Ausnahmezustand rund um Heiligendamm
von Peter Strutynski
Die neuerliche Verschärfung der polizeilichen Sicherungsmaßnahmen in und um Heiligendamm wird vom Bundesausschuss Friedensratschlag zurückgewiesen und als Versuch gewertet, demokratische Rechte zugunsten einer umfassenden Militarisierungder Außenpolitik abzubauen.
Die Ausweitung der “Sicherungszone” um Heiligendamm und den Flugplatz Rostock-Lage in Verbindung mit der “Allgemeinverfügung” zum Verbot jeglicher Demonstrationen innerhalb der ausgewiesenen Zone stellt das grundgesetzlich verbürgte Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5,1 GG) und Demonstrationsfreiheit (Art. 8) auf den Kopf. Galtbisher – zumindest dem Anspruch nach – der Grundsatz, dass das Versammlungsrecht nur ausnahmsweise durch besondere Auflagen eingeschränkt werden dürfe, so wird jetzt die Einschränkung bzw. das totale Versammlungsverbot zur Regel. Originalton Polizei: “Die Allgemeinverfügung untersagt alle öffentlichen Versammlungen und Aufzüge unter freiem Himmel im Zeitraum vom 30.05.2007, 00:00 Uhr bis 08.06.2007, 24:00 Uhr”.
Man stelle sich nur einen Augenblick vor, die Regierung von Belarus (Weißrussland) oder der russische Präsident erließen anlässlich internationaler Gipfel in ihren Ländern ähnliche restriktive Verfügungen. Wir können sicher sein, dass Bundesregierung und EU postwendend von “nicht akzeptablen” Einschränkungen der Meinungsfreiheit sprechen würden und scharfe diplomatische Noten nach Minsk bzw. Moskau schicken würden. Harsche Reaktionen wären auch heraufbeschworen worden, wenn Russland oder Belarus Regimekritiker und Gipfelgegner ähnlich rüde behandelt hätten, wie das die deutschen Innenbehörden vor 10 Tagen mit ihren Polizeirazzien gegen 40 alternative Einrichtungen getan hatten.
Die skandalöse Suspendierung von Grund- und Menschenrechten ist die Begleitmusik zu einem Lieblingsprojekt des deutschen Innenministers Schäuble: den Einsatz der Bundeswehr im Inneren über den Katastrophenschutz hinaus ausweiten zu können. Einen ersten Grundstein dazu hatte übrigens schon die rot-grüne Koalition mit den Stimmen der CDU/CSU im Februar 2005 gelegt. Damals wurde per Änderung des Reservistengesetzes über eine Million ehemalige Soldaten zusätzlich für die “Zivil-Militärische Zusammenarbeit ZMZ Inneres”, d.h. für den Einsatz im Innern bereitgestellt.
G8 blockieren!
Vor wenigen Tagen erst schlug Schäuble vor, Art. 87 a (Auftrag der Bundeswehr: Landesverteidigung) und Art. 35 (Amts- und Katastrophenhilfe) des Grundgesetzes dahingehend zu ändern, dass der Einsatz der Bundeswehr generell dann angeordnet werden könne, wenn die polizeilichen Mittel nicht mehr “ausreichen”. Die beiden Änderungen sollen “präventive Anti-Terror-Einsätze” der Bundeswehr absichern, heißt es dazu aus dem Hause Schäuble. Nachdem SPD-Vorsitzender Kurt Beck zumindest einer Änderung des Art. 35 nicht mehr ablehnend gegenübersteht (Beck: “Wir werden alles unterstützen, was unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit der Mittel innere Sicherheit für die Menschen gewährleistet”, 14. Mai 07), besteht die akute Gefahr, dass die Große Koalition per Grundgesetzänderung (wozu sie über die notwendige Zweidrittelmehrheit verfügt) ein Kernelement des demokratischen Rechtsstaats abschafft: die strikte Trennung der Aufgaben von Armee, Polizei und Nachrichtendiensten.
Die Friedensbewegung sieht diese Entwicklung auch deshalb mit großer Sorge, weil damit die Bundesregierung nachvollzieht, was die US-Administration seit 2001 proklamiert und auf desaströse Weise weltweit praktiziert: Der Kampf gegen den Terrorismus wurde zum “Krieg gegen den Terror” deklariert und damit in einen rechtsfreien Raum verlagert. Wer mit Militär gegen den Terror im Irak, in Afghanistan, in Somalia oder sonst wo vorgeht, wird folgerichtig auch gegen Terroristen – oder was dafür gehalten wird – im Inneren Militär einsetzen wollen.
Militär im Inneren und Auslandseinsätze der Bundeswehr sind aber nur zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das eine braucht man als Drohgebärde und potenzielle Handhabe gegen Kriegsgegner, Pazifisten und die kriegsabstinente Grundstimmung der Bevölkerungsmehrheit in Deutschland, um das andere, die weltweiten Militärexpeditionen, reibungslos durchführen zu können. Verteidigungsminister Jung und Innenminister Schäuble (beide CDU) dürfte ein Umfrageergebnis nicht verborgen geblieben sein, das in der Mai-Ausgabe der Zeitschrift “Internationale Politik” veröffentlicht wurde. Auf die Frage: “Glauben Sie, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr dazu beitragen, Deutschland besser vor terroristischen Anschlägen zu schützen?”, antworteten nur 13 Prozent mit “Ja”; 84 Prozent sagten “Nein”.
Für die Friedensbewegung sind die Proteste anlässlich des G8-Gipfels auch ein Zeichen des Widerstands gegen den Kriegskurs der G8 (Russland trotz zahlreicher strategischer Differenzen mit der NATO ausdrücklich eingeschlossen). Es geht bei den Verhandlungen der größten Industriestaaten nicht nur um – weitgehend kosmetische – Feinabstimmungen beim Klimaschutz und bei der Entwicklungspolitik. Es geht auch um die gegenseitige Versicherung der führenden Staatsmänner und einer Frau, das herrschende Produktions-, Technologie-, Handels- und Wohlstandsgefälle aufrecht zu erhalten, notfalls (und das wird immer mehr der Regelfall) mit Waffengewalt in allen Teilen der Welt.
» © Bundesausschuss Friedensratschlag, 17.052.2007