Pressemitteilungen » Heiligendamm 2007 » G8 2007 deutsch » 129a  
print
18.02.2008

23.02.: "Kriegsgerät interessiert uns brennend" - Veranstaltung in Berlin

Antimilitaristische Blockade- und Sabotageaktionen in Europa. Mit AktivistInnen aus Irland, Belgien, Holland und der BRD. Solidarität mit den verfolgten AntimilitaristInnen!

“Das eigentliche Problem ist doch, dass es zu wenig Brandanschläge auf Bundeswehrfahrzeuge gibt.” Dies wurde auf einer der ersten Vollversammlungen nach den Verhaftungen von Axel, Olli, Florian und Andrej geäußert. Daraufhin haben wir aus Solidarität mit den Beschuldigten diese Veranstaltung vorbereitet, in der die Politik, die in dem Verfahren kriminalisiert wird, ins Zentrum gerückt wird.

Der versuchte Brandanschlag auf Militärlastwagen der Bundeswehr und die Verhaftungen Ende Juli 2007 haben uns nicht nur mit der Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit §129a-Verfahren und Antirepressionsarbeit konfrontiert. Sie haben auch bewirkt, dass wir uns mit einem in der radikalen Linken seit geraumer Zeit wenig bearbeiteten Thema intensiver beschäftigen: Der notwendigen Mobilisierung gegen Krieg und Militarisierung.

In der Veranstaltung am 23. Februar werden die Legitimität und Notwendigkeit von antimilitaristischem Widerstand und direktem Eingreifen im Sinne selbstorganisierter Abrüstung zur Debatte gestellt.

Eingeladen sind AktivistInnen aus verschiedenen europäischen Ländern, die über Sabotage- und Blockadeaktionen gegen Kriegsgerät berichten:

  • aus den Niederlanden eine Aktivistin, die eine militärische Satellitenanlage zerstört hat.
  • aus Irland ein Aktivist, der in Shannon ein Militärflugzeug beschädigt hat.
  • aus Belgien ein Aktivist, der Militärtransporte blockiert hat.
  • aus der BRD eine Aktivistin, die an der versuchten Blockade des Autobahnkreuzes am Frankfurter Flughafen beteiligt war.

Wir wünschen uns eine anregende Diskussion für eine erfolgreiche Zukunft des antimilitaristischen Widerstands.

Sa, 23.02.2008 um 18:00 Uhr im Statthaus Böcklerpark, Prinzenstr. 1

Euer Vorbereitungskreis für den 23. Februar 2008

http://einstellung.so36.net


“Wirft man einen Stein, so ist das eine strafbare Handlung. Werden tausend Steine geworfen, ist das eine politische Aktion. Zündet man ein Auto an, ist das eine strafbare Handlung, werden hundert Autos angezündet, ist das eine politische Aktion.”

Ulrike Meinhof, am Tag
nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am 11.4.1968 (aus: ULRIKE MEINHOF. Die Biografie, von Jutta Ditfurth)

Liebe Freundinnen und Freunde von Antikriegsinitiativen

“Das eigentliche Problem ist doch, dass es zu wenig
Brandanschläge auf Bundeswehrfahrzeuge gibt,” so
wurde auf einer der ersten Vollversammlungen nach
den Verhaftungen von Axel, Olli, Florian und Andrej
formuliert. Hier zeichnen wir den Entwicklungsweg
nach von der Soli-Arbeit für die Beschuldigten zu
einer Veranstaltungsidee, die diesen Gedanken als
zentral für die gewünschte Debatte empfindet.

Der versuchte Brandanschlag auf Militärlastwagen
der Bundeswehr und die Verhaftungen Ende Juli
2007 haben uns nicht nur mit der Notwendigkeit der
Auseinandersetzung mit §129a-Verfahren und von
Antirepressionsarbeit konfrontiert. Sie haben auch
bewirkt, dass wir uns mit einem in der radikalen
Linken seit geraumer Zeit wenig bearbeiteten Thema
intensiver beschäftigen: Der notwendigen Mobilisierung
gegen Krieg und Militarisierung.

