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24.05.2007

"Wir wollen der Globalisierung ein menschliches Gesicht geben"

Die Kanzlerin nutzte die Bundestagsdebatte über den G-8-Gipfel in Heiligendamm für Lob in eigener Sache - und einen Aufruf gegen Gewalt. Die Linke protestierte im Parlament mit einem Plakat - und fing sich Kritik des Präsidenten ein.

Berlin - Für einen Augenblick wird der Bundestag am Donnerstagmorgen zur kulissenhaften Probe für das G-8-Treffen in Heiligendamm. Matthias Wissmann hat gerade für die Unionsfraktion sein Credo für den "freien Welthandel" abgelegt, der "die beste Entwicklungshilfe" sei, da steht die PDS-Abgeordnete Heike Hänsel zu einer Kurzintervention auf.

Protest vor der Bundestagsdebatte in Berlin: Heitere Stimmung
Es schwäbelt nur so aus ihr heraus. Die Frau aus Baden-Württemberg, Attac-Mitglied, redet, als stünde sie schon vor dem Zaun in Heiligendamm. Sie verweist auf die Folgen der Globalisierung in Entwicklungsländern, da stehen plötzlich hinter ihr mehrere Fraktionskollegen auf und halten ein buntes Transparent und Plakate hoch: "Gegenwind G 8". Es stammt von G-8-Gegnern, die am Morgen vor dem Reichstagsgebäude demonstrieren wollten.

Nach einer knappen Minute ist die theaterreife Einlage vorbei, die PDS-Abgeordneten setzen sich brav wieder hin. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ist wütend. Einmal mehr sei seine großzügige Handhabung der Geschäftsordnung zur "Inszenierung von Mätzchen" ausgenutzt worden. Das Verhalten der PDS "karikiert den Anspruch von Ernsthaftigkeit", den die Rednerin zuvor in ihrem Beitrag in Anspruch genommen habe.

Für diese Antwort ihres Parteikollegen sind die Abgeordneten der Union besonders dankbar - sie klatschen laut und lange. Die Aktion der PDS-Vertreter bleibt der einzige Vorfall während der Debatte zur Regierungserklärung der Kanzlerin zum G-8-Gipfel in Heiligendamm. Diesmal sind die Sicherheitsvorkehrungen verschärft worden, nachdem Ende April zwei Protestler von der Besuchertribüne ins Plenum sprangen und andere sich vom Dach des Gebäudes abseilten. So fing die Polizei am frühen Morgen auch einige junge G-8-Gegner vor dem Bundestag ab, prüfte ihre Personalien.

"Der Globalisierung ein menschliches Gesicht geben"

Die geplanten Proteste in Heiligendamm tauchen auch gleich im ersten Teil von Angela Merkels Rede auf. Die Kanzlerin will sich offenkundig nicht nachsagen lassen, die Gegner ignoriert zu haben. Erst kürzlich hatte sie 19 Vertreter verschiedener Organsationen im Kanzleramt getroffen (mehr...). Es wurde kaum Aufhebens darum gemacht. Im Bundestag sagt Merkel, wer friedlich protestiere, dessen Anliegen sei nicht nur legitim, "der findet auch unser Gehör". Wer aber zur Gewalt greife, der mache den Dialog unmöglich. Und: Jene, die jetzt die Sicherheitsbehörden kritisieren, seien die ersten, die ihnen Versäumnisse vorwerfen, wenn es doch zu Gewalt komme.

Merkels Rede zum G-8-Gipfel ist aber in erster Linie ein Bekenntnis zur Globalisierung (mehr...). Eine, die gestaltet werden solle - nicht nur hierzulande, sondern international. "Wir wollen der Globalisierung ein menschliches Gesicht geben": Das ist der Schlüsselsatz ihrer Rede.

Der Satz löst Erinnerungen aus. Aus dem Munde der Ostdeutschen Merkel ähnelt er irgendwie dem Diktum vom "Sozialismus mit menschlichem Antlitz", der 1968 den Ostblock-Reformern in der Tschechoslowakei zugesprochen wurde.

