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11.04.2010

D.I.Y - Do Infotour Yourself

Kurze Geschichte der Infotouren gegen die G8-Gipfel seit 2005

Die Infotour-AG gegen den G8-Gipfel 2007 wurde innerhalb des linksradikalen “Dissent!”-Netzwerks gegründet und hat als eine der ersten Arbeitsgruppen kontinuierlich gearbeitet. Erste Planungen dazu begannen auf dem BUKO-Kongreß im Mai 2005, die ersten Touren begannen vor dem G8 2005 im schottischen Gleneagles, noch bevor sich die AG endgültig formiert hatte.
Inspiriert wurde die Infotour 2005 durch das Kollektiv T.R.A.P.E.S.E. (Taking Radical Action through Popular Education and Sustainable Everything!™), eine kleine Gruppe, die vor dem G8 2005 durch England und Schottland tourte. Ihr Ziel war die Politisierung mittels der Methode “Popular Education” von Paulo Freire (1) und der Hauptthematik Klimawandel.
Im Februar 2006 begann die eigentliche Infotour, organisiert durch AktivistInnen unterschiedlicher politischer Backgrounds. Ihre Touren führten nicht nur durch Deutschland, sondern auch in fast alle (mittel-)ost- und westeuropäische Länder, ins Baltikum, Israel sowie die Türkei, Nordamerika und Mexiko. Weil die eigentlich auf Heiligendamm gemünzten Veranstaltungen vor dem G8-Gipfel 2006 in St. Petersburg stattfanden, wurde den Gegenaktivitäten in Russland ein eigener Block gewidmet und so nach St. Petersburg mitmobilisiert – nicht zuletzt, weil russische AktivistInnen kritisierten, dass die frühe Mobilisierung in Deutschland den Gipfel zwischen Gleneagles und Heiligendamm übersehen würde. Das Netzwerk “Abolishing the borders from below” organisierte parallel eine eigene Infotour gegen den russischen G8.
Ingesamt wurde mittels Infotouren seit 2004 in vielen Ländern kontinuierlich gegen die G8-Gipfel mobilisiert. Diese Praxis wurde auch nach Heiligendamm zusammen mit japanischen Anti-G8-AktivistInnen in Europa, Nordamerika und Südostasien weitergeführt.

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Was wir wollten…

Eines der wichtigsten Ziele war die Bildung und Unterstützung lokaler Strukturen, also Anti-G8-Gruppen bzw. Regionalplena, und somit möglichst viele AktivistInnen frühzeitig in die Vorbereitung einzubinden. Wir sahen unsere Arbeit als politische Bildung und Öffentlichkeitsarbeit zur Verbreiterung der Proteste (jenseits der ebenfalls mobilisierenden rechten Strukturen) an allen Orten, wo Kritik an den G8 und Zuspruch zu den Protesten nachgefragt war. Die AG hatte den Anspruch, alle Mobilisierungsprozesse transparent zu machen ohne zu zensieren; berichtete also über Parteien, NGOs und linksradikale und militante Kampagnen. Um unsere Veranstaltungen möglichst hierarchiefrei zu organisieren, wurden Seminare und Workshops nach dem Prinzip der “Popular Education” entwickelt. Damit wollten wir Raum für Diskussionen und Denkanstöße geben, eine kritische Betrachtung der eigenen Umwelt schaffen und zum selbst aktiv werden anregen. Die Infotour war maßgeblich daran beteiligt, die internationale Email-Liste aufzubauen, die gegenwärtig 900 AktivistInnen aus allen besuchten Ländern vernetzt.

