Fragen aus der Kongressvorbereitung
A. „Was verbindet uns und auf welcher theoretischen sowie praktischen Basis arbeiten wir in unseren Kleingruppen, in unseren Städten, bundesweit oder international zusammen? Gibt es eine gemeinsame autonome Bestimmung?“
B. „Brauchen wir eine Organisierung und wenn ja, welche Form von Organisierung muss das sein, um eine revolutionäre Kraft darzustellen? Was müssen und können wir an unseren gemeinsamen Strukturen ändern, um politisches Gewicht zu erlangen?“
Wenig von dem, was wir erzählen, ist neu. Das meiste wurde schon mal geschrieben, zum Teil vor langer Zeit. Dies sei nicht nur gesagt, um uns autonomwissenschaftlich abzusichern, sondern vor allem, weil es darauf verweist, dass es einige Probleme schon sehr lange gibt.
Unsere Idee ist es nicht, genervt von den alten Problemen, uns mit verschränkten Armen in den Ohrensessel zurückzulehnen und auf bessere Zeiten zu warten. Wir halten unsere derzeitigen Organisierungsformen zwar für die beste zurzeit machbare – sonst wären wir schon längst nicht mehr dabei – glauben aber fest daran, dass wir einiges, mit einiger Anstrengung, verändern können. Das fängt eben mit einer selbstkritischen Sicht auf die Dinge an. Gegenseitiges aufmunterndes Schulterklopfen brauchen wir wieder an anderer Stelle.
Wir schreiben diesen Text aus unserem Berliner Blickwinkel und sind gespannt auf Perspektiven und Beispiele aus anderen Städten und Regionen.
Versuch einer kurzen Bestandsaufnahme
– unverbindlich, unzuverlässig, große Fluktuation
– wenige Gruppen und Strukturen, nur punktuelle Zusammenarbeit
– keine kontinuierliche, lang anhaltende politische Arbeit und Zusammenarbeit an gemeinsamen Zielen
– kurzatmige Kampagnenpolitik, die nur reagiert
– große Anonymität und Abschottung
– schlechte Vermittlung von Zielen und Inhalten
– starke Abgrenzung
1. Fluktuation, Vereinzelung, Unverbindlichkeit
Autonome Organisierung setzt darauf, dass jedes Individuum auf Grundlage der eigenen Erfahrungen mit dem ihm eigenen Mitteln für seine Befreiung kämpft, sich dazu in kollektiven Zusammenhängen (selbst-)organisiert und sich diese über praktische Initiativen und Kämpfe zusammenfinden. Aber anscheinend klappt das nicht, oder? Warum stehen wir sonst immer wieder vor dem gleichen Problem? Die autonomen Linke ist durch eine große Fluktuation und Vereinzelung geprägt. Neben wenigen, die sich in festen Strukturen organisieren, gibt es viele Unorganisierte. In der politischen (Zusammen-)Arbeit führt dies häufig zu fehlender Verbindlichkeit und Verlässlichkeit.
Gezeigt hat sich dies in den letzten Jahren u.a. in der DISSENT!-Vorbereitung des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm. Das offene Konzept, das sowohl Gruppen, regionale Vorbereitungskreise und interessierte Einzelpersonen zur Beteiligung einlud, führte zu ständig wechselnden Zusammensetzungen. Viele kamen zu den bundesweiten Treffen, um sich zu informieren, und nicht, um sich gemeinsam zu organisieren; nur einige wenige Gruppen und Einzelpersonen arbeiteten kontinuierlich und verbindlich zusammen. Getragen wurde die Vorbereitung schließlich hauptsächlich von den zuletzt relativ autark arbeitenden Arbeitsgruppen, die sich (auch) unabhängig von den bundesweiten Treffen organisierten.
Warum gibt es nicht mehr autonome Gruppen und Strukturen? Welche Möglichkeiten gibt es, die Vereinzelung und Unverbindlichkeit aufzuheben? Führt jeder Versuch, eine stärkere Verbindlichkeit und Organisierung zu schaffen, zwangsläufig weg vom Prinzip der autonomen Selbstorganisierung hin zur Kaderorganisation?