Die Kanzlerin spricht über dem "globalen Aufschwung" - und dabei über die Wirtschaftslage in Deutschland. Dass sie gut sei sei, liege "an der Fähigkeit der Großen Koalition, sich nicht vom Kurs sanieren, reformieren, investieren abbringen zu lassen".

Ja zu Mindeststandards - Nein zum Mindestlohn?

Für solche innenpolitischen Einsprengsel auf globalem Terrain wird Merkel später von Guido Westerwelle angegangen. Der Aufschwung habe "mehr mit dem milden Winter" zu tun als "mit dieser Regierung", lästert der FDP-Chef, der sich ansonsten aber lobend über die Vorarbeit der Kanzlerin zum Gipfel auslässt.

Auch die SPD nutzt die Stunde, um von Heiligendammer Weltfragen in die Gefilde der Großen Koalition hinabzusteigen. Von den "Mindeststandards" in Heiligendamm bis zum "Mindestlohn" sei es "ja kein allzulanger Weg", stichelt Ditmar Staffelt, Sprecher der Arbeitsgruppe Weltwirtschaft, in Richtung CDU und CSU.

Merkels Auftritt im Bundestag dämpft allzu hohe Erwartungen an den G-8-Gipfel. Schon jetzt ist der Versuch von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) gescheitert, mehr Transparenz für die hochspekulativen Hedge-Fonds durchzusetzen. Zwar wiederholt Merkel die Forderung im Bundestag, doch seien "Ergebnisse nicht sofort" zu erwarten.

PDS-Fraktionschef Gregor Gysi wird später höhnen, Hedge-Fonds kümmerten sich nicht um Empfehlungen, wie sie jüngst beim Finanzminister-Treffen der G-8 in Werder vereinbart wurden. Wenn man sie um Transparenz bitte, sei das so, als würde man sie bitten, "sich selbst aufzulösen".

FDP und Grüne nur auf Halbdistanz zu Merkel

Auch beim Klimaschutz ist Merkels Skepsis klar herauszuhören. Um die Erderwärmung um zwei Grad zu begrenzen, müsse man bei der Reduzierung der CO-2-Emissionen zügig vorangehen. Darum sei es wesentlich, dass die G 8 ein "gemeinsames Verständnis" entwickelt und nach Anknüpfungspunkten für das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll sucht. Sie wisse aber noch nicht, ob das in Heiligendamm auch gelinge, bekennt Merkel.

Die Opposition zerfällt an diesem Tag in zwei Lager: FDP und Grüne wünschen der Kanzlerin immerhin Erfolg in Heiligendamm, auch wenn Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn von einer "Orgie an Unverbindlichkeiten" spricht. So wird die Debatte auch zu einem innenpolitischen Signal: Liberale und Grüne, das ist offensichtlich, wollen die Brücken zur Kanzlerin trotz aller Gegensätze nicht abbrechen lassen. Vielleicht braucht man sich irgendwann in Zukunft noch einmal.

Allein die PDS, die demnächst mit der WASG zur Linkspartei fusioniert, verlegt sich ganz auf die Oppositionsrolle. Auch hier sind die Rollen mittlerweile klar verteilt. Während der Grünen-Fraktionschef Kuhn die Unverhältnismäßigkeit der jüngsten Durchsuchungsaktionen bei G-8-Gegnern und beim Versammlunfgsrecht beklagt, ist Gysis Tonlage vernehmbar schriller. Den Sicherheitsbehörden wirft er sogar vor, mit ihrem Vorgehen Gewalt zu schüren. Und er versteigt sich zur Behauptung: "Bevor ein Auto gebrannt hat, waren es die Sicherheitsbehörden, die meinten, mit Razzien erstmal eine solche Stimmung organisieren zu müssen."

[http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,484722,00.html]