Nach den Ereignissen um den NATO-Gipfel in Strasbourg Anfang April blieben neben Wut auch Ohnmachtsgefühle und viele Fragen bei den Zurückreisenden bestehen. Was haben die ganzen Gipfelproteste letztendlich gebracht? Welche Eindrücke bleiben nach den Ereignissen bei den Aktivisten und welche bei der (zeitungslesenden) Öffentlichkeit zurück? Was können wir für Rückschlüsse auf unsere Strategie ziehen? Lohnt sich der Aufwand, Proteste gegen die herrschende Eventpolitik zu organisieren? Und: Haben wir es geschafft den Zusammenhang von Kapitalismus, Krise, Aufrüstung und Krieg deutlich zumachen?
Um der offenbar immer kürzeren Halbwertszeit von Protest-Events entgegen zu wirken und gemeinsam über die eingangs gestellten Fragen zu reflektieren, haben wir in der KTS Ende Mai in Form eines „World-Cafés“ mit ca. 30 Leuten Ideen und Fragen zusammengetragen und diskutiert.
Im World-Café sind Themen an Diskussions-Tischen festgelegt, an denen sich kleine Gruppen zusammenfinden, um ihre Ideen in Stichworten auf der Tischdecke zusammenzutragen. Die Themen bleiben an den Tischen, während sich die Diskutierenden in immer neuen kleinen Gruppen finden und das zuvor Festgehaltene ergänzen. Auf diesem Wege können sich alle Beteiligten in die Diskussion einbringen und die Themen erfahren eine ständige Ergänzung, ohne dass die jeweils neuen Gruppen durch den bisherigen Verlauf der Diskussion gedanklich festgelegt sind. Innerhalb vieler lebhafter Gespräche entstand so eine komplexe Mischung aus Gedanken-Fragmenten, die abschließend in kurzen Texten festgehalten wurde. Die Themen der Tische waren: Infrastruktur und Camp; Politische Strategie; Strategie auf der Straße; Öffentliche Resonanz und Wirkung in die „Bewegung“.
Wir veröffentlichen die entstandenen Texte als das, was sie sind: Ideen-Fragmente und Ansätze für mögliche Antworten. Wir würden uns wünschen, wenn sie ebenso aufgenommen werden würden: als Ansatzpunkte für weitere Diskussionen zur Sinnhaftigkeit und Kontinuität von Protesten und unseren Erwartungen an die politische Bewegung gegen Kapitalismus und Krieg.
Infrastruktur
Aus dem ersten Teil der Veranstaltung kristallisierten sich diverse Fragestellungen zur Thematik der Infrastruktur heraus. Neben grundsätzlichen Fragen, wie einer generellen Bilanz zur Funktion der Infrastruktur und der Rechtshifestrukturen sowie zu Gruppendynamik und Koordination in und zwischen Bezugsgruppen während Aktionen, tauchten immer wieder die zwei Themenkomplexe Convergence Center Freiburg und das Camp in Strasbourg auf, welche dann auch im weiteren Verlauf des Abends am ausführlichsten diskutiert wurden.
Convergence Center Freiburg
Im Allgemeinen wurde die Existenz des CC als positiv empfunden. Gelobt wurde die erfolgreiche DIY-Komponente und die gelungene Umsetzung des Konzepts von dezentralen Protesten. Neben dieser von allen geteilten positiven Grundeinschätzung gab es natürlich auch genug kritische Diskussionen und Verbesserungsvorschläge. Bedauert wurde, dass es nicht gelungen ist, ein eventuell vorhandenes Mobilisierungspotential auszuschöpfen und über die Szenegrenzen hinweg Menschen anzusprechen. Eine stärkere Mobilisierung in der Uni oder in Schulen in Kombination mit entsprechend geeignetem Infomaterial wäre hier sicher hilfreich gewesen. Die fehlende Auseinandersetzung mit den zu erwartenden Ein- und Ausreiseverboten und den dadurch bedingten Bedarf nach einem Anlaufpunkt auch während des Gipfels wurde als Problem benannt, welches in der Vorbereitung mehr thematisiert hätte werden müssen. Ein weiterer Kritikpunkt war, dass durch die Vorbereitung des CC viele Kräfte in Freiburg gebündelt waren, die deshalb nicht zur Unterstützung der Strukturen in der Ortenau oder für eine bessere Vernetzung, beispielsweise mit dem Convergence Center im Molodoi in Strasbourg, genutzt werden konnten.