Die Struktur

Innerhalb des “Dissent!”-Spektrums gab es das umstrittene Prinzip, das ungefähr so lautete: “Einzelne und Gruppen haben die Freiheit alles zu machen, solange sie damit nicht gegen die gemeinsamen Prinzipien (PGA-Hallmarks) verstossen” (2). Hierdurch wurden lange Strategiedebatten oder dogmatische Theoriediskussionen umgangen. Auch die Infotour-AG hat mit allen Vor- und Nachteilen so funktoniert. Dadurch entstand nie eine feste Struktur innerhalb der AG, es war teilweise nicht einmal ersichtlich wer Teil der AG ist, wer von ihr inspiriert oder unabhängig von ihr agierte. Eine Idee war zu versuchen, dass möglichst viele Regionen von lokalen Gruppen abgedeckt werden, um damit zum Einen regionale Netzwerke zu fördern, aber auch praktischerweise die Fahrtkosten gering zu halten (3). Die angedachte Struktur sah eine möglichst große Dezentralisierung vor, ganz im Gegensatz zu der stark zentralisierten T.R.A.P.E.S.E.-Tour.
Dass die Ausrichtung der jeweiligen Veranstaltungen von den Individuen abhing, die sie durchführten, war Teil des Konzepts. Es handelte sich also um einen Pool an AktivistInnen, die Lust hatten Infoarbeit zu machen und sich dann mit den vorhandenen Materialien selbst organisierten.

Anfangs hatte ein “Kern” der Infotour die Veranstaltungskonzepte erarbeitet und vorbereitet, darunter Powerpoint-Präsentationen, Erläuterungen, Zusammenfassungen, Links etc. Alle Materialien sind auf der Webseite von Gipfelsoli oder im WIKI der Infotour abrufbar. Zudem wurden DVDs mit den Präsentationen sowie vielen Filmen von Gipfelprotesten der letzten Jahre erstellt. Mit dem Verkauf der DVDs wurden Touren in Länder, in denen Fahrtkosten nicht aufgebracht werden konnten, finanziert und nebenbei hilfreiches “Propaganda-Material” in die Bewegung gestreut.
Die in der Infotour-AG Organisierten hielten über eine email-Liste Kontakt, über alle Anfragen verschickt wurden. Diese Listen – eine für den deutschsprachigen Raum sowie eine internationale, englischsprachige – halfen bei der Koordinierung. Strategien und Inhalte wurden auf den Treffen des “dissent!”-Netzwerks diskutiert.

3 Säulen plus x: Das Konzept

Wir wollten Strukturen der G8-Politik aufdecken, radikale Kritik daran üben und über die geplanten Proteste erzählen. Dabei verfolgte die Infotour-AG einen strömungsübergreifenden Ansatz: Es wurde explizit über alle Mobilisierungen informiert, nicht zuletzt auch um einer etwaigen Spaltung entgegenzuarbeiten.
Wichtigster Punkt aller Überlegungen war die Idee, zu eigenen Infotouren zu inspirieren: der “Schneeball-Effekt”. Das Motto der Infotour-AG lautete “Do Infotour Yourself!”. Das Konzept entwickelte sich im Laufe der Zeit und entlang der Interessen der einzelnen AktivistInnen. Einigkeit bestand in der Überlegung, dass die Veranstaltungen nicht auf reine Mobilisierung fokussieren, sondern allgemeine Information über die G8 und die Probleme des kapitalistischen Systems enthalten sollen und somit die Veranstaltungen auch für weniger politisierte Menschen attraktiv und zugänglich sind. So entstanden drei Formate, welche bei der Infotour angefragt oder übernommen werden konnten.

Präsentationen

Da es nicht nur qualitativ gute Veranstaltungen geben sollte, sondern auch viele, wurde ein Veranstaltungskonzept mit Powerpoint-Präsentationen und einer Kollektion verschiedenster Videos früherer Aktionen und Protesten erarbeitet (4). Diese konnten als Grundlage genutzt werden. Viele haben je nach eigenen Vorlieben, Veranstaltungsort und Publikum das Material modifiziert.
Die Infoveranstaltungen führten zunächst in die Thematik der G8 ein und beschrieben Erfahrungen früherer Gipfel. Im zweiten Block beschrieben wir die lokalen politischen Umstände, die Politik des Kempinski-Hotels und den Widerstand der AnwohnerInnen, regionale Infrastrukturmaßnahmen (z.B. der Zaun, die “BAO Kavala”) und geographische Besonderheiten. Dann wurden die unterschiedlichen deutschlandweiten und internationalen Mobilisierungen dargestellt und nächste Termine berichtet. Je nach Publikum und Wünschen wurde auch über die Protestgeschichte der letzten Jahrzehnte, über “Kapitalismus-” bzw. “Globalisierungskritik” und Mobilisierung von Rechts oder auch zur “Verkürzten Kapitalismuskritik” referiert. Manche von uns hatten mehr zu G8 allgemein oder den Erfahrungen in Gleneagles oder St. Petersburg zu sagen, andere legten ihren Fokus mehr auf 2007.

