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26.12.2006

Palästinensische Antwort auf die G8-Info-Tour

Eine Antwort aus Palästina auf die „Anti-G8-Info-Tour“

Liebe Freunde aus Deutschland,

Grüße von der palästinensischen Basiskampagne gegen den Apartheidwall !

Wir waren das Ziel / Objekt eurer „Info-Tour“ nach Palästina und drei von uns haben ein oder zwei Stunden mit euch verbracht, um mit euch die G8-Mobilisierung zu diskutieren. Ich schätze wir hätten uns die Zeit sparen sollen. Ich schätze ihr hättet eure Zeit und euer Geld sparen können, und einfach von vornherein nicht kommen sollen, wenn es überhaupt eure Absicht war, diejenigen einzubinden, die in erster Linie von der Besatzung betroffen sind (wie ihr es in Eurer Auswertung behauptet. Euer Bericht zeigt deutlich, dass ihr nicht in der Lage wart, die Kämpfe des palästinensischen Volkes ernst zu nehmen, geschweige denn zu verstehen. Wenn unser politisches Verständnis und unser Handeln von euren Bemühungen abhinge, wäre euer Bericht ausreichend, um auch diejenigen palästinensischen Organisationen zu entmutigen, die seit Jahren in Protestaktionen gegen internationale Gipfeltreffen involviert sind.

Zum Glück ist das palästinensische politische Bewusstsein viel tiefer, viel verständiger und hat leider lange genug Erfahrung mit kolonialistischen Geisteshaltungen (mindsets) innerhalb des westlichen „globalen Aktivismus“, um zu wissen, das es seinen eigenen Weg gehen muss, in Zusammenarbeit mit all denen, die zu echter Solidarität, Respekt und Gleichberechtigung fähig sind und auf diese bauen.

Nach einem langatmigen Bericht von Treffen mit israelischen Gruppen, in dem ihr deren tiefes Verständnis für Veganismus und Tierrechte lobpreist, fangt ihr an eure Meinung zum palästinensischen Kampf zu äußern.

Ihr sagt: „Wir waren nicht in der Lage basisdemokratische, anarchistische oder kommunistische Gruppen in Ramallah und Jenin zu treffen.“ Nun, ihr habt eine Menge Zeit im Koordinationsbüro einer basisdemokratischen / Grasswurzel-Kampagne damit verbracht, zwei ihrer wichtigsten Aktivisten zu treffen. Ihr offensichtlich nicht, aber andere mögen daran interessiert sein zu erfahren, dass die Kampagne auf dem Kampf von Dutzenden lokaler Komitees basiert, die sich im Widerstand gegen den Apartheidwall gebildet haben.

Ihr habt keine kommunistischen Gruppen gefunden? Nun, das ist merkwürdig, wenn man berücksichtigt, dass Kommunismus und Sozialismus in Palästina eine Tradition von fast 100 Jahren haben und den größten Teil ihrer Geschichte über die Vision für unseren Kampf geliefert haben. Wenn ihr für eine halbe Stunde die Geschichte unseres Kampfes studiert hättet, bevor ihr hier her kamt, oder einen palästinensischen Flüchtling in Deutschland gefragt hättet, hättet ihr die Namen von und Kontakte zu den palästinensischen kommunistischen und sozialistischen Parteien erhalten. (Nebenbei, ihr braucht keine „Refugee Chair Games“ ((#Reisen nach Jerusalem#)) mit Palästinensern zu spielen. Sie wissen, was es heißt ein Flüchtling zu sein, da sie die größte und langlebigste Flüchtlingsgemeinschaft der Welt sind. Ferner sollten dies auch die Leute in Beer Sheva wissen, da sie der Grund für die Diaspora von zwei Drittel unserer Leute sind.) Anarchisten zu finden – da geben wir euch Recht – wäre etwas schwieriger gewesen. Ihr hättet zur Birzeit Universität gehen sollen, um eine kleine Gruppe zu finden. Anarchismus hat keine tief verwurzelte Geschichte im palästinensischen Kampf.

Eure Beurteilung unseres Kampfes setzt sich dann fort: „Die Besatzung scheint keinen Platz für nicht-institutionale Bewegungen zu lassen.“ Habt ihr euch jemals bemüht, euch zu fragen, auf welcher Art von Bewegung die erste und auch die zweite Intifada basierte? Habt ihr euch jemals bemüht, euch zu fragen, wie Dörfer sich selbst organisierten, in Demonstrationen gegen die Besetzung, die Mauer und all die Formen der Unterdrückung, der Enteignung und Vertreibung? Wenn es eine Sache gibt, die unseren Widerstand nun seit fast 60 Jahren antreibt, dann ist es die nicht-institutionale Standfestigkeit und Entschlossenheit unserer Leute nicht aufzugeben.

Um eure allumfassende „Analyse“ unserer Bewegungen und des palästinensischen Bewusstseins zu beenden, führt ihr aus, dass ihr keine Organisationen oder Gruppen finden konntet, die „an einem globaleren Blickwinkel des Konflikts arbeiten oder sogar offen für andere globale Themen sind“. Das ist schade. Ihr hättet vor dem erstbestem Flüchtlingslager stoppen (es gibt eine ganze Reihe überall in der West Bank und im Gaza-Streifen, auch in Ramallah und Jenin) und einen Schuljungen fragen sollen, was er über die USA, Europa und die UN denkt. Er hätte euch eine ziemlich klare Beschreibung der Rolle, die diese Mächte spielen, gegeben. Palästinenser finden globale Politik auf ihrem Abendbrottisch, wenn das Geld nicht für etwas besseres reicht, da die USA und die EU uns Sanktionen auflegen, offenbar weil wir die demokratischen Wahlen durchführten, zu denen sie uns aufgefordert haben. Sie sehen die UN Nahrungsmittel verteilen anstatt an ihren eigenen Resolutionen und internationalen Gesetze festzuhalten. Sie sind geboren in einem „globaleren Blickwinkel“ der Besatzung, die von einem komplizierten System globaler Mächte gestützt wird.