Camp Strasbourg
Bei den Diskussionen zum Camp in Strasbourg wurde immer wieder ein großer Widerspruch zwischen einer als gut funktionierend empfundenen Grundinfrastruktur des Camps (Vokü's, Infopoint, Sanistrukturen, Out-of Action...) und einem problematischen Konsumverhalten seitens vieler CamperInnen, sowie Kommunikationsproblemen auf vielen Ebenen herausgearbeitet.
Es tauchten die generellen Fragen auf, ob ein zentrales Camp sinnvoll ist und inwiefern spektrenübergreifende Camps wegen Problemen einer Konsensfindung überhaupt noch möglich sind. Die als gering eingeschätzte BesucherInnenzahl wurde mit einer relativ enttäuschenden Gesamtmobilisierung, der "Medienhetze" im Vorfeld sowie der noch kühlen Jahreszeit erklärt.
Zur besseren Mobilisierung wäre eine größere Anzahl von Infotouren wünschenswert gewesen und bezüglich der Vorbereitung tauchte die Frage auf, ob ein Vorbereitungscamp, wie beispielsweise in Reddelich, verbindlichere überregionale Strukturen schaffen und damit die lokalen Strukturen entlasten hätte können. Weitere Schwierigkeiten wurden in der Kommunikation mit den französischen Strukturen gesehen. Als positiv bewertete die regionale Vorbereitungsgruppe ein "AufpasserInnensystem", welches in der Hochphase der Vorbereitungen Einzelpersonen in der Gruppe vor drohender Überlastung bzw. Burn-Out schützen sollte.
Es wurde die These aufgestellt, dass die Cops mit Hilfe von gezielten Provokationen während der Plena in der Aufbauphase, sowie den späteren Auseinandersetzungen in Campnähe erfolgreich den Aufbau handlungsfähiger, selbstverwalteter Strukturen behindert haben. Als schwierig wurde auch der Infofluss im Camp dargestellt. Die Frage wurde formuliert ob
dies wohl an mangelnden Infos oder an mangelndem Interesse lag.
Auch wurde kritisiert, dass es in der Vorbereitung nicht gelungen ist, gewisse "Campregeln" zu formulieren und diese zum Beispiel auch in der Nachbarschaft des Camps zu verbreiten. Bei den leider zahlreichen Konflikten beispielsweise wegen Drogenverkauf oder sexistischen Anmachen wären solche klar herausgearbeiteten Positionen dringend nötig gewesen.
Ebenfalls bemängelt wurden fehlende Diskussionen und Absprachen zum Thema "Gewalt ums Camp" im Vorfeld.
Offen blieb letztendlich der anfangs formulierte Grundwiderspruch zwischen "guter Infrastruktur" und Problemen in der Umsetzung von Selbstverwaltung, u.a. bedingt durch ein scheinbar weit verbreitetes "Konsumverhalten", sowie die Frage nach erfolgreichen Konzepten um diesen Widerspruch aufzulösen...
POLITISCHE STRATEGIE
Im Vordergrund der Diskussion standen Themen wie die „Spektren-übergreifende Zusammenarbeit“, Verhandlungen und das Verhältnis zu Staat und Behörden sowie die Bewertung der Blockadeaktionen gegen das Gipfeltreffen. Auch wurde über den Sinn einer Gesamtstrategie zentralisierter „Eventproteste“, die Frage der Stärke und Wirksamkeit antimilitaristischer Zusammenhänge und die Bewertung militanter Aktionen sinniert.
Immer wieder stand im Mittelpunkt die Diskussion, was für Vorbereitungen, Treffen und Vernetzungen für eine (in diesem Fall scheinbar mäßig erfolgreiche) politische Strategie sinnvoll sind und ob und wie solche Treffen „geöffnet“ werden können? Einerseits wurden verschiedene Vernetzungstreffen der radikalen und gemäßigten Linken im Vorfeld (Dissent!, Stuttgart, Block-NATO und Aktionskonferenz Strasbourg) grundsätzlich positiv bewertet. So kamen hier die Ideen und Absprachen, die verwirklicht wurden, zustande.
