Das § 129a-Verfahren gegen „AK Origami“
von Daniel Wölky
Gerade politische Strafverfahren folgen einer strengen Choreografie, die bewirkt, dass Schutzrechte Beschuldigter missachtet werden.
Kurz vor und nach dem G8-Gipfel von Heiligendamm im Sommer 2007 wurden gleich drei Verfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a des Strafgesetzbuchs (StGB) bekannt. Über jene gegen angebliche Mitglieder der „militanten Gruppe“ (mg) und gegen die „militante Kampagne zur Verhinderung des G8-Gipfels“ hat Bürgerrechte & Polizei/CILIP bereits berichtet.1 Zu dem Trio gehört schließlich noch das Verfahren gegen eine angebliche Vereinigung, die sich u.a. „AK Origami“ genannt haben soll.
Das Drehbuch hierfür lieferte die Bundesanwaltschaft (BA) im Jahre 2006, indem sie unter dem Aktenzeichen – 2 BJs 44/06 – ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129a StGB einleitete. Durch eine Analyse von Bekennerschreiben habe sich ergeben, dass eine Gruppe unter wechselnden Bezeichnungen in den Jahren 2002, 2004 und 2006 insgesamt vier Brandanschläge begangen habe. Alle Taten hätten eine antimilitaristische Zielrichtung gehabt: Am 22. Februar 2002 sei versucht worden, einen Bus der Bundeswehr in Glinde (Schleswig-Holstein) in Brand zu setzen. Das in der linken Zeitschrift „Interim“ allerdings ohne Bezeichnung der Gruppe – abgedruckte Bekennerschreiben habe sich gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr gerichtet. In der Nacht vom 19. auf den 20. März 2004 seien gleich zwei Brandanschläge verübt worden. Zum einen sei in Bad Oldesloe ein Gebäude der Firma Hako angezündet worden. Zum andern hätten in derselben Nacht zwei Fahrzeuge der Bundeswehr auf dem Gelände der Firma Endres in Berlin gebrannt. Das Unternehmen gehöre wirtschaftlich zu Hako. Ein „AK Origami (Rüstungsprojekte zusammenfalten)“ habe sich in Schreiben an verschiedene Tageszeitungen zu den Brandanschlägen bekannt und insbesondere die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung kritisiert. Die Firma Hako, so habe es in den Bekennerbriefen geheißen, sei wegen ihrer Beteiligung an Rüstungsprojekten als Anschlagsziel ausgewählt worden.
Am 27. März 2006 schließlich seien Fahrzeuge auf dem Gelände der Firma Thormählen Schweißtechnik in Bad Oldesloe abgebrannt worden. Auch in diesem Fall vermerkt die Bundesanwaltschaft den Eingang eines Bekennerbriefs bei mehreren Zeitungen. Die „Internationalistischen Zellen“, die als Absender firmierten, hätten die Rolle der Bundeswehr in Afrika thematisiert und erklärt, die Firma Thormälen wegen ihrer Tätigkeit im Südsudan ausgesucht zu haben. Sie hätten ihre Tat überdies mit der Kampagne gegen den damals bevorstehenden G8-Gipfel in Zusammenhang gebracht und die Hoffnung geäußert, „dass weitere Gruppen aus dem antimilitaristischen und antirassistischen Spektrum sich anschließen werden“.
Den Ausschlag für die Zusammenfassung dieser vier Straftaten unter ein einziges Ermittlungsverfahren gab der bereits erwähnte Vergleich der Bekennerschreiben durch das Bundesinnenministerium. Diese Untersuchung, so behauptete die BA, habe signifikante Übereinstimmungen in Aufbau, Stil und Inhalt und damit eine eindeutige Verbindung zwischen den Brandanschlägen ergeben.
Tatsächlich konnte von einer solchen Eindutigkeit nicht die Rede sein. Was den Aufbau betrifft, zeigte der Vergleich nur Übereinstimmungen bei den Schreiben von 2006 und 2002, aber nicht bei dem von 2004. Eine Stilanalyse wurde nicht vorgenommen. In textlicher Hinsicht wiederum wiesen nur die Briefe von 2006 und 2004 Wortübereinstimmungen auf, nämlich: „Krieg gegen den Terror“; „strategische und ökonomische Interessen“; „Startlöcher/Siemens“; „Hunger, Elend und Tod“.