Weil uns die Fokussierung auf die Politik, die kriminalisiert
wird, als Teil von Antirepressionsarbeit am
Herzen lag, entstand die Veranstaltung, bei der die
Legitimität und Notwendigkeit von antimilitaristischem
Widerstand und direktem Eingreifen im Sinne
selbstorganisierter Abrüstung zur Debatte gestellt
wird. Schnell war ein grobes Konzept entwickelt:
AkteurInnen aus verschiedenen europäischen
Ländern berichten von Sabotage- und Blockadeaktionen
gegen Kriegsgerät. Diffus gab es dieses Bild:
Woanders in Europa sind antimilitaristische
Bewegungen breiter und weniger gespalten.

Woanders passiert mehr an entschlossenem,
effektiv-eingreifendem Handeln als in der BRD
wenn wir nicht bis in die 80er Jahre zurückgehen
wollen, als in Zeiten der Blockkonfrontation nach
dem sogenannten NATO-Nachrüstungsbeschluß
hunderttausende Friedensbewegte wie auch
militante Antikriegsgegner eine Vielzahl von
Aktivitäten entwickelten. Es gab einige
Informationen z.B. über AktivistInnen, die in
Shannon, Irland, immer wieder mit Hämmern
Militärflugzeuge unbrauchbar machten und die
damit erreichten, dass sich drei von vier Firmen aus
dem Transport von Militärgütern für den Irakkrieg
zurückzogen. Und noch dazu wurden einige der
dabei Festgenommenen am Ende freigesprochen,
weil ihre Aktion darauf abzielte, die Bedrohung von
Menschenleben im Irak abzuwenden. Obwohl wir
nun tatsächlich mit einem dieser Shannon-
AktivistInnen am 23. Febr. diskutieren werden, war
der Vorbereitungsprozess überhaupt nicht glatt und
die ursprüngliche Idee war, Aktionen mit “offenem
Gesicht” wie auch “verdeckte” Aktionen gleichzeitig
zu diskutieren und in dieser Diskussion auch den
Boden zu bereiten für eine breitere Akzeptanz von
militanten Aktionen. Das Verbindende ist der Wille
zum Eingreifen in die Kriegsmaschinerie und die
Zerstörung von Kriegsmaterial – praktische Abrüstung.
Wir sehen beide Aktionsformen als wichtige
Bestandteile der Mobilisierung gegen den Krieg
nach innen und außen.

Alles stand in Frage, weil es nach monatelanger
Suche unmöglich schien, zu passenden ReferentInnen
den entsprechenden Kontakt aufzubauen. Nicht
all zu verwunderlich, wo uns doch bewusst war,
dass die Mobilisierung gegen Krieg schon lange in
der autonomen, linksradikalen Szene kein viel diskutiertes
Thema war. Also gibt es für uns auch keine
bestehenden Kontakte, auf die aufgebaut werden
könnte. Zur Friedensbewegung gibt es bei
vielen eine skeptische Distanz, nicht so sehr weil
die BasisaktivistInnen pazifistisch sein mögen, sondern
weil globale Kriegspolitik und die Beteiligung
der BRD daran nur systemimmanent thematisiert
werden und die Lagerung von Atomwaffen, USKriegseinsätze,
hier stationiertes “fremdes” Militär,
die lokale Belästigung durch Fluglärm und Umweltbelastungen
zum zentralen Problem gemacht werden.

Und nicht zuletzt, weil es ausreichend Erfahrungen
gibt mit der Kanalisierung von Protesten u.a.
durch die (geduldeten) Bewegungseliten in europäisch-
patriotische, staatlich geduldete Positionen und
Aktionsformen, die auf Appell an die Mächtigen
setzen, und die darüber hinaus in Kooperation mit
der Polizei “Störer” und “Gewalttäter” abspalten,
ausgrenzen und damit der Repression ausliefern.
Idealerweise hätten wir gerne persönliche Erfahrungsberichte
gehabt von “klassischen” Hit-and-
Run-Aktionen, die aus linksradikalem Hintergrund
entwickelt wurden.