These 1:
Das autonome Prinzip „Organisiere dich selbst“ ist überholt. Die Leute treffen sich nicht (mehr) einfach so und organisieren sich. Wir müssen so wie Block G8 anfangen, den Leuten Angebote zu machen, sich zu organisieren – nur radikaler eben. Wir sollten z.B. diskutieren, wie eine solche Organisierung zum 1.Mai aussehen könnte.
2. Kontinuität, Zusammenarbeit, autonomes „Agendasetting“
Autonome Politik ist häufig von kurzatmiger Kampagnenpolitik geprägt, die auf bestimmte Ereignisse abzielt, anstatt langfristige Perspektiven aufzumachen. Generell fehlt eine kontinuierliche und langanhaltende politische Arbeit und Zusammenarbeit.
Es lassen sich zwar durchaus einige gemeinsame Widerstandslinien in den letzten Jahren festmachen, z.B. in den Bereichen Antira, Antifa, Antiatom oder (neuerdings) auch Antimilitarismus, und in diesen gibt es auch kontinuierlich arbeitende Gruppen und Vernetzungen. Es gibt Gruppen, die sich auf ein Thema spezialisiert haben und solche, die durch eine AG-Struktur versuchen eine kontinuierliche, thematische Arbeit sicherzustellen. In den einzelnen Teilbereichen gibt es natürlich auch Bestrebungen sich in gemeinsamen Kampagnen zu vernetzen. Und es gibt sogar Versuche jenseits vom „Anti“ Themen positiv neu zu besetzen, wie z.B. im Bereich Transgender. Und dennoch, im größeren Rahmen gesehen, lässt sich kein roter Faden erkennen. Letztlich drehen sich die einzelnen Gruppen mit all ihren Spezialthemen doch immer wieder im Kreis.
Auch die Zusammenarbeit der wenigen politischen Gruppen und Strukturen funktioniert nur punktuell und fast marktförmig: Irgendjemand denkt sich ein Projekt aus, wirft es auf den Markt und hofft, dass andere Bock haben, mitzumachen. Die besseren Unternehmen Gruppen haben vorher etwas Marktforschung betrieben, indem sie Scouts losgeschickt haben, die schon bei anderen Gruppen vorgefühlt haben. In der Ausgestaltung der Aktionen (oder Kampagnen etc.) werden dann Aktionsangebote für verschiedene Zielgruppen gemacht, damit auch möglichst viele zur eigenen Aktion kommen.
Was wollen wir eigentlich gemeinsam erreichen? Und auf welcher Grundlage wollen wir zusammen darauf hinarbeiten? Was verbindet uns als Autonome? Vielleicht ist es ja auch nur die Militanzklammer, die Anziehungskraft von Klandestinität und Verbotenem, die uns zusammenhält. Oder die Subkultur als eine andere Klammer? Beides scheint häufig stärker zu wirken, als das gemeinsame Ziel: der Umsturz der bestehenden Verhältnisse und die Revolution.
Zwischenthese: Militanz und Randale waren schon immer die Gründe, warum sich Leute zu den Autonomen hingezogen gefühlt haben. Um als Autonome mehr und wahrnehmbarer zu werden, brauchen wir mehr militante Aktionen, mehr Randalegelegenheiten – der Rest kommt dann schon von selber.
Spannend ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, was uns von Strukturen wie z.B. der Interventionistischen Linken (IL) trennt? Warum machen wir da nicht mit? Ist es weil sie sich vom (nicht funktionierenden) autonomen Prinzip der Selbstorganisierung abgewandt haben? Weil sie versuchen in die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft hineinzuwirken und sich dabei nicht vor Bündnissen mit Gewerkschaften und Parteien scheuen – während wir uns mit Leuten am Rande der Gesellschaft, mit marginalisierten und wütenden Menschen, die den Umsturz wollen, auf der Straße verbünden und organisieren wollen? Manchmal spielt bei uns vielleicht auch ein Misstrauen gegen sie – die „Anderen“ mit: Wollen die wirklich die Revolution?