Workshops und Seminare mit der Methode “Popular Education”

Da einigen das hierarchiefreie Konzept von T.R.A.P.E.S.E. wichtig war, wurde weiter an den Methoden der “Popular Education” zu den Themen “Globalisierung” und “G8” gefeilt und ausprobiert. Das Ziel von “Popular Education ist gesellschaftlicher Wandel”. Wirklicher gesellschaftlicher Wandel wird jedoch nur erreicht, wenn sich die Menschen und ihr Bewusstsein verändern. Wir können nur miteinander lernen, weil wir alle aus unterschiedlichen Lebenswelten kommen. Wir brauchen die Sichtweisen von allen, denen wir begegnen, in ihrer ganzen Vielfalt. Nur so kann gewährleistest werden, dass unsere Zukunft nicht über uns hinweg, sondern aktiv von uns – von unten – gestaltet wird.
Mit den “Popular Education”-Methoden stiegen wir tiefer in die Thematik ein, wir legten Methoden zur Auseinandersetzung mit Weltwirtschaft und ihren Akteuren, darunter auch IWF, Weltbank, WTO an. Ein anderer Teil drehte sich um die eigene Bereitschaft und Erfahrungen (und die Grenzen), Widerstand zu leisten. Die Workshops richteten sich an Jugendzentren, Schulklassen und Polit-Gruppen, die sich eingehender mit Inhalt und Interaktion hinsichtlich des G8 auseinandersetzen wollten.
Einige Methoden finden sich auf einem WIKI, welches als Arbeitsplatform diente, um dezentral, aber doch gemeinsam arbeiten zu können und die Methoden für alle zugänglich zu machen (5).

Pub- oder Kneipen-Quiz “Wer wird nicht Millionär?”

Das Quiz war ein durch T.R.A.P.E.S.E. inspirierter Versuch, das Thema “Anti-G8” anders aufzubereiten. In England haben derartige Veranstaltungen in Pubs eine lange Tradition. Damit sollten Leute erreicht werden, die nicht unbedingt zu einer als “G8-Info-Abend” angekündigten Veranstaltung kommen würden – oder von G8 bisher nicht mehr als eine vage Vorstellung haben.
Das Quiz liess sich beliebig dem jeweiligen Publikum anpassen: Richtet es sich eher an die “linke Szene”, können komplexere Zusammenhänge gefragt/ vermittelt werden; einer Gruppe die eher wenig bis keine Ahnung vom Thema hat konnte die Thematik “Globalisierung” bekannt gemacht und grundlegende Zusammenhänge über G8 und Widerstand nahe gebracht werden. Leider wurde das Quiz selten angefragt, vermutlich da wenige mit der englischen Idee des “Pub-Quiz” etwas anfangen konnten. Wir hoffen nicht, dass es an der nicht vorhandenen Spielfreude der linksradikalen Szene liegt. Die Male, die wir es durchgeführt haben, waren allerdings witzig und informativ.

