Pressemitteilungen » Heiligendamm 2007 » G8 2007 deutsch » Gruppen und Kampagnen » Parteien und Gewerkschaften  
print
2007-06-12

Katja Kipping: Gipfelproteste 007 – Was bleibt?

12.06.07

Gewonnene Zuversicht ist mehr als eine spontane Anwandlung – darin liegt der Erfolg

Von Katja Kipping

Unsere Autorin ist Vizevorsitzende der Linkspartei und wirkte als deren G8-Beauftragte im Gegen-Bündnis

Was bleibt? Diese Frage erinnert zunächst nur formal an eine Erzählung von Christa Wolf. Kenner der Erzählung erinnern sich jedoch: Auf einer Lesung begegnet die Protagonistin einer neuen Generation von Schreibenden, die provozierende Fragen nach einer lebbaren Zukunft aufwirft – voller Mut, etwas zu verändern. Auch um Heiligendamm konnte man eine neue Generation erleben, die bestehende Zustände hinterfragt – und das wo alle Welt vom politischen Desinteresse der Jugend spricht. Schon in dieser Politisierung junger Menschen liegt ein Erfolg der Gipfelproteste.

Gipfelproteste – unterm Strich ein Erfolg

Doch wie sind die Gipfelproteste ansonsten zu bewerten? Am Samstagabend schien es angesichts der Ausschreitungen, als sei all die Arbeit umsonst gewesen. Zu sehr dominierten die Bilder der Gewalt. Doch zum Glück waren diese Bilder nicht die einzigen, die von den Protesten aus um die Welt gingen. 80 000 kamen, um gegen die G8 zu demonstrieren. Die Demonstration bestach dabei durch eine Lebendigkeit, wie sie selten auf Demos in der BRD zu erleben ist. Die Diskussionsrunden waren gut besucht. Mit friedlichem zivilem Ungehorsam und tausenden Beteiligten gelang das scheinbar Unmögliche – die Blockaden. Der Tagungsort war nur über Luft und Wasser zu erreichen. Die Berichte darüber waren die Top-Meldungen des Tages und haben somit dem G8-Gipfel die Show gestohlen.
Die globalisierungskritische Bewegung hat darüber hinaus Akteure bekannt gemacht. Selbst in Talkshows bleiben nun die G8-Befürworter nur noch selten unter sich. Dies hat ein gesellschaftliches Klima befördert, in dem Globalisierung in ihrer jetzigen Form für immer weniger Menschen als Naturereignis gilt. Die Gipfelproteste haben damit den Nährboden bereitet für Alternativen. Dies sind Erfolge, die über die Woche hinaus wirken.
Kritisch zu bilanzieren ist hingegen, dass strukturelle Alternativen zu den G8 kaum erörtert wurden. Sicherlich: Am Anfang steht die Kraft des gemeinsamen Nein zu dieser selbsternannten Weltregierung G8. Jedoch sollte nicht der Eindruck entstehen, es wäre besser, wenn die Nationalstaaten die Kooperation untereinander einstellen oder die USA als G1 agieren lassen. Das gemeinsame Nein gibt Kraft. Dies darf allerdings nicht zur Selbstgenügsamkeit führen. Wir sind als Partei aufgefordert, eine kohärente sozialistische Globalisierungskritik und strukturelle Alternativen zu erarbeiten.

Ein Schlüsselerlebnis für alle Beteiligten

Für die vielen Menschen, die wie ich an den Gipfelprotesten teilnahmen, brachten die Proteste einen ganz besonderen Ertrag: die Schlüsselerfahrung, gemeinsam und solidarisch zu handeln. So konnte wer wollte auf den Camps und bei der Volksküche Selbstorganisation jenseits der kapitalistischen Profitlogik live erleben und praktizieren. Auch die Blockaden haben mit ihrer Struktur der demokratischen Willensbildung Horizonte erweitert. Bezugsgruppen wählten Delegierte und diese erörterten in Delegiertenversammlungen das weitere Vorgehen. Demokratische Verfahren sind ergo auch in komplizierten Situationen praktizierbar. Die Handlungsfähigkeit von heterogenen Truppen ist auch ohne autoritäres Ansagertum zu organisieren. Dies war ein Erfolg der selbstorganisierten Vielfalt gegenüber uniformierten Befehlsketten.
Auch viele, die nicht in die Gipfelproteste involviert waren, zeigten sich begeistert von deren Erfolg. Dies zeigt, dass friedlicher ziviler Ungehorsam zum Repertoire einer kritischen Linken gehört. Offensichtlich entfalten solche kollektiven Grenzüberschreitungen eine Wirkung, die mit gewohnten Sichten auf die Welt bricht.

Die Linke und die Bewegung

Die Gipfelproteste waren auch für DIE LINKE ein Erfolg. Mit rund 10 000 Menschen haben wir sichtbar an der Demonstration teilgenommen. Der Studierendenverband DIE LINKE.SDS sowie die Linksjugend solid waren integraler Bestandteil des Camps. Mit dem Fraktionszelt in Bad Doberan gelang es uns, die Kritik am globalen Kapitalismus zu der ansässigen Bevölkerung und in die Klassenzimmer zu tragen. Auf der Abschlusskundgebung waren wir die einzige Partei, die eine Rednerin stellte. Dies und die herzliche Anmoderation stellt einen Quantensprung in der Zusammenarbeit mit Bewegungen dar. Wir waren 24 Stunden am Tag dabei und sind wir nicht nur zu den Presseterminen erschienen. Kurzum: DIE LINKE war organischer Bestandteil der Gipfelproteste und hat zu deren Gelingen beigetragen.
Die Protestbewegung wurde – abgesehen von den Ausschreitungen am Samstag – als gesellschaftliche Kraft mit Zukunftsfähigkeit und jungem Gesicht wahrgenommen. Solche Proteste wirken als Hebel zur Veränderung gesellschaftlicher Stimmungen.
Je überzeugender die Protestbewegung, umso besser kann DIE LINKE im parteipolitischen Raum Veränderungen bewirken. Die Stärkung dieser Bewegung liegt also im ureigensten Interesse unserer Partei. Bewegung und Partei fanden eine Form der Zusammenarbeit jenseits von devoter Unsichtbarkeit der Partei einerseits und jenseits einer Kolonisierung der Bewegung durch die Partei anderseits. Davon profitierten beide Seiten. DIE LINKE ermöglichte vieles mit ihrer Unterstützung. Andererseits beförderten die Gipfelproteste, zum Beispiel die Blockaden als Formen des zivilen Ungehorsams, auch einen Lernprozess innerhalb der LINKEN. Diese Zusammenarbeit gilt es fortzusetzen, um Spielräume für linke Politik auszuweiten.
Jean Ziegler beendete seine Rede auf dem Alternativgipfel mit einem Pablo Neruda-Zitat: »Sie, unsere Feinde, können alle Blumen abschneiden. Aber sie haben keine Herrschaft über den Frühling.« Die Kraft des Frühlings ist mit uns. Diese Worte drücken Zuversicht aus. In die Herzen und Köpfe der Beteiligten ist eben jene Zuversicht eingezogen. Sie ist mehr ist als eine spontane Anwandlung. Diese Zuversicht wirkt nach, weil sie empirisch unterfüttert ist. Genau darin liegt der große Erfolg der Gipfelproteste.

[http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=111089&IDC=]