- Aber müssen wir uns da nicht erst mal fragen: Wollen wir wirklich die Revolution?
Was haben wir, was die nicht haben? Was finden wir charmant und bedeutend an autonomer Politik?
Das gemeinsame Leben radikaler Inhalte – die lebenspraktische Organisierung, mit Freiraumkämpfen in jedem Sinn ist für uns ein wichtiger Pfeiler autonomer Politik. Dies bedeutet für uns Alltag und Politik nicht von einander zu trennen und keine Feierabendpolitik zu betreiben. Mehrere von uns versuchen, der gesellschaftlichen Vereinzelung ein gemeinsames Leben und teils auch Arbeiten entgegenzusetzen. Trotzdem klappt dies nicht oft genug, und auch hier gälte es, einen Ausweg aus der Vereinzelung zu finden.
Wenn wir uns unseren Alltag auf dieser Folie anschauen, kommen wir nicht umhin einzugestehen: Auch bei Menschen, die sich als autonom verstehen, sieht das Leben nicht so aus, wie es sollte. Also doch nicht anders als IL & co.? Der Unterschied besteht wohl darin, etwas anderes trotzdem zu wollen und trotz aller Schwierigkeiten anzustreben oder anders gesagt: wir haben wenigstens schlechte Laune dabei ϑ. Darum sollten wir als Autonome uns gemeinsam mehr über unsere Ziele auseinandersetzen, über deren Lebbarkeit und Möglichkeiten, auf ihrer Grundlage zu agieren. Weil wir das zu sehr vernachlässigen, ist auch schon viel Grundlagenkonsens und Wissen verloren gegangen…
These 2:
Für eine kontinuierliche und langanhaltende politische Zusammenarbeit brauchen wir ein gemeinsames Selbstverständnis aus dem wir unsere Strategien entwickeln. Und wir müssen uns selbst und unsere Ziele ernster nehmen – da reicht es nicht 2 Stunden am Donnerstag Abend für die Revo einzuplanen!
3. Abschottung, Anonymität, Abwesenheit
Geprägt durch die Angst vor Spitzeln und staatlicher Repression gibt es in der autonomen Szene eine starke Abschottung. Es gibt nur wenige offene Gruppen und Strukturen, in die Interessierte einfach einsteigen können (zwei der wenigen Gegenbeispiele sind das AnitAtomPlenum oder das Anti-Kriegs-Café in Berlin). Mensch muss schon einige Kontakte und Erfahrungen vorweisen können, um in den „konspirativen“, vertrauenswürdigen Kreis der Familie aufgenommen zu werden.
Ist man erstmal aufgenommen in den Club, ist es dann sehr herzlich – aber das ganze hat doch was sehr Elitäres, was wir doch eigentlich ablehnen. Und nicht zuletzt werden Abschottung und konspiratives Verhalten häufig als Kult abgefeiert anstatt sie als zwingendes Übel zu begreifen und Auswege zu suchen.
Andererseits finden wir in der Aktion (aber nicht nur da) gerade das Spiel zwischen „legal“ und „illegal“ wichtig, um selbstbestimmt handeln zu können. Hierfür halten wir die beliebte autonome Kleingruppe ohne organisierten Großzusammenhang weiterhin für die praktikabelste Lösung.
Positive Ansätze um mehr Offenheit und Erreichbarkeit zu schaffen waren z.B. die Grenzcamps oder aktuell die Autonome VV in Berlin, wenn diese natürlich auch ihre Schwächen hat. Aber nicht alle Gruppen und Strukturen einer Bewegung müssen alles können, oder? Wichtig ist doch, dass eine Bewegung insgesamt einerseits ansprechbar und erreichbar und anderseits handlungsfähig ist. Nicht jede einzelne Gruppe muss beides können.