“Door Knocking”

Das Konzept des “Door Knocking” war nicht Teil der Infotour-AG, ist aber ein gutes Beispiel wie versucht wurde, Hintergrundwissen zu den G8 und der Anti-G8-Bewegung an wenig politisierte Menschen zu vermitteln. “Door Knocking” bedeutete in unserem Fall, dass sich AktivistInnen u.a. mit einer vorbereiteten Broschüre zu Mecklenburg-Vorpommern und G8-spezifischen Themen auf den Weg machten und direkt an die Türen derjenigen klopften, die am heftigsten von den Einschränkungen, die jeder Gipfel mit sich bringt,betroffen waren, also der Kleinstadt Bad Doberan (6). In Reddelich wurde zwei Wochen vor Protestbeginn gemeinsam mit internationalen AktivistInnen mittels ’Door Knocking" zu einem Info-Abend über das Camp eingeladen. Es war leider viel politische Resignation zu spüren, trotz Interesse an den Protesten (7).

Was war…

Die Masse der Veranstaltungen machten leider nicht die qualitativen “Popular Education”-Veranstaltungen, sondern die frontalen Veranstaltungen aus. Es gab einige längere Touren mit mehreren Stopps, die entweder selbst von den reisenden ReferentInnen organisiert oder auf Anfrage durchgeführt wurden. Hierfür erschloss sich mehr und mehr ein Pool an ReferentInnen, die sich Zeit nahmen mehrere Tage, Wochen oder Monate umherzureisen. Einen Schwerpunkt legten wir auf die Vernetzung mit Mittelosteuropa, weil es uns wichtig erschien die dortigen neuen Bewegungen kennenzulernen und einzuladen, da diese in den bisherigen Mobilisierungen (Prag 2000 und St. Petersburg 2006 ausgenommen) vernachlässigt worden waren. Insgesamt vier Touren führten in diese Regionen. Auf Grund der Lage Heiligendamms im Ostseeraum wurden drei Touren in skandinavische Anrainerstaaten unternommen. Andere Touren gingen in die Zentren der Bewegungen im politischen Westeuropa (Italien, Griechenland, Großbritannien, Spanien, Frankreich, Niederlande, Benelux) sowie auch nach Nordamerika (zweimal in die USA/ Kanada und nach Mexiko). Auch in der Türkei und in Israel fanden Veranstaltungen statt.
Neben dem neuesten Stand der Mobilisierung berichteten wir über linke Bewegungen in Deutschland und Europa, Unterschiede von Aktionsformen und polititischem Background. Auf den Touren konnten Absprachen getroffen, interne Infos weitergegeben und über die geographische Lage berichtet werden. Die Infotouris waren meist relativ gut informiert und hatten Einblick in die Differenzen der unterschiedlichen Spektren. Im Anschluss an die jeweiligen Events ergaben sich oft im kleineren Rahmen wichtige tiefergehende analytische und strategische Gespräche.
Das “Schneeballprinzip” funktionierte gerade international nur teilweise. Am Besten lief es noch in Deutschland (Thüringen, Süddeutschland, Berlin, Hannover) und in Nachbarstaaten (Niederlande, Schweiz), wo sich lokale Infotour-Gruppen bildeten und dezentral Veranstaltungen durchführten. Gegen Ende verstärkte sich die Dezentralisierung zwangsweise, da der ReferentInnenpool der Infotour-AG auf Grund der vielen Anfragen sowie anderer Aufgaben in der Mobilisierung überlastet war.
Besonders zu erwähnen sind noch die Veranstaltungen in Mecklenburg-Vorpommern, welche für beide Seiten sehr wichtig waren. Durch den Kontakt zu lokalen Leuten lernten wir einerseits die Region und ihre Probleme besser kennen und konnten andererseits der Bewegung (vor der viele Angst hatten) ein Gesicht geben und Vorurteile ausräumen. Bereits Anfang 2006 fanden erste Veranstaltungen in Rostock und Bad Doberan statt, etwa ein Dutzend weitere folgten in benachbarten Städten und Dörfern. Die (wenigen) lokalen Kontakte, die sich daraus ergaben, waren für die spätere Organisierung unentbehrlich (8).