Eine standardisierte wissenschaftliche und damit nachprüfbare Methodik zur Autorenerkennung durch einen Textvergleich existiert nicht. Die erhobenen Befunde werden lediglich interpretiert. Damit entzieht sich eine solche „Analyse“ jeder Nachprüfbarkeit. Sie bietet allenfalls eine Ermittlungshypothese – aber keine gesicherte Erkenntnis. Gleichsam verschafft sie durch den enormen Interpretationsspielraum massive Missbrauchsmöglichkeiten.2 Auffällig ist, dass sowohl in diesem als auch in den beiden anderen anfangs genannten Ermittlungsverfahren nach § 129a StGB ein Textvergleichsgutachten herangezogen wurde, um einen Anfangsverdacht zu schaffen bzw. – wie hier – überhaupt eine Gruppierung im Sinne des § 129a StGB zu konstruieren.
Casting
Um den Brandanschlag aus dem Jahre 2006 aufzuklären, hatte das Landeskriminalamt (LKA) Schleswig-Holstein eigens eine Ermittlungsgruppe „Sudan“ ins Leben gerufen, die bei der Suche nach den Tätern unter anderem zum Mittel der so genannten Funkzellenabfrage (gemäß §§ 100g, 100h Abs. 1 S. 2 a.F. StPO) griff. Dabei handelt es sich um eine Auswertung der bei der Kommunikation per Handy anfallenden Verkehrsdaten. Die Ermittlungsbehörden erfahren dadurch die Kennungen der Geräte, mit denen während einer Zeitspanne in einer bestimmten Funkzelle telefoniert wurde, und damit letztlich auch die Identität der betreffenden Personen. Eine Mobilfunkzelle ist in Form einer Wabe angelegt, in deren Mitte sich der Sende- und Empfangsmast (Basisstation) befindet. Abhängig von den örtlichen Gegebenheiten und dem Bevölkerungsaufkommen variiert die Größe einer Funkzelle. In Großstädten finden sich viele kleinere (Umkreis von 30m), in ländlichen Gebieten dagegen weniger und größere.3
Die Methode der Funkzellenabfrage beruht also auf zwei Vermutungen: nämlich, dass die noch unbekannten Täter sich in diesem Raum aufgehalten haben und im Zeitraum der Tat auch mittels Handy kommunizierten.4 Im vorliegenden Fall erbrachte die Auswertung unter anderem Telefonate zweier Personen aus Bad Oldesloe, die der linken Szene zugerechnet wurden. Allerdings wohnten die beiden im Bereich der betreffenden Funkzelle und waren zudem miteinander liiert, weshalb die Telefonate nicht gerade ungewöhnlich waren. Dennoch nahmen die Ermittler einen Anfangsverdacht an.
Es folgte die Telefonüberwachung der beiden Beschuldigten. Dadurch stießen die Ermittler auf Freunde, Mitbewohner und Bekannte, die ebenfalls politisch aktiv waren, was wiederum ausreichte, um Ermittlungsverfahren gegen weitere sieben Personen aus Schleswig-Holstein und Hamburg einzuleiten. Auch deren Telefone wurden nun abgehört. Zudem wurde die gesamte Bandbreite heimlicher Ermittlungsmethoden ins Feld geführt: Erstellung von Bewegungsdaten über „Stealth-Ping“ (verdeckte SMS), Observationen, Wohnraum-Innenüberwachung, Fahrzeug-Innenüberwachung, Anbringen von Peilsendern an Pkws etc.
Im Rahmen der Telefonüberwachung der Beschuldigten wurden auch zahlreiche Gespräche mit Verteidigern mitgehört, aufgezeichnet, ausgewertet und protokolliert. Dieses, obwohl nach einhelliger Auffassung der Rechtsprechung die Kommunikation des Beschuldigten mit seinem Verteidiger frei von jeder Überwachung sein muss, weshalb der Telefonanschluss des Verteidigers nicht abgehört werden darf.5 Die Überwachung muss zudem unterbrochen werden, wenn feststeht, dass der Verteidiger Gesprächspartner ist.6 Kann ein Abbruch aus technischen Gründen nicht erfolgen, muss eine inhaltliche Auswertung unterbleiben.7 Abgehört wurden darüber hinaus auch zahlreiche Telefongespräche mit diversen Journalisten. Nachdem ein unter einem PKW angebrachter Peilsender zufällig gefunden worden war,8 erklärte das LKA auf Anfrage: „Davon, dass durch Angehörige der Landespolizei Schleswig-Holstein unter dem Fahrzeug Ihres Mandanten ein ‚Peilgerät‘ angebracht worden sein soll, konnte nichts in Erfahrung gebracht werden.“ Gleichwohl strengte das Amt eine Klage auf Herausgabe des Peilsenders an. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Bad Oldesloe vermochte es jedoch nicht sein Eigentum an dem Gerät zu beweisen, weswegen die Klage abgewiesen wurde.9 Nach wie vor ist nicht geklärt, welche Behörde den Peilsender aufgrund welcher Rechtsgrundlage angebracht hat.