Kritisiert wurde unter anderem die hierarchische und „Funktionärstums“-lastige Herangehensweise des internationalen Großbündnis gegen die NATO (ICC). Durch die vielen „Entscheidungs-relevanten eineinhalb-Tage Treffen“ des ICC erfolgte ein Ausschluss für weniger bemittelte Zusammenhänge und Einzelpersonen. Zur Vorbereitung des Dissent! Treffens gab es Kritik an der mangelnden „Transparenz“. Andererseits stießen strategische Vorschläge des linksradikalen Netzwerks im Vorfeld des Gipfels auf keine Resonanz der gemäßigten Gruppen. Vielmehr wurde die „große Blockadestrategie“ durch mangelnde Kommunikation und Fähigkeit zu Absprachen zugunsten einer „Block8-like Massenvereinnahmungsstrategie“ konterkariert.
Aufgeworfene Fragen zum Thema Bündnisarbeit blieben für uns:
„War es sinnvoll, dass das ICC die Demoroute im Hafen angenommen hat?“
„Würde mehr Bündnisarbeit überhaupt etwas verbessern?“
„Wieso ist die spektrenübergreifende Zusammenarbeit schon bei der Strasbourger Aktionskonferenz gescheitert?“
Als Lösungsansätze für eine bessere Bündnisarbeit kamen Vorschläge wie „Basisdemokratie für hierarchische „ReformistInnen“. Teilweise wurde (in beide Richtungen) ein Ende jeglicher Kooperation gefordert. Es wurde angemerkt, die Bündnisarbeit habe keine Tradition in der „Anti-Kriegsbewegung“.
Die Blockaden, welche auch in der schriftlichen Auswertung viel Beachtung fanden, wurden teilweise als Erfolge, teilweise als Misserfolge gewertet. Aus Sicht einiger konnte durch die Innenstadt- und Nordtangente-Blockaden eine friedliche „ungehorsame“ Öffentlichkeitswirksamkeit erzeugt werden.
Aus Sicht anderer scheiterten die Blockaden völlig wegen zu kurzer Vorbereitungen und der mangelnden „Masse“ zur „Massenblockade“. Hier wurde auch verschärft die „vereinnahmende Stellung“ einiger „gemäßigter“ Zusammenhänge kritisiert. Absprachen mit den Behörden und der Polizei standen bei NATO-ZU und Block-NATO im Vordergrund, nicht die Kooperation mit anderen am Widerstand Interessierten. Grund für den zumindest mäßigen Erfolg, und da herrschte bei allen Diskutierenden Konsens, ist das mangelnde gegenseitige Vertrauen der verschiedenen Protestspektren. Allseits positiv wurden die „mutige Sambaband“ und der „kreative Block“ in der Strasbourger Innenstadt wahrgenommen.
Auch kamen die Bestrebungen mehr „dezentral“, „clandestin“ und „mit kleinen antimilitaristischen Aktionen“ zu agieren zur Sprache. So war die Wahrnehmung vieler kleiner Initiativen bei den Diskutierenden zumeist eine positive. Zu solchen Aktionen kam die Frage auf, wie diese „populärer“ werden könnten und wie die Repression bei „kleineren Aktionen“ gering zu halten sei. Zumindest haben solche Aktionen einen hohen „lokalpolitischen“ Impact. Auch wurden Vor- und Nachteile „verdeckter“ (weniger Leute, weniger Polizei) und „offener“ (mehr Leute, mehr Presse, mehr Polizei) Mobilisierungen diskutiert.
Wo bleibt die Verbindung zum Thema Krise?