Jede Infotour hat ihre eigenen Eindrücke hinterlassen – personenbezogen oder aktionistischer Art. In einigen Ländern, vor allem in Osteuropa, sind Austausch und Vernetzung bis heute sehr intensiv. Auch nach offiziellem Ende der Infotour-AG geht die Vernetzungsarbeit weiter. Durch den Kontakt zu japanischen AktivistInnen in Heiligendamm fand eine Tour in sechs ost- und südostasiatischen Ländern statt, auf welcher gegen den Gipfel 2008 in Lake Toya mobilisiert und über Erfahrungen mit dem deutschen Gipfel berichtet wurde. Hier wurden wir erinnert, dass sogar auf den Philippinen und in Süd-Korea Solidaritätsaktionen mit den Protesten in Heiligendamm stattgefunden hatten. Auf vielen Veranstaltungen stand das Thema G8 im Hintergrund, es ging vielmehr um gegenseitigen Austausch über Alltagskämpfe in den jeweiligen Ländern und Formen von Real- und aktionistischer Politik. Sei es in Rumänien, wo korrupte Politiker das Land beherrschen, es kaum Demonstrationen gibt, die Nationalfaschisten an der Macht sind und der Staatsschutz noch wie in schlechten KGB-Filmen agiert (das nur um die Unvorstellbarkeit zu illustrieren), oder die Treffen in Weißrussland, die heimlich abgehalten werden mussten, weil sonst eine zweijährige Haftstrafe drohte (9). Besonders aufgefallen ist dass immer wieder gefragt wurde, warum wir uns nicht als AnarchstInnen bezeichnen, sondern als “leftradicals” und “autonomous” (10). Nach der Infotour in Israel wurde auf Indymedia Deutschland die verfälschte Übersetzung eines Offenen Briefes eines palästinenischen Aktivisten veröffentlicht, der einen Bericht der Tour kommentiert hatte. Über die Texte gab es intensive Diskussionen (11).

Die Bedeutung für die Mobilisierung

Weil die Infotour-AG innerhalb “dissent!” mit über 300 Veranstaltungen in circa 30 Ländern die größte organisierte Anstrengung zur direkten Mobilisierung war, wird die AG mit Sicherheit einen Einfluss gehabt haben. Es ist jedoch unklar, wie groß dieser gewesen sein mag. Deshalb wollen wir die Bedeutung der Infotour nicht am Erscheinen der Menschen bei den Protesten messen. Auch andere Gruppen haben zahlreiche Veranstaltungen und Infotouren durchgeführt: Gruppen die in “dissent!” organisiert waren besuchten befreundete Gruppen im In- und Ausland, es gab die Tour “Bittere Orangen” der “AG Globale Landwirtschaft”, antifaschistische Gruppen tourten, selbst attac reiste später unter dem Label “Infotour” durch Mecklenburg-Vorpommern.
Der persönliche Kontakt bei Veranstaltungen senkt die Hürde zu den Protesten zu kommen wesentlich mehr als informative Webseiten, da e-mail-Adressen plötzlich ein Gesicht bekommen und sowohl grundlegende Fragen als auch persönliche Bedenken besprochen werden können. Die Infotour half früh, Informationen weit zu streuen. In manchen Orten waren unsere Veranstaltungen die Initialzündung zur Gründung einer lokalen Gruppe oder eines Netzwerks. Zudem hatten wir immer viel Material für einen Infotisch dabei. Die Kooperation mit lokalen Gruppen über einen längeren Zeitraum war spannend und hilfreich.