Aus dem späteren Durchsuchungsbeschluss ist ersichtlich, anhand welcher Argumentation die Berliner X. und Y. als weitere Beschuldigte ausgemacht wurde:
„X stammt gleichfalls aus Bad Oldesloe. Er lebt seit 2001 in Berlin … Angesichts der Tatsache, dass die Anschläge unter der Gruppenbezeichnung AK Origami in Berlin und Bad Oldesloe gleichzeitig mit der gleichen Zielrichtung begangen wurden, muss davon ausgegangen werden, dass X an der Brandstiftung in Berlin beteiligt war.“
„Der Beschuldigte Y ist der engste Vertraute des Beschuldigten X. Y unterhält darüber hinaus auch Kontakte zu den weiteren Beschuldigten und hält sich zeitweilig in Bad Oldesloe auf. So besuchte er 2005 eine Weihnachtsfeier im … oder nahm an Demonstrationen in Hamburg teil … Neben der Antifa-Arbeit tritt Y auch aktiv als Globalisierungs- und Militarismusgegner in Erscheinung. Seine politischen Aktivitäten entsprechen uneingeschränkt dem Betätigungsfeld der vorliegenden terroristischen Vereinigung. Es ist daher davon auszugehen, dass Y neben dem Beschuldigten X als weiteres Mitglied der Vereinigung in Berlin agiert und zumindest an dem Brandanschlag vom 20. März zum Nachteil der Firma Endres in Berlin, die wirtschaftlich zur Firma Hako in Bad Oldesloe gehört, beteiligt gewesen ist.“10
Am Fall des zweiten Berliner Beschuldigten zeigt sich exemplarisch, dass die juristischen Voraussetzungen für einen Anfangsverdacht, der erst die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens erlaubt, nicht vorlagen. Anfangsverdacht bedeutet, dass konkrete tatsächliche Anhaltspunkte gegeben sind, die nach den kriminalistischen Erfahrungen die Beteiligung des Betroffenen an einer verfolgbaren Straftat als möglich erscheinen lassen.11 Tatsächliche Anhaltspunkte waren nicht ersichtlich. Es handelte sich lediglich um bloße Vermutungen oder vage Hinweise, was nach einhelliger Rechtsprechung nicht ausreicht.12 Auch in den anderen § 129a-Verfahren erfolgte die Einleitung der Ermittlungsverfahren in den meisten Fällen ohne Anfangsverdacht.
Nach langem Casting und geheimen Proben fand ähnlich wie in den beiden anderen Verfahren nach § 129a auch im Fall „Origami“ die öffentliche Premiere in Form von großen Durchsuchungsaktionen in der Zeit rund um den Heiligendammer G8-Gipfel statt. Kurz vor bzw. zu Beginn des Gipfels beantragte die BA den Erlass von entsprechenden Beschlüssen. Am 13. Juni 2007 wurden in Hamburg und Schleswig-Holstein zahlreiche Hausdurchsuchungen durchgeführt. Am 19. Juni 2007 folgten vier weitere Durchsuchungen gegen die Berliner Beschuldigten.
Schlussakt
In dem Verfahren um die „mg“ verschonte der Bundesgerichtshof (BGH) durch Beschluss vom 28. November 2007 die Beschuldigten von der Haft, da keine Straftat nach § 129a StGB vorliege. Die Taten seien nicht geeignet, die Grundstrukturen des Staates zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, was objektive Tatbestandsvoraussetzung sei.13 Der BGH betonte dabei, dass jeweils eine Einzelfallprüfung erfolgen müsse. Daher kann mitnichten von einer weitreichenden Entscheidung gesprochen oder gar Entwarnung gegeben werden. Das „objektive“ Merkmal ist stark interpretationsbedürftig und unterliegt damit seinerseits politischem Kalkül.