Diese zentrale Frage am Tisch „politische Strategie“ wurde kontrovers diskutiert. Einerseits wurde versucht, einen Zusammenhang zum in London tagenden G20 und der wachsenden Weltwirtschaftskrise herzustellen (Demos in London, Frankfurt, Berlin...). Andererseits war der Diskussionsprozess um einen Zusammenhang zwischen Krieg und Kapitalismus besonders in der Bündnisarbeit teils sehr träge. Einigen konnten wir uns darauf, das auch die Proteste zur Krise nicht „überwältigend“ gestartet hatten und die gegenseitige Bezugnahme durch mangelnde Ressourcen nur schwerfällig und sporadisch gelang. Damit verknüpfte sich die Frage, wie eine „Bewegung“ wachsen könne. Bis auf den Gedanken, mehr werden zu wollen, gab es hierzu keine Lösungsvorschläge und Ideen. Vielmehr müsste eine Analyse bisheriger Mobilisierungsstrategien her. Die Bewegung wurde in diesem Diskussionsstrang als eher mäßig bewertet. Der Mangel an kontinuierlicher Arbeit scheint ein zentrales Element für die Erklärung des Zustandes antimilitaristischer Bewegung zu sein.
Was einerseits (besonders lokal) als „erneute Bewegung in der Anti-Kriegsbewegung“ wahrgenommen wurde, stieß somit auf Widerspruch. So wurden die Proteste gegen das 60 jährige Natojubiläum, besonders quantitativ, als eine sehr dürftige Großmobilisierung angesehen. Obwohl die Infrastruktur bereits im Vorfeld angeboten wurde, nutzten diese nur wenige hundert Leute. „Warum sind so wenig Leute im Vorfeld mobilisiert worden?“ und „Warum kamen so wenig Leute zum CC und zum Camp?“
Als eine eher erfolgreiche Aktion wurde die „Make Militarism History“-Demo am 30. März in Freiburg gewertet. Diese habe auch regional mobilisierend gewirkt. Negativ war hier die „massive Fremdbestimmung“ und „mangelhafte Außenwirkung“. Schön wäre gewesen, länger auf die Durchsetzung einer Route zu beharren und stärker Absprachen mit dem „Bunten Block“ zu treffen. Uneins waren wir uns bei der Frage ob mehr oder weniger Kreativität und Konfrontation.
Des Öfteren wurde der Wunsch laut „unberechenbarer“ zu sein, mehr „autonome“ Gruppen zu bilden. So würde der „Kontrollverlust“ der „Repressionsorgane“ steigen und somit auch die Wahrnehmung unseres Widerstandes. Angeregt wurde, auch bei zentralen Demos, dezentral zu agieren. Schön wäre es für viele „weniger mit den Bullen zu kooperieren“, andere meinen, mehr mit den Bullen zu kooperieren wäre notwendig.
Sowohl positiv als auch negativ wurde das Thema „Militante Aktionen“ diskutiert. Dagegen sprächen die “abschreckende Wirkung“, „Gefährdung nach Innen“, „schwerwiegende Illegalität“, oder auch der „schwache betroffene Stadtteil“. Als positiv wurde die Militanz linker AktivistInnen besonders gegen die Polizei und „symbolische Objekte“ bezeichnet. Die stundenlangen Provokationen und Gaseinsätze der Polizei „mussten beantwortet werden“.
Insgesamt drehte sich die Diskussion mehr um das tatsächliche Geschehen am 4. April als um eine „allgemeine Militanzdebatte“.
Dazu kamen Fragen auf wie „Militanz, ist die regulierbar?“, „Wo stößt die politische Vermittelbarkeit auf Grenzen?“ oder „Wie schützen wir unsere Leute?“
STRATEGIE AUF DER STRASSE
Im Folgenden soll dieser Text als Zusammenfassung der Tischdiskussionen in die Abschnitte Probleme und Strategien aufgeteilt werden. Unter dem Punkt „Strategien“ sollen Ideen für einen geschickteren Umgang mit den Repressionsbehörden und für effektivere Blockade- und Störaktionen zusammengefasst werden.
Probleme
a) Für beide Rheinseiten zutreffend
• Massenveranstaltungen sind leicht unterdrückbar, da leicht überschaubar und langsam.
• Es mangelte vielerorts an der Entschlossenheit Polizeisperren zu durchbrechen.