Kritik

Die Infotour war einer von vielen wichtigen Teilen der Bewegung, der häufig und oft auch zu Recht von außen und innen kritisiert wurde. In kürzester Zeit wurde im allgemeinen Sprachgebrauch die Infotour-AG zu “der” Infotour, so dass es von außen wirkte als hätten einen Alleinvertretungsanspruch für Veranstaltungen zum G8. Zur Verteidigung kann nur gesagt werden, dass die Selbstbezeichnung bzw. ein (mühsamer) Namensgebungsprozess nie im Zentrum der AG-Arbeit stand. Der Name erwuchs aus der gesetzten Aufgabe. Kritik von innen wies z.B. darauf hin, dass wir unserem Anspruch nicht gerecht werden Informationen, Reaktionen und Anstöße, die sich im Laufe von Diskussionen während der Veranstaltungen entwickelten, transparent zu machen. Es wäre ein wichtiger Aspekt gewesen, die Impulse, die die Reisenden auf ihren Touren bekamen, stärker in die deutsche Mobilisierung zurückzutragen.
Kritisch sehen wir auch, dass mit Ausnahme von Mittelosteuropa, Türkei und Mexiko eine “reiche Nationentour” gemacht wurde, die sich größtenteils auf Westeuropa und Nordamerika beschränkte. Dies war u.a. der schlechten finanziellen Lage geschuldet.
Die Frage der Internationalität der Proteste haben wir leider nicht in aller Tiefe geführt. Ist G8-Widerstand primär eine Sache eines kleinen Teils der Welt (dem privilegierteren), oder streben wir an so viele Menschen wie möglich zu erreichen im Sinne einer alternativen Globalisierung von unten? Und wenn ja, welche Rolle spielen Menschen aus den reicheren Ländern dabei? Ist es sinnvoll als weißer, privilegierter Mensch in Ländern wie den Philippinen oder Mexiko über Proteste in Europa zu berichten? Wenn ja, sollten wir lieber AktivistInnen aus jenen Ländern einladen (damit diese zuhause selbst Infotouren organisieren) oder macht es mehr Sinn das “wir” dorthin fahren?

Was bleibt…

Ob die Proteste nun groß waren, weil allgemein euphorisch mobilisiert wurde, es sich also um eine Art selbsterfüllende Prophezeihung handelte oder andere Faktoren zu einer der größten Mobilisierungen seit Genua geführt haben, bleibt wohl unbeantwortet. Die Infotour hat auf jeden Fall versucht dafür zu sorgen, dass viele Leute gut vorbereitet und mit großer Vorfreude anreisten. Nach den Protesten mussten wir uns leider auch z.T. sagen lassen, dass u.a. wir auf der Tour falsche Hoffnungen geweckt hätten. Militantere, dezentrale Aktionen fanden, entgegen unseren Ausführungen, nur vereinzelt statt. So bleibt auch die Frage unbeantwortet, inwieweit die Infotour die Aufgabe hätte übernehmen müssen nicht nur über geplante militante Proteste zu informieren, sondern diese auch noch mitzuorganisieren. Die Referierenden wurden für viele – vor allem Internationalistas – oft zu den ersten AnsprechpartnerInnen, wenn sie zu den Protesten anreisten. Gerade im Hinblick auf Mittel-Osteuropa hat dies sehr gut funktioniert.
Die Idee, zu ermutigen selbst Infotour zu machen war zwar quantitativ erfolgreich, wobei schade war, dass viel mehr Frontalveranstaltungen stattfanden als tiefergehende Workshops. Im Rückblick hatte die AG trotz des “D.I.Y.”-Anspruchs oft mehr “Dienstleistungscharakter”. Ein Grund hierfür mag der größere Zeitaufwand in der Erstellung der Methoden und auch der Organisierung sein. Es war auch für uns schwieriger, AktivistInnen zu finden die keine Frontalveranstaltung organisieren wollten.
Der Vorteil unserer losen und niedrigschwelligen Arbeitsgruppe war, dass viele Leute Infotour gemacht haben und der Streueffekt dadurch groß war. Einer der Nachteile war allerdings, dass Diskussionen über gemeinsame Arbeitsweisen und vor allem politische Debatten evtl. zu mehr Verbindlichkeit geführt hätten, so dass die AG auch nach dem Gipfel als größerer Zusammenhang aktiv geblieben wäre. Zwar sahen wir es als einen Gewinn an Freiheit, dass die einzelnen Leute nicht einer gemeinsamen Gruppenmeinung unterstehen mussten (die Ablehnung des G8 als gegeben vorausgesetzt), sondern selbstverantwortlich handeln konnten. Andererseits war es nicht möglich, einen umfassenden Überblick über die durchgeführten Informationsveranstaltungen (und die sich daraus ergebenden Impulse und Diskussionen) zu behalten.
Insgesamt lässt sich sagen, dass die Infotour einer der größten Versuche einer koordinierten internationalen Mobilisierung zu einem Gipfelprotest war, der darüberhinaus antikapitalistische Bewegungen in verschiedenen Teilen der Welt vernetzen wollte. Als wichtigstes Fazit sehen wir, dass wenn eine große Mobilisierung angestrebt wird, persönlicher Kontakt entscheidend dazu beiträgt dass Leute auch wirklich kommen um gemeinsam zu kämpfen.