Wir sind nicht offen für andere „globale Themen“? Ich bin mir nicht sicher, was diese Themen sind. Nein, Veganismus ist kein Thema hier. Wir versuchen immer noch minimale Rechte für Menschen durchzusetzen – und teilen dies mit der großen Mehrheit der Menschen in der Welt. Der palästinensische Kampf hat eine lange und gemeinsame Geschichte mit lateinamerikanischen Bewegungen. Die PLO hat vor langer Zeit eine Solidaritätserklärung mit dem südafrikanischem Kampf gegen die Apartheid herausgegeben, die besagt, dass „Palästina solange nicht frei sein wie Südafrika nicht frei ist“. (Und die Südafrikanischen Bewegungen erinnern sich heute dankbar daran.) Heute schließen sich palästinensische Gruppen, Parteien und Organisationen den Aufrufen für Ernährungssouveränität an und unterstützen viele verschiedene Kämpfe der Unterdrückten.

Wenn ihr den Aktivisten in unserem Büro zugehört hättet, hättet ihr erfahren, dass wir uns an den letzten G8-Protesten in Schottland und den WTO-Protesten in Hongkong beteiligt haben. Ihr hättet erfahren können, dass ein Aktivist unserer Kampagne – ohne unsere Hilfe – während seines Besuchs in Deutschland und Österreich bereits diskutiert und Beziehungen aufgebaut hat, um das G8-Treffen in Deutschland vorzubereiten.

Ihr könntet euch erinnert haben, dass die Aktivisten mit euch Möglichkeiten diskutierten, die Themen Krieg und Besetzung innerhalb des weiteren Kontextes von Anti-Militarismus und Anti-Globalisierung zu integrieren, anstatt „direkte Aktion“ aus Deutschland zu importieren. (Wir wissen selbst eine Menge über direkte Aktionen, unabhängig davon, wie wir es hier nennen). Wir haben Analysen und Einsichten in diese Dynamiken. Wir leben in einem System von „globalisierter Besatzung“. Im Falle, dass ihr jemals daran interessiert wärt, könnten wir euch dieses Konzept detaillierter erklären.

Aber all das konnte wohl nicht in euer – anscheinend voreingenommenes – Bild, von dem was Palästinenser sind und denken, passen.

In eurem Bericht übergeht ihr dies, um euch eingehend mit unseren „Sorgen“ über euch zu befassen, weil ihr mit „pro-zionistischen“ Gruppen zusammen arbeitet, die sich nicht gegen die Siedlungen in der West-Bank aussprechen. Ihr denkt ernsthaft, wir sollten eine „Koordination“ (wie ihr in unserem Büro vorgeschlagen habt) mit Gruppen akzeptieren, die glauben es sei das Recht der jüdischen (oder irgendwelcher anderen) Leute, unser Land zu stehlen und zu kolonialisieren, unsere Leute zu vertreiben und unsere Gesellschaft zu zerstören? Aber ihr habt es auch diesmal falsch verstanden, unsere Sorgen gehen sehr viel weiter. Wie können wir mit Leuten zusammenarbeiten, die sich dem Recht auf Rückkehr der Mehrheit unserer Leute widersetzen, die seit 60 Jahren darum kämpfen, in ihre Heimat, in ihre Häuser zurückzukehren und ihr Eigentum zurückzubekommen? Wie können wir mit Leuten zusammen arbeiten, die an einen „jüdischen Staat“ glauben, der notwendigerweise 20% seiner Bevölkerung – die einheimischen Palästinenser, die sich der Vertreibung erfolgreich widersetzt haben – zu Bürgern dritter Klasse degradiert?

Offensichtlich kamt ihr hier her, um Clowns und Samba Bands und „Refugee Chair Games“ nach Palästina zu bringen. Palästinenser haben eine Geschichte von basisdemokratischem / Graswurzel-Kampf und direkter Aktion und wir freuen uns, unsere Erfahrungen in gegenseitiger Solidarität mit Menschen im Kampf auszutauschen. Aber wir sind nicht dazu da, um uns belehren zu lassen. Vielleicht haben die Israelis in Sderot und Kiryat eurer Analyse der globalen Politik aufmerksamer zugehört. Hätten sie je versucht, die Bedeutung und Folgen ihrer Innenpolitik, die auf unserem Land ausgetragen wird, zuzugeben, wäre dies sehr viel hilfreicher für uns alle gewesen. Am Ende all dessen, haben wir allerdings doch noch etwas mehr über globale Politik gelernt. Euer Bericht ist ein extremes Beispiel in welchem Grade Kolonialismus und Rassismus nicht nur ein System von Institutionen ist, die auf der ganzen Welt ausbeuten, vertreiben und besetzen, sondern wie tief sie auch im Bewusstsein von vielen verwurzelt sind, die vorgeben dieses System zu bekämpfen.

Willkommen in Palästina und fröhliche Weihnachten,

Jamal Jumaa

(Koordinator der basisdemokratischen palästinensischen Kampagne gegen den Apartheidwall – www.stopthewall.org)

Übersetzung: Robin Hood