Hier wurde erwähnt, dass dies auch ohne Gewalt gehe. In einigen Blockadezügen, die aus dem Strasbourger Camp kamen, wurde jedoch Gewaltfreiheit mit Passivität verwechselt und ständig zur Gewaltfreiheit aufgerufen, während Passivität (Hände heben, auf die Polizei zulaufen, beschossen werden, wegrennen) gemeint war. Dies führte eher zu Unsicherheit und stärkte nicht den Anspruch in die Innenstadt zu gelangen. Es entstand z. T. Angst, die in der Vorbereitung z.B. durch mehrere Ausweichpläne, Kleingruppenübungen (unbewaffnet auf eine Gruppe mit Stöcken bewaffneter zurennen, etc.), verlässlicherer Kommunikationsstrukturen zwischen den Gruppen hätte aufgefangen werden können.
• Viele GipfelgegnerInnen waren schlecht über Geographie, mögliche Polizeistrategien und Partizipationsmöglichkeiten informiert. Daraus folgend wurden z.B. die „FahnenträgerInnen“ der „Fünffinger-Blockadetaktik“ in eine verantwortliche oder besser bestimmende Position gebracht, die eigentlich unnötig ist (Strasbourg). Auf der Demo in Kehl gab es keine passende Antwort auf das riesige Polizeiaufgebot, sondern einen von der Polizei kontrollierten „Wanderkessel“.
• Es entstand ein Spannungsfeld zwischen spontaner Partizipation Unvorbereiteter und clandestiner Organisation in festen Gruppen.
• „Offene Aktionen“ haben immer den Nachteil, dass sie der Polizei bekannt sind.
b) Speziell für Strasbourg zutreffend
• Das Blockadebündnis hatte zuvor Interna über vermeintlich militante Blockadeorte verraten und damit militante Blockaden unmöglich gemacht, weil der Polizei die Orte bekannt waren und dadurch Blockaden viel zu gefährlich wurden. So wurde ein Teil der „Blockierenden“ vorher ausgeschlossen und schloss sich z.T. versprengt anderen Blockadezügen an.
• Zu wenige Camps: die Bewegungen der GipfelgegnerInnen am Samstag waren zu leicht berechenbar, da es nur ein Camp in zu weiter Entfernung zur Innenstadt gab.
• Es mangelte Samstag an geographischen Kenntnissen und einer guten Kommunikation (einige Stunden vor dem Durchbruch zur Demo waren im westlichen Stadtgebiet Eisenbahnbrücken unbewacht). Das für die Demo am Mittag vorgesehene Hafenviertel war ein (das Zollhäuschen ausgenommen) bedeutungsloser Ort, viel zu weit weg vom Gipfel und durch die vielen Kanäle und wenigen Brücken ein leicht abzuriegelndes und angreifbares Terrain für die Polizei.
Neben der obligatorischen Frage „wie können wir's beim nächsten Gipfel besser machen?“ kamen während den Diskussionen über die Probleme während des Gipfels folgende Fragen auf:
• Wie umgehen mit der Ohnmacht der Leute?
• Wie kann diese Wut zu Mut werden?
• Wie eine auf Selbstorganisation basierende Bewegung schlagfertiger machen?
Strategien:
Nahezu alle Diskussionen über Strategien für die Straße drehten sich um eine weitere gestellte Frage „Was tun gegen die militärische Übermacht?“. Folgende Ideen wurden genannt:
• Dezentrale Aktionen auch überregional. Z. B. Gleis-/Autobahnblockade o. ä. in anderen Städten.
• Alternative Treffpunkte in der Nähe des Gipfels für Leute, die von der Polizei an Grenzen und anderen Kontrollpunkten abgewiesen wurden. So kann auch das Polizeiaufgebot auseinander gezogen werden.
• Durchfließen der Polizeisperren in guter Verkleidung (nicht für alle möglich wegen Alter, Piercings, Frisuren etc.)
• Bei zu viel Repression vor dem Tag X könnte eventuell das Camp offiziell abgebrochen und die Situation für die Polizei schwerer überschaubar gemacht werden.
