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2008-09-13

Die Hilfe hilft den Helfern

Bei Gipfeltreffen versprechen Politiker gern höhere Ausgaben für die Entwicklungshilfe. Dass diese Zusagen selten eingehalten werden, ist nur ein Teil des Problems in einem Geschäftsbereich, von dem nur selten die Armen profitieren.

von David Schwarz

»Ich sehe die herrlichen Landschaften, die unvergleichlichen Farben, die Menschen«, schwärmte Angela Merkel. Auch viel Not, Armut und doch Hoffnung sah sie in Afrika. Ihre Visionen teilte die Bundeskanzlerin mit Bob Geldof, die Bild-Zeitung dokumentierte das Gespräch im Juli vergan­ge­nen Jahres.

Unsere Stimme...

Deutschland lud zum Treffen der G8 nach Heili­gendamm. Angela Merkel machte großzügige Versprechungen und präsentierte sich als um die »Dritte Welt« besorgte Gastgeberin. Das Entwicklungshilfebudget der Bundesrepublik solle aufge­stockt werden, Deutschland wolle »Afrika bei seinem wirtschaftlichen Aufbruch begleiten« und weitere Schulden erlassen. »Wir kennen unsere Zu­sagen, und wir werden sie erfüllen. Denn wir wollen glaubwürdig bleiben«, sagte Angela Merkel.

Ein Jahr später wurde deutlich, dass diese Zusagen nicht eingehalten werden. »Merkel wird wortbrüchig«, titelte die Süddeutsche Zeitung. Statt wie versprochen 0,51 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) zu erreichen, werden die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit voraussichtlich bei etwa 0,37 Prozent stagnieren. Das Aktionsprogramm 2015 der Bundesregierung sieht vor, bis zu diesem Jahr 0,7 Prozent des BNE für Entwicklungspolitik aufzuwenden. Als dies Ende der siebziger Jahre erstmals verspochen wurde, schloss Merkel gerade ihr Studium in Leipzig ab. Es gibt derzeit keinen Grund anzuneh­men, dass die Selbstverpflichtung erfüllt werden wird.

Die meisten Kritiker konzentrieren sich auf die Quote der Official Development Assistance (ODA), also das Verhältnis der entwicklungspolitisch relevanten Ausgaben zum BNE. Tatsächlich ist die Bereitschaft, Geld auszugeben, ein guter Maßstab für die Bedeutung eines Anliegens. Doch wür­de eine Erhöhung des Budgets die Armut reduzieren? Und was wird eigentlich unter Entwicklungszusammenarbeit verstanden?

Die Official Development Assistance ist ein vom Development Assistance Committee (DAC) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung entwickeltes Konzept, das definiert, welche Ausgaben die Mitgliedsstaaten als Entwicklungshilfe anrechnen dürfen. Dies sind nicht allein Zahlungen, Waren­lieferungen oder Dienstleistungen für Projekte zur Minderung der Armut.

»Ein Drittel der deutschen ODA-Quote besteht aus Ausgaben, die nicht unmittelbar der Armutsbekämpfung zugute kommen, wie die einmaligen Schuldenerlasse für den Irak und Nigeria sowie Ausgaben für ausländische Studenten und für Asylbewerber«, urteilte der Verband Entwicklungs­politik deutscher Nichtregierungs-Organisationen im vergangenen Jahr. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick­lung (BMZ) rechnet nicht nur erlassene Schul­den mit in die ODA-Quote ein, sondern auch Kosten für Abschiebehaft und Abschiebungen.

Im Jahr 2006 gab Deutschland offiziell ins­gesamt 10,08 Milliarden Dollar für Entwicklungs­zusammenarbeit aus, davon entfielen 3,9 Milliarden auf Schuldenerlasse. Wie hoch die Ausgaben für Abschiebungen waren, wird vom BMZ nicht im Detail aufgeführt. Auch andere Behörden leisten Entwicklungshilfe, das Bundesministerium des Innern etwa ist verantwortlich für die Ausbil­dung afghanischer Polizisten. Ob einzelne Budget­posten der ODA zugerechnet werden können, ent­scheiden die Ministerien selbst.