Frühjahr 2009

Infotour-AG

(1) Zu “Popular Education” siehe http://trapese.clearerchannel.org/whatispop.php.

(2) 1. Eine klare Ablehnung von Kapitalismus, Imperialismus und Feudalismus; und aller Handelsabkommen, Institutionen und Regierungen, die zerstörerische Globalisierung vorantreiben. 2. Wir lehnen alle Formen und Systeme von Herrschaft und Diskriminierung ab, einschließlich aber nicht beschränkt auf Patriarchat, Rassismus und religiösen Fundamentalismus aller Art. Wir anerkennen die vollständige Würde aller Menschen. 3. Eine konfrontative Haltung, da wir nicht glauben, dass Lobbyarbeit einen nennenswerten Einfluss haben kann auf undemokratische Organisationen, die maßgeblich vom transnationalen Kapital beeinflusst sind. 4. Ein Aufruf zu direkter Aktion und zivilem Ungehorsam, Unterstützung für die Kämpfe sozialer Bewegungen, die Respekt für das Leben und die Rechte der unterdrückten Menschen maximieren, wie auch den Aufbau von lokalen Alternativen zum Kapitalismus. 5. Eine Organisationsphilosophie, die auf Dezentralisierung und Autonomie aufgebaut ist.

(3) Unsere Finanzierung bestand aus von den VeranstalterInnen gegenfinanzierten Fahrtkosten und den Spendeneinnahmen am Infotisch.

(4) Alle Präsentationen unter http://www.gipfelsoli.org/Home/Materialien_Infotour.

(5) Siehe http://dissentnetzwerk.org/wiki/Workshop-Elemente.

(6) Bei einer Pressemitteilung während des Vorbereitungscamps “Campinski” 2006 fragten uns die JournalistInnen, warum wir denn “die Türen eintreten wollten?”. Das war dann wohl ein Übersetzungsfehler…

(7) Die lustigeren Erlebnisse waren z.B. mit AnwohnerInnen die uns Eier anboten, da “man Bush nicht selbst treffen” könne. Hier und dort wurde das hohe Alter bemitleidet und bedauert, dass frau ja nicht mehr viel machen könnte, obwohl früher der Antifaschismus sehr wichtig in der Gegend gewesen sei. Wir wurden dann über die Untaten der Treuhand aufgeklärt. Manche Begegnungen waren weniger nett, aber oft lernten wir etwas und die Leute auch.

(8) Daraus hat wohl auch die “BAO Kavala” gelernt, die ab Herbst 2006 durch die Dörfer tingelte und sogenannte “Bürgerversammlungen” einberief. Ebenfalls mit Powerpoint-Präsentationen warnten die Polizisten vor den “Chaoten” und versicherten, alles unter Kontrolle zu haben.

(9) Desweiteren sind die gewaltätigen Auseinandersetzungen in Russland zwischen Nazis und AnarchistInnen, insbesondere die Anschläge auf food-not-bombs-AktivistInnen, zu nennen und machen verständlich, dass es doch gut sein kann mit einem Messer umgehen zu können.

(10) Selbstredend wurden wir im Ausland stets gefragt, wer denn eigentlich die “Antideutschen” sind. Kritische Nachfragen, Missverständnisse, völlige Ablehnung, Lachanfälle und Wutausbrüche waren die Folge.

(11) Alle Texte dazu unter http://www.gipfelsoli.org/Home/Infotour

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