Mit den schließlich entstandenen Kontakten veränderten
sich auch die Fragen, die wir mit den eingeladenen
AktivistInnen und euch thematisieren wollen.
Die Gegenüberstellung der militanten, radikalen
Linken einerseits und der (pazifistischen, bürgerlichen)
Friedensbewegung andererseits stellte sich
zumindest für andere europäische Länder als zu
vereinfachend heraus. Zu Beginn des Irakkriegs
wurden in Italien und Belgien Militärtransportzüge
gestoppt, in den Niederlanden, England, Irland,
Dänemark, Schweden… gab es Sabotageaktionen
mit erheblichem Sachschaden (z.B. 2,5 Mio. Dollar
allein bei einer der Shannon-Aktionen 2003). Dahinter
stehen u.a. christlich motivierte Gruppen wie die
“Catholic Worker” in Irland, andere “gewaltfreie”
Gruppen unter dem Motto “Schwerter zu Pflugscharen”/
“Swords to Ploughshares”, die z.T. als “War
Resisters International” organisiert sind. Sie haben
ihre Wurzeln in der Friedensbewegung und doch
machen sie mit ihrem Handeln eine nicht unumstrittene
Konfrontationsebene auf, die eine Gleichsetzung
aller als “die Friedensbewegung” (vs. militante
AntikriegsgegnerInnen) verbietet.

Es bleiben die Fragen danach, wie sie ihre Aktionen
begründen und wie sie eingebunden sind in breitere
Antikriegsbewegungen. Die meisten dieser Sabotageaktionen
wurden “offenen Gesichts” durchgeführt,
d.h. die AktivistInnen haben so lange weitergemacht
– einige haben auch nach getaner Arbeit in Ruhe
sitzend abgewartet – bis sie festgenommen wurden.
Sie haben zu den Aktionen gestanden, ihr Handeln
persönlich und politisch offen vertreten und Haftzeiten
und/oder hohe Geld- und Bewährungsstrafen
eingeplant. Hat dieses Vorgehen eine Anerkennung
in breiteren Kreisen der Antikriegsbewegung erleichtert?

Tatsächlich fragten wir uns, warum immer wieder
mal vereinzelt stattgefundene militante antimilitaristische
Aktionen selbst in der autonomen, radikalen
Linken nicht mehr Diskussionen in Gang gesetzt
haben wie z.B. bereits Anfang der 90er die Aktion
mit einem Brandsatz gegen das Gebäude des Verteidigungskommandos
852 der Bundeswehr durch
die Gruppe K.O.M.I.T.E.E. (1994) oder die wiederholten
Aktionen in Wetzlar (2003/04) gegen das
Kreiswehrersatzamt (siehe Text) – obwohl doch die
BRD seit 1990 eine zügige Entwicklung hin zur
international agierenden Kriegsmacht nimmt.
1999 beteiligte sich die Bundeswehr bereits am
Angriffskrieg in Jugoslawien, heute ist sie in zehn
Regionen weltweit im Einsatz, aktuell wird die direkte
Kampfbeteiligung in Afghanistan forciert, die
Umstrukturierung auch für den Einsatz im Innern ist
voll im Gang – uns allen bereits begegnet als Tornadoflieger
über dem Camp und als Spähpanzer
auf der Autobahn bei Heiligendamm letztes Jahr
oder aktuell bei der Demo gegen die NATOSicherheitskonferenz
in München.

Zum Verständnis dieser Entwicklungen in der BRD,
in der EU und global bieten wir hier durch einige
abgedruckte Texte etwas erstes Basismaterial zur
eigenen Positionsbestimmung für antimilitaristisches
Handeln an. Jürgen Wagner analysiert unter dem
Stichwort des Neokolonialismus wie die militärische
Umstrukturierung zu zivil-militärischen Strategien
voran schreitet. In Fortführung kolonialer Praktiken
werden Entwicklungsvorgaben im Interesse westlicher
Macht- und Kapitalinteressen global erzwungen
- unter Vereinnahmung der Begriffe Demokratie
und Menschenrechte und zunehmend mit militärischen
Mitteln. Die Entwicklung der EU-Außenpolitik
und die Rolle der BRD darin seit 1945 wird von
Markus Euskirchen nachgezeichnet. Sein Text ist
eine gut verständliche Darstellung der Ziele, des
Vorgehens und der Argumentationsweisen von
Kriegsführungen. Weitere (kurze) Texte werfen ein
Licht auf die Rolle der Bertelsmannstiftung für die
Militärpolitik und auf den Einsatz der Bundeswehr
im Innern.