• Wenn es einen militanten Durchbruch einer Polizeisperre wie in Strasbourg gibt, dann doch an einer strategisch sinnvolleren Stelle (Innenstadt wegen Nähe zum Tagungsort) und zu einer sinnvolleren Uhrzeit (nicht mittags sondern morgens vor oder zu Gipfelbeginn).
Politische Außenwirkung der Proteste
Bei der Auswertung der Außenwirkung der Proteste gegen den NATO Gipfel standen wir vor den Fragen: Was hat der Protest nach Außen vermittelt und erreicht und was nach Innen?
Dominiert wurde unsere Nachbetrachtung von inhaltlichen Fragen. Was haben wir zu vermitteln versucht, wie ist diese Vermittlung gelungen und was wurde tatsächlich via Massenmedien und eigener Medienarbeit an die Menschen „da draußen“ vermittelt.
Krieg und Militarismus wurden in der Mobilisierung und auch während der Proteste zentral problematisiert. Es blieb jedoch zu kritisieren, dass Themen wie Kapitalismus und Krise, innere und äußere Sicherheit, Abschottung und Migrationskontrolle nur am Rande wie Satelliten in die inhaltliche Vermittlung eingegangen sind. Die Demo in Freiburg hat den Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Sicherheit zu thematisieren versucht, konnte aber inhaltlich den Protesten nicht diese Richtung geben.
Dass jede(r) eine eigene Meinung zu den thematischen Relevanzen und dem angemessenen Grad an Komplexität der Protestinhalte hat, die sich in dieser Kritik auszudrücken scheint, ist klar. Dennoch weist sie auf die nächste Frage hin, nämlich: Was wurde vermittelt? Nicht die Pace Fahnen und Friedenstauben bestimmten das wahrnehmbare Bild der Proteste, sondern die militanten Aktionen eines Teils der Protestierenden. Dieses Bild jedoch konnte sich nicht mit der eigentlich gewünschten inhaltlichen Vermittlung verbinden. So blieb die Außenwirkung des Protestes beim bloßen Bild stehen.
Der Angriff auf ein Gebäude und ein Fahrzeug des französischen Militärs blieb vor der anfangs ausgegebenen Parole der Friedlichkeit und Passivität der DemonstrantInnen ein sinnloser Ausbruch von Gewalt und wurde nicht als aktiver Antimilitarismus wahrgenommen. Das brennende Grenzgebäude wurde nicht zu einem Ausdruck der Ablehnung nationalstaatlicher Herrschaft, sondern das Werk von Feuerteufeln.
Die Information, dass das Ibis Hotel der Accor Kette angehört, die an Abschiebungen verdient, ArbeiterInnenrechte missachtet und deswegen schon öfter Ziel von Kampagnen und Aktionen war, konnte ihren Weg kaum zu den Protestierenden und Sympathisierenden, geschweige denn in eine breitere Öffentlichkeit finden. Die Zerstörung von Werbetafeln etc. wurde zum Symbol für die sinnlose Randalegeilheit einiger Vorstadtkids und konnte überhaupt keinen antikapitalistischen Bezug erzeugen.
Die öffentlich sehr stark wahrgenommenen Beschränkungen der Rechte von BürgerInnen in den Gipfelstädten, der riesige Polizeieinsatz, Stacheldraht und Straßensperren schienen wiederum mit dem Widerstand und den Angriffen gegen den Nato Gipfel im Allgemeinen und den eingesetzten PolizistInnen im Speziellen überhaupt nichts zu tun zu haben.
Derweil sich die einen fragen, warum die Berichterstattung der Medien und damit die inhaltliche Außenwirkung nicht im gewollten Maß beeinflusst werden konnte, ärgern sich die anderen darüber, dass radikale, politische Akte, zu denen viel schon im Voraus inhaltlich zu sagen gewesen wäre, in der Parole „Anarchie und Chaos“ buchstäblich in Rauch aufgingen.