Abgesehen vom Auswärtigen Amt, das etwa fünf Prozent der deutschen ODA für Nothilfe ausgibt, sind die Leistungen der anderen Ministerien relativ unbedeutend. Etwa 90 Prozent der Finanz­mittel kommen aus dem Bundeshaushalt, zehn Prozent aus den Ländern und 0,3 Prozent aus den Kommunen. Die Kommunen zahlen die Unterhalts- und Abschiebekosten für Asylbewerber, 95 Prozent des Anteils der Bundesländer wird für Studienplätze ausländischer Studierender ausgegeben.

Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des BMZ 12,27 Milliarden Dollar für die Entwicklungshilfe bereitgestellt, die weltweit zweithöchs­te Summe nach den Zahlungen der USA (21,75 Mil­liarden Dollar). Ist der prozentuale Anteil am BNE der Maßstab, fallen die USA jedoch auf einen der letzten Plätze der OECD-Staaten zurück. Deutschland rangiert im Mittelfeld, während Norwegen, Schweden und Luxemburg die Liste anführen.

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit orientiert sich an den Millennium Development Goals (MDG). Sie wurden formuliert, nachdem sich beim Millenniumsgipfel im Jahr 2000 insgesamt 189 Staats- und Regierungschefs auf einen Plan zur Bekämpfung der Armut geeinigt hatten. Damals haben sich die Industrienationen erneut verpflichtet, ihre Entwicklungsausgaben bis zum Jahr 2015 auf 0,7 Prozent des BNE zu erhöhen. Das erste Millenniumsziel ist es, den Anteil der Weltbevölkerung, die täglich weniger als einen Dollar zur Verfügung hat, bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Andere Ziele betreffen die Bildung, Gesundheits- und Umweltfragen sowie die Stärkung von Frauenrechten.

Bis auf das achte Millenniumsziel – Aufbau einer »Entwicklungspartnerschaft« – sind die Fortschritte aufgrund relativ präziser Indikatoren vergleichsweise gut zu messen. Zwar gab es Kritik an den MDG, beispielsweise an einer Definition von Armut, die ausschließlich die Verfügung über Geld misst, und der Tatsache, dass Menschenrechte nicht erwähnt wurden. In der »internationalen Staatengemeinschaft« sind die MDG jedoch anerkannt.

Im vorigen Jahr zogen praktisch alle relevanten Akteure, von Weltbank und OECD bis zu kritischen NGO, eine Halbzeitbilanz. Deren Ergebnisse widersprechen sich nicht signifikant, doch das Bild ist nicht eindeutig. Zur Hälfte erreicht wurden die Ziele jedenfalls nicht. »Insgesamt reicht das gegenwärtige Tempo der Fortschritte aber bei wei­tem nicht aus, um die Millenniumsziele in allen Ländern bis zum Jahr 2015 zu verwirk­lichen«, schreiben die Welthungerhilfe und Terre des ­Hommes.

Die jüngste Korrektur der Weltbank bei der Berechnung der Zahl der absolut Armen (Jungle World 35/08) lässt die Millenniumsziele noch unrealistischer erscheinen. Da nunmehr 1,25 Dollar als Maßstab gelten, wächst die Zahl der Armen auf 1,4 Milliarden. Am schlimmsten sind die Verhältnisse in Afrika, dort nimmt die Anzahl der in absoluter Armut lebenden Menschen stetig zu.

Auf Afrika konzentriert sich seit Jahrzehnten die entwicklungspolitische Diskussion, doch die Erfolge bei der Armutsbekämpfung sind dürftig. Auf einer Konferenz mit mehr als 100 Teilnehmer­staaten in Paris im Jahr 2005 forderten insbesondere die Regierungen des Südens mehr Effektivität sowie eine Steigerung der Direktzahlungen in den Haushalt der Empfängerländer. Die Pariser Deklaration sieht eine größere »Harmo­nisierung der Geberbemühungen« und eine Erhöhung der Direkthilfe vor.