Diese Abschottung und Wahrung einer vermeintlichen Anonymität wirkt sich auf unsere Kommunikation untereinander sowie in die Gesellschaft hinein aus. So lähmt die Angst vor staatlicher Repression einerseits gemeinsame Diskussionen, wenn z.B. auf einer Vollversammlung über das Vorgehen bei einer Demo diskutiert wird: Nur wenige stehen dort auf und vertreten öffentlich ein militantes Vorgehen.
Neben der Ansprechbarkeit für eigene Leute fehlt eine Vermittlung von autonomen Inhalten und Zielen an die Presse und Öffentlichkeit. Das mediale und gesellschaftliche Bild der Autonomen wird vom „schwarzen Block“ bestimmt, was wir erreichen wollen, wird nicht vermittelt.
Aus diesen Problemen heraus haben Gruppen wie Avanti, ALB und FelS ihre Gruppen als Gegenkonzepte entwickelt. Mit z.B. leichteren Einstiegsmöglichkeiten in eine „legale“ Gruppe, mit PressesprecherInnen etc. versuchen sie offener und ansprechbarer zu sein.
Ein gutes Beispiel für das Scheitern beider Konzepte bietet die Pressearbeit zu den Auseinandersetzungen am 2. Juni 2007 in Rostock. Da war auf der einen Seite ein Pressesprecher der viel Unsinn gesagt hat, auf der anderen Seite leider gar niemand… Autonome Positionen, die sagten: „Ja, das war richtig dieses Zeichen zu setzen. Wir haben an diesem Tag ein bisschen an der herrschenden Ordnung gerüttelt und tun es gern wieder!“, haben danach in der Presse gefehlt.
These3:
Wir müssen aus der Anonymität rauskommen, für andere ansprechbar sein und unsere Ziele und Inhalte vermitteln.
Oder brauchen wir nicht eigentlich eher mehr gut organisierte und abgeschottete Aktionsgruppen, die z.B. auf der Straße was reißen?!
4. Abgrenzungen
Autonome grenzen sich gerne ab: gegen Parteien, gegen Gewerkschaften, gegen Reformisten, gegen Postautonome, gegen Hippies… Dabei spielen bei der Abgrenzung häufig inhaltliche Fragen eine untergeordnete Rolle, im Vordergrund stehen oft Vorbehalte, nicht selten auch persönlicher Art. Bündnisse werden häufig abgelehnt oder als zwingende Last angesehen, anstatt in Diskussionen nach inhaltlichen Gemeinsamkeiten und Zielen zu suchen. Spätestens bei der „Gewaltfrage“ ist eine Zusammenarbeit dann häufig zum Scheitern verurteilt. Nur selten ist es möglich sich hierbei auf eine gegenseitige Toleranz von Aktionsformen zu verständigen.
Es gibt nur wenige Gegenbeispiele in denen dies versucht oder gar erreicht wurde. Als Paradebeispiel gilt seit Jahren der Widerstand im Wendland. Beim Bombodrom gab es ähnliche Versuche, an denen sich jedoch nur wenige beteiligten. Auch einigen guten Kampagnen (z.B. gegen Gentrification) gelingt es, an sozialdemokratisch-liberale Positionen anzudocken. Dagegen sind wir mit unseren radikaleren inhaltlichen Positionen wie z.B. Antikapitalismus oder Antistaatlichkeit im gesellschaftlichen Diskurs völlig irrelevant. Sicher auch, weil es (siehe These 2) ein gemeinsam formuliertes Projekt nicht mehr gibt.
Selten nutzen wir Bündnisprozesse um andere von unseren Inhalten und Aktionsformen zu überzeugen. Warum, wenn wir doch überzeugt sind, dass wir die richtigen Argumente haben?
These 4:
Wir sollten selbstbewusster autonome Inhalte und Ziele in Bündnissen vertreten und offener in Bündnisprozesse einsteigen.
Oder: Natürlich brauchen wir Bündnisse. Zum Beispiel die IL ist eine prima Bündnispartnerin. Die sollen für uns mit Gewerkschaften, NGOs usw. kungeln, die haben da wenigstens Lust drauf.
Anonyme Autonome Berlin
(ansprechbar)