Bei der Wirkung der Proteste nach innen zeichneten sich zwei Einschätzungen ab:
1. Die Masse konnte nicht mit den Inhalten, die sich die Protestbewegung im Vorhinein gegeben hatte, erreicht werden. Dies spiegelte sich in der enttäuschenden Anzahl der TeilnehmerInnen an den Demos etc. und in der Nichtaufnahme der eigenen Inhalte durch die Öffentlichkeit. Die militanten Aktionen wurden vornehmlich als Gewaltakte, die der Vermittlung der gewollten Inhalte der Proteste schädlich waren, abgelehnt. Diejenigen, die ihre politische Aktivität auf die Einflussnahme von Massen ausrichten, waren enttäuscht.
2. Diejenigen, die den politischen Zielen individueller Einflussnahme mehr Gewicht beimaßen, sahen zumindest in der Wiederaneignung der Straßen und dem kollektiven Widerstand gegen die staatlichen Exekutivorgane erfolgreiche politische Akte individueller und freiheitlicher Selbstbestimmung und im repressiven Vorgehen staatlicher Organe gegen EinwohnerInnen und Protestierende eine zu nutzende Selbstdeligitimierung sowohl der Herrschenden, als auch der NATO. Dabei erscheint es sinnvoll, z.B. die Anwohner, die ein anderes Bild der Proteste bekommen haben, weiter zu informieren, um den in französischen und besonders in den Strasbourger Medien verbreiteten Informationen zu widersprechen und sich gemeinsam dem Erlebten wieder anzunähern.
Die Ausrichtung auf bürgerliche Massenmedien stellte einen weiteren Kritikpunkt dar. Die Möglichkeiten, radikale Inhalte über die Medien, die eine bestimmte gesellschaftlich – politische Funktion ausüben, zu verbreiten, wurden hier als sehr gering eingeschätzt. Die Bedeutung eigener Medien wurde betont. Besonders der Liveticker bietet in Zukunft neue Möglichkeiten. So gab es auf dem bürgerlichen Medienportal fudder.de einen Liveticker über die Demo in Freiburg, den nach eigenen Angaben zur Höchstzeit über 5000 Menschen, und damit mehr als das Doppelte der DemonstrationsteilnehmerInnen, verfolgt haben. Der Liveticker bei Indy Linksunten wurde ebenfalls sehr stark genutzt, wobei diejenigen, die aktuelle Infos über die Proteste suchten, hier nur begrenzt fündig wurden. Es stellte sich die Frage, inwieweit es möglich ist, selbst einen Ticker für aktuelle Nachrichten mit thematischen Inhalten, ergänzt z.B. durch eine Kommentarfunktion, einzurichten.
Wirkung in die Bewegung
Die Ereignisse um den NATO-Gipfel in Strasbourg haben unter denen, die dort waren oder die Geschehnisse direkt verfolgt haben, kaum jemanden kalt gelassen. Die Repression von staatlicher Seite scheint einen Höhepunkt erreicht zu haben: Für den Großteil der Aktivisten war die Erfahrung frühmorgens um 4:30 Uhr von der Polizei ohne Vorwarnung mit Tränengas begrüßt zu werden so neu wie erschreckend. Diese Strategie der Repression wurde ohne Unterbrechung bis in die Abendstunden fortgeführt: Kaum ein(e) DemonstrantIn wurde auch nur in die Strasbourger Innenstadt gelassen, die Polizei war überall bewaffnet präsent und selbst die symbolische Vereinigung der Demonstrationszüge aus Kehl und Strasbourg wurde nicht zugelassen. Aber auch innerhalb der Bewegung stellen sich neue Fragen – bzw. alte neu: Inwieweit kann sich jede/r mit den Aktionsformen der „Anderen in der Bewegung“ identifizieren? Und nicht zuletzt: welchen Anlass zur Enttäuschung hat der Gipfel in Strasbourg gegeben – bzw. welche positiven und welche negativen Schlüsse ziehen wir für die Bewegung?
Es stellt sich zuallererst die Frage: Wer gehört eigentlich zur „Bewegung“? Und damit zusammenhängend die Frage: „Wen geht eigentlich das Thema „Krieg“ etwas an“? Dürfen wir als die „Bewegung“ nur diejenigen ansprechen, die direkt bei den Protesten in Strasbourg dabei waren?