Entsprechend den Pariser Vorgaben konzen­triert sich die deutsche Entwicklungshilfe auf ma­ximal drei Schwerpunkte, die von Vertretern des BMZ in Verhandlungen mit den Partnerländern festgelegt werden. Der Großteil der deutschen ODA-Ausgaben wird dann für technische und personelle Zusammenarbeit aufgewendet, mit der staatliche Organisationen wie die GTZ und der DED oder konfessionelle Organisationen, die staatliche Unterstützung erhalten, beauftragt sind. In den vergangen Jahren wurde zunehmend auch Budgethilfe geleistet. Formell gibt es diese Form der finanziellen Zusammenarbeit nur mit Ländern, die sich zu »guter Regierungsführung« und Transparenz in der Budgetpolitik verpflichten.

In welchem Ausmaß das Geld den Verwaltungs­apparaten der Geberländer selbst zugute kommt, verdeutlicht ein Bericht der britischen Organisa­tion Action Aid aus dem Jahr 2005. Die NGO kam zu dem Schluss, dass etwa 60 Prozent der ODA-Ausgaben keine »reale Hilfe« darstellen. Der Groß­teil dieser Ausgaben wird für technische Berater, Infrastruktur und Gehälter der beauftragten Organisationen benötigt und der Rest durch Schul­denerlasse errechnet. Die Bundesregierung reagierte auf die Kritik nicht, die Weltbank räumte jedoch ein, dass im Jahr 2004 etwa ein Viertel der internationalen Entwicklungshilfe in Höhe von 78 Milliarden Dollar für technische Zu­sam­men­arbeit und Beratergehälter aufgewendet wurden.

Doch auch das verbleibende Geld kommt nicht immer bei den Bedürftigen an. Regierungsbeamte können sich direkt oder indirekt, etwa über die Auftragsvergabe, bereichern. Nicht alle Empfängerländer sind gleichermaßen korrupt, in manchen geht es sicherlich ehrlicher zu als bei Siemens. Insgesamt aber ist selbst bei der Weltbank und den Vereinten Nationen die Skepsis gegenüber dieser Form der Entwicklungshilfe sehr ausgeprägt. Sie erleichtert es den Regierungen der Empfängerländer, sich um die Entwicklungspolitik zu drücken. Wenn ohnehin klar ist, dass die »internationale Gemeinschaft« die nötigste medizinische Versorgung übernimmt, warum dann in diesen Sektor investieren? Seit den sechziger Jahren sind hohe Summen nach Afrika geflossen, dennoch geht es den meisten Menschen in den Staaten südlich der Sahara nicht besser. Finanzleistungen, das haben die vergangenen Jahr­zehnte gezeigt, sind mit Sicherheit nicht die Lösung der Probleme armer Länder.

Entgegen der Darstellung des BMZ und der von ihm beauftragten Organisationen, deren PR-Materialien mit Vorliebe Bilder schwarzer Kinder und Frauen bei der Feldarbeit zeigen, ist unter den zehn Hauptempfängerländern deutscher Ent­wicklungshilfe nicht ein afrikanischer Staat südlich der Sahara zu finden. Angeführt wird die Liste von Afghanistan, gefolgt von China und Indien.

Das Interesse an Afghanistan ist vor allem politisch, China und Indien sind ökonomisch bedeutsam. Die GTZ und die Kreditanstalt für Wieder­aufbau erhalten staatliche Aufträge, gleichzeitig bietet sich der privatwirtschaftlich tätige Teil der GTZ, die International Services, auf dem Consultant-Markt an. Die Entwicklungshilfe dient in vie­len Fällen deutschen Wirtschaftsinteressen. In Togo oder Malawi ist die Aussicht auf lukrative Geschäfte gering. Herrliche Landschaften, unvergleichliche Farben und Menschen gibt es in China und Indien schließlich auch.

Source: http://jungle-world.com/artikel/2008/37/22967.html