanische Schlachthaus“, was für Strafen verdienen denn diese Leute, für all die Schläge und die Folterhandlungen?

Haben sie jemals die anderen, die mit ihnen auf der Piazza Alimonda waren wieder gesehen?

„Einige von ihnen schon, durch Zufall, wir haben uns gegrüßt, aber nicht über diese Geschichte gesprochen. Nachdem ich meine Bar zu gemacht habe, habe ich keinen Job mehr gefunden. Man sagt mir, dass man warten muss, bis das Ende des Verfahrens kommt. Auch die Coop die im Begriff war, mich einzustellen, hat gesagt, dass die Zeit noch nicht reif sei. Wir sind alle Genossen, aber wenn es um solche Geschichten geht, werden die Dinge schwieriger. Augenblicklich arbeite ich mit einem Freund zusammen als Maler. Was morgen sein wird, das weiß ich nicht. Derweil warten wir auf das „Weihnachtsgeschenk“, das Urteil, und drücken die Daumen.

1 Zum Indulto, bzw. Srtraferlassgesetz: http://www.cafebabel.com/de/article.asp?T=T&Id=11103

2 Synonym für Gemetzel, in Anlehnung an eine brutale Fischereitechnik. Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Mattanza

Quelle: La Repubblica / Onlinetext im Original: www.veritagiustizia.it

Source: www.veritagiustizia.it