Anders als im „mg“-Verfahren gab die BA das „Origami“-Verfahren mit Verfügung vom 16. Januar 2008 an die Staatsanwaltschaft Flensburg ab, da erstens lediglich eine Strafbarkeit wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) und Brandstiftung (§ 306 Abs. 1 Nr. 4 StGB) vorliege und zweitens auch keine besondere Bedeutung bestehe (§ 74a Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 sowie 120 Abs. 2 Nr. 1 Gerichtsverfassungsgesetz). Die Staatsanwaltschaft Flensburg stellte das Verfahren am 14. Juli 2008 mangels hinreichenden Tatverdachts (§ 170 Abs. 2 StPO) ein.
Rezension
So unterschiedlich alle drei Verfahren nach § 129a StGB im Detail auch sind, so bestehen dennoch prägnante Gemeinsamkeiten: In allen Verfahren wurden Ergebnisse fragwürdiger Textanalysegutachten als gesicherte Erkenntnisse genutzt, um Verdachtsmomente zu gewinnen. Aus diesen Verdächtigungen wiederum wurde ein Anfangsverdacht hergeleitet, ohne dass tatsächlich die Voraussetzungen des § 152 Abs. 2 StPO vorlagen. Dieses führte zu umfangreichen verdeckten Überwachungsmaßnahmen, bevor – pünktlich vor, zum und nach dem G8-Gipfel – groß angelegte Durchsuchungsaktionen der Bevölkerung die „terroristische“ Bedrohung nahe brachten. Schließlich folgte die Verfahrenseinstellung.14
Es ist nicht etwa so, dass die Verfahren wegen der Einstellungsverfügungen für die Ermittlungsbehörden kein Erfolg gewesen wären. Im Gegenteil: Kurzfristig – und darauf kam es jedenfalls bei Betrachtung des zeitlichen Ablaufs vornehmlich an – erfüllten sie ihren Zweck. Sie stellten einen Zusammenhang zwischen „Terroristen“ und den Protesten gegen den G8-Gipfel her. Sie taugten dazu, Stimmung zu machen. Gleichermaßen wirkten die Verfahren in die Protestbewegung hinein und führten zu Verunsicherung. Langfristig bleibt der Erkenntnisgewinn durch die heimlichen Ermittlungsmaßnahmen.
Die Rechtsprechung verfährt bei so genannten Terrorismusverfahren meist nach dem Grundsatz: „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil“. Sie lässt beispielsweise bei Rechtsverletzungen durch Ermittlungsmaßnahmen regelmäßig ein Interesse an der Strafverfolgung überwiegen.15 Somit erstaunt es nicht, dass der Ermittlungsrichter am BGH – zumal unter dem Eindruck des beginnenden G8-Gipfels und des von den Medien prognostizierten gewalttätigen Verlaufs der Proteste – gegen die Beschuldigten Durchsuchungsbeschlüsse ohne einen „greifbaren Tatverdacht“16 erließ. Dadurch wird aber auch deutlich, dass selbst einfachste rechtsstaatliche Grundsätze ausgesprochen fragil sind.
Heimliche Ermittlungsmaßnahmen bedürfen dringend der Eingrenzung. Vorstellbar ist die Schaffung eines normierten Systems von „Schutzschilden“.17 Das beinhaltet zunächst die Abschaffung von Eilkompetenzen für Ermittlungsbehörden. Gleichsam müssen die Begründungsanforderungen von ermittlungsrichterlichen Beschlüssen heraufgesetzt werden, so dass eine nachvollziehbare inhaltliche Überprüfung der Entscheidung möglich wird. Als Voraussetzung der einzelnen Maßnahmen ist jeweils ein abschließender Katalog von Anlassstraftaten zu schaffen, um zur Zeit geltende „weiche“ Voraussetzungen, wie z.B. „schwerwiegende Straftat“, zu ersetzen und die immer ausufernde Auslegung einzudämmen. Weiterhin braucht es Verwendungsbeschränkungen für heimlich gewonnene Erkenntnisse, um Datenmissbrauch zu verhindern.