Wir meinen eher nicht: Als Bewegung sollten wir diejenigen verstehen, die den Zusammenhang von systematischer Ausbeutung in kapitalistischen Verhältnissen auf der einen und Militär und Krieg auf der anderen Seite sehen und die sich aus diesen Gründen von der Thematik „NATO“ angesprochen (bzw. provoziert) fühlen.
Dennoch gehört zu dieser „Bewegung“ ein unübersehbar großes Spektrum: organisierte wie unorganisierte Gruppen und Menschen, religiöse und nicht-religiöse Friedensfreunde, KapitalismuskritikerInnen und HumanistInnen, FreundInnen autonomer Organisation, Parteien, Gewerkschaften und SyndikalistInnen... Um diese Vielfalt der Bewegung zusammenführen zu können ist intensive Bündnisarbeit erforderlich. Die Kommunikation zwischen diesen Spektren, sowie das Verständnis gegenüber den Anliegen und Aktionsformen der anderen, ist weit über Gipfelereignisse hinaus ein wichtiger Punkt linker Bewegungsarbeit – die Anforderungen an gelungene Kommunikation hinsichtlich eines festgelegten Ortes, dem Thema und Zeitpunkt gestaltet sich jedoch besonders schwierig. Inwieweit es zum NATO-Gipfel gelungen ist, die Spektren zusammen zu bringen bleibt fraglich.
So kann ein Gipfelereigniss wie das Natotreffen oder auch die G8 als Kulminationspunkt der Bewegung dienen, an dem sich alle Gruppen mit ihren eigenen Aktionsformen beteiligen können und die ganze Breite und Stärke der Bewegung sichtbar werden kann. Dennoch steht dem positiven Effekt der „Sichtbar-Werdung“ ein enormer organisatorischer Kraftaufwand – der viele Aktivisten für einige Zeit geradezu „ausbrennen“ kann – und das Anpassen an Zeiten und symbolische Orte der Herrschenden gegenüber. Insofern sollten Aufwand und voraussehbarer Nutzen solcher Organisations- und Mobilisierungsarbeit gründlich abgewogen werden. Für Freiburg lässt sich jedoch durchaus sagen, dass das Thema Nato über den reinen Gipfelzeitpunkt Thema geworden und einige Zeit geblieben ist: Der Vortrag eines Nato-Generals im Velo-Cafe wurde öffentlichkeitswirksam gestört, eine andere Veranstaltung in der Uni konnte ebenfalls gestört werden. Inwieweit diese Moblisierung bis zum Fahnenappell von 1.500 Soldaten der deutsch-französischen Brigande in Müllheim am 26. Juni anhält, bleibt offen.
Es sollte klar sein, dass die Eventisierung der Bewegungsarbeit die kontinuierliche politische Arbeit nicht ersetzen kann! Nur gründlich vorbereitete Gruppen, die sowohl über ihre Aktionsformen und ihre Bündnispartner, als auch über die lokalen Verhältnisse ein klares Bewusstsein haben, können gezielt agieren und mit der Repression umgehen. Es ist klar, dass dieser Anspruch hoch ist und er soll nicht ausschließend sein – viel eher der Appell an diejenigen, die sich für gipfelrelevante Themen interessieren, sich auch darüber hinaus zu organisieren. Eine kontinuierliche Organisation kann neben der Vorbereitung auf das Ereignis auch ermöglichen, das Thema weiterhin zu bearbeiten und seine inhaltliche Anknüpfungsmöglichkeiten zu anderen Themen (im Falle der NATO zu Innerer Sicherheit, Militarisierung zur Unterdrückung sozialer Unruhen, Durchsetzung kapitalistischer Interessen durch direkte Unterdrückung,...) deutlich zu machen – der „Bewegungshype“ der Linken, abfällig auch als „Demotourismus“ bezeichnet, kann auf diesem Wege eventuell durch die konkrete Verknüpfung von Themen wie Krise und Krieg auch öffentlich wieder plausibel gemacht werden. Darüber hinaus muss Kontinuität auch als praktische Solidarität mit den Opfern der Repression, sprich den Gefangenen und Angeklagten, gewährleistet sein.
Source: http://de.indymedia.org/2009/06/254441.shtml