Uns scheint, es fehlt schon an der Diskussion aktueller
Entwicklungen von Krieg nach außen und
Krieg nach innen – eigentlich alte Themen linksradikaler
Politik (nicht nur 68er, 70er, 80er). Mehr als
die Analyse fehlt jedoch das praktische Handeln.
Woran liegt das? Wir denken, Krieg nach innen und
außen muss eine zentrale Frage linksradikaler Diskussion
und Praxis sein.
Angesichts der in neokolonialer Manier und immer
selbstverständlicher auch militärisch global durchgesetzten
neoliberalen Wirtschaftsbedingungen für
kapitalistisches Profitstreben, ohne Rücksicht auf
zunehmende, verheerende Verarmung, Umweltbelastungen,
Zerstörung von Lebensbedingungen,
Vertreibung und die direkte Tötung von Menschen,
angesichts dieser brutalen, menschenverachtenden,
auf rassistischen und sexistischen Hierarchien basierenden
Ent- wicklung globaler Kriegspolitik unter
direkter Beteiligung der Bundeswehr braucht es ein
deutliches “Nein”, das mehr als nur eine verbale
Äußerung bleibt. Angesichts derzeitig herrschender
Kriegsverhältnisse fehlt es an jeder Form von Antikriegsbewegung
– linksradikal bis bürgerlich. Verschiedenste
Weisen des Sich-Dagegen-Stellens
sollten alle denkbare Unterstützung und Legitimation
erhalten. Die Verhältnisse sind zerstörerisch und
untragbar. Und Widerstand gegen Krieg braucht
Vielfalt und sichtbare Zeichen des Blockierens ungehinderter
Abläufe. Deshalb: Das Problem ist,
dass es zu wenig Brandanschläge auf Bundeswehrfahrzeuge
gibt, oder?

Wir diskutieren mit euch am 23. Februar und mit:

  • Einer Aktivistin aus den Niederlanden, die
    eine militärische Satellitenanlage zerstört
    hat.
  • Einem Ploughshares-Aktivisten aus Irland,
    derzeit in Polen, der in Shannon u.a. ein
    F16-Militärflugzeug unbrauchbar gemacht
    hat.
  • Einem belgischen Trainstopping-Aktivisten,
    der einen Militärtransport aus Deutschland
    auf dem Weg zur Verschiffung von Antwerpen
    in den Irak in Belgien gestoppt hat.
  • Einer Antikriegsaktivistin, die an der versuchten
    Blockade des Autobahnkreuzes
    am Frankfurter Flughafen 2003 beteiligt
    war.

Hier in der Broschüre findet ihr erste Hintergrundinformationen
zu den Aktionen, die von den GenossInnen
im Antikriegswiderstand durchgeführt wurden:
Konzepte, Durchführung, Prozessführung,
Öffentlichkeitsarbeit. Einige weitere, uns für die
Diskussion interessant erscheinende, Antikriegsinitiativen
seit den 1990ern werden hier aufgeführt.
Zum einen als kurze ausgewählte Tickermeldungen,
zum anderen mit dokumentierenden Texten. Von
den Aktionen in Wetzlar der Gruppen „feministischantimilitaristische
Zelle“ sowie „autonome wichtel für
freies leben“ berichten wir mangels Textmaterial zur
Erstgenannten hier nur über die zweite Aktion. Des
weiteren stellen wir zwei Aktionen aus dem letzten
Jahr vor (gegen MAN in der Schweiz sowie gegen
Fahrzeuge der Hochschule der Bundeswehr in HH),
die sich ausdrücklich auf das Verfahren gegen die
kriminalisierten Antimilitaristen beziehen. Die Texte
dieser Broschüre sind zur Vorbereitung der Veranstaltung
gedacht, sollen aber auch unabhängig bzw.
darüber hinaus Basis-Input für linksradikale und
andere Antikriegspolitik-Interessierte sein für Wissen,
Debatte und Aktion.

Februar 2008,

Euer Vorbereitungskreis für den 23. Februar

Download Broschüre zur Veranstaltung: http://einstellung.so36.net/files/antimilitaristische_broschuere.pdf

Source: einstellung.so36.net